Bierhoffs WM-Blog: "Verletzungen? Die Realität ist nicht so düster"

Der Countdown läuft für die Weltmeisterschaft in Brasilien - und damit auch für die deutsche WM-Mission. Sportlich und organisatorisch. Genau an der Schnittstelle wirkt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Jede Woche berichtet der 45-Jährige darüber, exklusiv für die User von DFB.de. Bierhoffs WM-Blog - heute über Verletzungsprobleme, die Rekord-Bayern und die "Nations League".

Liebe Fans der Nationalmannschaft,

wie sehr sich die Menschen in Deutschland mit der Nationalmannschaft befassen, ist für mich immer wieder faszinierend. In diesen Tagen drückt sich dies in den Sorgen aus, die auch an mich herangetragen werden. Die Menschen nehmen Anteil, sie fiebern und leiden mit, auch wenn wir gar nicht spielen.

Immer wieder lese ich von neuen Hiobsbotschaften, zuletzt war es die neuerliche Verletzung von Mario Gomez. Ich will an dieser Stelle kein falsches Bild zeichnen, aber die Realität ist nicht so düster, wie sie von einigen dargestellt wird. Mit Mario habe ich mich in München getroffen, er ist guter Dinge, es sieht nicht nach einer langwierigen Verletzung aus. Um das klar zu sagen: Seine Teilnahme an der WM ist nicht gefährdet, es spricht nichts dagegen, dass er topfit und in Topform zur WM fährt. Auch bei Mesut Özil kann ich diese Prognose mit gutem Gewissen treffen. Er arbeitet akribisch an seiner Rückkehr und macht jeden Tag Fortschritte. Wir stehen in ständigen Kontakt, aus vielen Gesprächen weiß ich, wie optimistisch er ist. Auch hier gilt: Grünes Licht für Brasilien!

So weit würde ich bei Sami Khedira noch nicht gehen. Aber auch bei ihm wächst mein Optimismus. Ganz einfach, weil Sami ein außergewöhnlich professioneller Fußballer ist. Ich habe ihn damals nach seinem Kreuzbandriss im Spiel gegen Italien ins Krankenhaus in Mailand begleitet. Es war beeindruckend, zu erleben, wie er nur wenige Stunden nach dem Schock mit der Verletzung umgegangen ist. Sami hat nicht lamentiert, nicht gehadert. Er hat den Blick gehoben und sofort einen Plan erstellt, der in seiner Rückkehr noch vor der WM in Brasilien münden soll. Und bisher ist alles genau so verlaufen, wie Sami dies gemeinsam mit den Ärzten vorbestimmt hat. Geht es so weiter, wird wahr, was viele für ausgeschlossen gehalten haben: Dann wird Sami die WM in Brasilien als Spieler der deutschen Nationalmannschaft erleben.

Wenn ich über unser Team und unsere Spieler schreibe, dann will ich auch an dieser Stelle nicht vergessen, noch mal dem gesamten FC Bayern und allen Spielern ganz herzlich zur Deutschen Meisterschaft zu gratulieren. Insbesondere natürlich den deutschen Nationalspielern. Manuel, Philipp, Jerome, Toni, Bastian, Thomas und Mario: Ihr habt mit der frühesten Meisterschaft in der Historie wieder einen Meilenstein gesetzt. Eure Leistungen sind beeindruckend - und beeindruckend konstant. Euer Hunger ist mit den Erfolgen noch größer geworden, genau das macht große Spieler aus.

Eine vergleichbare Dominanz der Bayern über mehrere Saisons hinweg wäre für die Liga bedenklich, für die Nationalmannschaft stellt sie kein Problem dar. Für uns ist letztendlich die Qualität unserer Spieler entscheidend, nicht die Spannung um die Meisterschaft. Die Bundesliga muss sich im internationalen Vergleich nicht verstecken. Ich wage die Behauptung, dass die Bayern momentan auf einem Niveau Fußball spielen, mit dem sie auch alle anderen Ligen dominieren würden.

