Eine Erfolgsgeschichte - 50 Jahre Bundesliga: Die Saison 1969/1970

Ein rundes Jubiläum steht für Europas erfolgreichste Liga kurz bevor. Pünktlich startet DFB.de eine neue Serie. In "Eine Erfolgsgeschichte: 50 Jahre Bundesliga" fasst DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras noch einmal alle bisherigen Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zusammen. Heute: 1969.

Hennes Weisweiler stand mitten auf dem Platz und stauchte seine Spieler zusammen. 30 Jahre vor der Einführung der Coaching Zone war eben noch vieles möglich. Und weil seine Borussia an diesem 30. April 1970 drauf und dran war, ein schon fast sicher gewonnenes Spiel und damit auch die Deutsche Meisterschaft zu verspielen, musste der Mönchengladbacher Trainer auf seine Weise eingreifen. Schon vor der Saison hatte er gedroht: "Wenn wir wieder nicht Meister werden, werde ich den Verein verlassen."

Mönchengladbach feiert die erste Meisterschaft

Borussia hat es dann doch noch geschafft, auf ihre Weise: wild, stürmisch, verwegen, leichtsinnig und liebenswert riskant. Wenn jemals eine Fußball-Mannschaft die Herzen der Fans im Sturm erobert hat, dann diese "Fohlen-Elf". Sie genoss längst bundesweite Popularität. Im fünften Jahr spielte sie nun in der Bundesliga, endlich wurde sie für ihr beinahe schon anarchisches Spiel belohnt. Nach einem 4:3 gegen den Hamburger SV, der nach 53 Minuten schon 0:4 zurücklag, gewann die Elf vom Niederrhein erstmals die begehrte Schale. Kapitän Günter Netzer reckte sie als erster Borusse überhaupt in den Nachthimmel am ausverkauften Bökelberg.

Es war der Beginn einer Ära und sie wurde mit Glocken eingeläutet. Der katholische Pfarrer im Mönchengladbacher Stadtteil Eicken läutete an jenem Donnerstagabend um 21.46 Uhr die Kirchenglocken. Schon vor der Saison galt sie als Geheimfavorit, denn mit Luggi Müller von Absteiger Nürnberg und Klaus Dieter Sieloff aus Stuttgart hatte Weisweiler etwas gegen die Abwehrschwäche getan, die bisher den Erfolg verhindert hatte. Müller verpflichtete er übrigens im Juni 69 direkt nach dem Abstieg auf dem Parkplatz am Kölner Stadion, während sein Co-Trainer Borussias letztes Saison-Spiel coachte. Wäre Köln abgestiegen, hätte er Wolfgang Weber ein Angebot gemacht. So einfach ging das in Zeiten, als es noch keine Berater gab.

Und es trug Früchte: Drei Gegentore kassierte sie an ihrem Meisterabend zum ersten Mal, insgesamt waren es nur 29. Borussia war endlich hinten dicht. "Aber auch die Rheinländer wurden erst Meister, als sie ihr technisches Feuerwerk auf solide Abwehrarbeit gründeten, ihre Brillanz mit unheimlichen Tempospiel und kämpferischem Einsatz erfüllten", analysierte der Kicker.

Nun also konnte das große Titelsammeln beginnen. Zumal der Kader als bisher jüngster eines Meisters (25 Jahre im Schnitt) noch viel Zukunft hatte. Auch hatte noch keiner mehr Punkte geholt (51) und das in einem Jahr, wie DFB-Präsident Dr. Hermann Gösmann auf dem Bankett betonte, "Anforderungen wie nie an einen Meister gestellt wurden".

Bayern München blieb nur Platz zwei

Ausgerechnet in der WM-Saison, die schon am 3. Mai endete, hatte der Winter hart zugeschlagen (42 Ausfälle). Rot-Weiß Essen musste deshalb binnen 19 Tagen sieben Spiele bestreiten. Auch die drei ersten Rückrundenspiele der Borussen waren ausgefallen, entsprechend drängten sich die Termine am Saisonende.

Sie schafften es trotzdem schon am vorletzten Spieltag. Dem FC Bayern München blieb nur Platz zwei, auch er reihte sich ein in die Garde der glücklosen Titelver-teidiger: sieben Jahre, sieben verschiedene Meister. Und wie seit 1963 galt: Herbstmeister gleich Deutscher Meister, das Vorrunden-Omen behielt seine Gültigkeit.

