Blindenfußball: Deutschland im EM-Halbfinale gegen Spanien

DFB.de: Wie geht's ihrem Knie?

Fangmann: Die Verletzung passierte 2011 im vierten Spiel bei der EM in der Türkei. Ich musste ein Jahr pausieren. Das Kniescheibenhalteband links war gerissen und musste genäht werden. Danach bin ich es ganz bewusst langsam angegangen. Wir haben eben auch medizinisch nicht die Betreuung wie sehende Fußballer. In der Reha muss man sich selbst motivieren. Heute gehe ich ohne jede Hemmung in den Zweikampf.

DFB.de: Zwei- oder dreimal im Spiel starten Sie ganz von hinten einen Sololauf - das sind immer wieder besonders spektakuläre Momente.

Fangmann: Man darf sich nicht scheuen, voll einzusteigen, egal ob in der Abwehr oder offensiv. Je nach Spielsituation, versuche ich dann, als dritter Angreifer den Druck noch zu erhöhen.

DFB.de: Über Vedat Sarikaya sagt Bundestrainer Uli Pfisterer, dass er, wäre er nicht blind, in der 2. Bundesliga spielen würde. Gegen Italien und England hat Sarikaya jeweils das 1:0 für Deutschland geschossen. Wie wichtig ist er für die Nationalmannschaft?

Fangmann: Mit seiner Schusskraft und seiner Kreativität ist er sehr wichtig für unser Spiel. Oft haben Stürmer im Blindenfußball einen Move. Die Franzosen haben einen Stürmer, der kommt von links, zieht dann rein und schießt. Das ist total berechenbar. Vedat ist viel variantenreicher - manchmal weiß er bestimmt selbst nicht, was er da macht. Und er sucht immer den Abschluss. Er ist ein sehr gefährlicher Stürmer.

DFB.de: Wer noch nie dabei war, kann es sich kaum vorstellen, dass blinde Menschen Fußball spielen. Wie funktioniert das eigentlich?

Fangmann: Mit einer gehörigen Portion Mut und Selbstbewusstsein. Der Sport schafft zusätzlich einen Rahmen, in dem wir Blinde Fußball spielen können: der Ball, die Guides, der Trainer an der Seite und die Banden. Eine Blindenfußball-Mannschaft besteht ja aus blinden und sehenden Menschen. Das ist Inklusion pur. Alleine könnte ich nie auf dem Niveau spielen. Wenn der Guide die Lücke sieht, gibt er das Kommando, und dann kommt der Pass auch perfekt an. Das Zusammenspiel zwischen Blinden und Sehenden ist faszinierend.



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Erstmals steht Deutschland im Halbfinale einer Blindenfußball-EM. Als Siebter, Fünfter und Letzter schloss die junge deutsche Nationalmannschaft ihre ersten drei EM-Turniere ab. Die beste Platzierung überhaupt ist also bereits gesichert. Doch das Team rund um Kapitän Alexander Fangmann will mehr. Mit gutem Grund. Für Beobachter war der 2:1-Sieg über England das bisher beste Spiel des Turniers überhaupt.

Heute (ab 18 Uhr) trifft die deutsche Mannschaft im italienischen Loana also auf den sechsmaligen Europameister Spanien. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth spricht der 28-jährige Fangmann vom MTV Stuttgart über die Gründen des Aufschwungs - und er sagt, wie ihm eine Blindenfußball-EM in Deutschland gefallen würde.

DFB.de: Herr Fangmann, wie haben Sie und die Mannschaft den freien Tag vor dem Halbfinale genutzt?

Alexander Fangmann: Am Montagabend nach dem 2:2 gegen die Türken waren wir unterwegs in Loana. Den Dienstag haben wir am Strand verbracht. Sehr entspannt also. Durch die Siege über Italien und England hatten wir die Halbfinalteilnahme schon sicher, gegen die Türkei haben wir uns noch den Gruppensieg geholt.

DFB.de: Loano ist eine Kleinstadt in Ligurien und liegt direkt am Mittelmeer. Das passt schon mal. Wie sind denn die sportlichen Rahmenbedingungen?

Fangmann: Wir spielen auf einem Außenfeld in Loana mit zwei Kunstrasenplätzen und einer kleinen Sitzplatztribüne. Das Ganze ist eher familiär. Kein Vergleich zur deutschen Blindenfußball-Bundesliga, dort haben wir an den Spieltagen oft mehrere tausend Zuschauer.