Außerdem betrachte ich es als Vorteil, dass wir nicht nur in München viele deutsche Nationalspieler in einem Verein haben. Auch für Dortmund, Schalke und Arsenal ist mehr als ein Akteur aus dem Kader von Joachim Löw aktiv. Das erleichtert viele Dinge, auch auf dem Platz, die Automatismen etwa und generell das Verständnis für- und untereinander.

Nach dem die Meisterschaft entschieden ist, blickt Fußball-Deutschland in der kommenden Woche auf die Champions League. Zwei deutsche Teams sind noch vertreten, und ich traue auch den Dortmundern zu, erneut das Halbfinale zu erreichen. In einer nicht einfachen Saison haben sie punktuell immer wieder gezeigt, dass sie eine europäische Spitzenmannschaft sind, die sich auch vor Real nicht verstecken muss. Für den BVB wird dieses Duell eine Herausforderung, aber auch eine große Chance. Ich bin sehr gespannt, wie die Dortmunder Spieler agieren werden.

Gespannt bin ich auch, wie sich die “Nations League“ entwickeln wird. Am Donnerstag hat die UEFA eine kleine Revolution für die Freundschaftsspiele unter ihrer Hoheit ab dem Jahr 2018 beschlossen. Im Detail wird am Format noch gefeilt, klar ist schon jetzt, dass es Auf- und Absteiger geben wird, eine richtige Liga halt - in modifizierter Form. Für die “kleineren“ Nationalverbände bietet sich über die "Nations League" zudem eine weitere Chance, sich für die EURO 2020 zu qualifizieren.

Nicht alle sind von dieser Neuerung restlos überzeugt, auch ich hege gewisse Vorbehalte. Wobei ich zwei Gedanken gegen alle Kritik nennen will: Ich erinnere mich noch gut daran, wie groß die Skepsis war, als vor 22 Jahren die Champions League eingeführt wurde. Viele Nostalgiker trauerten dem Europapokal der Landesmeister nach, dem Format Champions League wurde die Zukunftsfähigkeit abgesprochen. In der Anfangsphase war es so, dass viele abfällig mit den Augen gerollt haben, wenn die Hymne der Champions League gespielt wurde. Und heute? Bekommen alle Gänsehaut. Die Champions League hat sich als Marke etabliert, sie steht für die höchste Qualität im europäischen Fußball; damit im Weltfußball. Auf Klubebene. Und eigentlich spricht nicht viel dagegen, dass die "Nations League" eine ähnliche Entwicklung nehmen kann. Wir tragen dafür eine Mitverantwortung. Es liegt an uns, diesen Wettbewerb als hochwertig zu begreifen, jeweils mit der besten Mannschaft anzutreten und die Spieler und die Fans für dieses Format zu begeistern.

Außerdem: Bei vielen Dingen innerhalb Deutschland wird viel von Solidarität und davon gesprochen, wie wichtig es für den Fußball ist, dass die "Großen" den "Kleinen" deren Teil vom Kuchen gönnen. Ich sehe keinen Grund, warum dieser Gedanken nicht auch innerhalb der Nationalverbände der UEFA gelten sollte. Ähnlich ist es auch bei der von vielen kritisierten Ausweitung der EM auf 24 Teams. Die Qualifikation werde langweilig und sei ohne sportlichen Wert, das höre ich immer wieder. Wenn wir ehrlich sind: Für uns ändert sich nicht viel.

Ohne arrogant zu sein - unser Anspruch muss immer sein, dass wir aus einer Qualifikationsgruppe als Sieger hervorgehen. Deswegen ist die Verwässerung des Wettbewerbs aus unserer Sicht eher theoretisch. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass wir die Qualifikation in den meisten Fällen souverän als Gruppenerster beendet haben, Spannung bis zum letzten Spieltag hat es lange nicht gegeben. Wenn es für die Nationalmannschaft sportlich weiter so läuft, wie wir alle uns das vorstellen, dann wird sich daran auch in Zukunft nichts ändern. Und das ist ja eine gute Sache.

