Ehrenamtler der Woche: "Dann vergesse ich, dass ich blind bin"

Ohne sie kann der Fußball nicht bestehen: die ehrenamtlichen Helfer. Immer dienstags stellt DFB.de-Redakteur Gereon Tönnihsen einen von ihnen vor. Was die Ehrenamtler antreibt, was sie bewegt, was sie leisten – und wie wichtig ihr Engagement ist. Ihnen allen ist eines gemein: Sie leben Fußball. Heute: die letzte Folge vor der WM- und Sommerpause.

Bayram Dogan hat früher schon Fußball gespielt, als Kind. Ein wenig sehen konnte er damals noch, zehn Prozent betrug seine Sehkraft immerhin. „Mit Freunden konnte ich spielen, durch meine Schnelligkeit habe ich viel wettgemacht. Aber für Begegnungen im Verein reichte es nicht“, sagt der 36-Jährige. Sein Augenlicht wurde immer schlechter, bis er mit 15 ganz erblindete. Vieles war fortan anders, vieles war wichtig. Der Fußball erst einmal nicht.

Endlich wieder Fußball

Seit gut drei Jahren spielt Dogan wieder. Er ist Abteilungsleiter und Spielführer der Blindenmannschaft des VfB Gelsenkirchen. „Wenn ich Fußball spiele, dann vergesse ich, dass ich blind bin“, sagt er. „Ich renne, ich schieße und fühle mich frei.“

2006 lernte er den Blindenfußball bei einem Workshop in Berlin kennen, „und ich war sofort fasziniert und total begeistert.“ Endlich wieder Fußball, anders zwar, aber doch Fußball. Eine Entscheidung, die Erfolg brachte: Dogan wurde in die deutsche Nationalmannschaft berufen.

Ein kleiner Vorteil, sagt er, sei es schon, dass er auch als Sehender mal gespielt habe: „Ein paar Tricks beherrscht man schon, aber im Großen und Ganzen ist das schon etwas anderes.“ Viel kommt auf ein gutes Gehör an, um den Ball ausmachen zu können. Dieser wird eng am Fuß geführt, in Pinguinstellung, wie Dogan sagt. Weit vorlegen kann man sich das Spielgerät nicht, "der Sport ist hart, wenn man gegeneinander rennt, kann das richtig weh tun, aber das gehört dazu".

Neuer, alter Sport

In Essen begann Diplom-Kaufmann Dogan, der als Arbeitsvermittler bei der Arbeitsagentur angestellt ist, mit dem neuen, alten Sport, weil es in seiner Heimatstadt ein paar Kilometer weiter keine Möglichkeit dazu gab. Als die Mannschaft zerfiel, war die Frage: Und jetzt?

Dogan und seine Lebensgefährtin Tanja Rudnik machten sich auf die Suche. Nach einem „normalen“ Verein, nicht nach einer Behinderten-Mannschaft. „Wir sind nur blind und ansonsten ganz normale Fußballspieler“, sagt er. Die beiden trugen ihr Anliegen beim Fußballkreis Gelsenkirchen/Gladbeck/Kirchhellen vor, der den Kontakt zu den Vereinen herstellte.

Zwei Klubs meldeten sich, einer war der VfB Gelsenkirchen, ein kleiner Klub, dessen Seniorenteams in der B- und C-Liga spielen. Mit Holger Stäbel war sogar ein Vereinsmitglied bereit, das Training zu übernehmen.

Wechsel zum VfB Gelsenkirchen

Dogan seinerseits wurde Abteilungsleiter - einer Abteilung, die es vorher gar nicht gegeben hatte. Seine Partnerin ist die Managerin des Teams. „Weil ich nicht sehen kann, höre ich sehr genau zu. So merke ich, ob jemand tatsächlich Interesse hat oder nicht. Beim VfB war der Eindruck von vorneherein positiv“, sagt Bayram Dogan.

Eine Blinden-Mannschaft erfordert mehr Aufwand als eine übliche. Fahrdienste müssen organisiert werden, außerdem Guides und Betreuer. Die Fahrten zu den Turnieren müssen geplant werden. Das alles geht nur durch großes Engagement. "Das ist in unserem Verein vorbildlich", sagt Dogan, der die Mannschaft kurz nach ihrer Gründung schon für die Blindenfußball-Bundesliga anmeldete.

