Bierhoff: "Das geht weit über den Fußball hinaus"

DFB.de: Sie selbst haben lange im Ausland gelebt. Anfang der 90er-Jahre spielten Sie in der italienischen Serie B für Ascoli Calcio, später wechselten Sie zu Udinese und zum AC Mailand, mit dem Sie 1999 italienischer Meister wurden. Wie war damals der Neuanfang in Italien?

Bierhoff: Ich bin von den Italienern sehr herzlich aufgenommen worden, habe aber selber durch das Erlernen der Sprache viel dazu beigetragen. Es ist immer ein Aufeinanderzugehen von beiden Seiten.

DFB.de: Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich in Italien wirklich heimisch fühlten?

Bierhoff: Das ging relativ schnell. Nach sechs Monaten war Italien meine zweite Heimat.

DFB.de: Mussten Sie sich damals anpassen, also Ihre Persönlichkeit oder Ihr Verhalten verändern?

Bierhoff: Natürlich muss man sich dem Land und den Menschen anpassen. Jedoch bedeutet dies nicht, dass sich die Persönlichkeit verändert. Ich habe aber viel in Italien gelernt.

DFB.de: Was haben Sie aus Italien mit nach Deutschland genommen?

Bierhoff: Leider die Unpünktlichkeit. Ansonsten die Flexibilität und Lockerheit, plötzlich auftretende Probleme zu lösen. Ebenso sicherlich das gute Essen.



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Der DFB- und Mercedes-Benz-Integrationspreis gehört hierzulande zu den höchst dotierten Sozialauszeichnungen. Nationalteammanager Oliver Bierhoff ist Schirmherr des Preises, der am 28. März, einen Tag vor dem Länderspiel gegen Australien, bereits zum vierten Mal verliehen wird.

Im DFB.de-Interview mit Onlineredakteur Thomas Hackbarth spricht der 42-jährige Europameister, der seit 2004 die Geschäfte der Nationalmannschaft leitet, darüber, was die Nationalmannschaft und die Klubs an der Basis für die Integration leisten.

DFB.de: Integration ist für manche ein Reizthema. Herr Bierhoff, warum engagieren Sie sich gerade für dieses Anliegen beim Deutschen Fußball-Bund?

Oliver Bierhoff: Weil es ein ganz wichtiges Thema ist und unsere Zukunft betrifft. Als DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger mich vor rund vier Jahren fragte, ob ich die Schirmherrschaft für den Integrationspreis übernehme, habe ich sofort "Ja" gesagt. Heute bin ich noch überzeugter als damals. Der Fußball, in der Spitze wie in der Breite, spielt eine Schlüsselrolle bei der Integration. Seit 2007 haben nahezu 1000 Fußballvereine, Schulen und andere Projekte ihre Unterlagen für den Preis abgegeben - das mitzuerleben, war auch für mich äußerst lehrreich. Daneben ist es ein starkes Zeichen, dass der DFB diesen immerhin mit 150.000 Euro dotierten Preis gemeinsam mit seinem Generalsponsor Mercedes-Benz verleiht.

DFB.de: Die Preisgala findet am 28. März einen Tag vor dem Australien-Länderspiel statt. Werden Sie Zeit finden, die Verleihung im Düsseldorfer Meilenwerk zu besuchen?

Bierhoff: Die Zeit nehme ich mir. Für mich persönlich ist es immer ein schönes Erlebnis gewesen, die Menschen hinter den Projekten kennenzulernen. Und gerade in den Fußballvereinen geschieht unglaublich viel dafür, den respektvollen Umgang miteinander zu fördern.

DFB.de: Was leistet denn der Breitenfußball für die Integration?

Bierhoff: Bei den Amateurklubs in Deutschland ist das Miteinander von Deutschen, Ausländern und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gelebter Vereinsalltag. Unsere Fußballklubs organisieren Sprachkurse, schulische Nachhilfe und Bewerbungstrainings. Unser Vorjahrssieger BV Altenessen ist dafür ein gutes Beispiel. Dort hat man den Dialog mit den türkischstämmigen Bürgern im eigenen Stadtteil geführt. Die Altenessener haben dann etwa Schamwände in Duschräumen aufgestellt - eine kleine Maßnahme, aber so etwas kann sehr viel bewirken. Der BV Altenessen hat dadurch seine Mitgliederzahl mehr als verdoppelt.

DFB.de: Was schließen Sie daraus?

Bierhoff: Vielleicht besser als andere Institutionen, kann der Fußball Werte des Fairplay vermitteln. Die Spvgg. Kaufbeuren, einer der Nominierten in diesem Jahr, schult ihre Jugendlichen im Umgang mit Facebook, nachdem man beobachtet hatte, dass sich Mit- und Gegenspieler hier schmähen und beschimpfen. Anpacken statt Passivität, Handeln statt Ignorieren, das ist das Motto. Unsere Vereine leisten hier etwas, das weit über den Fußball hinaus geht.

DFB.de: Welche Preise werden Sie als Schirmherr in Düsseldorf überreichen?

