Die Mosaikleger aus Völklingen

Fußball ist mehr als ein 1:0, mehr als Nationalmannschaft, DFB-Pokal und Bundesliga. Fußball hat eine soziale und gesellschaftliche Verantwortung. Fußball führt Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammen.

Deshalb gibt es den DFB- und Mercedes-Benz-Integrationspreis, der vorbildliche Initiativen auszeichnet und Mitte Februar 2010 zum dritten Mal verliehen wird. Bis dahin stellt eine DFB.de-Serie immer donnerstags die neun Nominierten in den drei Kategorien Schule, Verein und Sonderpreis vor. Heute porträtiert DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth die Völklinger Graf-Ludwig-Gesamtschule, die mit Bildungseinrichtungen aus Bremen und Hannover für den DFB- und Mercedes Benz Integrationspreis nominiert wurde.

Es gibt Schulen und Projekte beim diesjährigen DFB- und Mercedes Benz Integrationspreis, denen lässt die Wirklichkeit keine Wahl. Der Anteil von Schülern oder Mitbürgern mit Migrationshintergrund ist dort so hoch, soziale Probleme - etwa durch eine hohe Arbeitslosenquote - so drängend, dass integrativ gearbeitet werden muss. In Völklingen an der Graf-Ludwig-Gesamtschule dagegen ist Integration keine Pflichtveranstaltung. Sie ist gewollt.

Rita Müller weiß nicht einmal, wie viele ihrer Schüler und Schülerinnen im Ausland geboren wurden oder ausländische Eltern haben. „Darüber führen wir doch keine Statistik“, sagt sie lachend. Ernst aber ist der Schulleiterin das Angebot, das an der „Graf Ludwig“ den Schülern gemacht wird. Etwa der Aktionstag „Fußball spielen – Europa meistern“ auf dem DFB Mini-Spielfeld. Oder der Besuch der Partnerschule im polnischen Gdow, der freiwillige bilinguale Unterricht in Türkisch und Deutsch, die Projektgruppe „Afrika“ für die Fünftklässler. „Wir begreifen Unterschiedlichkeit nicht als Defizit. Heterogenität ist etwas Positives, wir können alle voneinander lernen. Schon gar nicht wollen wir eine eigene Gruppe der migrantischen Schüler schaffen. Alles was wir machen, passiert auf Augenhöhe“, formuliert Rita Müller das überzeugende pädagogische Kredo der Schule.

Mit seinen 40.000 Einwohner ist Völklingen nach Saarbrücken, Neunkirchen und Homburg die viertgrößte Stadt des Saarlandes. Schüler an der Graf-Ludwig-Gesamtschule können den Hauptschulabschluss oder das Abitur machen, unterrichtet wird von der 5. bis zur 13. Klasse. Fachpersonal gewährleistet auch Nachmittags Betreuung für Schüler und Schülerinnen, die bedingt durch die berufliche Situation ihrer Eltern länger bleiben müssen.

Auf dem DFB Mini-Spielfeld, das hier 2008 vom Verband finanziert gebaut wurde, wird jeden Mittag begeistert Fußball gespielt. „Unsere Fußball-AG ist ein Selbstläufer, das Angebot wird gerade von Jungs aus ausländischen Familien begeistert angenommen“, berichtet Rita Müller. Vandalismus kennen die Völklinger nicht. Müller: „Wir brauchen keinen Zaun, um Sachschäden zu vermeiden. Dafür lieben unsere Kinder ihr Spielfeld viel zu sehr.“ Zum Aktionstag „Fußball spielen – Europa meistern“ luden sich die Völklinger kompetenten Besuch ein: Silke Rottenberg, zweimal Weltmeisterin und dreimal Europameisterin, kam vorbei. Unter den Augen der ehemaligen deutschen Nummer eins spielten die Mädchen und Jungs auf dem DFB Mini-Spielfeld ein europäisches Turnier aus, wobei sich die Schüler im Vorfeld über das Land informierten, dass sie auf dem Feld dann repräsentierten. Niemand durfte für sein „Mutterland“ spielen. Man begrüßte sich in der Landessprache. Die Eltern sorgten für internationale Halbzeit-Snacks.

Herkunft wird nicht als Defizit verstanden

„Nur Fußball“, betont Rita Müller, „wäre zu wenig. Unsere Integrationsangebote müssen immer auch pädagogisch verankert sein.“ In der schuleigenen Bibliothek bieten ältere Schüler als „Schreibberater“ ihre Dienste an. Einmal in der Woche wird auf freiwilliger Basis Türkisch unterrichtet. Bilingualen Unterricht gibt es demnächst auch auf Französisch. Eine Reise nach Polen an die Partnerschule Gdow gehörte zum Programm des Projektes „Lernen aus der Geschichte“.

