Bernd Stöber: "Wir sind für die Gegner sehr schwer zu verteidigen"

DFB.de: Wie darf man sich so etwas vorstellen?

Stöber: Nehmen Sie das deutsche Team. Wir haben die Vorrunde mit vier gelernten Innenverteidigern in der Abwehr gespielt. Joachim Löw blieb nicht viel anderes übrig. Außer Philipp Lahm haben wir keinen gelernten Außenverteidiger im Kader. Selbst die Spieler, die für diese Position vorgesehen sind (Kevin Großkreutz, Erik Durm, Anm. d. Red.), wurden erst als Profis umgeschult. Anscheinend haben wir auf der Position des Außenverteidigers also zu wenig starkes Personal zur Auswahl. Wir müssen uns fragen, ob wir die Ausbildung der Außenverteidiger in Deutschland schon früher beginnen müssen. Ein Schwerpunkt der zukünftigen Trainingsarbeit könnte in der Ausbildung dieser Position liegen.

DFB.de: War die Entscheidung, auf vier gelernte Innenverteidiger zu setzen aus Ihrer Sicht richtig?

Stöber: Ja, unabhängig davon, dass der Bundestrainer nicht viele Alternativen hatte, gibt ihm die Kompaktheit in den bisherigen Spielen Recht. Jérôme Boateng spielt seine Rolle sehr gut und Benedikt Höwedes überzeugt zumindest defensiv bisher.

DFB.de: Was ist Ihnen noch bei unserem Team aufgefallen?

Stöber: Wir haben das bisher souverän gemacht. Die Qualifikation für das Achtelfinale war aus meiner Sicht nie in Gefahr. Vor allem die Spiele gegen Portugal und die USA haben wir ganz klar beherrscht. Aber auch die Erfahrungen des Ghana-Spiels können wertvoll sein, da die Mannschaft nach dem 1:2 noch einmal ganz stark zurück gekommen ist.

DFB.de: Schweinsteiger, Khedira, Lahm – über die Mittelfeldzentrale wurde viel spekuliert. Wie haben Sie die Leistung in der Vorrunde wahrgenommen?

Stöber: Dafür, dass wir mit drei nicht ganz fitten Spielern – denn auch Philipp Lahm war zwei Wochen außer Gefecht - angetreten sind, haben wir das bisher gut gelöst. Wir waren trotz der Wechsel in der Zentrale dominant. Mir gefällt außerdem, wie sich die Offensivspieler davor verhalten, sei es Müller, Özil, Götze, Podolski oder Klose. Alle rotieren, keiner hält 90 Minuten starr seine Position. Das ist für die gegnerischen Abwehrreihen ganz schwer zu verteidigen.



[bild1]

"Das Turnier geht jetzt erst richtig los." Was USA-Trainer Jürgen Klinsmann nach dem letzten Gruppenspiel gegen Deutschland (0:1) auf den Beginn der K.o.-Runde bezog, ist für Bernd Stöber, DFB-Trainer für die Ausbildung, wortwörtlich zu nehmen. Der 61-Jährige brach am Freitagmittag Richtung Brasilien auf. Sein Auftrag: Koordination der WM-Beobachtung für den DFB in Brasilien.

Warum diese erst zum Achtelfinale startet, wer ihn bei der Beobachtung unterstützt und welche Erkenntnisse bereits nach der Vorrunde gewonnen wurden, darüber sprach Stöber vor seiner Abreise mit DFB-Redakteur Peter Scheffler.

DFB.de: Herr Stöber, die Vorrunde der WM ist vorbei, Ihre Arbeit geht los. Warum waren Sie nicht schon zu Beginn der WM vor Ort?

Bernd Stöber: Dies soll jetzt nicht arrogant klingen, aber im Gegensatz zu einer EM würden wir in der WM-Vorrunde zu viele Spiele beobachten, die für unsere Ansprüche eher uninteressant sind und uns keine entscheidenden Erkenntnisse liefern. Vor allem, wenn man bedenkt, welch organisatorische und logistische Herausforderung solch eine Reise ist. Mit diesem Vorgehen haben wir bereits vor vier Jahren in Südafrika gute Erfahrungen gemacht. Und: nicht vor Ort sein, heißt ja nicht, die WM zu boykottieren (lacht).

DFB.de: Das heißt, die Vorrunde haben Sie sich komplett im TV angesehen?

Stöber: Natürlich. Meine Trainerkollegen und ich schauen natürlich so gut wie alle Spiele im Fernsehen, selbst die ganz späten. Jeder der Kollegen weiß, wen er im Achtelfinale beobachten wird und hat die Mannschaften, die in Frage kommen, bereits gesehen, so dass genügend Vorwissen vorhanden ist. Außerdem sind wir eh alle so fußballverrückt, dass man sich kein Spiel entgehen lassen möchte.

