DFB-Wissenschaftspreis an Elfmeterforscher Froese

Froese: Es sieht für mich so aus, als beherrsche er das Ausgucken. Das geht ja häufig mit einer Verzögerung einher, um sich noch einen zusätzlichen Vorteil gegenüber dem Torwart zu verschaffen. Bei dem Finalschuss gegen Chelsea scheint es mir, als hätte er nicht auf diese Fertigkeit vertraut und doch versucht, klar in eine Ecke zu schieben. Das Ergebnis war dann so eine Art Kompromiss-Schuss, der leider pariert wurde. Aber das ist eine extreme Außenansicht, ich kenne wirklich keine Details.

DFB.de: Haben Sie bereits mit Bundesligaklubs zusammen gearbeitet?

Froese: Ich habe selbst mit Borussia Dortmund und dem FC Augsburg zusammen gearbeitet, hauptsächlich im Bereich der Elfmeteranalyse. Ich habe den Gegner analysiert, also die Techniken der gegnerischen Elfmeterschützen. Nicht nur, in welches Eck der Spieler bevorzugt schießt, sondern auch, welche Strategien er verwendet. Auf Grundlage eines solchen Schützenprofils können dann Gegenstrategien entworfen werden.

DFB.de: Nach so viel Theorie - wie schaut es bei Ihnen mit der Praxis aus?

Froese: Ich habe für Union Berlin bis hoch in die 3. Liga gespielt. Heute erlebe ich die letzten Zuckungen meiner eigenen sportlichen Laufbahn als Spielertrainer bei einer Bezirksligamannschaft in Berlin.

DFB.de: Waren Sie ein guter Elfmeterschütze?

Froese: Wenn ich mich entlang meiner theoretischen Erkenntnisse beurteile, bin ich aufgrund meiner Persönlichkeit eher weniger gut geeignet, zum Elfmeter anzutreten. Dennoch habe ich im Laufe meiner Karriere einige Elfmeter geschossen und bin mit ein paar Tricks auf eine passable Trefferquote gekommen.

DFB.de: Zu guter Letzt, ganz praktisch: Was empfehlen Sie dem Trainer einer Kreisligamannschaft?



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Vor dem Schützen liegt der Ball, der Torwart steht auf der Linie. Die überschaubarste taktische Aufstellung, die geradlinigste Aufgabe. Der Strafstoß bringt den Fußball auf den Punkt. Und natürlich – wie im richtigen Leben – ist alles, was vermeintlich so simpel ausschaut, in Wirklichkeit ganz schön kompliziert.

Dr. Georg Froese hat den Elfmeterschützen auf die Couch gelegt. Der Berliner Sportpsychologe hat im Feldversuch erforscht, welche Persönlichkeitsmerkmale zu welcher Schussstrategie passen. Froeses Befund: Beide – der zögernde Lavierer und der knallharte Draufgänger - können brillante Schützen sein. Nur eben anders. Froese sagt außerdem: "Es könnte mehr gemacht werden. Jedes fünfte Entscheidungsspiel bei großen Turnieren wird per Elfmeter entscheiden. Der Mehraufwand in der Vorbereitung würde sich lohnen."

Für seine Doktorarbeit "Sportpsychologische Einflussfaktoren der Leistung von Elfmeterschützen" hat Froese heute den DFB-Wissenschaftspreis erhalten. Ein DFB.de-Interview über Brehme, Breitner, Butt - und viel mehr.

DFB.de: Herr Dr. Froese, Sie haben untersucht, welche Persönlichkeitsmerkmale am besten zu bestimmten Schussstrategien beim Elfmeter passen. Reden wir erstmal über die Strategien – wie sehen die aus?

Dr. Georg Froese: Im Grunde genommen lässt es sich auf zwei Strategien runter brechen. Die einen haben einen genauen Plan und schießen torwartunabhängig. Die anderen wollen ihren Vorteil als Schützen nutzen. Denn der Ball braucht etwa 0,4 Sekunden vom Punkt zur Torlinie, da muss der Torwart vor dem Schuss bereits die Bewegung einleiten. Die zweite Strategie ist es also, sehr spät zu reagieren und torwartabhängig in die offene Ecke zu schießen.

DFB.de: Wie schießt die Mehrheit?

Froese: Torhüterunabhängig – ganz entlang der Denke "Da weiß ich zumindest genau, was ich mache". Gerade wenn der Druck steigt, wird platziert und unabhängig von irgendwelchen "Cues" geschossen. Mit "Cues" meinen wir erste Signale für die Sprungseite des Torwarts, etwa das Anwinkeln des Sprungbeins. Das Verhältnis liegt schätzungsweise bei 80 zu 20 Prozent.

