BDFL-Präsident Zingraf erkennt Abkehr von "hire and fire"

Drei Trennungen von Trainern innerhalb von 24 Stunden bedeuteten einen Rekord in der fast 44-jährigen Geschichte der Fußball-Bundesliga, doch insgesamt regiert bei den Klubs mehr und mehr die Politik der ruhigen Hand. Dieser Ansicht ist zumindest Horst Zingraf, der Präsident des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL). Im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (sid) spricht Zingraf über die aktuelle Situation.

Frage: Herr Zingraf, nach dem 19. Spieltag der Fußball-Bundesliga haben sich innerhalb von 24 Stunden gleich drei Vereine von ihren Trainern getrennt. Ein Rekord. Nachdem der Hamburger Thomas Doll, der Mönchengladbacher Jupp Heynckes und auch der Mainzer Jürgen Klopp trotz der sportlichen Krisen lange im Amt bleiben durften, hatte man schon auf ein Umdenken bei den Vereinen gehofft...

Horst Zingraf: Diesen Trend sehe ich ungeachtet dieser drei Trennungen auch weiterhin. Es gibt seit längerer Zeit Anzeichen dafür, dass die Vereine von der Hire-and-fire-Mentalität wegkommen. Sportliche Höchstleistungen kann man eben nur mit Kontinuität erzielen. Und die Vereine gehen mehr und mehr dazu über, ehemalige Fußballer mit hoher wirtschaftlicher Kompetenz in ihrer Führung zu haben. Wie Bayern München mit Uli Hoeneß, Werder Bremen mit Klaus Allofs oder eben auch der HSV mit Dietmar Beiersdorfer. Da werden dann gemeinsame sportliche Ziele gesetzt, und man trennt sich wirklich erst dann, wenn man glaubt, sie nicht mehr erreichen zu können.

Frage: Als der Aachener Trainer Dieter Hecking von Hannover 96 abgeworben wurde, wurde dies vielerorts als unmoralisch bezeichnet. Fürchten Sie, dass dieses Verhalten bei der Konkurrenz auch im Bereich der Trainer bald zur Regel wird?

Zingraf: Nein. Prinzipiell ist es so, dass Verträge eingehalten werden sollten, von beiden Seiten. Aber wie in der Wirtschaft, kann man Verträge auch lösen. Die Aachener hätten den Wechsel verhindern können, wenn sie Nein gesagt hätten. Und Hecking ist eine Persönlichkeit, er hätte seine Arbeit unvermindert weiter getan. So aber war es für beide Seiten eine Win-Win-Situation. Ein solcher Fall ist sicher nicht der Idealfall, und es wird auch nicht üblich werden. Aber wenn beide Seiten damit zufrieden sind, wird es immer wieder vorkommen können.

Frage: Jürgen Röber wurde in Dortmund nur ein Vertrag über ein halbes Jahr gegeben. Er scheint nur ein Platzhalter. Werden die Trainer zum Spielzeug?

Zingraf: Nein. Auch das ist eine typische Win-Win-Situation. Für Röber ist es eine tolle Geschichte, weil er in Deutschland unbegründet fast ins Vergessenheit geraten ist und sich nun wieder zeigen kann. Und der BVB gewinnt Zeit. Ebenso wie im Fall der Bayern mit Ottmar Hitzfeld. Er war wieder hungrig nach Fußball und wollte dem FC Bayern, bei dem er jede Ecke kennt, helfen. Und die Bayern haben Zeit gewonnen, um sich nach einer langfristigen Lösung umzusehen. Ich kann daran nichts Schlechtes finden.

Frage: Dennoch stellt sich die Frage, ob die Trainer in der Öffentlichkeit, von den Fans und den Vereinen respektloser behandelt werden. Man denke an die Umstände der Entlassung von Bert van Marwijk in Dortmund. Und Jupp Heynckes soll vor seinem Rücktritt sogar Morddrohungen erhalten haben.

Zingraf: In solchen Fällen knickt jemand ein, weil er von Minderheiten dazu gedrängt wird. Ich verstehe das menschlich, aber so etwas darf nicht sein. Da müssen die Vereine die Trainer deutlicher schützen und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um herauszufinden, woher diese Drohungen kommen, und das strafrechtlich verfolgen.

Frage: Heynckes hat auch eine Kampagne der Medien verantwortlich dafür gemacht. Behandeln die Medien die Trainer zu respektlos?

