Eine Begegnung in aller Freundschaft

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Weisweiler und Schaffer, Helmut Rahns Auftritt als Niederländer, Neubergers Einsatz bei der UEFA und schließlich die jährlichen Yad-Vashem-Besuche junger deutscher Fußballer – Etappen auf dem Weg zu einer heute sehr vitalen deutsch-israelischen Fußballfreundschaft. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth über das Verhältnis zu Israel, in dem es immer um mehr ging als nur um Fußball. Und das zeigt, welch verbindende Kraft der Sport haben kann.

Nach Nürnberger Gesetzen, Warschauer Ghetto, nach Dachau und Auschwitz – wie wollten Deutsche und Israelis wieder gemeinsam Fußball spielen? Es braucht Vertrauen, um offen miteinander auf einen freien Platz zu gehen. Leichtigkeit und Lebensfreude, um in kurzen Hosen einem Ball hinterherzurennen. Schon die Grenzlinien des Kalten Krieges waren in den 50er-Jahren für sportliche Wettkämpfe nahezu unüberwindliche Barrieren. Aber Israel und Deutschland? Wie sollte das gehen? Wie einen Anfang finden?

Prof. Dr. Manfred Lämmer hat die Geschichte des israelisch-deutschen Fußballs erforscht, begleitet und aktiv mitgestaltet. Der Sporthistoriker sagt: "Niemand konnte sich nach dem barbarischen Vernichtungsfeldzug des NS-Regimes gegen das jüdische Volk vorstellen, dass deutsche und jüdische Sportler sich je wieder gemeinsam im friedlichen Wettkampf begegnen würden." Es ging doch, Schritt für Schritt, bis 1987 in Tel Aviv die deutsche Mannschaft erstmals zu einem Länderspiel gegen Israel antrat.

Kohler: "Wir wurden sehr herzlich empfangen"

Jürgen Kohler erinnert sich noch gut an das erste Länderspiel einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Israel. "Wir wurden sehr herzlich empfangen, das fing schon auf dem Flughafen an", sagt er. "Natürlich hatten die Medien vorher über die politische Bedeutung berichtet, aber in Israel war es dann eine ganz normale Sache, ein ruhiges Spiel." Kohler hatte drei Jahre zuvor in der Bundes liga debütiert, die großen Erfolge – Weltmeister 1990, Euro pameister 1996, Champions-League-Sieger 1997 – lagen noch vor ihm. Kohler stand am 25. März 1987 in Tel Aviv auf dem Platz, Buchwald und Matthäus auch, Beckenbauer an der Seitenlinie. Es war kein Turnierjahr: Dass die deutsche Mannschaft 2:0 gewann, war bald vergessen. Aber die historische Bedeutung dieser 90 Minuten war allen bewusst.

Die deutsche Mannschaft besuchte die Klagemauer in der Altstadt von Jerusalem, das Symbol des ewig bestehenden Bundes Gottes mit dem Volk Israel. Chaim Herzog, damals Israels Staatspräsident, hatte das Team eingeladen. Herzog hatte im Zweiten Weltkrieg als Soldat der britischen Armee in Deutsch land gekämpft, war beteiligt an der Befreiung des Vernichtungslagers Bergen-Belsen. Nun wünschte er jungen Deutschen viel Glück für ein Fußballspiel. Tel Aviv 1987 war das Ergebnis einer langen Annäherung. Tel Aviv war nicht der Anfang.

Hennes Weisweilers und Emanuel Schaffers Wege hatten sich Mitte der 50er-Jahre gekreuzt. Der WM-Gewinn von 1954 brachte "Edi" Schaffer nach Deutschland, hier wollte sich der israelische Nationalspieler zum Trainer ausbilden lassen. Aufgewachsen in Recklinghausen, kehrte er nun zurück ins Land des Weltmeisters. In das Land der Täter. Gemeinsam mit Eilyahu Fuchs besuchte er den Lehrgang an der Deutschen Sporthochschule Köln. Vorne am Pult stand Weisweiler. "Es war eine richtige Kumpelfreundschaft, die beiden waren 20 Jahre lang unzertrennlich", sagt Manfred Lämmer.