Herzlichst
Oliver Bierhoff

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Der Countdown läuft für die Weltmeisterschaft in Brasilien - und damit auch für die deutsche WM-Mission. Sportlich und organisatorisch. Genau an der Schnittstelle wirkt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Jede Woche berichtet der 45-Jährige darüber, exklusiv für die User von DFB.de. Bierhoffs WM-Blog - heute über Verletzungsprobleme, die Rekord-Bayern und die "Nations League".

Liebe Fans der Nationalmannschaft,

wie sehr sich die Menschen in Deutschland mit der Nationalmannschaft befassen, ist für mich immer wieder faszinierend. In diesen Tagen drückt sich dies in den Sorgen aus, die auch an mich herangetragen werden. Die Menschen nehmen Anteil, sie fiebern und leiden mit, auch wenn wir gar nicht spielen.

Immer wieder lese ich von neuen Hiobsbotschaften, zuletzt war es die neuerliche Verletzung von Mario Gomez. Ich will an dieser Stelle kein falsches Bild zeichnen, aber die Realität ist nicht so düster, wie sie von einigen dargestellt wird. Mit Mario habe ich mich in München getroffen, er ist guter Dinge, es sieht nicht nach einer langwierigen Verletzung aus. Um das klar zu sagen: Seine Teilnahme an der WM ist nicht gefährdet, es spricht nichts dagegen, dass er topfit und in Topform zur WM fährt. Auch bei Mesut Özil kann ich diese Prognose mit gutem Gewissen treffen. Er arbeitet akribisch an seiner Rückkehr und macht jeden Tag Fortschritte. Wir stehen in ständigen Kontakt, aus vielen Gesprächen weiß ich, wie optimistisch er ist. Auch hier gilt: Grünes Licht für Brasilien!

So weit würde ich bei Sami Khedira noch nicht gehen. Aber auch bei ihm wächst mein Optimismus. Ganz einfach, weil Sami ein außergewöhnlich professioneller Fußballer ist. Ich habe ihn damals nach seinem Kreuzbandriss im Spiel gegen Italien ins Krankenhaus in Mailand begleitet. Es war beeindruckend, zu erleben, wie er nur wenige Stunden nach dem Schock mit der Verletzung umgegangen ist. Sami hat nicht lamentiert, nicht gehadert. Er hat den Blick gehoben und sofort einen Plan erstellt, der in seiner Rückkehr noch vor der WM in Brasilien münden soll. Und bisher ist alles genau so verlaufen, wie Sami dies gemeinsam mit den Ärzten vorbestimmt hat. Geht es so weiter, wird wahr, was viele für ausgeschlossen gehalten haben: Dann wird Sami die WM in Brasilien als Spieler der deutschen Nationalmannschaft erleben.

Wenn ich über unser Team und unsere Spieler schreibe, dann will ich auch an dieser Stelle nicht vergessen, noch mal dem gesamten FC Bayern und allen Spielern ganz herzlich zur Deutschen Meisterschaft zu gratulieren. Insbesondere natürlich den deutschen Nationalspielern. Manuel, Philipp, Jerome, Toni, Bastian, Thomas und Mario: Ihr habt mit der frühesten Meisterschaft in der Historie wieder einen Meilenstein gesetzt. Eure Leistungen sind beeindruckend - und beeindruckend konstant. Euer Hunger ist mit den Erfolgen noch größer geworden, genau das macht große Spieler aus.

Eine vergleichbare Dominanz der Bayern über mehrere Saisons hinweg wäre für die Liga bedenklich, für die Nationalmannschaft stellt sie kein Problem dar. Für uns ist letztendlich die Qualität unserer Spieler entscheidend, nicht die Spannung um die Meisterschaft. Die Bundesliga muss sich im internationalen Vergleich nicht verstecken. Ich wage die Behauptung, dass die Bayern momentan auf einem Niveau Fußball spielen, mit dem sie auch alle anderen Ligen dominieren würden.