DFB.de: Und je wichtiger der Strafstoß ist…

Froese: …desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler unabhängig vom Torhüter schießt. Bei WM-Spielen werden Strafstöße deutlich härter, aber auch unplatzierter geschossen als sonst. Wenn's drauf ankommt, neigen die Schützen zur Haltung "Augen zu und durch". Die denken dann "Ich knall ihn irgendwie rein", und wenden nicht ihre erlernte Strategie an. Ein Fehler, denn die Trefferchance wäre größer.

DFB.de: Es gibt sie also doch, die Angst des Schützen beim Elfmeter?

Froese: Aber sicher. In angstvollen Situationen erkennen wir zwei Reaktionsmuster – "fight or flight", also Kampf oder Flucht. Fight wäre in dem Fall das Draufballern, Flight ein mutloser Sicherheitsschuss. Es ist doch so: Die torwartabhängige Variante sieht im Falle des Scheiterns viel schlimmer aus. Diese Überlegungen beziehen Spieler durchaus mit ein. Im Zweifel nutzt ein Spieler, der den Torwart eigentlich sehr gut ausgucken kann, unter Druck doch die andere Strategie.

DFB.de: Welche Persönlichkeit sollte jemand mitbringen, der torwartabhängig schießt?

Froese: Er sollte auf jeden Fall auch unter extremer Anspannung noch die Ruhe haben, um den Torwart auszugucken. Er muss über die kognitive Fertigkeit verfügen, lange mit seiner Entscheidung abzuwarten. Das können nicht so viele. Dieses "umswitchen" im letzten Moment sollte der Spieler über Jahre trainieren.

DFB.de: Wie sollte der torwartabhängige Schütze noch sein?

Froese: In meiner Arbeit habe ich zwei Persönlichkeitseigenschaften erfasst, zum einen den sogenannten regulatorischen Fokus, zum anderen die Handlungs- und Lageorientierung. Nach meinen Erkenntnissen sind für die torwartabhängige Strategie diejenigen prädestiniert, die auch sonst lange die Lage im Blick haben, die möglich viele Faktoren in ihre Entscheidungen einfließen lassen können.

DFB.de: Im Ernst? Jemand der sonst im Leben lange laviert, differenziert und abwartet ist ein guter Elferschütze?

Froese: Aber nur wenn er oder sie auch gut mit Druck umgehen kann. Es ist wie beim Arbeitsspeicher eines Computers. Ist der voll, läuft der Computer langsam. Wenn der Druck mir schon zuviel Ressource raubt, habe ich nicht mehr genug Arbeitsspeicher. Der fehlt mir dann, um blitzschnell die Information, in welche Richtung der Torwart springen wird, zu erfassen und meine Handlung anzupassen. Ich brauche also Personen, die sich unter hohem Druck auf die Aufgabe der Lageerfassung fokussieren können.

DFB.de: Welcher Typ sollte torwartunabhängig schießen?

Froese: Na, in erster Linie jemand, der über eine herausragende Schusstechnik verfügt. Das Psychologische spielt hier weniger eine Rolle, der Schütze muss einfach unter Druck an seinem Plan festhalten können. In meiner Arbeit unterteile ich in "prevention-fokussiert" und "promotion-fokussiert". Die Promotions-Fokussierten sind Idealeanstreber, sie setzen sich für ihre Ideale mit großem Eifer ein, die Vermeidung von Fehlern hat für sie nicht die höchste Priorität. Ihnen empfehle ich, torwartunabhängig zu schießen. Die Prevention-Fokussierten wollen in erster Linie Fehler vermeiden und sind damit eher torwartabhängige Elferschützen.

DFB.de: Ist die Schützenauswahl noch ein Defizit?

Froese: Die Auswahl der Schützen und der richtigen Strategie werden vernachlässigt. Mystische Vorstellungen geistern durch den Fußball, etwa dass der schießt, der sich am besten fühlt oder dass der Gefoulte nicht antreten sollte. Diese Mythen sind empirisch entweder nicht bestätigt oder bereits widerlegt. Am Ende schießt dann oft der ranghöchgste oder fußballerisch beste Spieler, auch wenn andere Spieler besser geeignet wären.

DFB.de: Wie gut ist der Elfmeter überhaupt erforscht?

Froese: "Die Lust des Forschers am Elfmeter", die gibt es. Das liegt an der standardisierten Situation, die sich für eine wissenschaftliche Untersuchung perfekt eignet. In der Tat existieren bereits etliche Studien, auch über andere Leistungsfaktoren beim Elfmeter, etwa nach Nationalität, Lebensalter, Position oder Status im Team. Meine Studie zeichnet aus, dass wir im Feld und mit Blick auf die praktische Verwertbarkeit im Spitzenfußball geforscht haben.

DFB.de: Wie sah die Feldforschung aus?

