Bayern gegen Schalke: Tore, Turbulenzen, Trainerstürze

Im Januar 2002 wurde erstmals in der Veltins-Arena gespielt, und Bayern wird diesen Tag nie vergessen: Der Champions-League-Gewinner kam gehörig unter die Räder und verlor 1:5. Es war Bayerns höchste Niederlage auf Schalke überhaupt, und Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge grollte: „Das war eine Beleidigung für den Namen FC Bayern.“ Im November 2003 waren sie wieder beleidigt, dabei gewann Schalke „nur“ 2:0. Kurios: Thomas Linke flog wieder vom Platz, nun aber als Bayern-Spieler. Als einer von sieben übrigens, die auf Schalke buchstäblich Rot sahen.

Im Oktober 2004 gewann Schalke unter seinem neuen Trainer Ralf Rangnick 1:0 in München und fügte Kollege Felix Magath dessen erste Heimniederlage als Bayern-Trainer zu, das Tor schoss Gerald Asamoah. Schalke-Torwart Frank Rost verweigerte hinterher Interviews, denn er habe „ja gar nicht mitgespielt“. Eine Spitze gegen die Harmlosigkeit der Bayern an jenem Tage. „Michael Ballack sprach schlicht von einem „Scheißspiel“, was die Süddeutsche Zeitung so kommentierte: „Eine solche Injurie aus Ballacks stubenreinem Munde – die Lage scheint wirklich übel und ernst zu sein.“

Nach dem Rückspiel war sie noch ernster; Lincolns Freistoßtor beförderte Schalke mit drei Punkten Vorsprung an die Spitze. Diese Niederlage trieb Bayern an, es folgte die längste Siegserie der Bundesliga-Historie (15 Spiele).

2005: Double für Bayern, Schalke zweimal "Vize"

Es war auch das letzte Mal, dass Schalke beide Saisonspiele gegen Bayern gewann. Obwohl: Eigentlich gab es 2004/2005 ja drei Pflichtspiele, denn am 28. Mai standen sich Meister und Vizemeister in Berlin im Pokalfinale gegenüber. Wie 1969 endete es mit einem noch zu niedrigen 2:1 für die Bayern, die sich trotz einiger unglücklicher Entscheidungen – sie hätten einen Handelfmeter bekommen müssen, Pizarros Tor war nicht aus Abseitsposition – nicht aus der Bahn werfen ließen.

Roy Makaays Führung glich Lincoln per Elfmeter mit dem Pausenpfiff aus. Der eingewechselte Hasan Salihamidzic traf nach 76 Minuten mit seinem ersten Ballkontakt aus allerdings abseitsverdächtiger Position. Fertig war das Double für die Bayern, die an jenem Tag zum zwölften Mal Pokalsieger wurden. Karl-Heinz Rummenigge nannte ihn „geschichtsträchtig“. Erinnerungswürdig bleibt für manche auch, dass mitten im Spiel zwei Wassersprenger losgingen und für eine Unterbrechung sorgten.

Boykott endet nach 19 Minuten und vier Sekunden

Immer weiter ging es mit den Merkwürdigkeiten: Im November 2006 beschlossen die Schalke-Fans einen Stimmungsboykott, der nach exakt 19 Minuten und vier Sekunden, entsprechend dem Gründungsjahr 1904, enden sollte. Die Mannschaft hatte verstanden und schoss schnell eine 2:0-Führung heraus, wobei das zweite Tor von Levan Kobiashvili exakt zum Ende des Boykotts fiel – so dass Jubeln wieder erlaubt war. Der FC Bayern verhinderte jedoch die komplette Aussöhnung mit den Fans und rettete noch ein 2:2.



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Es sind Duelle, die sich ins kollektive Gedächtnis der Fußballfans eingebrannt haben. Spiele für die ganz großen Emotionen - Begeisterung und Entsetzen, Siegestaumel und tiefe Trauer. Begegnungen, die Millionen von Menschen in ihren Bann ziehen, jedes Mal aufs Neue. Unvergessene Momente der Bundesligahistorie, 90 Minuten für die Ewigkeit, die normale Partien zu Klassikern gemacht haben.