Jedes zehnte Mitglied im Blindenfußball aktiv

Aus den zwei blinden beziehungsweise sehbehinderten Spielern zu Beginn im Jahr 2008 sind inzwischen acht geworden, außerdem gibt es zwei sehende Torhüter und vier Betreuer – damit sind rund zehn Prozent der Vereinsmitglieder im Blindenfußball aktiv. Trainiert wird in der Regel in der Halle, der Außenplatz hat keine Banden. "Das könnte gefährlich werden", sagt Dogan. Irgendwann soll es auch eine Anlage geben, die "open air" genutzt werden kann.

Auf den Platz gehen die blinden Kicker manchmal aber zum Lauftraining. "Das machen wir dann manchmal mit den Sehenden zusammen", so Dogan. "Es ist schön, dass wir so einander näher kommen."

Der Saisonabschluss wird immer zusammen gefeiert. Diesmal kommt es womöglich gar zu einem Spiel, bei dem die Sehenden eine undurchsichtige Brille aufsetzen. "Die haben keine Chance", ist sich Dogan sicher.

Auzeichnung durch Bundesinnenminister

Am Donnerstag wird der VfB Gelsenkirchen beim erstmals stattfindenden "Tag des Blindenfußballs" vor dem Reichstag in Berlin mit dem Ehrenpreis der Kanzlerin ausgezeichnet. Die Ehrung wird Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière vornehmen.

"Es ist schön, dass die integrative Kraft des Fußballs, die ja auch Leitziel unserer Stiftung ist, von der Politik gewürdigt wird", sagt Tobias Wrzesinski, stellvertretender Geschäftsführer der DFB-Stiftung Sepp Herberger.

Auch Bayram Dogan freut sich über den Preis, eine große Ehre sei das. Was ihn noch freuen würde: eine Kooperation mit Schalke 04. "Wenn wir bei Turnieren sind, halten uns viele für Schalke", sagt er. "Das überrascht auch nicht: Unsere Trikots sind blau-weiß, und wir kommen aus Gelsenkirchen. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, dass man uns mal den Mannschaftsbus zur Verfügung stellt oder dass mal ein Spieler zu Besuch kommt." Das wäre schon was.

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Ohne sie kann der Fußball nicht bestehen: die ehrenamtlichen Helfer. Immer dienstags stellt DFB.de-Redakteur Gereon Tönnihsen einen von ihnen vor. Was die Ehrenamtler antreibt, was sie bewegt, was sie leisten – und wie wichtig ihr Engagement ist. Ihnen allen ist eines gemein: Sie leben Fußball. Heute: die letzte Folge vor der WM- und Sommerpause.

Bayram Dogan hat früher schon Fußball gespielt, als Kind. Ein wenig sehen konnte er damals noch, zehn Prozent betrug seine Sehkraft immerhin. „Mit Freunden konnte ich spielen, durch meine Schnelligkeit habe ich viel wettgemacht. Aber für Begegnungen im Verein reichte es nicht“, sagt der 36-Jährige. Sein Augenlicht wurde immer schlechter, bis er mit 15 ganz erblindete. Vieles war fortan anders, vieles war wichtig. Der Fußball erst einmal nicht.

Endlich wieder Fußball

Seit gut drei Jahren spielt Dogan wieder. Er ist Abteilungsleiter und Spielführer der Blindenmannschaft des VfB Gelsenkirchen. „Wenn ich Fußball spiele, dann vergesse ich, dass ich blind bin“, sagt er. „Ich renne, ich schieße und fühle mich frei.“

2006 lernte er den Blindenfußball bei einem Workshop in Berlin kennen, „und ich war sofort fasziniert und total begeistert.“ Endlich wieder Fußball, anders zwar, aber doch Fußball. Eine Entscheidung, die Erfolg brachte: Dogan wurde in die deutsche Nationalmannschaft berufen.

Ein kleiner Vorteil, sagt er, sei es schon, dass er auch als Sehender mal gespielt habe: „Ein paar Tricks beherrscht man schon, aber im Großen und Ganzen ist das schon etwas anderes.“ Viel kommt auf ein gutes Gehör an, um den Ball ausmachen zu können. Dieser wird eng am Fuß geführt, in Pinguinstellung, wie Dogan sagt. Weit vorlegen kann man sich das Spielgerät nicht, "der Sport ist hart, wenn man gegeneinander rennt, kann das richtig weh tun, aber das gehört dazu".