Jetzt ging alles sehr schnell. Der Sport, gerade der Fußball, baute die Brücken. Bis 1965 erwarben fünf weitere Israelis in Köln das begehrte Diplom – zu einer Zeit, als die Politik noch nicht so weit war, auch nur diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Das Menschliche, der Fußball, gewann zurück, was vernichtet schien. 1962 hatte Helmut Rahn sich noch als Niederländer tarnen müssen. Hapoel Tel Aviv hatte Twente Enschede zur Stadioneinweihung eingeladen, dort stand der zweifache Torschütze von Bern unter Vertrag. Offiziell wurde Rahn an jenem Abend zwar als Niederländer geführt, doch die für beide Seiten beschämende Camouflage misslang. Die Fans wussten schon, wer da zum 1:1-Endstand getroffen hatte. Den anfänglichen Pfiffen folgte fairer Applaus. Sieben Jahre später brach ein "Goldener Sommer" an: Der FC Bayern Hof reiste nach Israel, während Hapoel Haifa eine Reihe Freundschaftsspiele in Deutschland austrug. Mehrere israelische Basketballteams tourten durch Deutschland. Wenig später trat die deutsche Olympiamannschaft im Frechener Stadion gegen die israelische Nationalauswahl an, die inzwischen von Emanuel Schaffer betreut wurde. Auch ein Spiel gegen Borussia Mönchengladbach stand auf dem Programm.

"Klima" sollte Israel helfen

Uwe Klimaschefski weiß, wie tragfähig die Freundschaft zwischen Weisweiler und Emanuel Schaffer wirklich war. Den Sohn eines Hafenarbeiters aus Bremerhaven hatte eine Knieverletzung gezwungen, seine Bundesligakarriere vorzeitig zu beenden. Gerade hatte der 32-Jährige seinen ersten Vertrag als Trainer unterschrieben, beim FC 08 Homburg. "Da kam Hennes an und sagte: ‚Du musst nach Israel’, erinnert sich Klimaschefski. Bei der WM in Mexiko hatte Israel eine gute Rolle gespielt, doch der Klubfußball hinkte hinterher.

"Klima" sollte helfen – so sah es jedenfalls Weisweiler. Alles war geregelt, Klimaschefski bereits als Trainer bei Hapoel Haifa angekündigt. Bedenken wischte Weisweiler beiseite. So lief das damals, Uwe Klimaschefski siedelte um nach Haifa, erst in ein Hotel, nach drei Monaten zogen seine Frau und die Töchter nach. Heute sagt er: "Es war ein einmaliges Erlebnis und eine Zeit, die ich nie bereut habe. Mein Englisch war schwach, aber das Deutsch der meisten Spieler sehr gut. Ihre Eltern und Großeltern stammten aus Deutschland. Schon am zweiten Abend wurde ich zum Essen eingeladen, das sollte nicht mehr aufhören." Der heute 74-Jährige sagt: "Ressentiments sind mir in Israel nie begegnet."

In den Bergen von Judäa wachsen 72 Bäume. Sie stehen für die 72 Lebensjahre des früheren DFB-Präsidenten Hermann Neuberger, der 1992 an den Folgen einer Krebserkrankung starb. Der ehemalige Generalsekretär des israelischen Verbandes, Jacob Erel, sagt: "Die 72 Lebensbäume erinnern an einen Mann, der sich für Israel verdient gemacht hat." Neuberger, einer der Väter der Bundesliga und Cheforganisator der WM 1974, hatte sich wie kein anderer für die Aufnahme des im Nahen Osten isolierten und angefeindeten Landes im europäischen Fußballverband starkgemacht. 1994 war es endlich so weit: Israel wurde auf dem UEFA-Kongress in Wien als Vollmitglied aufgenommen, nicht zuletzt dank Neubergers unermüdlichen Wirkens für eine Aufnahme.

