Blatter: "Eine Mischung aus Freude und Genugtuung"

Sonne, Strand, Ausspannen nach der Anspannung der WM - nichts für Sepp Blatter. „Ich dekomprimiere, so nennt man das doch bei Sportlern“, sagt der Präsident des Fußball-Weltverbandes (FIFA) mit einem Lachen. Langsam runterfahren, ein paar Tage ins Wallis, dann wieder ins Büro.

Der 74-Jährige sitzt in einem der braunen Ledersessel der Präsidenten-Lounge. In den Vitrinen Orden, an der Wand Urkunden und an seinem Revers eine goldene FIFA-Nadel. Blatter lehnt sich zurück und muss nicht lange überlegen, als er gefragt wird, wie es ihm ein paar Wochen nach der WM geht. „Sehr gut, es ist doch wunderbar gelaufen“, sagt er.

DFB-Chefredakteur Ralf Köttker hat den FIFA-Präsidenten in der Züricher Verbandszentrale besucht - das große DFB.de-Exklusivinterview.

DFB.de: Herr Blatter, um uns herum stehen unzählige Auszeichnungen, Orden und Erinnerungen aus anderen Ländern in den Vitrinen. Was haben Sie sich eigentlich aus Südafrika mitgebracht?

Sepp Blatter: Ich kann Sie beruhigen, auf jeden Fall keine Vuvuzela. Was habe ich mir mitgebracht? Ich habe eine Statue und ein paar andere Erinnerungsstücke bekommen, aber ich hatte noch keine Zeit, sie mir genauer anzuschauen. Viel wichtiger ist ohnehin, was ich darüber hinaus aus Südafrika mitgenommen habe: Dass dort mit dieser WM etwas geschafft wurde, was viele nicht für möglich gehalten hätten.

DFB.de: Das klingt ein bisschen nach Genugtuung?

Blatter: Ja, es ist schon eine Mischung aus großer Freude und Genugtuung. Natürlich war der Druck vorher groß, auch für mich. Der Aufschrei wäre groß gewesen, wenn es Probleme gegeben hätte. Wenn man jetzt bedenkt, dass Hunderttausende von Menschen nach Südafrika gekommen sind, sich dort mit anderen zusammengefunden haben und in Städten wie Kapstadt, Durban oder Port Elizabeth friedlich miteinander gefeiert haben, ist das etwas Fantastisches. Es gab kaum gewalttätige Zwischenfälle, es gab im Transportbereich trotz all der logistischen Herausforderungen keine größeren Unfälle.

DFB.de: Im Nachhinein können Sie es ja sagen: Hatten Sie damit gerechnet?

Blatter: Was die Sicherheit angeht, hatte ich keine Bedenken. Ich wusste, dass Südafrika alles dafür Nötige unternehmen wird. Aber dass sich die Fans so gut verhalten, dass sie so friedlich miteinander umgehen, war schwer vorhersehbar. Das zu sehen, war sehr emotional.

DFB.de: Stichwort Emotionen: Was war für Sie der bewegendste Moment bei der WM?

Blatter: Es gibt zwei. Kurz vor dem Anpfiff des Finales wurde Nelson Mandela ins Stadion gefahren, ich durfte ihn am Spielfeldrand in Empfang nehmen und begrüßen, umarmen. Dann gab es etwa eine Stunde nach dem Schlusspfiff des Finales einen weiteren Moment. Es waren noch Tausende Zuschauer im Stadion, die nicht gehen wollten, die zusammen feierten und den Moment genossen. Niemand wollte gehen, sie wollten nicht, dass es schon zu Ende ist. Ich habe von der Loge ins Stadion geschaut und diese Menschen gesehen. Ich stand dort allein. Und als mir einige Leute gratulieren wollten, sagte jemand hinter mir: Lasst ihn einen Moment alleine. Es war ein besonderer Moment.

DFB.de: Das passt so gar nicht zum Bild, die FIFA würde immer nur an den Kommerz denken.

