Der magische Moment des Windhunds

Mit Arminia Bielefeld und seinem letzten Klubtrainer Ewald Lienen hatte er sich auf eine Vertragsauflösung zum 31. Januar 2011 bei sofortiger Freistellung geeinigt. "Seit ein paar Wochen schon habe ich über diesen Schritt nachgedacht". Die Zeit war reif.

Die Erinnerung an das Last-Minute-Tor gegen Polen im zweiten Gruppenspiel der WM 2006 ist immer noch frisch. Einen Monat später machte er gegen Galatasaray Istanbul das "Tor des Jahres". Mit dem Rücken zum Tor stehend, beförderte er den Ball per Hackenkick in den Winkel.

Gedankenschnell, mit Leichtigkeit und Ballgefühl

Gedankenschnell, mit Leichtigkeit und Ballgefühl - typisch Neuville eben. 2002 hatte er Deutschland ins WM-Viertelfinale geschossen, gegen Paraguay traf er in der 88. Minute. Große Tore, wichtige Tore, aber nicht vergleichbar mit dem Treffer gegen die Polen. "Als ich das Tor machte, war mir nicht klar, was dadurch ausgelöst wurde. Das habe ich erst in den folgenden Tagen verstanden", sagt Oliver Neuville.

90 Minuten hatte die DFB-Auswahl im ausverkauften Dortmunder WM-Stadion das Spiel gemacht, sich ein Dutzend Torchancen erspielt. Als Polens Sobolewski in der 74. Minute Gelb-Rot sah, stieg der Druck, das Tor fiel dennoch nicht. Ein Sieg, und Deutschland stünde sicher im Achtelfinale einer WM im eigenen Land, es ging um viel.

In der 90. Minute trafen zuerst Klose und dann Ballack, leider nur die Latte. 65.000 Fans im Stadion, der Rest des Landes beim Public Viewing auf den öffentlichen Plätzen und zu Hause am Fernseher - alle verzweifelten. Das wird nichts mehr. Es klappte doch, weil Bernd Schneider in der Nachspielzeit den Ball gefühlvoll auf David Odonkor chippte und der den Ball nach dem zweiten Aufspringen volley in den Strafraum flankte.

"Ich habe nie mehr eine so starke Mannschaft erlebt"

"Wenn der Ball reinkommt, mache ich ihn rein, das wusste ich sofort", beschreibt Oliver Neuville diesen Moment. Das rechte Bein ausgefahren, drückte er den Ball über die Linie: "Das Stadion explodierte, einen solchen Torschrei habe ich noch nie gehört."



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Sechs Auftritte in der Bundesliga reichten Berti Vogts für die Nominierung, so groß war das Talent des kleinen, flinken Offensivspielers von Hansa Rostock.

"Vom ersten Tag an habe ich mich sehr wohl gefühlt in der Nationalmannschaft", sagt Oliver Neuville zu DFB.de, der erstmals für das Heimspiel gegen Südafrika im November 1997 nominiert wurde und 1998 auf Malta international debütierte.

"Jürgen Klinsmann nahm mich zu Seite und riet mir, genauso zu trainieren und zu spielen wie zu Hause im Verein", so Neuville. "Er sagte: ´Mach dir nicht so viele Gedanken!’ Von da an lief alles gut. Für Deutschland zu spielen, war für mich immer etwas ganz Besonderes."

Ein Tor für die Herzen der Fans

69 Länderspiele und zehn Tore sollten es werden, darunter mindestens ein "ewiger" Moment im deutschen Trikot: Mit dem WM-Tor gegen Polen 2006 ballerte er sich in die Herzen der deutschen Fußballfans. Neuville wurde 2002 Vizeweltmeister und 2008 Vizeeuropameister, er stand bei jedem Spiel während der WM 2006 auf dem Feld.

Vier Bundestrainer und ein Teamchef nominierten ihn für das deutsche Aufgebot: Vogts, Ribbeck, Völler, Klinsmann und Löw. Im Trikot von Hansa Rostock, Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach absolvierte der heute 37-Jährige 334 Bundesligaspiele, in denen er 91 Tore erzielte. Eine große Karriere. Doch jetzt ist Schluss.

Volltreffer mit der Hacke: "Tor des Jahres 2006"

"Es war ein schöner Tag, ich habe viel Zeit mit meinem kleinen Sohn Alessandro verbracht, wir haben die Eltern meiner Lebensgefährtin besucht", sagt Oliver Neuville über den ersten Tag nach seiner aktiven Karriere.

Mit Arminia Bielefeld und seinem letzten Klubtrainer Ewald Lienen hatte er sich auf eine Vertragsauflösung zum 31. Januar 2011 bei sofortiger Freistellung geeinigt. "Seit ein paar Wochen schon habe ich über diesen Schritt nachgedacht". Die Zeit war reif.

Die Erinnerung an das Last-Minute-Tor gegen Polen im zweiten Gruppenspiel der WM 2006 ist immer noch frisch. Einen Monat später machte er gegen Galatasaray Istanbul das "Tor des Jahres". Mit dem Rücken zum Tor stehend, beförderte er den Ball per Hackenkick in den Winkel.

Gedankenschnell, mit Leichtigkeit und Ballgefühl

Gedankenschnell, mit Leichtigkeit und Ballgefühl - typisch Neuville eben. 2002 hatte er Deutschland ins WM-Viertelfinale geschossen, gegen Paraguay traf er in der 88. Minute. Große Tore, wichtige Tore, aber nicht vergleichbar mit dem Treffer gegen die Polen. "Als ich das Tor machte, war mir nicht klar, was dadurch ausgelöst wurde. Das habe ich erst in den folgenden Tagen verstanden", sagt Oliver Neuville.