Es gibt nur einen Weg in Yad Vashem, den alle Besucher bis zum Ende gehen müssen. Immer wieder kreuzt der Weg die zentrale Betonschlucht, die sich verengt und durch die sich an der schmalsten Stelle nur noch ein dünner Streifen Tageslicht Bahn bricht. Seit Dezember 2008 reisen DFB-Juniorenmannschaften nach Israel, spielen Fußball und begegnen gleichaltrigen israelischen Fußballerinnen und Fußballern. Sie besuchen die Holo caust-Gedenkstätte Yad Vashem. "Eine wichtige Idee, das reproduzierte Israel-Bild wird bei den Jugendlichen aufgebrochen", sagt Manfred Lämmer. "Der Fußball ist ein Brückenbauer. Und wie sich die Beziehung zwischen Israel und Deutschland auf dem Fußballplatz entwickelt hat, ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte."

Antisemitismus nichr komplett ausgerottet

Und dennoch: Antisemitismus ist kein museales Ausstellungsstück. Anfeindungen gegen jüdische Fußballer gibt es in Deutschland bis heute. Unter dem Dach von Makkabi, dem Verband des jüdischen Sports, sind 37 Vereine mit knapp 4.500 Mitgliedern organisiert. Der Diplom-Kaufmann Roger Dan Nussbaum ist Vizepräsident von Makkabi Deutschland und seit 2006 Mitglied der AG des DFB für Toleranz, Anerkennung, gegen Rassismus und Diskriminierung. Mehr als 35 Jahre spielte Nussbaum Fußball, davon 14 Jahre bei Makkabi Berlin. "Früher dachte ich, dass sich bestimmte Verhaltensweisen von selber geben würden. Aber selbst in meiner aktiven Zeit als Ü 40-Spieler musste ich mir von gleichaltrigen Gegen spielern Beschimpfungen anhören", sagt er. "Antisemitische Anfeindungen sind nicht die Regel. Aber leider gibt es sie immer noch."

Nussbaum sagt: "Die Übertragung des Nahost-Konfliktes auf deutsche Fußballfelder spielt schon eine Rolle, das ist bedauernswert. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Makkabi-Vereine überkonfessionell sind, für jede und jeden, unabhängig von Religion oder Staatszugehörigkeit, offenstehen." Professor Gunter A. Pilz, renommierter Fan- und Gewaltforscher aus Hannover sowie DFB-Beauf tragter für Prävention und Anti-Diskriminierung, beobachtet antisemitische Ausfälle bei Amateurspielen. Dass man jeden Verblendeten erreichen kann, hält der Soziologe für abwegig: "Aber wir müssen bewusster werden, wenn es zu Diskriminierungen kommt." Bei einem Landesliga-Spiel in Berlin kam es kürzlich laut Aussagen von Makkabi-Spielern und Verantwortlichen zu wüsten Beschimpfungen und Drohungen. Doch Zeugen waren rar. Pilz wünscht sich: "Wir müssen alle couragierter werden." Das Thema Antisemitismus wird im zweiten Halbjahr Schwerpunkt seiner Arbeitsgruppe sein.

Mit Bedacht hat das DFB-Präsidium gerade Leipzig als Spielort des heutigen Länderspiels bestimmt. In der Leipziger Gaststätte "Mariengarten" wurde am 28. Januar 1900 der Deutsche Fußball-Bund gegründet. Beim DFB-Bundestag in Leipzig wurde im Jahr 2006 erstmals der Julius Hirsch Preis vergeben, der seit damals jährlich im Namen des deutschen Nationalspielers jüdischen Glaubens, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde, verliehen wird.

Thomas Hitzlsperger gewann 2011 den Ehrenpreis. Der 52-malige Nationalspieler beteiligt sich am Internet-Blog "Störungsmelder" und engagiert sich seit vielen Jahren als Botschafter für die Kampagne "Gesicht zeigen!". Fußballer sind keine Politiker, müssen sie auch nicht sein. Aber Hitzlsperger vertritt klare Positionen, couragiert und überzeugend. Wenn es zu antisemitischen Übergriffen kommt, sieht er vor allem die Vereine in der Verantwortung. Und er sagt: "Der Fußball hat die Kraft, Menschen zusammenzubringen. Das kann er vielleicht besser als die Wirtschaft oder die Politik. So vieles stimmt in Deutschland, unsere Demokratie, unsere Strukturen, da kann ich mir nichts Besseres vorstellen. Gerade deshalb müssen wir wachsam sein und auf alle Angriffe von rechts entschlossen und eindeutig antworten. Auch der Fußball trägt dafür Verantwortung."