Blatter: Natürlich spielt auch das Marketing bei uns eine wichtige Rolle. Aber dabei wird häufig vergessen zu erwähnen, was wir für den Fußball und die Menschen tun. Wir kümmern uns mit unseren Projekten um die Bildung, Erziehung und Gesundheit. Mit der Bewegung „Football for Hope“ setzen wir uns beispielsweise gegen Armut und Analphabetismus ein. Fußball ist nicht nur Geschäft, er ist Teil der Gesellschaft. Und wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst.

DFB.de: Glauben Sie wirklich, dass das Turnier für Südafrika nachhaltig etwas bewirken kann?

Blatter: Wirtschaftlich ist schon etwas erreicht. Der Staatschef hat mitgeteilt, dass ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts von 0,5 Prozent erwartet wird. Es ist zumindest ein Anstoß, jetzt muss Südafrika aber selbst etwas machen. Vielleicht ist es noch wichtiger als das Wirtschaftliche, was die WM emotional für den gesamten afrikanischen Kontinent bedeutet. Man hat Vertrauen gefasst. Man hat sich und der Welt gezeigt, etwas schaffen zu können.

DFB.de: Zurück zum Spiel: Wie fällt Ihre sportliche Bilanz aus? Ist die richtige Mannschaft Weltmeister geworden? Sie können sich jetzt in Deutschland beliebt machen und mit einem klaren Nein antworten.

Blatter: Ich sage es mal so: Es ist die Mannschaft Weltmeister geworden, die von Anfang bis Ende das gepflegte Spiel gezeigt hat. Und es ist eine Mannschaft Weltmeister geworden, die zu den drei jüngsten gehörte. Die jüngste war Ghana, die fast in das Halbfinale gekommen wäre. Und die zweitjüngste Deutschland. Eine Mannschaft, die mich sehr überrascht hat.

DFB.de: Was hat Sie überrascht?

Blatter: Dass sie so offensiv gespielt hat. Wenn ich zum Beispiel an das Spiel um Platz drei denke, das war wirklich klasse. Es ging hin und her, immer nach vorne.

DFB.de: Hatten Sie das vor Turnierbeginn nicht so erwartet?

Blatter: Ich habe früher deutsche Mannschaften auch schon anders spielen sehen. Sie haben sich sehr elegant auf dem Platz bewegt. Deutschland war wirklich eine Bereicherung der Weltmeisterschaft. Und die jungen Spieler haben viel Talent.

DFB.de:Wie bewerten Sie die Leistung des WM-Torschützenkönigs Thomas Müller?

Blatter: Er ist ein unbekümmerter junger Mann, der aus einem kleinen Dorf kommt. Er hat den richtigen Instinkt. Aber ein anderer, der über sich hinausgewachsen ist, war der Bayer.

DFB.de: Wer?

Blatter: Der Schweinsteiger. Als ich ihm nach dem Spiel gegen Uruguay gratuliert habe, hat er mich umarmt. Da habe ich zu ihm gesagt: Bravo, Bayer. Ich glaube die Mannschaft musste durch das bedauerliche Fehlen ihres Spielmachers Michael Ballack über sich hinauswachsen.

DFB.de: Können Sie dem Bayer 2014 in Brasilien zum Titel gratulieren?

Blatter: Das wird man sehen, die anderen schlafen auch nicht. Wir haben bei der WM eine Auswertung gemacht, aus der hervorging, dass Brasilien nur einen Spieler unter 23 hatte. Der Verbandspräsident hat sofort gesagt, dann müssen wir jetzt neu anfangen und beim Nachwuchs ansetzen. Die Zukunft gehört der Jugend, das hat das Turnier gezeigt.

DFB.de: Das Turnier hat auch gezeigt, dass das Interesse enorm groß ist. In Deutschland gab es Rekordquoten. Und in Südafrika waren die Stadien gut besucht.

Blatter: Mit Ausnahme von zwei Spielen. Verkauft war am Ende alles. Leer blieben die Hospitality- Kontingente, die bei diesem Turnier sicher kein gutes Geschäft waren.

DFB.de: Braucht der FIFA-Präsident eigentlich auch eine All-Area-Karte?

Blatter: Nein, die brauche ich nicht.