In Völklingen lernen die Schüler in erster Linie voneinander - Migranten von Deutschen, Deutsche von Schülern mit einem Migrationshintergrund. Die Herkunft aus einem anderen Land wird hier nicht als ein Defizit verstanden, das es möglichst schnell, möglichst restlos wettzumachen gilt. Es geht eben nicht um einen „Melting Pot“, einen Schmelztiegel, in dem die verschiedenen Kulturen und Werte der gemeinsamen nationalen Kultur angepasst werden. Gerade in den USA wurde diese Integrationsstrategie, bei deutschen, italienischen oder polnischen Einwanderern durchaus mit belegbarem Erfolg, über Generationen umgesetzt. Ein anderes Verständnis von Integration drückt sich aus im Bild des Mosaiks. In einem Mosaik hat jedes einzelne Teil seine eigene Kontur, Farbe und Form, so langes alle Teile in einen Rahmen passen.

Preisvergabe am 17. Februar in Duisburg

Im Integrationskonzept des Deutschen Fußball-Bundes heißt es denn auch unmissverständlich: „Im Gegensatz zu der Meinung, dass der Integrationsprozess im Kern ein Assimilationsprozess ist, der in der zumindest weitgehenden oder sogar gänzlichen Übernahme der Kultur, der Lebensformen und Lebensweise der Aufnahmegesellschaft besteht, bekennt sich der DFB zu einem Integrationsverständnis auf der Basis kultureller Vielfalt.“ Das die Anerkennung der deutschen Verfassung und der geltenden Gesetze Grundvoraussetzung ist, versteht sich dabei von selbst.

„Uns geht es um ein weltoffenes Denken, um eine interkulturelle Kompetenz, die heute für viele Problemlösungen nötig ist“, sagt Rita Müller, und weist darauf hin, dass interkulturelle Kompetenz künftig auch im Berufsleben eine immer größere Bedeutung haben wird. Das Völklinger Engagement wird am 17. Februar im Rahmen des Frauen-Länderspiels gegen Nordkorea in Duisburg bei der Verleihung des DFB und Mercedes Benz-Integrationspreises ausgezeichnet.

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Fußball ist mehr als ein 1:0, mehr als Nationalmannschaft, DFB-Pokal und Bundesliga. Fußball hat eine soziale und gesellschaftliche Verantwortung. Fußball führt Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammen.

Deshalb gibt es den DFB- und Mercedes-Benz-Integrationspreis, der vorbildliche Initiativen auszeichnet und Mitte Februar 2010 zum dritten Mal verliehen wird. Bis dahin stellt eine DFB.de-Serie immer donnerstags die neun Nominierten in den drei Kategorien Schule, Verein und Sonderpreis vor. Heute porträtiert DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth die Völklinger Graf-Ludwig-Gesamtschule, die mit Bildungseinrichtungen aus Bremen und Hannover für den DFB- und Mercedes Benz Integrationspreis nominiert wurde.

Es gibt Schulen und Projekte beim diesjährigen DFB- und Mercedes Benz Integrationspreis, denen lässt die Wirklichkeit keine Wahl. Der Anteil von Schülern oder Mitbürgern mit Migrationshintergrund ist dort so hoch, soziale Probleme - etwa durch eine hohe Arbeitslosenquote - so drängend, dass integrativ gearbeitet werden muss. In Völklingen an der Graf-Ludwig-Gesamtschule dagegen ist Integration keine Pflichtveranstaltung. Sie ist gewollt.

Rita Müller weiß nicht einmal, wie viele ihrer Schüler und Schülerinnen im Ausland geboren wurden oder ausländische Eltern haben. „Darüber führen wir doch keine Statistik“, sagt sie lachend. Ernst aber ist der Schulleiterin das Angebot, das an der „Graf Ludwig“ den Schülern gemacht wird. Etwa der Aktionstag „Fußball spielen – Europa meistern“ auf dem DFB Mini-Spielfeld. Oder der Besuch der Partnerschule im polnischen Gdow, der freiwillige bilinguale Unterricht in Türkisch und Deutsch, die Projektgruppe „Afrika“ für die Fünftklässler. „Wir begreifen Unterschiedlichkeit nicht als Defizit. Heterogenität ist etwas Positives, wir können alle voneinander lernen. Schon gar nicht wollen wir eine eigene Gruppe der migrantischen Schüler schaffen. Alles was wir machen, passiert auf Augenhöhe“, formuliert Rita Müller das überzeugende pädagogische Kredo der Schule.