DFB.de: Wo liegen die Schwerpunkte bei der WM-Beobachtung?

Stöber: Unsere Beobachtung dient weniger einer Stärken- oder Schwächenanalyse als einer Trendanalyse. Wir untersuchen, wie sich der Weltklassefußball und die Weltklassemannschaften heutzutage präsentieren und welche Konsequenzen das für die Entwicklung des Fußballs und unsere Nachwuchsarbeit haben könnte. Dies machen meine Kollegen und ich nun bereits bei allen WM- und EM-Turnieren seit 2004.

DFB.de: Welche Trainerkollegen sind außer Ihnen an der WM-Beobachtungsreise beteiligt?

Stöber: Wir haben unsere U-Trainer Christian Wück, Marcus Sorg und Frank Engel dabei. Dazu die DFB-Trainer Ralf Peter, Michael Müller und Lars Isecke, die vor allem in der Trainerausbildung tätig sind, sowie Chefausbilder und U 20-Trainer Frank Wormuth. Die Beobachter werden immer zu zweit bei einem Spiel vor Ort sein.

DFB.de: Gab es bei der Team-Einteilung spezielle Kriterien?

Stöber: Ja, die Zweierteams bilden stets ein Ausbilder und ein U-Trainer, von denen jeder für eine Mannschaft zuständig ist. Nach den Achtelfinalen werden die Zweierteams aufgelöst, so dass die Beobachter der Viertelfinale ihre Mannschaften bereits einmal gesehen haben. Nach den Viertelfinalen reisen dann vier Trainer ab. Für die Halbfinale bilden wir neue Teams, die bis zum Finale zusammen bleiben. Gerade für eine Trendanalyse ist es wichtig, eine Mannschaft längere Zeit zu verfolgen. Die Beobachtung nur eines Spiels gibt noch keinen Rückschluss darüber, ob Mannschaften kontinuierlich einen Stil verfolgen oder nur aufgrund des Gegners oder der Tagesform so spielen. Ein wirkliches Bild kann man sich nur nach mehrmaligem Beobachten machen.

DFB.de: Wie werden die Ergebnisse gesichert? Haben Sie einen eigenen Spielberichtsbogen?

Stöber: Sozusagen. Wir haben eigene DFB-Analyseraster mit ganz bestimmten Schwerpunkten. Es geht uns vor allem darum, dass wir die unterschiedlichen Phasen des Spiels – sprich Aufbau, Umschalten oder Abschluss – auch getrennt voneinander analysieren können.

DFB.de: 15 Spiele plus die Erkenntnisse aus der Vorrunde, da kommt sicher einiges zusammen. Was geschieht mit diesen Ergebnissen?

Stöber: Hier gibt es drei Schwerpunkte. Eineinhalb Wochen nach unserer Rückkehr werden wir erste Ergebnisse bereits auf einem BDFL-Kongress präsentieren. Dafür müssen wir bereits vor dem Finale mit der Auswertung beginnen, denn sonst wird die Zeit zu knapp. Des Weiteren stehe ich mit Hansi Flick im regen Austausch. Nach unseren ersten Beobachtungen in den Achtelfinalen werden wir uns intensiv austauschen. Die Nationalmannschaft hat zwar ihre eigenen Beobachter aber vielleicht können wir noch einmal andere Ansätze liefern. Der dritte Schwerpunkt liegt darin, die Analyen auch in unsere Trainingsarbeit im deutschen Fußball zu integrieren.

DFB.de: Wie darf man sich so etwas vorstellen?

Stöber: Nehmen Sie das deutsche Team. Wir haben die Vorrunde mit vier gelernten Innenverteidigern in der Abwehr gespielt. Joachim Löw blieb nicht viel anderes übrig. Außer Philipp Lahm haben wir keinen gelernten Außenverteidiger im Kader. Selbst die Spieler, die für diese Position vorgesehen sind (Kevin Großkreutz, Erik Durm, Anm. d. Red.), wurden erst als Profis umgeschult. Anscheinend haben wir auf der Position des Außenverteidigers also zu wenig starkes Personal zur Auswahl. Wir müssen uns fragen, ob wir die Ausbildung der Außenverteidiger in Deutschland schon früher beginnen müssen. Ein Schwerpunkt der zukünftigen Trainingsarbeit könnte in der Ausbildung dieser Position liegen.

[bild2]

DFB.de: War die Entscheidung, auf vier gelernte Innenverteidiger zu setzen aus Ihrer Sicht richtig?

Stöber: Ja, unabhängig davon, dass der Bundestrainer nicht viele Alternativen hatte, gibt ihm die Kompaktheit in den bisherigen Spielen Recht. Jérôme Boateng spielt seine Rolle sehr gut und Benedikt Höwedes überzeugt zumindest defensiv bisher.