DFB.de: Sie kommen überall hin, sitzen aber dafür nie in der Fankurve. Fehlt Ihnen das manchmal?

Blatter: Im Wallis schaue ich mir manchmal Spiele an, dabei stehen wir am Spielfeldrand. Natürlich kann ich im VIP-Bereich nicht so ausgelassen jubeln. Aber wenn man mal meine Füße filmen würde, dann würde man sehen, dass ich die ganze Zeit mitspiele.

DFB.de: Dann regen Sie sich auch auf, wenn Schiedsrichter daneben liegen. Bei der WM ist das einige Male vorgekommen. Wird die FIFA sich wie angekündigt tatsächlich bewegen und technische Hilfsmittel zulassen?

Blatter: Die große Baustelle im Fußball – das habe ich aber auch bereits im Vorfeld gesagt – ist das Schiedsrichterwesen. Ende Oktober, Anfang November werden wir mit einem Konzept für Top-Schiedsrichter erscheinen. Es wird eine Verjüngung geben. Die WM soll nicht dafür da sein, dass jemand jenseits der 40 noch schnell einen Einsatz bekommen muss. Außerdem bin ich für den Profi-Schiedsrichter, auch wenn ich weiß, dass es dazu andere Meinungen gibt. Bei den technischen Hilfsmitteln ist es etwas komplizierter. Jedes System muss sorgfältig auf seine Umsetzbarkeit geprüft werden.

DFB.de: Nach der WM ist vor der WM. Im nächsten Jahr steht das Frauen-Turnier an. Was erwarten Sie sich davon?

Blatter: Ich freue mich, dass es in Deutschland stattfindet. Es ist für den Stellenwert des Frauenfußballs sehr wichtig, dass diese WM in einem großen, europäischen Land gespielt wird. 1995 in Schweden hat das noch nicht gegriffen, aber mittlerweile ist viel passiert. Es spielen heute sehr viele Frauen Fußball, jetzt können und müssen sie allen zeigen, wie gut sie spielen. Ich bin schon jetzt sicher, dass es ein großer Erfolg werden wird.

DFB.de: Spielt Deutschland für Sie eine Vorreiterrolle in Sachen Frauenfußball?

Blatter: Ganz sicher. Sportlich sind die deutschen Frauen ja immer führend. Theo Zwanziger ist sehr engagiert, diesen Bereich voranzutreiben. Und Franz Beckenbauer unterstützt die Maßnahmen auch. Wenn ich sehe, dass von Angela Merkel bis zu Maria Furtwängler Frauen aus allen Bereichen der Gesellschaft Botschafterinnen für die WM sind, bin ich sehr beeindruckt.

DFB.de: Generalprobe war die U 20-WM. Hat Sie die hohe Resonanz überrascht?

Blatter: Mehr als 20.000 Zuschauer bei einem Spiel, das sind hervorragende Zahlen. Es zeigt die Begeisterung und die Chancen. Das lang fristige Ziel muss sein, dass die Frauen in allen Kulturen spielen können. Gerade in der islamischen Welt gibt es noch Fragezeichen. Der Fußball kann viel zu mehr Toleranz beitragen, das haben wir auch in Südafrika gesehen.

DFB.de: Haben Sie darüber auch mit Nelson Mandela gesprochen?

Blatter: Ich bin extra einen Tag länger geblieben, damit ich ihn nochmals sehen kann. Er ist 92 Jahre alt und hat in seinem bewegten Leben so viel durchmachen müssen. Die WM war für ihn etwas Großartiges. Als ich ihn im Stadion verabschiedet habe, hat er meine Hand genommen und gesagt: „Sepp, it was good.“

DFB.de: Dann könnten Sie eigentlich beruhigt in Urlaub gehen.

Blatter: Ich bin nicht der Typ, der 14 Tage irgendwo hinfahren und sich in die Sonne legen kann. Ich gehe ein Wochenende nach Hinterzarten, dort habe ich viele Freunde aus dem Wintersport. Oder ich fahre ins Wallis, in meine Heimat. Ich lebe alleine, meine Geliebte ist die FIFA. Geliebte darf ich sagen, nicht Familie. Das hat mir meine Tochter verboten.

