Turnierbilanz: Unaufhaltsam gegen Ungarn

Schon 37-mal traf Deutschland auf Ungarn, aber bei Turnieren ging man sich meist aus dem Weg. Bei der WM 1954 gab es zwei berühmte Spiele und bei der vergangenen Europameisterschaft ein Vorrundenspiel. Ein Mangel an Toren war nie zu beklagen, stets trafen beide Mannschaften mehrfach. Ein Rückblick auf ein Debakel, ein Fußballwunder und ein Ausgleichstor mit Herz.

Bei der WM 1954 in der Schweiz wurde Deutschland in eine Gruppe mit Ungarn gelost. Weil der seltsame Modus nicht etwa wie gelernt "jeder gegen jeden" hieß, sondern die beiden Gesetzten gegen die beiden Ungesetzten ran mussten, konzentrierte sich Bundestrainer Sepp Herberger völlig auf die Türkei. Der Plan ging auf, hatte aber einen Preis.

Die deutschen Schlachtenbummler buhten bei der Verlesung der Aufstellung in Basel und ihre Wut steigerte sich von Minute zu Minute. Am Ende eines chancenlosen Auftritts stand eine 3:8-Pleite, bis heute die höchste bei einer WM und auch die höchste in der 28-jährigen Herberger-Ära. Ersatz-Torwart Heinrich Kwiatkowski wurde allgemein bedauert. Helmut Rahn, Alfred Pfaff und Richard Herrmann schossen die Tore. Körbeweise kam Post aus der verprellten Heimat nach Spiez am Thuner See, Herberger wurde in drastischen Worten zum Rücktritt aufgefordert. Auch er hat dieses Debakel nicht gewollt, doch es hatte sein Gutes. Als sie sich am 4. Juli in Bern im Finale wieder sehen, hatten die Ungarn schon gewonnen. Dachten sie. Es sollte sich rächen.

WM-Finale auch nach 70 Jahren noch populär

Das vielleicht berühmteste deutsche Länderspiel im Wankdorf hat Autoren und Filmregisseure inspiriert und ist auch 70 Jahre später noch populär. Herbert Zimmermanns Jubel nach Rahns 3:2 wird noch immer gern auf deutschen Plätzen eingespielt, wenn die Heimmannschaft getroffen hat. Das "Wunder von Bern" wurde überhöht zum wahren Gründungsdatum der nach dem Krieg darniederliegenden Bundesrepublik. Unbestritten löste es ein Hochgefühl aus, das ein paar Wochen anhielt. Die Anerkennung für die sportliche Leistung aber ist nie verflogen, denn wie der Titelgewinn an sich war auch der Spielverlauf sensationell – oder ein Wunder eben. Denn gegen die seit vier Jahren und 31 Spielen ungeschlagenen Ungarn lagen die DFB-Kicker nach neun Minuten schon wieder 0:2 zurück.

Puskas und Czibor waren verhältnismäßig leicht zu ihren Toren gekommen und die Deutschen fürchteten schon, es käme noch schlimmer als in Basel. Aber schon im Gegenzug verkürzte der Nürnberger Max Morlock "im Spagatschritt" (O-Ton Herbert Zimmermann) auf 1:2. Als dann nach 18 Minuten der Essener Helmut Rahn nach einer Ecke von Fritz Walter ausglich, wankte die Fußball-Weltmacht Ungarn, die mit dieser Formation 1952 bei Olympia Gold geholt und 1953 als erste Kontinental-Elf das Wembley-Stadion gestürmt hatte (6:3 gegen England). Über eine Stunde tobte der Kampf bei Dauerregen hin und her, Torwart Toni Turek avancierte in der legendären Reportage von Zimmermann zum "Fußball-Gott", Werner Kohlmeyer rettete mehrmals auf der Linie. Und dann verlor Boszik, "immer wieder Boszik, der rechte Läufer der Ungarn" den Ball an den Kölner Hans Schäfer. "Schäfer nach innen geflankt, abgewehrt, aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt, Tor, Tor, Tor, Tor." Diese Passage aus Zimmermanns Reportage in der 84. Minute ist in Deutschland häufiger zitiert worden als irgendein Satz von Goethe und Schiller, denn sie hatte sich eingeprägt in jenem Moment, als ein ganzes Land nach vielen Jahren wieder glücklich war. Damals, als Kapitän Fritz Walter mit einer demütigen Verbeugung aus den Händen von FIFA-Präsident Jules Rimet den Pokal entgegennahm.