Ein Spiel und seine Geschichte: In einer Serie schaut der DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras immer freitags während der Saison in die Chronik von ganz besonderen Bundesliga-Duellen, die aktuell anstehen. Heute: Bayern München gegen Schalke 04, die am Samstag (ab 18.30 Uhr, live bei Sky) aufeinandertreffen.

Zum 94. Mal stehen sie sich seit 1965 in einem Pflichtspiel gegenüber. Die Zukunft von Manuel Neuer, der noch für Schalke aber womöglich bald für Bayern spielt, verleiht dem Aufeinandertreffen zusätzliche Brisanz. Auch ohne diese pikante Note könnte man sich auf diese Paarung freuen – Bayern gegen Schalke ist aus Tradition für Tore und Kapriolen gut. In den Annalen stehen fast ein Dutzend verrückter Resultate von 5:5 und 6:6 über 0:7 zu 8:1. Ein Rückblick auf unvergessene Partien zwischen den Roten und den Königsblauen.

Vor dem Krieg nur Freundschaftsspiele

Vor dem Krieg begegneten sich die beiden eher aus strukturellen denn sportlichen Gründen nur dreimal – immer waren es Freundschaftsspiele. Und schon von Beginn an schüttelte die Fachwelt den Kopf über die Ergebnisse. Man schrieb den 17. August 1930, als der FC Bayern in seinem zweiten Spiel einer West-Tournee erstmals in der Glückauf-Kampfbahn antrat. Am Vortag hatten die Münchner bereits in Köln 10:3 gewonnen, doch ihr Torhunger war nicht gestillt. Auf Schalke, das noch vor seiner großen Epoche mit sechs Meistertiteln bis 1942 stand, siegten die Bayern 7:2.

Es war nur ein Testspiel, aber in jenen Tagen hatten sie hohen Prestigewert, da sich vor Bundesligagründung überregional bedeutende Mannschaften nur selten über den Weg liefen. Bayern also demontierte Schalke auf eigenem Platz, schon zur Pause stand es 4:1. Der westdeutsche Reporter der Fußball Woche schrieb: „Bayern verfuhr sehr happig mit unserer Elite, aber das war gut so, weil hoffentlich heilsam.“

Remis im ersten Bundesliga-Aufeinandertreffen

Kurz nachdem Bayern erstmals Meister geworden war, revanchierte sich Schalke und gewann im Oktober 1932 wieder unter Testbedingungen 3:2 und im April 1936 stürmten die Knappen das Stadion an der Grünwalder Straße – mit 5:4. Bis zum ersten Pflichtspiel vergingen jedoch noch drei Jahrzehnte, erst die Bundesliga brachte den nötigen Ernst in diese Beziehung. Prompt gab es im Oktober 1965 auch erstmals ein unspektakuläres Resultat – 1:1 auf Schalke. Die ersten von mittlerweile 258 Bundesligatoren dieses Duells schossen Dieter Koulmann (Bayern, nach fünf Minuten) und Manfred Kreuz (65.), der gegen Sepp Maiers Vertreter Fritz Kosar eine Ecke direkt verwandelte. Nach dem 1:0-Zittersieg im Rückspiel sagte Bayern-Manager Robert Schwan, er habe „heute 1000 graue Haare mehr bekommen“.

Schwan sollte noch mehr bekommen, in den Sechzigern waren knappe Resultate die Regel. Nur ein 5:0 für den FC Bayern kurz vor dessen erstem Europacup-Triumph im Mai 1967 fällt aus dem Rahmen. Rainer Ohlhauser schoss zwei Tore und sorgte im Herbst 1967 (0:1) auch für Bayerns ersten Sieg auf Schalke nach 37 Jahren. Überhaupt gewannen immer nur die Bayern in jenen Jahren. In der Bundesliga wartete Schalke von November 1966 bis Dezember 1971 zehnmal vergeblich auf einen Sieg, und auch das bis dato wichtigste Spiel wurde verloren: am 14. Juni 1969 im DFB-Pokalfinale in Frankfurt.