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Sonne, Strand, Ausspannen nach der Anspannung der WM - nichts für Sepp Blatter. „Ich dekomprimiere, so nennt man das doch bei Sportlern“, sagt der Präsident des Fußball-Weltverbandes (FIFA) mit einem Lachen. Langsam runterfahren, ein paar Tage ins Wallis, dann wieder ins Büro.

Der 74-Jährige sitzt in einem der braunen Ledersessel der Präsidenten-Lounge. In den Vitrinen Orden, an der Wand Urkunden und an seinem Revers eine goldene FIFA-Nadel. Blatter lehnt sich zurück und muss nicht lange überlegen, als er gefragt wird, wie es ihm ein paar Wochen nach der WM geht. „Sehr gut, es ist doch wunderbar gelaufen“, sagt er.

DFB-Chefredakteur Ralf Köttker hat den FIFA-Präsidenten in der Züricher Verbandszentrale besucht - das große DFB.de-Exklusivinterview.

DFB.de: Herr Blatter, um uns herum stehen unzählige Auszeichnungen, Orden und Erinnerungen aus anderen Ländern in den Vitrinen. Was haben Sie sich eigentlich aus Südafrika mitgebracht?

Sepp Blatter: Ich kann Sie beruhigen, auf jeden Fall keine Vuvuzela. Was habe ich mir mitgebracht? Ich habe eine Statue und ein paar andere Erinnerungsstücke bekommen, aber ich hatte noch keine Zeit, sie mir genauer anzuschauen. Viel wichtiger ist ohnehin, was ich darüber hinaus aus Südafrika mitgenommen habe: Dass dort mit dieser WM etwas geschafft wurde, was viele nicht für möglich gehalten hätten.

DFB.de: Das klingt ein bisschen nach Genugtuung?

Blatter: Ja, es ist schon eine Mischung aus großer Freude und Genugtuung. Natürlich war der Druck vorher groß, auch für mich. Der Aufschrei wäre groß gewesen, wenn es Probleme gegeben hätte. Wenn man jetzt bedenkt, dass Hunderttausende von Menschen nach Südafrika gekommen sind, sich dort mit anderen zusammengefunden haben und in Städten wie Kapstadt, Durban oder Port Elizabeth friedlich miteinander gefeiert haben, ist das etwas Fantastisches. Es gab kaum gewalttätige Zwischenfälle, es gab im Transportbereich trotz all der logistischen Herausforderungen keine größeren Unfälle.

DFB.de: Im Nachhinein können Sie es ja sagen: Hatten Sie damit gerechnet?

Blatter: Was die Sicherheit angeht, hatte ich keine Bedenken. Ich wusste, dass Südafrika alles dafür Nötige unternehmen wird. Aber dass sich die Fans so gut verhalten, dass sie so friedlich miteinander umgehen, war schwer vorhersehbar. Das zu sehen, war sehr emotional.

DFB.de: Stichwort Emotionen: Was war für Sie der bewegendste Moment bei der WM?

Blatter: Es gibt zwei. Kurz vor dem Anpfiff des Finales wurde Nelson Mandela ins Stadion gefahren, ich durfte ihn am Spielfeldrand in Empfang nehmen und begrüßen, umarmen. Dann gab es etwa eine Stunde nach dem Schlusspfiff des Finales einen weiteren Moment. Es waren noch Tausende Zuschauer im Stadion, die nicht gehen wollten, die zusammen feierten und den Moment genossen. Niemand wollte gehen, sie wollten nicht, dass es schon zu Ende ist. Ich habe von der Loge ins Stadion geschaut und diese Menschen gesehen. Ich stand dort allein. Und als mir einige Leute gratulieren wollten, sagte jemand hinter mir: Lasst ihn einen Moment alleine. Es war ein besonderer Moment.

DFB.de: Das passt so gar nicht zum Bild, die FIFA würde immer nur an den Kommerz denken.