Daran änderte auch die Premiere von Udo Lattek nichts, der im März 1970 Meister-Trainer Branko Zebec ablöste, womit die erfolgreichste Trainer-Karriere der Bundesliga ihren Anfang nahm. Übrigens nach einem Anruf morgens um 4.30 Uhr, als die Bayern plötzlich ohne Trainer dastanden. Lattek hätte ohnehin zur neuen Saison in München arbeiten sollen, nun musste er eben etwas früher ran. Es reichte immerhin für Platz zwei und einen 1:0-Sieg gegen den kommenden Meister. Immerhin konnte Gerd Müller seinen Titel verteidigen, nunmehr mit sagenhaften 38 Toren, denen er bei der WM in Mexiko (Deutschland 3. Platz) zehn folgen ließ.

Aachen und 1860 steigen ab

Freude gab es auch in Berlin, Hertha BSC spielte ihre beste Bundesligasaison und wurde Vierter noch vor dem 1. FC Köln. Die beiden absolvierten am 26. September das bis heute am besten besuchte Bundesligaspiel überhaupt, 88.075 füllten das Olympia-Stadion beim 1:0-Sieg der Hertha. Es änderte nichts daran, dass die Saison 1969/70 die bis dahin wenigsten Zuschauer verbuchte. Der strenge Winter hatte daran einen großen Anteil und der Abstiegskampf war nicht annähernd so dramatisch wie im Vorjahr. Alemannia Aachen stürzte vom zweiten auf den 18. Platz, war schon nach 31 Spielen nicht mehr zu retten. Zwei Wochen später erwischte es auch Gründungsmitglied 1860 München, womit schon zwei von bis dahin sieben Bundesliga-Meistern abgestiegen waren. Noch immer hatte die Liga keine festen Konturen. Es gab keine Supermächte oder Hochburgen, jedem, so schien es, konnte alles passieren. Eintracht Braunschweig, Meister von 1967, wurde diesmal Sechzehnter. Dass nun andere Zeiten anbrechen würden, war nicht unbedingt abzusehen. Und doch war Borussia für acht lange Jahre der letzte neue Meister.

Ansonsten stand die Saison im Zeichen von Störungen des Spielbetriebs. Beim Schalker Gastspiel in Dortmund wurden die Gästespieler Friedel Rausch (Hintern) und Gerhard Neuser Pirkner (Oberschenkel) von Hunden gebissen. Diese hatten Ordner eingesetzt, weil Schalker Fans aus Freude über ein Tor den Platz gestürmt hatten. Die Hunde unterschieden offenbar nicht zwischen Fan und Spieler – Hauptsache Schalker. Am Rande bemerkt: der Schäferhund "Blitz", der Rausch biss, war nicht vom Fach. Denn er gehörte keinem Ordner, sondern einem Fan, der sich um den Eintritt drücken wollte und sich nur als Ordner tarnte. Auch das war möglich in den wilden Jahren der Bundesliga.

Rausch ins Krankenhaus

Rausch musste ins Krankenhaus, bekam eine Tetanus-Spritze und wurde noch monatelang verhöhnt. Gegenspieler bellten ihn auf dem Platz an und Mitspieler frozzelten: „Friedel, sei doch froh, dass der dich nicht vorne gebissen hat.“ Zum Rückspiel ließ Schalke-Präsident Oskar Siebert demonstrativ Löwen aus einem benachbarten Tierpark auf der Tartanbahn patrouillieren.

Sie bekamen aber nichts zu beißen. Im November 1969 lehnte sich ein betrunkener Werder-Fan in Bremen an den Torpfosten und irritierte Essens Torwart Fred Bockholt, der erzählte: "Der Kerl hat munter auf mich eingeredet." Prompt fiel ein Tor für Werder, Essens Proteste fanden kein Gehör. Weil in vielen Stadien damals nach Toren immer wieder Fans auf den Rasen stürmten, entbrannte eine Sicherheitsdiskussion. Die Stadien, die anlässlich der WM 1974 entstanden, erhielten alle Zäune, die zuvor keineswegs üblich waren Doch die Fans sperrten sich quasi selbst ein. So ging es in die wilden Siebziger.

Fakten der siebten Saison:

Tore: 951 (3,11 pro Spiel)
Torschützenkönig: Gerd Müller (FC Bayern/38) - Rekord
Zuschauer: 6.113.726 (19.979 pro Spiel) - Minusrekord
Meister: Borussia Mönchengladbach
Absteiger: 1860 München Alemannia Aachen
Aufsteiger: Arminia Bielefeld Kickers Offenbach
Trainerentlassungen: 5

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Ein rundes Jubiläum steht für Europas erfolgreichste Liga kurz bevor. Pünktlich startet DFB.de eine neue Serie. In "Eine Erfolgsgeschichte: 50 Jahre Bundesliga" fasst DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras noch einmal alle bisherigen Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zusammen. Heute: 1969.