Außerdem betrachte ich es als Vorteil, dass wir nicht nur in München viele deutsche Nationalspieler in einem Verein haben. Auch für Dortmund, Schalke und Arsenal ist mehr als ein Akteur aus dem Kader von Joachim Löw aktiv. Das erleichtert viele Dinge, auch auf dem Platz, die Automatismen etwa und generell das Verständnis für- und untereinander.

Nach dem die Meisterschaft entschieden ist, blickt Fußball-Deutschland in der kommenden Woche auf die Champions League. Zwei deutsche Teams sind noch vertreten, und ich traue auch den Dortmundern zu, erneut das Halbfinale zu erreichen. In einer nicht einfachen Saison haben sie punktuell immer wieder gezeigt, dass sie eine europäische Spitzenmannschaft sind, die sich auch vor Real nicht verstecken muss. Für den BVB wird dieses Duell eine Herausforderung, aber auch eine große Chance. Ich bin sehr gespannt, wie die Dortmunder Spieler agieren werden.

Gespannt bin ich auch, wie sich die “Nations League“ entwickeln wird. Am Donnerstag hat die UEFA eine kleine Revolution für die Freundschaftsspiele unter ihrer Hoheit ab dem Jahr 2018 beschlossen. Im Detail wird am Format noch gefeilt, klar ist schon jetzt, dass es Auf- und Absteiger geben wird, eine richtige Liga halt - in modifizierter Form. Für die “kleineren“ Nationalverbände bietet sich über die "Nations League" zudem eine weitere Chance, sich für die EURO 2020 zu qualifizieren.

Nicht alle sind von dieser Neuerung restlos überzeugt, auch ich hege gewisse Vorbehalte. Wobei ich zwei Gedanken gegen alle Kritik nennen will: Ich erinnere mich noch gut daran, wie groß die Skepsis war, als vor 22 Jahren die Champions League eingeführt wurde. Viele Nostalgiker trauerten dem Europapokal der Landesmeister nach, dem Format Champions League wurde die Zukunftsfähigkeit abgesprochen. In der Anfangsphase war es so, dass viele abfällig mit den Augen gerollt haben, wenn die Hymne der Champions League gespielt wurde. Und heute? Bekommen alle Gänsehaut. Die Champions League hat sich als Marke etabliert, sie steht für die höchste Qualität im europäischen Fußball; damit im Weltfußball. Auf Klubebene. Und eigentlich spricht nicht viel dagegen, dass die "Nations League" eine ähnliche Entwicklung nehmen kann. Wir tragen dafür eine Mitverantwortung. Es liegt an uns, diesen Wettbewerb als hochwertig zu begreifen, jeweils mit der besten Mannschaft anzutreten und die Spieler und die Fans für dieses Format zu begeistern.

Außerdem: Bei vielen Dingen innerhalb Deutschland wird viel von Solidarität und davon gesprochen, wie wichtig es für den Fußball ist, dass die "Großen" den "Kleinen" deren Teil vom Kuchen gönnen. Ich sehe keinen Grund, warum dieser Gedanken nicht auch innerhalb der Nationalverbände der UEFA gelten sollte. Ähnlich ist es auch bei der von vielen kritisierten Ausweitung der EM auf 24 Teams. Die Qualifikation werde langweilig und sei ohne sportlichen Wert, das höre ich immer wieder. Wenn wir ehrlich sind: Für uns ändert sich nicht viel.

Ohne arrogant zu sein - unser Anspruch muss immer sein, dass wir aus einer Qualifikationsgruppe als Sieger hervorgehen. Deswegen ist die Verwässerung des Wettbewerbs aus unserer Sicht eher theoretisch. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass wir die Qualifikation in den meisten Fällen souverän als Gruppenerster beendet haben, Spannung bis zum letzten Spieltag hat es lange nicht gegeben. Wenn es für die Nationalmannschaft sportlich weiter so läuft, wie wir alle uns das vorstellen, dann wird sich daran auch in Zukunft nichts ändern. Und das ist ja eine gute Sache.

Herzlichst
Oliver Bierhoff