Blinder Rekordnationalspieler Russom: „Action statt Kullerball“

Russom: Das heißt ‚ich komme’. Damit warne ich als attackierender Verteidiger den ballführenden Spieler. Wir tragen zudem alle Kopfschützer, aber das hilft, wie gesagt, auch nicht immer. Eine wichtige Funktion haben auch die ‚Guides’ hinter dem gegnerischen Tor. Wenn mir mein Guide ‚10-1’ zuruft, weiß ich, dass es zehn Meter bis zum Tor sind und noch ein Verteidiger vor mir steht.

DFB.de.: Warum kann der Torwart sehen?

Russom: Sonst wäre ja fast jeder Schuss ein Tor, das würde keinen Spaß machen. Außerdem hört man die Schelle nicht, wenn der Ball fliegt, wodurch ein blinder Torwart erst recht chancenlos wäre.

DFB.de.: Der MTV Stuttgart wurde 2009 ungeschlagen Deutscher Meister. Zum Auftakt der dritten Bundesliga-Saison treffen sie am Samstag auf Berlin und Marburg. Wie stehen die Chancen auf die Titelverteidigung?

Russom: Wir haben eine gute Truppe versammelt und werden vom Nationaltrainer Ulrich Pfisterer betreut. Die Vorbereitung auf jeden Spieltag ist sehr akribisch und wir können ein hohes Tempo gehen. Die Chancen für Stuttgart stehen also gut.

DFB.de: Die Nationalmannschaft hat die Qualifikation für die Weltmeisterschaft verpasst. Wie gut sind die deutschen Blindenfußballer im internationalen Vergleich?

Russom: Der 5. Platz bei der Europameisterschaft 2009 in Nantes war dennoch ein großer Schritt nach vorne. Bei der EM 2011 in England sollten wir uns unter den besten drei Teams platzieren und damit für die WM qualifizieren können.

DFB.de.: Was bedeutet der Sport in ihrem Leben?



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Vor zwölf Jahren driftete Mulgheta Russom mit seinem Auto auf die Gegenfahrbahn und krachte frontal gegen einen Baum. Monate später holten ihn die Ärzte aus dem künstlichen Koma. Er war noch am Leben, aber sah fast nichts mehr. Nach einer Fieberattacke im Krankenhaus, erlosch die verbleibende Sehkraft. „Hoffnungslos war ich auch damals nicht, dafür bin ich ein viel zu lebendiger Mensch“, sagt der 31-jährige aus Eritrea stammende Rekordspieler der deutschen Nationalmannschaft im Blindenfußball.

Am Wochenende stürmt Mulgheta Russom wieder für den MTV Stuttgart, den Titelverteidiger in der Deutschen Blindenfußball-Bundesliga (DBFL), deren dritte Saison am Samstag in Barsinghausen beginnt. Mitausrichter der Liga ist die DFB-Stiftung Sepp Herberger, die zwei Drittel des benötigten Finanzvolumens trägt; Stiftungskurator Uwe Seeler hat die Schirmherrschaft der Liga übernommen. Eine nationale Spielserie für blinde und sehbehinderte Menschen ist einzigartig in Europa.

DFB-Redakteur Thomas Hackbarth befragte Mulgheta Russom im DFB.de „Gespräch der Woche“ zum Bundesliga-Auftakt, zum Leistungsstand der deutschen Nationalmannschaft und zur Bedeutung des Fußballs in seinem Leben.

DFB.de: Herr Russom, als Sehender auch nur zehn Meter mit geschlossenen Augen zu joggen, ist ein eher beunruhigendes Erlebnis. Sie bewegen sich auf einem 20 mal 40 Meter großen Feld, auf dem auch sieben andere Feldspieler herumrennen. Braucht man Mut zum Blindenfußball?

Mulgheta Russom: Man muss ein bisschen einen Knall haben. Bei den Europameisterschaften in Nantes 2009 habe ich mir die Nase gebrochen und einen Zahn ausgeschlagen. Auch eine Bänderdehnung des Kniegelenks habe ich mir schon in der Liga zugezogen. Viele denken doch, wir würden dort Kullerball spielen, dabei ist das richtig harte Action. Die Leute, die zu unseren Spielen kommen – in Stuttgart sind das 300-400 Zuschauer – sind begeistert.

DFB.de: Außer Mumm, was muss ein guter Blindenfußballer noch mitbringen?

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Russom: Teamgeist ist bei unserer Sportart entscheidend. Je Mannschaft stehen vier blinde Feldspieler und ein sehender Torwart auf dem Feld, und dieses Team muss harmonieren. Der einzelne Akteur muss das Spiel lesen können. Ich muss mir ständig geistig ein Bild vom Geschehen machen, was eine große mentale Ausdauer verlangt. Das Ohr ist das wichtigste Körperteil eines guten Spielers. Im Ball steckt eine Schelle. Ich höre ganz genau, ob der Ball zwei, drei oder vier Meter von mir entfernt rollt.

DFB.de: Was bedeutet der Ausruf ‚Voy’?

Russom: Das heißt ‚ich komme’. Damit warne ich als attackierender Verteidiger den ballführenden Spieler. Wir tragen zudem alle Kopfschützer, aber das hilft, wie gesagt, auch nicht immer. Eine wichtige Funktion haben auch die ‚Guides’ hinter dem gegnerischen Tor. Wenn mir mein Guide ‚10-1’ zuruft, weiß ich, dass es zehn Meter bis zum Tor sind und noch ein Verteidiger vor mir steht.

DFB.de.: Warum kann der Torwart sehen?

Russom: Sonst wäre ja fast jeder Schuss ein Tor, das würde keinen Spaß machen. Außerdem hört man die Schelle nicht, wenn der Ball fliegt, wodurch ein blinder Torwart erst recht chancenlos wäre.

DFB.de.: Der MTV Stuttgart wurde 2009 ungeschlagen Deutscher Meister. Zum Auftakt der dritten Bundesliga-Saison treffen sie am Samstag auf Berlin und Marburg. Wie stehen die Chancen auf die Titelverteidigung?

Russom: Wir haben eine gute Truppe versammelt und werden vom Nationaltrainer Ulrich Pfisterer betreut. Die Vorbereitung auf jeden Spieltag ist sehr akribisch und wir können ein hohes Tempo gehen. Die Chancen für Stuttgart stehen also gut.

DFB.de: Die Nationalmannschaft hat die Qualifikation für die Weltmeisterschaft verpasst. Wie gut sind die deutschen Blindenfußballer im internationalen Vergleich?

Russom: Der 5. Platz bei der Europameisterschaft 2009 in Nantes war dennoch ein großer Schritt nach vorne. Bei der EM 2011 in England sollten wir uns unter den besten drei Teams platzieren und damit für die WM qualifizieren können.

DFB.de.: Was bedeutet der Sport in ihrem Leben?

Russom: Vor meinem Unfall habe ich in der Landesliga für die TSG Tübingen gespielt. Durch den Blindenfußball habe ich mir alles wieder erobert, was mir der Fußball vorher gegeben hatte. Ich fühle mich völlig frei auf dem Spielfeld. Ich weiß genau, was ich tun muss. Durch den Sport führe ich ein selbstbestimmtes Leben. Der Blindenfußball gibt mir ungeheuer viel Kraft. Ich freue mich schon riesig auf Barsinghausen und auf das Liga-Finale am 5./6. Juni in Hamburg beim FC St. Pauli.