90 Minuten hatte die DFB-Auswahl im ausverkauften Dortmunder WM-Stadion das Spiel gemacht, sich ein Dutzend Torchancen erspielt. Als Polens Sobolewski in der 74. Minute Gelb-Rot sah, stieg der Druck, das Tor fiel dennoch nicht. Ein Sieg, und Deutschland stünde sicher im Achtelfinale einer WM im eigenen Land, es ging um viel.

In der 90. Minute trafen zuerst Klose und dann Ballack, leider nur die Latte. 65.000 Fans im Stadion, der Rest des Landes beim Public Viewing auf den öffentlichen Plätzen und zu Hause am Fernseher - alle verzweifelten. Das wird nichts mehr. Es klappte doch, weil Bernd Schneider in der Nachspielzeit den Ball gefühlvoll auf David Odonkor chippte und der den Ball nach dem zweiten Aufspringen volley in den Strafraum flankte.

"Ich habe nie mehr eine so starke Mannschaft erlebt"

"Wenn der Ball reinkommt, mache ich ihn rein, das wusste ich sofort", beschreibt Oliver Neuville diesen Moment. Das rechte Bein ausgefahren, drückte er den Ball über die Linie: "Das Stadion explodierte, einen solchen Torschrei habe ich noch nie gehört."

Das Sommermärchen hatte vorher schon begonnen, aber jetzt erreichte die Begeisterung bisher ungeahnter Ausmaße. Ein Spalier Menschen bei jeder Busfahrt der Mannschaft, die Bilder vor dem Stuttgarter Hotel, die Fanmeile in Berlin - das alles hatte auch Neuvilles Tor ausgelöst. Den Trainer Jürgen Klinsmann schätzt er bis heute. "Keiner konnte besser motivieren", sagt Oliver Neuville.

Seine liebste Mannschaft bleibt aber das Team 2002. "In Japan und Korea hatten wir sicher nicht die Ansammlung der stärksten Einzelspieler, aber ich habe danach nie mehr eine so starke Mannschaft erlebt", sagt der kleine Stürmer. "Vielleicht lag das daran, dass wir soweit weg von zu Hause spielen mussten. Jedenfalls war der Zusammenhalt in der Mannschaft sensationell."

Bitterer Blick zurück aufs Bundesligafinale 2000

Noch immer hadert er mit der Saison 1999/2000, als Bayer Leverkusen mit 73 Punkten nur Zweiter wurde, der punktgleiche FC Bayern München stand sieben Tore besser: "Das war sehr bitter, auch weil wir in der ganzen Saison nur drei Spiele verloren haben. Mit 73 Punkten kann man schon Meister werden."

Die Bayern hatten fünf Niederlagen auf dem Konto, das Jahr darauf holten sie mit 63 Punkten den Titel, in fünf der folgenden zehn Jahre hätten 73 Punkte zum Eintüten der Schale gereicht. Über "Vizekusens" Scheitern zwei Jahre später mag er sich nicht mehr ärgern. "Da waren wir selbst Schuld", sagt Neuville. "In den letzten drei Spielen müssen wir vier Punkte holen, und was machen wir: drei Punkte."

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"Ein Fußballer will Titel gewinnen"

Natürlich liegt eine große Karriere hinter ihm. Wohin Oliver Neuville auch ging, seine Mannschaften gewannen Fußballspiele. Schweizer Meister mit Servette Genf 1994, Einzug in das UEFA-Cup-Halbfinale 1997 mit CD Teneriffa, zweimal Vizemeister mit Bayer Leverkusen, dazu der Einzug ins Champions-League-Finale 2002, das gegen Real Madrid unglücklich verloren ging.

Irgendein Statistiker sollte mal Neuvilles Sieg-Niederlagen-Bilanz zwischen 1996 und 2006 ausrechnen, da müsste er keinen Vergleich scheuen. Restlos zufrieden ist er dennoch nicht: "Ein Fußballer will Titel gewinnen. Klar, ich stand mit den Klubs und der Nationalmannschaft in einigen Finals, oft trennten uns nur ein paar Punkte vom Titelgewinn, aber ganz gelangt hat es eben nicht."

Lange war er der Jüngste, Kleinste und Schnellste im Team

Geboren wurde Oliver Neuville am 1. Mai 1973 in Ascona, wohin er 35 Jahre später als Nationalspieler zurückkehrte. Dort, im Schweizer Tessin, hatte die DFB-Auswahl 2008 ihr Hauptquartier während der EURO in der Schweiz und Österreich aufgeschlagen. Auch wenn er sich die Sprache später erobern musste, nicht ohne hörbare Mühen - die deutsche Staatsbürgerschaft hatte er von Anfang an.

Sein früh verstorbener Vater Josef stammte aus Aachen, war als Fußballprofi in den 60er-Jahren in die Schweiz gekommen. Er brachte ihm das Fußballspielen bei, so gut, dass er zwei Jahrgänge übersprang. "Ich war früher immer der Jüngste, der Kleinste und der Leichteste", sagt Neuville. "In meinem ersten Profijahr wog ich gerade mal 57 Kilogramm." Und immer war er auch der Schnellste. Leicht nach vorne gebeugt, den Ball eng am Fuß, so rannte er 15 Jahre lang den Gegnern davon. Ein Windhund, der die 30 Meter Sprintstrecke in 3,69 Sekunden lief.

Nun lässt er das Spiel endgültig hinter sich, will jetzt erst mal ausspannen, bevor er beginnt, seine berufliche Zukunft zu gestalten. Den Fußball wird er vermissen, der Fußball Oliver Neuville.