Für die Ungarn war es ein bitterer Tag, der in der Heimat Aufstände auflöste. Weil nicht jeder daran glauben wollte, dass es mit rechten Dingen zugegangen sei. Ein völlig normaler Reflex nach einem Wunder, aber am deutschen Sieg gab es nichts zu rütteln. Im Vorteil waren sie nur, weil Fritz-Walter-Wetter (Regen) herrschte und nur sie die dafür geeigneten Schuhe mit Schraubstollen hatten.

Goretzka rettet Deutschland ins Achtelfinale

Das einzige EM-Endrundenspiel ist noch in frischer, aber nicht unbedingt bester Erinnerung. Denn wirklich zufrieden war hinterher keiner. Im letzten Gruppenspiel der EM 2020, die ins Jahr 2021 fiel, quälte sich das Team von Jogi Löw zu einem 2:2. Zuvor hatte sie gegen Weltmeister Frankreich verloren (0:1) und dann Europameister Portugal geschlagen (4:2). Auch das letzte Vorrundenspiel fand in München statt und war vom Papier her das leichteste. Es wurde aber das schlechteste, es war ein Rückfall. Zweimal gerieten die in unveränderter Formation auflaufenden Deutschen in Rückstand. Ein Gewitterregen kündigte schon Unheil an, auch die Kulisse verhieß kein Fußballfest. Die Corona-Bestimmungen der Stadt München erlaubten nur 14.000 Personen den Einlass, aber daran waren die Spieler, die seit knapp einem Jahr in ihren Ligen meist vor völlig leeren Rängen spielten, schon gewohnt. Die Ungarn brauchten einen Sieg zum Einzug ins Achtelfinale und so spielten sie auch: Schon nach elf Minuten versenkte der damalige Mainzer Adam Szalai den Ball per Flugkopfball zum 0:1 im deutschen Tor. Ab diesem Moment war Deutschland ausgeschieden – für 59 lange Minuten. Dann passte das Ergebnis im Parallelspiel (Portugal führte 2:1 gegen Frankreich), doch wer wollte sich darauf verlassen?

Besser, man half sich selbst. In der 64. Minute endlich Jubel auf den Rängen, Kai Havertz köpfte zum Ausgleich ein. Unfassbar, wie schnell die DFB-Auswahl ihr Glück wieder hergab. Vom Anstoß weg kamen die Ungarn zur zweiten Führung, ein langer Ball auf Szalai landete beim heutigen Berliner Andras Schäfer, auch der traf per Kopf – 1:2. Um 22.28 Uhr war Deutschland wieder ausgeschieden an jenem 23. Juni. Es bedurfte also eines Retters und er kam von der Bank. Eigentlich waren es sogar zwei – die Bayern-Stars Jamal Musiala (18 Jahre) und Leon Goretzka. Sechs Minuten vor Schluss bediente der Dribbler seinen Kollegen im Verein, der aus 15 Metern mit rechts abzog und zum 2:2 traf. Anschließend formte Goretzka die Hände zu einem Herzchen und sendete demonstrativ "Liebesgrüße" an den schwarzen Block aus Ungarn, der durch Intoleranz und homophobe Parolen negativ aufgefallen war. Ein Bild dieser EM, das haften blieb! Länger als alles andere von diesem Zitterspiel, an das sich neun Spieler aus unserem aktuellen Kader bestens erinnern können – denn sie standen auf dem Platz.

Alle, die das Spiel sahen, spürten: Die Toleranz war der eigentliche Sieger dieses Unentschiedens am Tag, als die Allianz Arena in Regenbogen-Farben schillerte. Trister stand es um die Gefühlswelt der deutschen Fußballer. "Wir sind weiter – keiner weiß warum!", höhnte die Bild und Joshua Kimmich gestand: "Es ist noch Luft nach oben." Immerhin als Gruppenzweiter hinter Frankreich erreichten sie in der Todesgruppe F das Achtelfinale. Erst dort war Endstation. Fazit: Turniergegner Ungarn – immer für Tore gut, aber aufhalten konnte er Deutschland noch nicht.