Neuer, alter Sport

In Essen begann Diplom-Kaufmann Dogan, der als Arbeitsvermittler bei der Arbeitsagentur angestellt ist, mit dem neuen, alten Sport, weil es in seiner Heimatstadt ein paar Kilometer weiter keine Möglichkeit dazu gab. Als die Mannschaft zerfiel, war die Frage: Und jetzt?

Dogan und seine Lebensgefährtin Tanja Rudnik machten sich auf die Suche. Nach einem „normalen“ Verein, nicht nach einer Behinderten-Mannschaft. „Wir sind nur blind und ansonsten ganz normale Fußballspieler“, sagt er. Die beiden trugen ihr Anliegen beim Fußballkreis Gelsenkirchen/Gladbeck/Kirchhellen vor, der den Kontakt zu den Vereinen herstellte.

Zwei Klubs meldeten sich, einer war der VfB Gelsenkirchen, ein kleiner Klub, dessen Seniorenteams in der B- und C-Liga spielen. Mit Holger Stäbel war sogar ein Vereinsmitglied bereit, das Training zu übernehmen.

Wechsel zum VfB Gelsenkirchen

Dogan seinerseits wurde Abteilungsleiter - einer Abteilung, die es vorher gar nicht gegeben hatte. Seine Partnerin ist die Managerin des Teams. „Weil ich nicht sehen kann, höre ich sehr genau zu. So merke ich, ob jemand tatsächlich Interesse hat oder nicht. Beim VfB war der Eindruck von vorneherein positiv“, sagt Bayram Dogan.

Eine Blinden-Mannschaft erfordert mehr Aufwand als eine übliche. Fahrdienste müssen organisiert werden, außerdem Guides und Betreuer. Die Fahrten zu den Turnieren müssen geplant werden. Das alles geht nur durch großes Engagement. "Das ist in unserem Verein vorbildlich", sagt Dogan, der die Mannschaft kurz nach ihrer Gründung schon für die Blindenfußball-Bundesliga anmeldete.

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Jedes zehnte Mitglied im Blindenfußball aktiv

Aus den zwei blinden beziehungsweise sehbehinderten Spielern zu Beginn im Jahr 2008 sind inzwischen acht geworden, außerdem gibt es zwei sehende Torhüter und vier Betreuer – damit sind rund zehn Prozent der Vereinsmitglieder im Blindenfußball aktiv. Trainiert wird in der Regel in der Halle, der Außenplatz hat keine Banden. "Das könnte gefährlich werden", sagt Dogan. Irgendwann soll es auch eine Anlage geben, die "open air" genutzt werden kann.

Auf den Platz gehen die blinden Kicker manchmal aber zum Lauftraining. "Das machen wir dann manchmal mit den Sehenden zusammen", so Dogan. "Es ist schön, dass wir so einander näher kommen."

Der Saisonabschluss wird immer zusammen gefeiert. Diesmal kommt es womöglich gar zu einem Spiel, bei dem die Sehenden eine undurchsichtige Brille aufsetzen. "Die haben keine Chance", ist sich Dogan sicher.

Auzeichnung durch Bundesinnenminister

Am Donnerstag wird der VfB Gelsenkirchen beim erstmals stattfindenden "Tag des Blindenfußballs" vor dem Reichstag in Berlin mit dem Ehrenpreis der Kanzlerin ausgezeichnet. Die Ehrung wird Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière vornehmen.

"Es ist schön, dass die integrative Kraft des Fußballs, die ja auch Leitziel unserer Stiftung ist, von der Politik gewürdigt wird", sagt Tobias Wrzesinski, stellvertretender Geschäftsführer der DFB-Stiftung Sepp Herberger.

Auch Bayram Dogan freut sich über den Preis, eine große Ehre sei das. Was ihn noch freuen würde: eine Kooperation mit Schalke 04. "Wenn wir bei Turnieren sind, halten uns viele für Schalke", sagt er. "Das überrascht auch nicht: Unsere Trikots sind blau-weiß, und wir kommen aus Gelsenkirchen. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, dass man uns mal den Mannschaftsbus zur Verfügung stellt oder dass mal ein Spieler zu Besuch kommt." Das wäre schon was.