Zingraf: Nein. Natürlich herrscht in Teilen der Boulevardpresse ein sehr ruppiger Ton. Aber insgesamt muss man gerade im vergangenen Jahr sehr zufrieden sein, wie die Medien mit den Trainern umgegangen sind. Doll oder Klopp wurden zum Beispiel von einem Großteil der Medien unterstützt. Es ist vielmehr ein aggressives Fanverhalten, gegen das die Vereine sich unbedingt stemmen müssen.

Frage: Die Bundesliga-Trainer Thomas von Heesen von Arminia Bielefeld und Petrik Sander von Energie Cottbus mussten während der laufenden Saison in Köln die Ausbildung zum Fußball-Lehrer absolvieren. Ist da in Zukunft eine Sonderregelung für Trainer möglich, die bereits erfolgreich in der Bundesliga tätig sind?

Zingraf: Im Gegenteil. Michael Schumacher braucht auch einen Führerschein, um Auto fahren zu dürfen. Es gibt die Pro-Lizenz-Regelung der UEFA, die für alle europäischen Länder gültig ist. Die Regelung in Deutschland, ein Jahr ohne Lizenz trainieren zu dürfen, ist schon ein Entgegenkommen, und das muss eher eingeschränkt als ausgeweitet werden. Besser ausgebildete sind langfristig in der Regel auch die erfolgreicheren Trainer. Und wenn wir auf die Lizenz verzichten, tun wir ihnen wegen der europäischen Regelung keinen Gefallen. Ein Petrik Sander könnte sonst in Europa nicht den nächsten Schritt machen.

Frage: Jürgen Klinsmann war bei der WM eher Projektleiter als Bundestrainer. Hat er dem Berufsbild der Trainer geschadet oder genutzt?

Zingraf: Er hat die Vorzeichen im deutschen Fußball von Minus auf Plus gedreht. Aber die WM im eigenen Land war eine besondere Situation. Er war der Motivator, dafür war er in den USA gut ausgebildet. In Joachim Löw hat er sich einen erfahrenen, guten Trainer an seine Seite geholt. Die Vorzüge der beiden haben hervorragend gepasst. Der Trend geht sowieso hin zum Team, aber so etwas wie bei der WM, mit solchen Motivationsmaßnahmen, ist in einer Saison mit 34 Spielen nicht umzusetzen.

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Drei Trennungen von Trainern innerhalb von 24 Stunden bedeuteten einen Rekord in der fast 44-jährigen Geschichte der Fußball-Bundesliga, doch insgesamt regiert bei den Klubs mehr und mehr die Politik der ruhigen Hand. Dieser Ansicht ist zumindest Horst Zingraf, der Präsident des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL). Im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (sid) spricht Zingraf über die aktuelle Situation.

Frage: Herr Zingraf, nach dem 19. Spieltag der Fußball-Bundesliga haben sich innerhalb von 24 Stunden gleich drei Vereine von ihren Trainern getrennt. Ein Rekord. Nachdem der Hamburger Thomas Doll, der Mönchengladbacher Jupp Heynckes und auch der Mainzer Jürgen Klopp trotz der sportlichen Krisen lange im Amt bleiben durften, hatte man schon auf ein Umdenken bei den Vereinen gehofft...

Horst Zingraf: Diesen Trend sehe ich ungeachtet dieser drei Trennungen auch weiterhin. Es gibt seit längerer Zeit Anzeichen dafür, dass die Vereine von der Hire-and-fire-Mentalität wegkommen. Sportliche Höchstleistungen kann man eben nur mit Kontinuität erzielen. Und die Vereine gehen mehr und mehr dazu über, ehemalige Fußballer mit hoher wirtschaftlicher Kompetenz in ihrer Führung zu haben. Wie Bayern München mit Uli Hoeneß, Werder Bremen mit Klaus Allofs oder eben auch der HSV mit Dietmar Beiersdorfer. Da werden dann gemeinsame sportliche Ziele gesetzt, und man trennt sich wirklich erst dann, wenn man glaubt, sie nicht mehr erreichen zu können.

Frage: Als der Aachener Trainer Dieter Hecking von Hannover 96 abgeworben wurde, wurde dies vielerorts als unmoralisch bezeichnet. Fürchten Sie, dass dieses Verhalten bei der Konkurrenz auch im Bereich der Trainer bald zur Regel wird?