Froese: Unter dem Titel "Elfmeterkönig von Leipzig" haben wir mithilfe der Bild und lokaler Radiostationen zu einem eigenständigen Turnier aufgerufen. Durch Preise, Zuschauerkulisse und auch das Aufstellen von Kameras haben wir eine Drucksituation simuliert.

DFB.de: Teil Ihrer Studie ist ein Interview mit einem Bundesligaspieler, den Sie in Ihrer Doktorarbeit aber nicht nennen wollten. Verraten Sie es uns jetzt?

Froese: Es war Jörg Butt – nach nochmaliger Rücksprache habe ich jetzt sein okay.

DFB.de: Was war besonders bemerkenswert bei seinen Aussagen über den Elfmeterschuss?

Froese:Wenn Jörg Butt selbst Elfmeter geschossen hat, half ihm der weite Weg vom eigenen Tor zum gegnerischen Strafraum, weil er in dieser relativ langen Phase alle Störfaktoren ausblenden konnte. Paul Breitner und Andreas Brehme, die in den WM-Finals 1974 und 1990 getroffen haben, sind überzeugt, man könnte den Elfmeter nicht üben. Jörg Butt sagt das Gegenteil, er hat seine Strategie und seine Technik über Jahre perfektioniert. Christiano Ronaldo und Lothar Matthäus sind Paradebeispiele für den torwartunabhängigen Elferschuss, Jörg Butt ist ein herausragender "Ausgucker".

DFB.de: Sie sagen, Stürmer treffen prozentual häufiger als Verteidiger. War es theoretisch ein Fehler, dass Breitner und Brehme geschossen haben?

Froese: (lacht) Es gibt diesen leichten statistischen Vorteil der Stürmer. Dieser Vorteil ist aber keineswegs so groß, dass ich Verteidiger generell vom Schießen wichtiger Elfmeter ausschließen würde. Im Gegenteil, Verteidiger sind bei großen Turnieren oft weniger im Fokus als Offensivspieler. Sie haben weniger zu verlieren. Bei Lothar Matthäus stand 1990 eine überragende WM zu Buche. Mit einem Fehlschuss hätte dieses Bild einen heftigen Kratzer erhalten. Es war aus meiner Sicht eine weise Entscheidung, Andreas Brehme den Vortritt zu lassen.

DFB.de: Wie hat Ihnen Bastian Schweinsteigers Elfmeter im Champions-League-Finale gefallen?

Froese: Es sieht für mich so aus, als beherrsche er das Ausgucken. Das geht ja häufig mit einer Verzögerung einher, um sich noch einen zusätzlichen Vorteil gegenüber dem Torwart zu verschaffen. Bei dem Finalschuss gegen Chelsea scheint es mir, als hätte er nicht auf diese Fertigkeit vertraut und doch versucht, klar in eine Ecke zu schieben. Das Ergebnis war dann so eine Art Kompromiss-Schuss, der leider pariert wurde. Aber das ist eine extreme Außenansicht, ich kenne wirklich keine Details.

DFB.de: Haben Sie bereits mit Bundesligaklubs zusammen gearbeitet?

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Froese: Ich habe selbst mit Borussia Dortmund und dem FC Augsburg zusammen gearbeitet, hauptsächlich im Bereich der Elfmeteranalyse. Ich habe den Gegner analysiert, also die Techniken der gegnerischen Elfmeterschützen. Nicht nur, in welches Eck der Spieler bevorzugt schießt, sondern auch, welche Strategien er verwendet. Auf Grundlage eines solchen Schützenprofils können dann Gegenstrategien entworfen werden.

DFB.de: Nach so viel Theorie - wie schaut es bei Ihnen mit der Praxis aus?

Froese: Ich habe für Union Berlin bis hoch in die 3. Liga gespielt. Heute erlebe ich die letzten Zuckungen meiner eigenen sportlichen Laufbahn als Spielertrainer bei einer Bezirksligamannschaft in Berlin.

DFB.de: Waren Sie ein guter Elfmeterschütze?

Froese: Wenn ich mich entlang meiner theoretischen Erkenntnisse beurteile, bin ich aufgrund meiner Persönlichkeit eher weniger gut geeignet, zum Elfmeter anzutreten. Dennoch habe ich im Laufe meiner Karriere einige Elfmeter geschossen und bin mit ein paar Tricks auf eine passable Trefferquote gekommen.

DFB.de: Zu guter Letzt, ganz praktisch: Was empfehlen Sie dem Trainer einer Kreisligamannschaft?

Froese: Suche einen Spieler mit guter Schusstechnik aus, der wenig Angst vor den Konsequenzen hat. Lass' ihn eine Strategie trainieren. Letztlich sollte dem Schützen auch immer vermittelt werden, dass auch ein perfekter Strafstoß pariert werden kann. Das ist für ihn eine befreiende Erkenntnis und hilft darüber hinaus, seine Selbstsicherheit zu stärken.