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Bilanz spricht für Deutschland

Die DFB-Auswahl empfängt heute Abend im Leipziger Stadion Israel. Es ist der vierte Vergleich, dreimal gewann die DFB-Auswahl. Für die deutsche Mannschaft ist es der finale Belastungstest vor dem Start in ein Turnier, bei dem sie zum engsten Kreis der Titelanwärter zählt. Neun Tage vor dem ersten Gruppenspiel steht der Fußball im Mittelpunkt, es geht um Plätze in der Startelf, letzte taktische Erkenntnisse und darum, verletzungsfrei zu bleiben. Doch wenn Deutsche und Israelis Fußball spielen, geht es immer um mehr. Auch um die dunkelsten Stunden deutscher Geschichte. Und es geht um eine anfangs nicht leichte Fußball-Freundschaft, die über Generationen von immer neuen Brückenbauern ausgebaut wurde.

Roger Dan Nussbaum von Makkabi Deutschland sagt: "Das Länderspiel heute Abend ist ein wichtiges Symbol der engen Freundschaft beider Länder. Die Fußballer beider Nationen sind für viele junge Menschen in ihren jeweiligen Ländern Idole. Sie werden damit nicht nur in sportlicher, sondern auch in menschlicher Hinsicht ihrer Vorbildfunktion gerecht."

Manfred Lämmer ist gerade wieder nach Israel aufgebrochen. Er wird dort auch den heute 88-jährigen Emanuel Schaffer treffen. Lämmer erzählt: "Wenige Tage vor dem Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika drückten bei einer Umfrage in Israel ein Drittel der Befragten dem deutschen Team die Daumen zum Gewinn des Titels. Ein solches Ergebnis vor 40 Jahren – unvorstellbar."

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Weisweiler und Schaffer, Helmut Rahns Auftritt als Niederländer, Neubergers Einsatz bei der UEFA und schließlich die jährlichen Yad-Vashem-Besuche junger deutscher Fußballer – Etappen auf dem Weg zu einer heute sehr vitalen deutsch-israelischen Fußballfreundschaft. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth über das Verhältnis zu Israel, in dem es immer um mehr ging als nur um Fußball. Und das zeigt, welch verbindende Kraft der Sport haben kann.

Nach Nürnberger Gesetzen, Warschauer Ghetto, nach Dachau und Auschwitz – wie wollten Deutsche und Israelis wieder gemeinsam Fußball spielen? Es braucht Vertrauen, um offen miteinander auf einen freien Platz zu gehen. Leichtigkeit und Lebensfreude, um in kurzen Hosen einem Ball hinterherzurennen. Schon die Grenzlinien des Kalten Krieges waren in den 50er-Jahren für sportliche Wettkämpfe nahezu unüberwindliche Barrieren. Aber Israel und Deutschland? Wie sollte das gehen? Wie einen Anfang finden?

Prof. Dr. Manfred Lämmer hat die Geschichte des israelisch-deutschen Fußballs erforscht, begleitet und aktiv mitgestaltet. Der Sporthistoriker sagt: "Niemand konnte sich nach dem barbarischen Vernichtungsfeldzug des NS-Regimes gegen das jüdische Volk vorstellen, dass deutsche und jüdische Sportler sich je wieder gemeinsam im friedlichen Wettkampf begegnen würden." Es ging doch, Schritt für Schritt, bis 1987 in Tel Aviv die deutsche Mannschaft erstmals zu einem Länderspiel gegen Israel antrat.