DFB.de: Heute trifft Deutschland im EM-Halbfinale auf den sechsmaligen Europameister Spanien. Hat die deutsche Mannschaft überhaupt eine Chance?

Fangmann: Die beiden Blindennationalteams treffen zum ersten Mal aufeinander. Aber was wir hier im Turnier mitbekommen haben, hat uns nicht unbedingt Angst eingeflößt. Die Spanier waren früher stärker. Im bisherigen Turnier haben sie zwei Tore geschossen. Im dritten Gruppenspiel trafen sie auf Frankreich, vor zwei Jahren war das noch das EM-Finale, diesmal ein 0:0 auf eher mäßigem Niveau. Wir rechnen uns eine Chance aus.

DFB.de: Worauf wird es heute ankommen?

Fangmann: Auf die Schnelligkeit und Kombinationsfreude, wie wir sie besonders gegen England gezeigt haben. Wir selbst bevorzugen weite Abwürfe. Im Gegensatz zu uns baut Spanien sein Spiel von hinten auf. Dort werden wir sie früh unter Druck setzen müssen.

DFB.de: Noch 2011 belegte Deutschland den achten und damit letzten Platz. Was ist der Grund für den Aufschwung?

Fangmann: Wir sind ein viel homogeneres Team. Wir können eins zu eins ersetzen. Wenn einer offensiv an dem Tag nicht die Durchschlagskraft hat, kommt ein anderer Spieler rein. Auch defensiv verfügen wir über mehr Spieler, die die Rollen ähnlich ausfüllen können. Andere Mannschaften haben ihre erste Fünf, und dann noch zwei Spieler, die sich eher ausprobieren wollen. Das ist bei uns ganz anders.

DFB.de: Blockbildung auch im Blindenfußball: Früher war die Nationalmannschaft praktisch identisch mit dem Team des Rekordmeisters MTV Stuttgart. Jetzt hat Nationaltrainer Ulrich Pfisterer vier Stuttgarter und drei Marburger ins EM-Team geholt. Das hätte auch schiefgehen können.

Fangmann: Es klappt aber sehr gut. Die jungen Marburger, also Alican Pektas und Taime Kuttig, gehen unbekümmert ran, das bringt frischen Wind in unser Team. Dazu kommt in der Abwehr Robert Warzecha, der schon etwas älter ist und über größere Erfahrung verfügt. Alle drei Marburger bringen sich gut ein. Bei den Vorbereitungsspielen gegen Frankreich und England anfangs des Jahres mussten wir uns noch einspielen. Jetzt läuft es.

DFB.de: Mit Mulgheta Russom halten Sie beim MTV Stuttgart die Abwehr dicht. Wen haben Sie denn bei der Nationalmannschaft lieber an ihrer Seite: Russom oder den Marburger Warzecha?

Fangmann: Gegen England haben wir die letzten fünf Minuten hinten zu dritt in der Abwehr gespielt. Inzwischen sind wir so eingespielt, dass wir in fast jeder Kombination verteidigen können. Daneben ist doch klar, dass Mulle und ich durch die vielen Jahre in der Bundesliga einen ganz besonderen Draht haben.

DFB.de: Wie geht's ihrem Knie?

Fangmann: Die Verletzung passierte 2011 im vierten Spiel bei der EM in der Türkei. Ich musste ein Jahr pausieren. Das Kniescheibenhalteband links war gerissen und musste genäht werden. Danach bin ich es ganz bewusst langsam angegangen. Wir haben eben auch medizinisch nicht die Betreuung wie sehende Fußballer. In der Reha muss man sich selbst motivieren. Heute gehe ich ohne jede Hemmung in den Zweikampf.

DFB.de: Zwei- oder dreimal im Spiel starten Sie ganz von hinten einen Sololauf - das sind immer wieder besonders spektakuläre Momente.

Fangmann: Man darf sich nicht scheuen, voll einzusteigen, egal ob in der Abwehr oder offensiv. Je nach Spielsituation, versuche ich dann, als dritter Angreifer den Druck noch zu erhöhen.

DFB.de: Über Vedat Sarikaya sagt Bundestrainer Uli Pfisterer, dass er, wäre er nicht blind, in der 2. Bundesliga spielen würde. Gegen Italien und England hat Sarikaya jeweils das 1:0 für Deutschland geschossen. Wie wichtig ist er für die Nationalmannschaft?