Der frisch gekürte Meister FC Bayern schafft an diesem Tag das erste Double seiner Historie, und Schalke steht Pate. Die Westdeutschen verlieren nach großem Kampf 1:2, weil auch ihnen kein Rezept gegen den größten deutschen Torjäger aller Zeiten einfällt: Gerd Müller schießt vor der Pause beide Tore, Manfred Pohlschmidt trifft für Schalke aus 25 Metern. Schalke-Trainer Rudi Gutendorf sagt: „Ich gratuliere meinem Kollegen Branco Zebec, dass er das große Glück hat, einen Gerd Müller zu besitzen.“

Schalker Triumph im Kampf um die Herbstmeisterschaft

Aber auch Gerd Müller trifft nicht immer, und so kann Schalke am 11. Dezember 1971 im Endspiel um die inoffizielle Herbstmeisterschaft triumphieren – ein Tor von Heinz van Haaren beendet auch die lange Sieglosserie der nun von Ivica Horvath trainierten Schalker. Auch das Rückspiel ist ein Finale – inoffiziell zwar, aber faktisch geht es am letzten Spieltag 1971/1972 um die Meisterschale. Bayern reicht ein Punkt, Schalke muss gewinnen.

Diese Konstellation ist eine Premiere, eine zweite macht das Duell noch bemerkenswerter; es ist das erste Spiel der Bayern im neuen Olympiastadion. Und eines der allerbesten. Als Schiedsrichter Horstmann an jenem Mittwochabend, dem 28. Juni 1972, abpfeift, glitzert ein 5:1 von der neuen Anzeigetafel. Nur der Name von Gerd Müller steht nicht darauf, schier unfassbar, da er in jener Saison mit 40 Toren einen wohl ewigen Bundesligarekord aufstellt.

Die Fans feiern dennoch eine grandiose Leistung ihrer Bayern und der Münchner Merkur schreibt: „Und wenn jemals der Tag, so wunderschön wie heute, mit Recht besungen wurde, dann am Mittwochabend vor 80.000, die Augenzeuge waren, als der FC Bayern jenen Maßstab setzte, an dem künftig deutsche Meister gemessen werden.“

Noch ein Novum bringt dieses Spiel mit sich: Zum einzigen Mal überschreitet ein Bundesligist die 100-Tore-Marke (101). Uli Hoeneß ist es vergönnt, das Jubiläumstor zu schießen, aber das zählt weniger für den frisch ge-backenen Europameister: „Mir geht es gar nicht so sehr um die Jubiläumssache, sondern vielmehr darum dass ich erfolgreich war.“ Das Bayern-Gen. Im Oktober 1972 kommt es noch schlimmer für Schalke, das als amtierender Pokalsieger eine 0:5-Schlappe kassiert. „Was wollten wir eigentlich hier?“ fragt Trainer Horvath sarkastisch in die Presserunde. Es sollten bessere Zeiten kommen. Auch aus neutraler Sicht; denn nun begannen sie, die wilden Jahre dieses Duells in den Siebzigern, die verrückte Spiele in Serie produzierten.

Am 8. September 1973 ist das Parkstadion erstmals Schauplatz dieser Paarung – und es sieht unglaublichen Fußball. Rainer Budde (2) und Erwin Kremers bringen Schalke nach 18 Minuten 3:0 in Front und nach 45 steht es 5:2 – niemals zuvor und danach hat Bayern mehr Tore in einer ersten Halbzeit kassiert. Udo Lattek rüttelt den Meister wieder auf: „Ich habe meinen Spielern in der Kabine gesagt, dass sie alles riskieren müssen und auch in Kauf nehmen sollen, noch ein Tor hinnehmen zu müssen.“

Gewohntes Schützenfest in München

Doch Tore schießt nur noch der FC Bayern: Gerd Müller (2) und Bernd sorgen bis zur 68. Minute für das einzige 5:5 der Bundesliga-Historie. Im Februar 1974 kam es zum schon gewohnten Schützenfest in München, nun gewann Bayern 5:1 und damit auch das achte von neun Heimspielen in der Bundesliga. Ein ermauertes 0:0 vom 1. Februar 1969 war das einzige Erfolgserlebnis der Knappen – ehe der ominöse 28. September 1974 kam.