Kohler: "Wir wurden sehr herzlich empfangen"

Jürgen Kohler erinnert sich noch gut an das erste Länderspiel einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Israel. "Wir wurden sehr herzlich empfangen, das fing schon auf dem Flughafen an", sagt er. "Natürlich hatten die Medien vorher über die politische Bedeutung berichtet, aber in Israel war es dann eine ganz normale Sache, ein ruhiges Spiel." Kohler hatte drei Jahre zuvor in der Bundes liga debütiert, die großen Erfolge – Weltmeister 1990, Euro pameister 1996, Champions-League-Sieger 1997 – lagen noch vor ihm. Kohler stand am 25. März 1987 in Tel Aviv auf dem Platz, Buchwald und Matthäus auch, Beckenbauer an der Seitenlinie. Es war kein Turnierjahr: Dass die deutsche Mannschaft 2:0 gewann, war bald vergessen. Aber die historische Bedeutung dieser 90 Minuten war allen bewusst.

Die deutsche Mannschaft besuchte die Klagemauer in der Altstadt von Jerusalem, das Symbol des ewig bestehenden Bundes Gottes mit dem Volk Israel. Chaim Herzog, damals Israels Staatspräsident, hatte das Team eingeladen. Herzog hatte im Zweiten Weltkrieg als Soldat der britischen Armee in Deutsch land gekämpft, war beteiligt an der Befreiung des Vernichtungslagers Bergen-Belsen. Nun wünschte er jungen Deutschen viel Glück für ein Fußballspiel. Tel Aviv 1987 war das Ergebnis einer langen Annäherung. Tel Aviv war nicht der Anfang.

Hennes Weisweilers und Emanuel Schaffers Wege hatten sich Mitte der 50er-Jahre gekreuzt. Der WM-Gewinn von 1954 brachte "Edi" Schaffer nach Deutschland, hier wollte sich der israelische Nationalspieler zum Trainer ausbilden lassen. Aufgewachsen in Recklinghausen, kehrte er nun zurück ins Land des Weltmeisters. In das Land der Täter. Gemeinsam mit Eilyahu Fuchs besuchte er den Lehrgang an der Deutschen Sporthochschule Köln. Vorne am Pult stand Weisweiler. "Es war eine richtige Kumpelfreundschaft, die beiden waren 20 Jahre lang unzertrennlich", sagt Manfred Lämmer.

Jetzt ging alles sehr schnell. Der Sport, gerade der Fußball, baute die Brücken. Bis 1965 erwarben fünf weitere Israelis in Köln das begehrte Diplom – zu einer Zeit, als die Politik noch nicht so weit war, auch nur diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Das Menschliche, der Fußball, gewann zurück, was vernichtet schien. 1962 hatte Helmut Rahn sich noch als Niederländer tarnen müssen. Hapoel Tel Aviv hatte Twente Enschede zur Stadioneinweihung eingeladen, dort stand der zweifache Torschütze von Bern unter Vertrag. Offiziell wurde Rahn an jenem Abend zwar als Niederländer geführt, doch die für beide Seiten beschämende Camouflage misslang. Die Fans wussten schon, wer da zum 1:1-Endstand getroffen hatte. Den anfänglichen Pfiffen folgte fairer Applaus. Sieben Jahre später brach ein "Goldener Sommer" an: Der FC Bayern Hof reiste nach Israel, während Hapoel Haifa eine Reihe Freundschaftsspiele in Deutschland austrug. Mehrere israelische Basketballteams tourten durch Deutschland. Wenig später trat die deutsche Olympiamannschaft im Frechener Stadion gegen die israelische Nationalauswahl an, die inzwischen von Emanuel Schaffer betreut wurde. Auch ein Spiel gegen Borussia Mönchengladbach stand auf dem Programm.

"Klima" sollte Israel helfen

Uwe Klimaschefski weiß, wie tragfähig die Freundschaft zwischen Weisweiler und Emanuel Schaffer wirklich war. Den Sohn eines Hafenarbeiters aus Bremerhaven hatte eine Knieverletzung gezwungen, seine Bundesligakarriere vorzeitig zu beenden. Gerade hatte der 32-Jährige seinen ersten Vertrag als Trainer unterschrieben, beim FC 08 Homburg. "Da kam Hennes an und sagte: ‚Du musst nach Israel’, erinnert sich Klimaschefski. Bei der WM in Mexiko hatte Israel eine gute Rolle gespielt, doch der Klubfußball hinkte hinterher.