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Schon 37-mal traf Deutschland auf Ungarn, aber bei Turnieren ging man sich meist aus dem Weg. Bei der WM 1954 gab es zwei berühmte Spiele und bei der vergangenen Europameisterschaft ein Vorrundenspiel. Ein Mangel an Toren war nie zu beklagen, stets trafen beide Mannschaften mehrfach. Ein Rückblick auf ein Debakel, ein Fußballwunder und ein Ausgleichstor mit Herz.

Bei der WM 1954 in der Schweiz wurde Deutschland in eine Gruppe mit Ungarn gelost. Weil der seltsame Modus nicht etwa wie gelernt "jeder gegen jeden" hieß, sondern die beiden Gesetzten gegen die beiden Ungesetzten ran mussten, konzentrierte sich Bundestrainer Sepp Herberger völlig auf die Türkei. Der Plan ging auf, hatte aber einen Preis.

Die deutschen Schlachtenbummler buhten bei der Verlesung der Aufstellung in Basel und ihre Wut steigerte sich von Minute zu Minute. Am Ende eines chancenlosen Auftritts stand eine 3:8-Pleite, bis heute die höchste bei einer WM und auch die höchste in der 28-jährigen Herberger-Ära. Ersatz-Torwart Heinrich Kwiatkowski wurde allgemein bedauert. Helmut Rahn, Alfred Pfaff und Richard Herrmann schossen die Tore. Körbeweise kam Post aus der verprellten Heimat nach Spiez am Thuner See, Herberger wurde in drastischen Worten zum Rücktritt aufgefordert. Auch er hat dieses Debakel nicht gewollt, doch es hatte sein Gutes. Als sie sich am 4. Juli in Bern im Finale wieder sehen, hatten die Ungarn schon gewonnen. Dachten sie. Es sollte sich rächen.

WM-Finale auch nach 70 Jahren noch populär

Das vielleicht berühmteste deutsche Länderspiel im Wankdorf hat Autoren und Filmregisseure inspiriert und ist auch 70 Jahre später noch populär. Herbert Zimmermanns Jubel nach Rahns 3:2 wird noch immer gern auf deutschen Plätzen eingespielt, wenn die Heimmannschaft getroffen hat. Das "Wunder von Bern" wurde überhöht zum wahren Gründungsdatum der nach dem Krieg darniederliegenden Bundesrepublik. Unbestritten löste es ein Hochgefühl aus, das ein paar Wochen anhielt. Die Anerkennung für die sportliche Leistung aber ist nie verflogen, denn wie der Titelgewinn an sich war auch der Spielverlauf sensationell – oder ein Wunder eben. Denn gegen die seit vier Jahren und 31 Spielen ungeschlagenen Ungarn lagen die DFB-Kicker nach neun Minuten schon wieder 0:2 zurück.

Puskas und Czibor waren verhältnismäßig leicht zu ihren Toren gekommen und die Deutschen fürchteten schon, es käme noch schlimmer als in Basel. Aber schon im Gegenzug verkürzte der Nürnberger Max Morlock "im Spagatschritt" (O-Ton Herbert Zimmermann) auf 1:2. Als dann nach 18 Minuten der Essener Helmut Rahn nach einer Ecke von Fritz Walter ausglich, wankte die Fußball-Weltmacht Ungarn, die mit dieser Formation 1952 bei Olympia Gold geholt und 1953 als erste Kontinental-Elf das Wembley-Stadion gestürmt hatte (6:3 gegen England). Über eine Stunde tobte der Kampf bei Dauerregen hin und her, Torwart Toni Turek avancierte in der legendären Reportage von Zimmermann zum "Fußball-Gott", Werner Kohlmeyer rettete mehrmals auf der Linie. Und dann verlor Boszik, "immer wieder Boszik, der rechte Läufer der Ungarn" den Ball an den Kölner Hans Schäfer. "Schäfer nach innen geflankt, abgewehrt, aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt, Tor, Tor, Tor, Tor." Diese Passage aus Zimmermanns Reportage in der 84. Minute ist in Deutschland häufiger zitiert worden als irgendein Satz von Goethe und Schiller, denn sie hatte sich eingeprägt in jenem Moment, als ein ganzes Land nach vielen Jahren wieder glücklich war. Damals, als Kapitän Fritz Walter mit einer demütigen Verbeugung aus den Händen von FIFA-Präsident Jules Rimet den Pokal entgegennahm.