DFB.de: Was ist Ihnen noch bei unserem Team aufgefallen?

Stöber: Wir haben das bisher souverän gemacht. Die Qualifikation für das Achtelfinale war aus meiner Sicht nie in Gefahr. Vor allem die Spiele gegen Portugal und die USA haben wir ganz klar beherrscht. Aber auch die Erfahrungen des Ghana-Spiels können wertvoll sein, da die Mannschaft nach dem 1:2 noch einmal ganz stark zurück gekommen ist.

DFB.de: Schweinsteiger, Khedira, Lahm – über die Mittelfeldzentrale wurde viel spekuliert. Wie haben Sie die Leistung in der Vorrunde wahrgenommen?

Stöber: Dafür, dass wir mit drei nicht ganz fitten Spielern – denn auch Philipp Lahm war zwei Wochen außer Gefecht - angetreten sind, haben wir das bisher gut gelöst. Wir waren trotz der Wechsel in der Zentrale dominant. Mir gefällt außerdem, wie sich die Offensivspieler davor verhalten, sei es Müller, Özil, Götze, Podolski oder Klose. Alle rotieren, keiner hält 90 Minuten starr seine Position. Das ist für die gegnerischen Abwehrreihen ganz schwer zu verteidigen.

DFB.de: Kommen wir zu den anderen Teams. Was ist Ihnen bisher noch aufgefallen?

Stöber: Allen Unkenrufen zum Trotz waren die meisten Vorrundenspiele sehr attraktiv und wurden offensiv geführt. Prognosen, dass die Mannschaften eher zurückhaltend spielen und den Ball lange halten, haben sich nicht bestätigt. Dagegen ist zu beobachten, dass das schnelle Umschalten spielentscheidend ist, also die kurze Phase des Ballgewinns mit gleichzeitigem Einleiten des eigenen Angriffs. Vom Abwehrverhalten gibt es zwei Extreme: Entweder die Mannschaften ziehen sich geschlossen bis an den eigenen Strafraum zurück und verteidigen im Kollektiv oder sie stören bereits tief in der gegnerischen Hälfte. Das lange Jahre praktizierte Mittelfeldpressing, mit Ballgewinnen um die Mittellinie herum, wird kaum praktiziert. Das ist den klimatischen Bedingungen geschuldet. Mittelfeldpressing ist mit "Jagen des Ballbesitzers" und permanenten Verschieben verbunden, was auf Dauer zu anstrengend wäre.

DFB.de: Halb Europa ist bereits nach der Vorrunde ausgeschieden? Ein Trend oder ein Indiz für das Ende der europäischen Vormachtstellung im Weltfußball?

Stöber: Das lässt sich jetzt noch nicht sagen, aber es ist erschreckend, dass von 13 gestarteten Mannschaften nur noch sechs im Turnier sind. Dagegen sind die süd- und mittelamerikanischen Teams noch fast alle dabei. Es trifft zu, dass die Teams, die die klimatischen Bedingungen kennen, im Vorteil sind. Oliver Bierhoff hatte nicht Unrecht damit, dass es für Europäer sehr schwer wird…

DFB.de: Auch Weltmeister Spanien ist davon betroffen? Das Ende des "tiki-taka"?

Stöber: Die WM hat bisher gezeigt, dass ein sehr langer Ballbesitz und viel Passspiel, wie die Spanier es bevorzugen, nicht unbedingt zu großem Erfolg führen. Die erfolgreichen Mannschaften versuchen schnell und zielstrebig Torchancen zu erarbeiten und zum Erfolg zu kommen. Die große Gefahr des extrem langen Passspiels liegt darin, dass man sich am Ballbesitz ergötzt und vergisst Tore zu schießen. Passen darf nicht zum Selbstzweck werden, sondern muss immer Mittel zum Zweck sein.

DFB.de: Ein weiterer Trend sind die vielen Tore, die durch Standardsituation fallen. Auch unser deutsches Team erfindet sich in diesem Bereich gerade neu.

Stöber: Das Standards zu Toren führen, ist nicht unbedingt eine Neuheit, aber in der Häufigkeit ist es doch auffallend. Trotzdem kommt selbst bei Vereinsmannschaften, die viel mehr Zeit zusammen auf dem Trainingsplatz verbringen, das Standardtraining meiner Meinung nach noch zu kurz. Es gibt kaum ein effektiveres Training. Standards sind die einzigen Situationen, die man im Training fast zu einhundert Prozent wettkampftreu nachspielen kann. Die Positionen des Balles, der Spieler und des Schützen können ganz real simuliert werden. Hier liegt eine Menge Potential für die Mannschaften.