Bierhoff: Wir verleihen drei erste Preise in den Kategorien Verein, Schule und Sonderrpreis. Die drei Sieger bekommen jeweils einen nagelneuen Mercedes-Benz-Transporter Typ Vito. Der zweite Preis in jeder Kategorie ist mit 10.000 Euro dotiert, der dritte Preis mit je 5000 Euro. Erstmals verschenken wir an die nicht-prämierten Bewerber vier Freikarten für ein Länderspiel. Wenn es klappt, wird auch DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach die Verleihung besuchen können. Ein weiteres Zeichen dafür, wie wichtig dem DFB und seinem Partner Mercedes-Benz dieses Thema ist.

DFB.de: Gerade während der Wochen in Südafrika wurde die Nationalmannschaft als Vorbild für eine gelungene Integration gefeiert. Wie klappt das Miteinander im Team - und warum klappt es so gut?

Bierhoff: Im Lauf der vergangenen Jahre ist es uns gelungen, bei der Nationalmannschaft eine Atmosphäre aufzubauen, die von Respekt und Professionalität geprägt wird. Dass uns dies fortdauernd gelingt, hängt an den Spielern, an ihrem guten Charakter, den man gar nicht genug loben kann. Auch wenn sie im Ausland geboren wurden, mehrsprachig aufwuchsen oder verschiedenen Religionen angehören - alle unsere Spieler identifizieren sich mit Deutschland.

DFB.de: Aber nicht alle singen vor dem Spiel die Nationalhymne.

Bierhoff: Dies ist ein oft kritisierter Punkt. Das Mitsingen überlassen wir jedem Spieler selbst. Das alleine zeigt ja nicht die Identifikation mit Deutschland. Übrigens hat bis zur WM 2006 kaum jemand im Stadion mitgesungen.

DFB.de: Sie selbst haben lange im Ausland gelebt. Anfang der 90er-Jahre spielten Sie in der italienischen Serie B für Ascoli Calcio, später wechselten Sie zu Udinese und zum AC Mailand, mit dem Sie 1999 italienischer Meister wurden. Wie war damals der Neuanfang in Italien?

Bierhoff: Ich bin von den Italienern sehr herzlich aufgenommen worden, habe aber selber durch das Erlernen der Sprache viel dazu beigetragen. Es ist immer ein Aufeinanderzugehen von beiden Seiten.

DFB.de: Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich in Italien wirklich heimisch fühlten?

Bierhoff: Das ging relativ schnell. Nach sechs Monaten war Italien meine zweite Heimat.

DFB.de: Mussten Sie sich damals anpassen, also Ihre Persönlichkeit oder Ihr Verhalten verändern?

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Bierhoff: Natürlich muss man sich dem Land und den Menschen anpassen. Jedoch bedeutet dies nicht, dass sich die Persönlichkeit verändert. Ich habe aber viel in Italien gelernt.

DFB.de: Was haben Sie aus Italien mit nach Deutschland genommen?

Bierhoff: Leider die Unpünktlichkeit. Ansonsten die Flexibilität und Lockerheit, plötzlich auftretende Probleme zu lösen. Ebenso sicherlich das gute Essen.

DFB.de: Einmal im Jahr einen Integrationspreis zu verleihen, reicht das aus?

Bierhoff: Mit dem DFB- und Mercedes-Benz-Integrationspreis leisten wir eine Menge. Rund drei Mitarbeiter sind mit der Vor- und Nachbereitung des Preises beschäftigt. Doch der DFB setzt sich auch darüber hinaus ein. Die Nationalspieler Cacau und Serdar Tasci engagieren sich als Integrationsbotschafter. Im Frühjahr 2009 haben wir auf 650 Mini-Spielfeldern in ganz Deutschland einen Aktionstag zur Integration veranstaltet, wobei alleine schon der Bau der 1000 Mini-Spielfelder eine enorme nachhaltige und integrative Wirkung hat. Mit dem DFB-Mobil haben wir rund 60.000 Trainer über das Thema Integration informiert. Jeder Landesverband hat heute einen Integrationsbeauftragten. Im Rahmen des Nationalen Integrationsplans der Bundesregierung hat der DFB zehn Selbstverpflichtungen abgegeben, die allesamt fristgerecht umgesetzt wurden.

DFB.de: Wird der DFB sein Engagement fortsetzen?

Bierhoff: Künftig wird jeder angehende Trainer, der eine C-Lizenz oder eine C-Lizenz Breitenfußball erwirbt, eine interkulturelle Schulung erhalten. Das sind jährlich etwa 6000 Multiplikatoren, die in den Fußball wirken.

DFB.de: Noch einmal zum Abschluss: Wie begründet sich das Engagement des DFB für die Integration?

Bierhoff: Jeder kennt doch die Zahlen, nur noch mal ein Beispiel: Jedes dritte Kind bis fünf Jahre in Deutschland hat einen Migrationshintergrund.

DFB.de: Und daran kann und will der Fußball nicht vorbeigehen?

Bierhoff: Genau, denn diese Zahlen deuten darauf hin, dass 2030 jeder zweite deutsche Nationalspieler einen Migrationshintergrund haben könnte. Dafür müssen wir schon heute das Bewusstsein und die nötigen Strukturen gestalten.