"Klima" sollte helfen – so sah es jedenfalls Weisweiler. Alles war geregelt, Klimaschefski bereits als Trainer bei Hapoel Haifa angekündigt. Bedenken wischte Weisweiler beiseite. So lief das damals, Uwe Klimaschefski siedelte um nach Haifa, erst in ein Hotel, nach drei Monaten zogen seine Frau und die Töchter nach. Heute sagt er: "Es war ein einmaliges Erlebnis und eine Zeit, die ich nie bereut habe. Mein Englisch war schwach, aber das Deutsch der meisten Spieler sehr gut. Ihre Eltern und Großeltern stammten aus Deutschland. Schon am zweiten Abend wurde ich zum Essen eingeladen, das sollte nicht mehr aufhören." Der heute 74-Jährige sagt: "Ressentiments sind mir in Israel nie begegnet."

In den Bergen von Judäa wachsen 72 Bäume. Sie stehen für die 72 Lebensjahre des früheren DFB-Präsidenten Hermann Neuberger, der 1992 an den Folgen einer Krebserkrankung starb. Der ehemalige Generalsekretär des israelischen Verbandes, Jacob Erel, sagt: "Die 72 Lebensbäume erinnern an einen Mann, der sich für Israel verdient gemacht hat." Neuberger, einer der Väter der Bundesliga und Cheforganisator der WM 1974, hatte sich wie kein anderer für die Aufnahme des im Nahen Osten isolierten und angefeindeten Landes im europäischen Fußballverband starkgemacht. 1994 war es endlich so weit: Israel wurde auf dem UEFA-Kongress in Wien als Vollmitglied aufgenommen, nicht zuletzt dank Neubergers unermüdlichen Wirkens für eine Aufnahme.

Es gibt nur einen Weg in Yad Vashem, den alle Besucher bis zum Ende gehen müssen. Immer wieder kreuzt der Weg die zentrale Betonschlucht, die sich verengt und durch die sich an der schmalsten Stelle nur noch ein dünner Streifen Tageslicht Bahn bricht. Seit Dezember 2008 reisen DFB-Juniorenmannschaften nach Israel, spielen Fußball und begegnen gleichaltrigen israelischen Fußballerinnen und Fußballern. Sie besuchen die Holo caust-Gedenkstätte Yad Vashem. "Eine wichtige Idee, das reproduzierte Israel-Bild wird bei den Jugendlichen aufgebrochen", sagt Manfred Lämmer. "Der Fußball ist ein Brückenbauer. Und wie sich die Beziehung zwischen Israel und Deutschland auf dem Fußballplatz entwickelt hat, ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte."

Antisemitismus nichr komplett ausgerottet

Und dennoch: Antisemitismus ist kein museales Ausstellungsstück. Anfeindungen gegen jüdische Fußballer gibt es in Deutschland bis heute. Unter dem Dach von Makkabi, dem Verband des jüdischen Sports, sind 37 Vereine mit knapp 4.500 Mitgliedern organisiert. Der Diplom-Kaufmann Roger Dan Nussbaum ist Vizepräsident von Makkabi Deutschland und seit 2006 Mitglied der AG des DFB für Toleranz, Anerkennung, gegen Rassismus und Diskriminierung. Mehr als 35 Jahre spielte Nussbaum Fußball, davon 14 Jahre bei Makkabi Berlin. "Früher dachte ich, dass sich bestimmte Verhaltensweisen von selber geben würden. Aber selbst in meiner aktiven Zeit als Ü 40-Spieler musste ich mir von gleichaltrigen Gegen spielern Beschimpfungen anhören", sagt er. "Antisemitische Anfeindungen sind nicht die Regel. Aber leider gibt es sie immer noch."