Fangmann: Mit seiner Schusskraft und seiner Kreativität ist er sehr wichtig für unser Spiel. Oft haben Stürmer im Blindenfußball einen Move. Die Franzosen haben einen Stürmer, der kommt von links, zieht dann rein und schießt. Das ist total berechenbar. Vedat ist viel variantenreicher - manchmal weiß er bestimmt selbst nicht, was er da macht. Und er sucht immer den Abschluss. Er ist ein sehr gefährlicher Stürmer.

DFB.de: Wer noch nie dabei war, kann es sich kaum vorstellen, dass blinde Menschen Fußball spielen. Wie funktioniert das eigentlich?

Fangmann: Mit einer gehörigen Portion Mut und Selbstbewusstsein. Der Sport schafft zusätzlich einen Rahmen, in dem wir Blinde Fußball spielen können: der Ball, die Guides, der Trainer an der Seite und die Banden. Eine Blindenfußball-Mannschaft besteht ja aus blinden und sehenden Menschen. Das ist Inklusion pur. Alleine könnte ich nie auf dem Niveau spielen. Wenn der Guide die Lücke sieht, gibt er das Kommando, und dann kommt der Pass auch perfekt an. Das Zusammenspiel zwischen Blinden und Sehenden ist faszinierend.

DFB.de: Die Deutsche Blindenfußball-Bundesliga ist im fünften Jahr, sie wird von der Sepp-Herberger-Stiftung gefördert, im Vorjahr schauten weit mehr als 10.000 Zuschauer bei der Städteserie zu. Jetzt kommt der internationale sportliche Erfolg dazu. Wie zufrieden sind Sie als deutscher Kapitän mit der Entwicklung des Sports?

Fangmann: Wer sich verbessern will, muss kritisch urteilen können. Organisatorisch müssen wir als Sportler immer noch zu viel selbst machen, sowohl im Verein als auch in der Nationalmannschaft. Wir haben nicht mal die Möglichkeit, wirklich regelmäßig zu trainieren. Wir müssen viel mehr noch die Jugend heranziehen und dafür auch neue Vergleichsmöglichkeiten schaffen. Fußball macht nur Spaß, wenn man sich messen kann. Für Jüngere ist es in der Bundesliga schwierig, sich gleich mit einem Nationalspieler zu duellieren.

DFB.de: Ins Turnier ist Ihr Team mit einem 1:0 gegen Italien gestartet. War es besonders schwer, das Auftaktspiel gegen den Gastgeber zu bestreiten?

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Fangmann: Das Spiel wurde live übertragen auf Rai Sport2. Vor dem Platz standen zwei riesige Ü-Wagen, so etwas geht nicht spurlos an denen vorbei. Die Zuschauerränge waren für das Spiel voll, der Ablauf inklusive der Hymnen war wegen der TV-Übertragung auf die Minute genau festgelegt. Die Italiener waren also extrem heiß. Daneben sind Italiener ohnehin immer sehr angespornt, wenn es gegen Deutschland geht. Das ist beim Blindenfußball nicht anders.

DFB.de: Wann bewirbt sich der Deutsche Behindertensportverband für die Ausrichtung einer Europameisterschaft?

Fangmann: Ich würde es begrüßen. Der Blindenfußball hätte es verdient, mal in einem größeren Rahmen präsentiert zu werden. Die DBFL könnte hier ein Vorbild sein, auch eine EM können wir im Herzen einer Großstadt austragen. Der DBS hat dieses Thema erst mal auf 2017 vertagt, vorher fehlt der nötige Etat. In zehn Tagen beginnt in Deutschland die Rollstuhl-Basketball-EM, im nächsten Jahr sind die Sportschützen und danach die Bogenschützen dran. Ohnehin gibt es für die großen internationalen Turniere im Behindertensport nicht immer so viele Bewerber. Wir sind doch froh, dass Italien diese Blindenfußball-EM ausrichtet.

DFB.de: Wenn es wirklich gelingen sollte, Spanien im Halbfinale auszuschalten - mit wem rechnen Sie für das Endspiel?

Fangmann: Im zweiten Halbfinale trifft Frankreich auf die Türkei, die sicher etwas glücklich soweit gekommen ist. Frankreich ist Titelverteidiger. Die Türkei ist nicht sonderlich durchschlagskräftig nach vorne, sie haben gute Dribbler, auch einen sicheren Achtmeterschütze, aber nach vorne geht nicht viel. Gäbe es Buchmacher im Blindenfußball, dann läge Frankreich im zweiten Halbfinale bei den Wetten klar vorne. Den Rest warten wir mal ab.