Hennes Weisweiler stand mitten auf dem Platz und stauchte seine Spieler zusammen. 30 Jahre vor der Einführung der Coaching Zone war eben noch vieles möglich. Und weil seine Borussia an diesem 30. April 1970 drauf und dran war, ein schon fast sicher gewonnenes Spiel und damit auch die Deutsche Meisterschaft zu verspielen, musste der Mönchengladbacher Trainer auf seine Weise eingreifen. Schon vor der Saison hatte er gedroht: "Wenn wir wieder nicht Meister werden, werde ich den Verein verlassen."

Mönchengladbach feiert die erste Meisterschaft

Borussia hat es dann doch noch geschafft, auf ihre Weise: wild, stürmisch, verwegen, leichtsinnig und liebenswert riskant. Wenn jemals eine Fußball-Mannschaft die Herzen der Fans im Sturm erobert hat, dann diese "Fohlen-Elf". Sie genoss längst bundesweite Popularität. Im fünften Jahr spielte sie nun in der Bundesliga, endlich wurde sie für ihr beinahe schon anarchisches Spiel belohnt. Nach einem 4:3 gegen den Hamburger SV, der nach 53 Minuten schon 0:4 zurücklag, gewann die Elf vom Niederrhein erstmals die begehrte Schale. Kapitän Günter Netzer reckte sie als erster Borusse überhaupt in den Nachthimmel am ausverkauften Bökelberg.

Es war der Beginn einer Ära und sie wurde mit Glocken eingeläutet. Der katholische Pfarrer im Mönchengladbacher Stadtteil Eicken läutete an jenem Donnerstagabend um 21.46 Uhr die Kirchenglocken. Schon vor der Saison galt sie als Geheimfavorit, denn mit Luggi Müller von Absteiger Nürnberg und Klaus Dieter Sieloff aus Stuttgart hatte Weisweiler etwas gegen die Abwehrschwäche getan, die bisher den Erfolg verhindert hatte. Müller verpflichtete er übrigens im Juni 69 direkt nach dem Abstieg auf dem Parkplatz am Kölner Stadion, während sein Co-Trainer Borussias letztes Saison-Spiel coachte. Wäre Köln abgestiegen, hätte er Wolfgang Weber ein Angebot gemacht. So einfach ging das in Zeiten, als es noch keine Berater gab.

Und es trug Früchte: Drei Gegentore kassierte sie an ihrem Meisterabend zum ersten Mal, insgesamt waren es nur 29. Borussia war endlich hinten dicht. "Aber auch die Rheinländer wurden erst Meister, als sie ihr technisches Feuerwerk auf solide Abwehrarbeit gründeten, ihre Brillanz mit unheimlichen Tempospiel und kämpferischem Einsatz erfüllten", analysierte der Kicker.

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Nun also konnte das große Titelsammeln beginnen. Zumal der Kader als bisher jüngster eines Meisters (25 Jahre im Schnitt) noch viel Zukunft hatte. Auch hatte noch keiner mehr Punkte geholt (51) und das in einem Jahr, wie DFB-Präsident Dr. Hermann Gösmann auf dem Bankett betonte, "Anforderungen wie nie an einen Meister gestellt wurden".

Bayern München blieb nur Platz zwei

Ausgerechnet in der WM-Saison, die schon am 3. Mai endete, hatte der Winter hart zugeschlagen (42 Ausfälle). Rot-Weiß Essen musste deshalb binnen 19 Tagen sieben Spiele bestreiten. Auch die drei ersten Rückrundenspiele der Borussen waren ausgefallen, entsprechend drängten sich die Termine am Saisonende.

Sie schafften es trotzdem schon am vorletzten Spieltag. Dem FC Bayern München blieb nur Platz zwei, auch er reihte sich ein in die Garde der glücklosen Titelver-teidiger: sieben Jahre, sieben verschiedene Meister. Und wie seit 1963 galt: Herbstmeister gleich Deutscher Meister, das Vorrunden-Omen behielt seine Gültigkeit.