Nussbaum sagt: "Die Übertragung des Nahost-Konfliktes auf deutsche Fußballfelder spielt schon eine Rolle, das ist bedauernswert. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Makkabi-Vereine überkonfessionell sind, für jede und jeden, unabhängig von Religion oder Staatszugehörigkeit, offenstehen." Professor Gunter A. Pilz, renommierter Fan- und Gewaltforscher aus Hannover sowie DFB-Beauf tragter für Prävention und Anti-Diskriminierung, beobachtet antisemitische Ausfälle bei Amateurspielen. Dass man jeden Verblendeten erreichen kann, hält der Soziologe für abwegig: "Aber wir müssen bewusster werden, wenn es zu Diskriminierungen kommt." Bei einem Landesliga-Spiel in Berlin kam es kürzlich laut Aussagen von Makkabi-Spielern und Verantwortlichen zu wüsten Beschimpfungen und Drohungen. Doch Zeugen waren rar. Pilz wünscht sich: "Wir müssen alle couragierter werden." Das Thema Antisemitismus wird im zweiten Halbjahr Schwerpunkt seiner Arbeitsgruppe sein.

Mit Bedacht hat das DFB-Präsidium gerade Leipzig als Spielort des heutigen Länderspiels bestimmt. In der Leipziger Gaststätte "Mariengarten" wurde am 28. Januar 1900 der Deutsche Fußball-Bund gegründet. Beim DFB-Bundestag in Leipzig wurde im Jahr 2006 erstmals der Julius Hirsch Preis vergeben, der seit damals jährlich im Namen des deutschen Nationalspielers jüdischen Glaubens, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde, verliehen wird.

Thomas Hitzlsperger gewann 2011 den Ehrenpreis. Der 52-malige Nationalspieler beteiligt sich am Internet-Blog "Störungsmelder" und engagiert sich seit vielen Jahren als Botschafter für die Kampagne "Gesicht zeigen!". Fußballer sind keine Politiker, müssen sie auch nicht sein. Aber Hitzlsperger vertritt klare Positionen, couragiert und überzeugend. Wenn es zu antisemitischen Übergriffen kommt, sieht er vor allem die Vereine in der Verantwortung. Und er sagt: "Der Fußball hat die Kraft, Menschen zusammenzubringen. Das kann er vielleicht besser als die Wirtschaft oder die Politik. So vieles stimmt in Deutschland, unsere Demokratie, unsere Strukturen, da kann ich mir nichts Besseres vorstellen. Gerade deshalb müssen wir wachsam sein und auf alle Angriffe von rechts entschlossen und eindeutig antworten. Auch der Fußball trägt dafür Verantwortung."

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Bilanz spricht für Deutschland

Die DFB-Auswahl empfängt heute Abend im Leipziger Stadion Israel. Es ist der vierte Vergleich, dreimal gewann die DFB-Auswahl. Für die deutsche Mannschaft ist es der finale Belastungstest vor dem Start in ein Turnier, bei dem sie zum engsten Kreis der Titelanwärter zählt. Neun Tage vor dem ersten Gruppenspiel steht der Fußball im Mittelpunkt, es geht um Plätze in der Startelf, letzte taktische Erkenntnisse und darum, verletzungsfrei zu bleiben. Doch wenn Deutsche und Israelis Fußball spielen, geht es immer um mehr. Auch um die dunkelsten Stunden deutscher Geschichte. Und es geht um eine anfangs nicht leichte Fußball-Freundschaft, die über Generationen von immer neuen Brückenbauern ausgebaut wurde.

Roger Dan Nussbaum von Makkabi Deutschland sagt: "Das Länderspiel heute Abend ist ein wichtiges Symbol der engen Freundschaft beider Länder. Die Fußballer beider Nationen sind für viele junge Menschen in ihren jeweiligen Ländern Idole. Sie werden damit nicht nur in sportlicher, sondern auch in menschlicher Hinsicht ihrer Vorbildfunktion gerecht."

Manfred Lämmer ist gerade wieder nach Israel aufgebrochen. Er wird dort auch den heute 88-jährigen Emanuel Schaffer treffen. Lämmer erzählt: "Wenige Tage vor dem Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika drückten bei einer Umfrage in Israel ein Drittel der Befragten dem deutschen Team die Daumen zum Gewinn des Titels. Ein solches Ergebnis vor 40 Jahren – unvorstellbar."