"Die Botschaft lautet: Komm in die Gänge!"

Forsythe: Das ist schon so lange her, ich weiß es nicht.

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Länderspiel-Tag, ein Fußball-Klassiker wird heute um 20.45 Uhr aufgeführt, im Guiseppe-Meazza-Stadion, das weltweit eigentlich nur nach dem Mailänder Stadtteil benannt wird: San Siro. Das erste Wiedersehen der deutschen und italienischen Nationalmannschaft nach Warschau 2012, dem EM-Halbfinale - bereits das 100. Länderspiel in der Ära von Bundestrainer Joachim Löw.

Der Festtag des Fußballs wird in großer Normalität begonnen. Wie immer bei einem abendlichen Anstoß wurde bis 10.30 Uhr gefrühstückt, um 13.30 Uhr wird Mittagessen serviert, um 17 Uhr eine Kaffeetafel gedeckt. Zehn vor sieben ist Abfahrt, spätestens 75 Minuten vor dem Anstoß soll das Team in der Kabine sein. Alles wie gewohnt.

Auch das Anschwitzen hat seine feste Uhrzeit: 11.30 Uhr - so war es auch heute. Shad Forsythe, einst vom damligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann aus den USA geholter Fitnesstrainer, erklärt im team.dfb.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth, warum man neun Stunden vor dem Spiel schon mal ins Schwitzen kommen sollte.

DFB.de: Mister Forsythe, was heißt Anschwitzen eigentlich auf Englisch?

Shad Forsythe: Starting to sweat. (lacht) Nein, das deutsche Wort dafür ist nicht zu schlagen. Genau darum geht es.

DFB.de: Also, weshalb macht man das, immerhin rund neun Stunden vor dem Anpfiff?

Forsythe: Zum einen gehört es am Spieltag zum normalen Ablauf, das Anschwitzen hat Tradition in der Nationalmannschaft. Physiologisch geht's darum, dass der Körper die Botschaft empfängt: "Komm in die Gänge, Bewegung steht an!" Wie in der Physik, wo es anfangs eine größere Kraft braucht, um die Trägheit eines Körpers zu überwinden, ist es auch beim Athleten. Also trifft sich das Team im Fitnessraum, immer um 11.30 Uhr.

DFB.de: Hier im "Principe di Savoia", einem altehrwürdigen Hotel im Herzen von Mailand, dient ein leer geräumter Ballsaal als Fitnessraum.

Forsythe: (lacht) Funktioniert auch, wir kommen schon klar.

DFB.de: Welche Übungen stehen beim Anschwitzen auf dem Programm?

Forsythe: Wir teilen das Team in zwei Gruppen. Die eine Hälfte spielt Eins-zu-Eins-Fußballtennis. Die andere Gruppe macht Dehnungs- und Aktivierungsübungen.

DFB.de: Warum ist das Anschwitzen für 11.30 Uhr angesetzt - und nicht etwa für 17 oder 18 Uhr?

Forsythe: Eine Stunde nach dem Anschwitzen haben die Spieler Videoanalyse. Wir wollen, dass spätestens dann alle richtig wach sind. Der Tag ist einfach wahnsinnig lang, wenn das Länderspiel um 20.45 Uhr angestoßen wird. Wenn die Spieler den ganzen Tag in der Lounge sitzen würden, wären sie doch abends deutlich müder. Ein wenig Bewegung während des Tages ist unglaublich wichtig.

DFB.de: Besteht die Gefahr, beim Anschwitzen zu überziehen und zu viel Energie rauszuhauen?

Forsythe: Nein, wir wollen einfach nur, dass die Spieler ein wenig ins Schwitzen kommen.

DFB.de: Können Sie etwas über einzelne Spieler sagen?

Forsythe: Jeder Spieler hat seine Eigenarten. Jérôme Boateng etwa spielt kürzer Fußballtennis und macht dafür etwas länger die Dehn- und Aktivierungsübungen. Unser ganzes Konzept ist stark individualisiert, das muss auf dieser Leistungsebene auch so sein.

DFB.de: Da Sie gerade über Boateng reden: Als Fitnesstrainer müssen Sie begeistert sein, oder?

Forsythe: Jérôme ist ein großartiger Athlet und ein fantastischer Mensch, was immer das Wichtigste ist. Er ist ein Musterprofi, unglaublich im Einklang mit seinem Körper. Er passt sehr gut auf sich auf.

DFB.de: Sollten Nationalspieler eigentlich immer trainieren, also auch während der Urlaubszeit ein Programm haben?

Forsythe: Meiner Meinung nach ist es völlig okay, ein oder zwei Wochen im Jahr dem Körper völlige Ruhe zu gönnen. Aber meistens ist es doch so, dass der Spieler aus dem Urlaub zurückkommt, dann erzählt er, dass er jeden Tag Tennis gespielt hat oder Volleyball am Strand. Athleten bewegen sich einfach gerne, das stellt man nicht einfach ab. Zwei Wochen im Jahr ohne Fußball finde ich aber in jedem Fall empfehlenswert.

DFB.de: Ist Anschwitzen auch etwas für Amateurfußballer?

Forsythe: Auf jeden Fall. Oft spielen Amateure aber sonntags um 13 oder 15 Uhr. Sich dann schon um 9 oder 10 Uhr zu treffen, um ein paar Übungen zu machen, ist vielleicht für einen Kreisligaklub etwas überzogen.

DFB.de: Jürgen Klinsmann hat Sie damals zum Team geholt. Wie war das vor Ihrer Zeit, gab es damals schon ein Anschwitzen bei der Nationalmannschaft?

Forsythe: Das ist schon so lange her, ich weiß es nicht.