Blatter: Natürlich spielt auch das Marketing bei uns eine wichtige Rolle. Aber dabei wird häufig vergessen zu erwähnen, was wir für den Fußball und die Menschen tun. Wir kümmern uns mit unseren Projekten um die Bildung, Erziehung und Gesundheit. Mit der Bewegung „Football for Hope“ setzen wir uns beispielsweise gegen Armut und Analphabetismus ein. Fußball ist nicht nur Geschäft, er ist Teil der Gesellschaft. Und wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst.

DFB.de: Glauben Sie wirklich, dass das Turnier für Südafrika nachhaltig etwas bewirken kann?

Blatter: Wirtschaftlich ist schon etwas erreicht. Der Staatschef hat mitgeteilt, dass ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts von 0,5 Prozent erwartet wird. Es ist zumindest ein Anstoß, jetzt muss Südafrika aber selbst etwas machen. Vielleicht ist es noch wichtiger als das Wirtschaftliche, was die WM emotional für den gesamten afrikanischen Kontinent bedeutet. Man hat Vertrauen gefasst. Man hat sich und der Welt gezeigt, etwas schaffen zu können.

DFB.de: Zurück zum Spiel: Wie fällt Ihre sportliche Bilanz aus? Ist die richtige Mannschaft Weltmeister geworden? Sie können sich jetzt in Deutschland beliebt machen und mit einem klaren Nein antworten.

Blatter: Ich sage es mal so: Es ist die Mannschaft Weltmeister geworden, die von Anfang bis Ende das gepflegte Spiel gezeigt hat. Und es ist eine Mannschaft Weltmeister geworden, die zu den drei jüngsten gehörte. Die jüngste war Ghana, die fast in das Halbfinale gekommen wäre. Und die zweitjüngste Deutschland. Eine Mannschaft, die mich sehr überrascht hat.

DFB.de: Was hat Sie überrascht?

Blatter: Dass sie so offensiv gespielt hat. Wenn ich zum Beispiel an das Spiel um Platz drei denke, das war wirklich klasse. Es ging hin und her, immer nach vorne.

DFB.de: Hatten Sie das vor Turnierbeginn nicht so erwartet?

Blatter: Ich habe früher deutsche Mannschaften auch schon anders spielen sehen. Sie haben sich sehr elegant auf dem Platz bewegt. Deutschland war wirklich eine Bereicherung der Weltmeisterschaft. Und die jungen Spieler haben viel Talent.

DFB.de:Wie bewerten Sie die Leistung des WM-Torschützenkönigs Thomas Müller?

Blatter: Er ist ein unbekümmerter junger Mann, der aus einem kleinen Dorf kommt. Er hat den richtigen Instinkt. Aber ein anderer, der über sich hinausgewachsen ist, war der Bayer.

DFB.de: Wer?

Blatter: Der Schweinsteiger. Als ich ihm nach dem Spiel gegen Uruguay gratuliert habe, hat er mich umarmt. Da habe ich zu ihm gesagt: Bravo, Bayer. Ich glaube die Mannschaft musste durch das bedauerliche Fehlen ihres Spielmachers Michael Ballack über sich hinauswachsen.

DFB.de: Können Sie dem Bayer 2014 in Brasilien zum Titel gratulieren?

Blatter: Das wird man sehen, die anderen schlafen auch nicht. Wir haben bei der WM eine Auswertung gemacht, aus der hervorging, dass Brasilien nur einen Spieler unter 23 hatte. Der Verbandspräsident hat sofort gesagt, dann müssen wir jetzt neu anfangen und beim Nachwuchs ansetzen. Die Zukunft gehört der Jugend, das hat das Turnier gezeigt.

DFB.de: Das Turnier hat auch gezeigt, dass das Interesse enorm groß ist. In Deutschland gab es Rekordquoten. Und in Südafrika waren die Stadien gut besucht.

Blatter: Mit Ausnahme von zwei Spielen. Verkauft war am Ende alles. Leer blieben die Hospitality- Kontingente, die bei diesem Turnier sicher kein gutes Geschäft waren.

DFB.de: Braucht der FIFA-Präsident eigentlich auch eine All-Area-Karte?

Blatter: Nein, die brauche ich nicht.

DFB.de: Sie kommen überall hin, sitzen aber dafür nie in der Fankurve. Fehlt Ihnen das manchmal?