Daran änderte auch die Premiere von Udo Lattek nichts, der im März 1970 Meister-Trainer Branko Zebec ablöste, womit die erfolgreichste Trainer-Karriere der Bundesliga ihren Anfang nahm. Übrigens nach einem Anruf morgens um 4.30 Uhr, als die Bayern plötzlich ohne Trainer dastanden. Lattek hätte ohnehin zur neuen Saison in München arbeiten sollen, nun musste er eben etwas früher ran. Es reichte immerhin für Platz zwei und einen 1:0-Sieg gegen den kommenden Meister. Immerhin konnte Gerd Müller seinen Titel verteidigen, nunmehr mit sagenhaften 38 Toren, denen er bei der WM in Mexiko (Deutschland 3. Platz) zehn folgen ließ.

Aachen und 1860 steigen ab

Freude gab es auch in Berlin, Hertha BSC spielte ihre beste Bundesligasaison und wurde Vierter noch vor dem 1. FC Köln. Die beiden absolvierten am 26. September das bis heute am besten besuchte Bundesligaspiel überhaupt, 88.075 füllten das Olympia-Stadion beim 1:0-Sieg der Hertha. Es änderte nichts daran, dass die Saison 1969/70 die bis dahin wenigsten Zuschauer verbuchte. Der strenge Winter hatte daran einen großen Anteil und der Abstiegskampf war nicht annähernd so dramatisch wie im Vorjahr. Alemannia Aachen stürzte vom zweiten auf den 18. Platz, war schon nach 31 Spielen nicht mehr zu retten. Zwei Wochen später erwischte es auch Gründungsmitglied 1860 München, womit schon zwei von bis dahin sieben Bundesliga-Meistern abgestiegen waren. Noch immer hatte die Liga keine festen Konturen. Es gab keine Supermächte oder Hochburgen, jedem, so schien es, konnte alles passieren. Eintracht Braunschweig, Meister von 1967, wurde diesmal Sechzehnter. Dass nun andere Zeiten anbrechen würden, war nicht unbedingt abzusehen. Und doch war Borussia für acht lange Jahre der letzte neue Meister.

Ansonsten stand die Saison im Zeichen von Störungen des Spielbetriebs. Beim Schalker Gastspiel in Dortmund wurden die Gästespieler Friedel Rausch (Hintern) und Gerhard Neuser Pirkner (Oberschenkel) von Hunden gebissen. Diese hatten Ordner eingesetzt, weil Schalker Fans aus Freude über ein Tor den Platz gestürmt hatten. Die Hunde unterschieden offenbar nicht zwischen Fan und Spieler – Hauptsache Schalker. Am Rande bemerkt: der Schäferhund "Blitz", der Rausch biss, war nicht vom Fach. Denn er gehörte keinem Ordner, sondern einem Fan, der sich um den Eintritt drücken wollte und sich nur als Ordner tarnte. Auch das war möglich in den wilden Jahren der Bundesliga.

Rausch ins Krankenhaus

Rausch musste ins Krankenhaus, bekam eine Tetanus-Spritze und wurde noch monatelang verhöhnt. Gegenspieler bellten ihn auf dem Platz an und Mitspieler frozzelten: „Friedel, sei doch froh, dass der dich nicht vorne gebissen hat.“ Zum Rückspiel ließ Schalke-Präsident Oskar Siebert demonstrativ Löwen aus einem benachbarten Tierpark auf der Tartanbahn patrouillieren.

Sie bekamen aber nichts zu beißen. Im November 1969 lehnte sich ein betrunkener Werder-Fan in Bremen an den Torpfosten und irritierte Essens Torwart Fred Bockholt, der erzählte: "Der Kerl hat munter auf mich eingeredet." Prompt fiel ein Tor für Werder, Essens Proteste fanden kein Gehör. Weil in vielen Stadien damals nach Toren immer wieder Fans auf den Rasen stürmten, entbrannte eine Sicherheitsdiskussion. Die Stadien, die anlässlich der WM 1974 entstanden, erhielten alle Zäune, die zuvor keineswegs üblich waren Doch die Fans sperrten sich quasi selbst ein. So ging es in die wilden Siebziger.

Fakten der siebten Saison:

Tore: 951 (3,11 pro Spiel)
Torschützenkönig: Gerd Müller (FC Bayern/38) - Rekord
Zuschauer: 6.113.726 (19.979 pro Spiel) - Minusrekord
Meister: Borussia Mönchengladbach
Absteiger: 1860 München Alemannia Aachen
Aufsteiger: Arminia Bielefeld Kickers Offenbach
Trainerentlassungen: 5