Mit seinen 40.000 Einwohner ist Völklingen nach Saarbrücken, Neunkirchen und Homburg die viertgrößte Stadt des Saarlandes. Schüler an der Graf-Ludwig-Gesamtschule können den Hauptschulabschluss oder das Abitur machen, unterrichtet wird von der 5. bis zur 13. Klasse. Fachpersonal gewährleistet auch Nachmittags Betreuung für Schüler und Schülerinnen, die bedingt durch die berufliche Situation ihrer Eltern länger bleiben müssen.

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Auf dem DFB Mini-Spielfeld, das hier 2008 vom Verband finanziert gebaut wurde, wird jeden Mittag begeistert Fußball gespielt. „Unsere Fußball-AG ist ein Selbstläufer, das Angebot wird gerade von Jungs aus ausländischen Familien begeistert angenommen“, berichtet Rita Müller. Vandalismus kennen die Völklinger nicht. Müller: „Wir brauchen keinen Zaun, um Sachschäden zu vermeiden. Dafür lieben unsere Kinder ihr Spielfeld viel zu sehr.“ Zum Aktionstag „Fußball spielen – Europa meistern“ luden sich die Völklinger kompetenten Besuch ein: Silke Rottenberg, zweimal Weltmeisterin und dreimal Europameisterin, kam vorbei. Unter den Augen der ehemaligen deutschen Nummer eins spielten die Mädchen und Jungs auf dem DFB Mini-Spielfeld ein europäisches Turnier aus, wobei sich die Schüler im Vorfeld über das Land informierten, dass sie auf dem Feld dann repräsentierten. Niemand durfte für sein „Mutterland“ spielen. Man begrüßte sich in der Landessprache. Die Eltern sorgten für internationale Halbzeit-Snacks.

Herkunft wird nicht als Defizit verstanden

„Nur Fußball“, betont Rita Müller, „wäre zu wenig. Unsere Integrationsangebote müssen immer auch pädagogisch verankert sein.“ In der schuleigenen Bibliothek bieten ältere Schüler als „Schreibberater“ ihre Dienste an. Einmal in der Woche wird auf freiwilliger Basis Türkisch unterrichtet. Bilingualen Unterricht gibt es demnächst auch auf Französisch. Eine Reise nach Polen an die Partnerschule Gdow gehörte zum Programm des Projektes „Lernen aus der Geschichte“.

In Völklingen lernen die Schüler in erster Linie voneinander - Migranten von Deutschen, Deutsche von Schülern mit einem Migrationshintergrund. Die Herkunft aus einem anderen Land wird hier nicht als ein Defizit verstanden, das es möglichst schnell, möglichst restlos wettzumachen gilt. Es geht eben nicht um einen „Melting Pot“, einen Schmelztiegel, in dem die verschiedenen Kulturen und Werte der gemeinsamen nationalen Kultur angepasst werden. Gerade in den USA wurde diese Integrationsstrategie, bei deutschen, italienischen oder polnischen Einwanderern durchaus mit belegbarem Erfolg, über Generationen umgesetzt. Ein anderes Verständnis von Integration drückt sich aus im Bild des Mosaiks. In einem Mosaik hat jedes einzelne Teil seine eigene Kontur, Farbe und Form, so langes alle Teile in einen Rahmen passen.

Preisvergabe am 17. Februar in Duisburg

Im Integrationskonzept des Deutschen Fußball-Bundes heißt es denn auch unmissverständlich: „Im Gegensatz zu der Meinung, dass der Integrationsprozess im Kern ein Assimilationsprozess ist, der in der zumindest weitgehenden oder sogar gänzlichen Übernahme der Kultur, der Lebensformen und Lebensweise der Aufnahmegesellschaft besteht, bekennt sich der DFB zu einem Integrationsverständnis auf der Basis kultureller Vielfalt.“ Das die Anerkennung der deutschen Verfassung und der geltenden Gesetze Grundvoraussetzung ist, versteht sich dabei von selbst.

„Uns geht es um ein weltoffenes Denken, um eine interkulturelle Kompetenz, die heute für viele Problemlösungen nötig ist“, sagt Rita Müller, und weist darauf hin, dass interkulturelle Kompetenz künftig auch im Berufsleben eine immer größere Bedeutung haben wird. Das Völklinger Engagement wird am 17. Februar im Rahmen des Frauen-Länderspiels gegen Nordkorea in Duisburg bei der Verleihung des DFB und Mercedes Benz-Integrationspreises ausgezeichnet.