Für die Ungarn war es ein bitterer Tag, der in der Heimat Aufstände auflöste. Weil nicht jeder daran glauben wollte, dass es mit rechten Dingen zugegangen sei. Ein völlig normaler Reflex nach einem Wunder, aber am deutschen Sieg gab es nichts zu rütteln. Im Vorteil waren sie nur, weil Fritz-Walter-Wetter (Regen) herrschte und nur sie die dafür geeigneten Schuhe mit Schraubstollen hatten.

Goretzka rettet Deutschland ins Achtelfinale

Das einzige EM-Endrundenspiel ist noch in frischer, aber nicht unbedingt bester Erinnerung. Denn wirklich zufrieden war hinterher keiner. Im letzten Gruppenspiel der EM 2020, die ins Jahr 2021 fiel, quälte sich das Team von Jogi Löw zu einem 2:2. Zuvor hatte sie gegen Weltmeister Frankreich verloren (0:1) und dann Europameister Portugal geschlagen (4:2). Auch das letzte Vorrundenspiel fand in München statt und war vom Papier her das leichteste. Es wurde aber das schlechteste, es war ein Rückfall. Zweimal gerieten die in unveränderter Formation auflaufenden Deutschen in Rückstand. Ein Gewitterregen kündigte schon Unheil an, auch die Kulisse verhieß kein Fußballfest. Die Corona-Bestimmungen der Stadt München erlaubten nur 14.000 Personen den Einlass, aber daran waren die Spieler, die seit knapp einem Jahr in ihren Ligen meist vor völlig leeren Rängen spielten, schon gewohnt. Die Ungarn brauchten einen Sieg zum Einzug ins Achtelfinale und so spielten sie auch: Schon nach elf Minuten versenkte der damalige Mainzer Adam Szalai den Ball per Flugkopfball zum 0:1 im deutschen Tor. Ab diesem Moment war Deutschland ausgeschieden – für 59 lange Minuten. Dann passte das Ergebnis im Parallelspiel (Portugal führte 2:1 gegen Frankreich), doch wer wollte sich darauf verlassen?

Besser, man half sich selbst. In der 64. Minute endlich Jubel auf den Rängen, Kai Havertz köpfte zum Ausgleich ein. Unfassbar, wie schnell die DFB-Auswahl ihr Glück wieder hergab. Vom Anstoß weg kamen die Ungarn zur zweiten Führung, ein langer Ball auf Szalai landete beim heutigen Berliner Andras Schäfer, auch der traf per Kopf – 1:2. Um 22.28 Uhr war Deutschland wieder ausgeschieden an jenem 23. Juni. Es bedurfte also eines Retters und er kam von der Bank. Eigentlich waren es sogar zwei – die Bayern-Stars Jamal Musiala (18 Jahre) und Leon Goretzka. Sechs Minuten vor Schluss bediente der Dribbler seinen Kollegen im Verein, der aus 15 Metern mit rechts abzog und zum 2:2 traf. Anschließend formte Goretzka die Hände zu einem Herzchen und sendete demonstrativ "Liebesgrüße" an den schwarzen Block aus Ungarn, der durch Intoleranz und homophobe Parolen negativ aufgefallen war. Ein Bild dieser EM, das haften blieb! Länger als alles andere von diesem Zitterspiel, an das sich neun Spieler aus unserem aktuellen Kader bestens erinnern können – denn sie standen auf dem Platz.

Alle, die das Spiel sahen, spürten: Die Toleranz war der eigentliche Sieger dieses Unentschiedens am Tag, als die Allianz Arena in Regenbogen-Farben schillerte. Trister stand es um die Gefühlswelt der deutschen Fußballer. "Wir sind weiter – keiner weiß warum!", höhnte die Bild und Joshua Kimmich gestand: "Es ist noch Luft nach oben." Immerhin als Gruppenzweiter hinter Frankreich erreichten sie in der Todesgruppe F das Achtelfinale. Erst dort war Endstation. Fazit: Turniergegner Ungarn – immer für Tore gut, aber aufhalten konnte er Deutschland noch nicht.

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