Blatter: Im Wallis schaue ich mir manchmal Spiele an, dabei stehen wir am Spielfeldrand. Natürlich kann ich im VIP-Bereich nicht so ausgelassen jubeln. Aber wenn man mal meine Füße filmen würde, dann würde man sehen, dass ich die ganze Zeit mitspiele.

DFB.de: Dann regen Sie sich auch auf, wenn Schiedsrichter daneben liegen. Bei der WM ist das einige Male vorgekommen. Wird die FIFA sich wie angekündigt tatsächlich bewegen und technische Hilfsmittel zulassen?

Blatter: Die große Baustelle im Fußball – das habe ich aber auch bereits im Vorfeld gesagt – ist das Schiedsrichterwesen. Ende Oktober, Anfang November werden wir mit einem Konzept für Top-Schiedsrichter erscheinen. Es wird eine Verjüngung geben. Die WM soll nicht dafür da sein, dass jemand jenseits der 40 noch schnell einen Einsatz bekommen muss. Außerdem bin ich für den Profi-Schiedsrichter, auch wenn ich weiß, dass es dazu andere Meinungen gibt. Bei den technischen Hilfsmitteln ist es etwas komplizierter. Jedes System muss sorgfältig auf seine Umsetzbarkeit geprüft werden.

DFB.de: Nach der WM ist vor der WM. Im nächsten Jahr steht das Frauen-Turnier an. Was erwarten Sie sich davon?

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Blatter: Ich freue mich, dass es in Deutschland stattfindet. Es ist für den Stellenwert des Frauenfußballs sehr wichtig, dass diese WM in einem großen, europäischen Land gespielt wird. 1995 in Schweden hat das noch nicht gegriffen, aber mittlerweile ist viel passiert. Es spielen heute sehr viele Frauen Fußball, jetzt können und müssen sie allen zeigen, wie gut sie spielen. Ich bin schon jetzt sicher, dass es ein großer Erfolg werden wird.

DFB.de: Spielt Deutschland für Sie eine Vorreiterrolle in Sachen Frauenfußball?

Blatter: Ganz sicher. Sportlich sind die deutschen Frauen ja immer führend. Theo Zwanziger ist sehr engagiert, diesen Bereich voranzutreiben. Und Franz Beckenbauer unterstützt die Maßnahmen auch. Wenn ich sehe, dass von Angela Merkel bis zu Maria Furtwängler Frauen aus allen Bereichen der Gesellschaft Botschafterinnen für die WM sind, bin ich sehr beeindruckt.

DFB.de: Generalprobe war die U 20-WM. Hat Sie die hohe Resonanz überrascht?

Blatter: Mehr als 20.000 Zuschauer bei einem Spiel, das sind hervorragende Zahlen. Es zeigt die Begeisterung und die Chancen. Das lang fristige Ziel muss sein, dass die Frauen in allen Kulturen spielen können. Gerade in der islamischen Welt gibt es noch Fragezeichen. Der Fußball kann viel zu mehr Toleranz beitragen, das haben wir auch in Südafrika gesehen.

DFB.de: Haben Sie darüber auch mit Nelson Mandela gesprochen?

Blatter: Ich bin extra einen Tag länger geblieben, damit ich ihn nochmals sehen kann. Er ist 92 Jahre alt und hat in seinem bewegten Leben so viel durchmachen müssen. Die WM war für ihn etwas Großartiges. Als ich ihn im Stadion verabschiedet habe, hat er meine Hand genommen und gesagt: „Sepp, it was good.“

DFB.de: Dann könnten Sie eigentlich beruhigt in Urlaub gehen.

Blatter: Ich bin nicht der Typ, der 14 Tage irgendwo hinfahren und sich in die Sonne legen kann. Ich gehe ein Wochenende nach Hinterzarten, dort habe ich viele Freunde aus dem Wintersport. Oder ich fahre ins Wallis, in meine Heimat. Ich lebe alleine, meine Geliebte ist die FIFA. Geliebte darf ich sagen, nicht Familie. Das hat mir meine Tochter verboten.