Zingraf: Nein. Prinzipiell ist es so, dass Verträge eingehalten werden sollten, von beiden Seiten. Aber wie in der Wirtschaft, kann man Verträge auch lösen. Die Aachener hätten den Wechsel verhindern können, wenn sie Nein gesagt hätten. Und Hecking ist eine Persönlichkeit, er hätte seine Arbeit unvermindert weiter getan. So aber war es für beide Seiten eine Win-Win-Situation. Ein solcher Fall ist sicher nicht der Idealfall, und es wird auch nicht üblich werden. Aber wenn beide Seiten damit zufrieden sind, wird es immer wieder vorkommen können.

Frage: Jürgen Röber wurde in Dortmund nur ein Vertrag über ein halbes Jahr gegeben. Er scheint nur ein Platzhalter. Werden die Trainer zum Spielzeug?

Zingraf: Nein. Auch das ist eine typische Win-Win-Situation. Für Röber ist es eine tolle Geschichte, weil er in Deutschland unbegründet fast ins Vergessenheit geraten ist und sich nun wieder zeigen kann. Und der BVB gewinnt Zeit. Ebenso wie im Fall der Bayern mit Ottmar Hitzfeld. Er war wieder hungrig nach Fußball und wollte dem FC Bayern, bei dem er jede Ecke kennt, helfen. Und die Bayern haben Zeit gewonnen, um sich nach einer langfristigen Lösung umzusehen. Ich kann daran nichts Schlechtes finden.

Frage: Dennoch stellt sich die Frage, ob die Trainer in der Öffentlichkeit, von den Fans und den Vereinen respektloser behandelt werden. Man denke an die Umstände der Entlassung von Bert van Marwijk in Dortmund. Und Jupp Heynckes soll vor seinem Rücktritt sogar Morddrohungen erhalten haben.

Zingraf: In solchen Fällen knickt jemand ein, weil er von Minderheiten dazu gedrängt wird. Ich verstehe das menschlich, aber so etwas darf nicht sein. Da müssen die Vereine die Trainer deutlicher schützen und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um herauszufinden, woher diese Drohungen kommen, und das strafrechtlich verfolgen.

Frage: Heynckes hat auch eine Kampagne der Medien verantwortlich dafür gemacht. Behandeln die Medien die Trainer zu respektlos?

Zingraf: Nein. Natürlich herrscht in Teilen der Boulevardpresse ein sehr ruppiger Ton. Aber insgesamt muss man gerade im vergangenen Jahr sehr zufrieden sein, wie die Medien mit den Trainern umgegangen sind. Doll oder Klopp wurden zum Beispiel von einem Großteil der Medien unterstützt. Es ist vielmehr ein aggressives Fanverhalten, gegen das die Vereine sich unbedingt stemmen müssen.

Frage: Die Bundesliga-Trainer Thomas von Heesen von Arminia Bielefeld und Petrik Sander von Energie Cottbus mussten während der laufenden Saison in Köln die Ausbildung zum Fußball-Lehrer absolvieren. Ist da in Zukunft eine Sonderregelung für Trainer möglich, die bereits erfolgreich in der Bundesliga tätig sind?

Zingraf: Im Gegenteil. Michael Schumacher braucht auch einen Führerschein, um Auto fahren zu dürfen. Es gibt die Pro-Lizenz-Regelung der UEFA, die für alle europäischen Länder gültig ist. Die Regelung in Deutschland, ein Jahr ohne Lizenz trainieren zu dürfen, ist schon ein Entgegenkommen, und das muss eher eingeschränkt als ausgeweitet werden. Besser ausgebildete sind langfristig in der Regel auch die erfolgreicheren Trainer. Und wenn wir auf die Lizenz verzichten, tun wir ihnen wegen der europäischen Regelung keinen Gefallen. Ein Petrik Sander könnte sonst in Europa nicht den nächsten Schritt machen.

Frage: Jürgen Klinsmann war bei der WM eher Projektleiter als Bundestrainer. Hat er dem Berufsbild der Trainer geschadet oder genutzt?

Zingraf: Er hat die Vorzeichen im deutschen Fußball von Minus auf Plus gedreht. Aber die WM im eigenen Land war eine besondere Situation. Er war der Motivator, dafür war er in den USA gut ausgebildet. In Joachim Löw hat er sich einen erfahrenen, guten Trainer an seine Seite geholt. Die Vorzüge der beiden haben hervorragend gepasst. Der Trend geht sowieso hin zum Team, aber so etwas wie bei der WM, mit solchen Motivationsmaßnahmen, ist in einer Saison mit 34 Spielen nicht umzusetzen.