An diesem Tag reißt die noch immer längste Heimspielserie der Bundesliga und der Nimbus des Olympiastadions platzt. Ausgerechnet der Gegner, der bei der Einweihung 1972 nur Sparringspartner war, gewinnt als erster nach unglaublichen 73 Bundesligaspielen bei den Bayern. Rüdiger Abramczik, damals kesse 18 Jahre jung, und Herbert Lütkebohmert verewigen sich an diesem historischen Tag als Torschützen. Lattek gratulierte dem Sieger fair: „Die Schalker haben nicht gemauert, sie kämpften großartig und zeigten sich äußerst clever.“

Der Zäsur folge ausgerechnet zur Wies`n-Zeit am 9. Oktober 1976 die größte Demütigung der Bayern-Historie. Vor eigenem Publikum unterliegen die Bayern in den letzten Tagen der Beckenbauer-Ära den Schalkern 0:7! Es ist die höchste Bundesliga-Niederlage der Münchner in bis heute 1565 Spielen. 50.000 Zuschauer werden Zeuge dieser Demontage, die sich früh anbahnt. Nach drei Minuten trifft Schalke bereits den Pfosten, Klaus Fischer und Erwin Kremers schießen vor der Pause zwei Tore, sofort nach Wiederbeginn erhöht Fischer auf 0:3. Bayern, personell geschwächt und mit einem erkälteten Beckenbauer, gerät nun vollends unter die Räder. Binnen sieben Minuten fallen drei weitere Treffer, und Fischer gelingt mit seinem vierten Tor das 0:7.

Gerd Müller schaut schon nach dem 0:5 permanent auf die Stadionuhr und ersehnt den Abpfiff herbei an jenem schwarzen Tag für die Bayern. Der Sportinformationsdienst witzelt: „Dem zweiten Anzug der Bayern wurden von den Schalkern nach allen Regeln der Kunst die Hosen ausgezogen.“ Bayern-Trainer Dettmar Cramer bleibt noch sachlich: „Jeder Schuss ein Treffer – solche Spiele gibt’s.“ Kollege Friedel Rausch versucht zu trösten: „So etwas kann mal passieren, davon geht die Welt nicht unter!“

Ein Jahr darauf muss er getröstet werden. Man schreibt den 24. September 1977 und Schalke reist erstmals als Favorit an: Der Tabellenführer kommt zum kriselnden Eurocupsieger, der im Jahr eins nach Beckenbauer als Dreizehnter die Niederungen der Tabelle erkundet. Nach Katsche Schwarzenbecks 1:0 fliegt Kollege Sepp Weiß vom Platz, 65 Minuten sind die Bayern in Unterzahl. Sie gewinnen trotzdem – mit 7:1.

Schalker Heimserie hält

Ein solches Schützenfest einer dezimierten Mannschaft ist ein Novum in 48 Jahren Bundesliga. Bayern-Trainer Dettmar Cramer sagt augenzwinkernd: „Wir haben soeben in der Kabine beschlossen, künftig immer mit zehn Mann zu spielen.“ Kollege Rausch kündigt für das Rückspiel einen Sieg mit fünf Toren an, freut sich aber letztlich auch über ein 3:2. Rüdiger Abramczik schießt diesmal sogar zwei Tore gegen Sepp Maier, auch Klaus Fischer trifft. Damit endet im Parkstadion eine seltsame Serie von fünf Unentschieden. Überhaupt: so deutlich die Schalker in München oft unterliegen, so unbeugsam sind sie zu Hause: Elf Jahre muss Bayern seit Mai 1971 (1:3) auf zwei Punkte im Parkstadion warten.

Selbst im Schalker Abstiegsjahr 1980/1981, als Bayern wieder Meister wird, hält die Serie. Manfred Bittchers Tor rettet in der 88. Minute einen Punkt (2:2). Erst im Dezember 1982 gewinnt Bayern auf Schalke, Paul Breitner und Wolfgang Kraus treffen beim 2:1 gegen den Aufsteiger, den 67.000 nach vorne peitschen. Aber Schalke steigt wieder ab, weshalb es 1983/1984 eigentlich eine Pause hätte geben müssen. Doch stattdessen liefert jene Spielzeit den absoluten Höhepunkt in der Historie dieses Duells, denn das Los führt den Zweitligisten und den Spitzenklub im DFB-Pokalhalbfinale erneut zusammen. Von den Ereignissen des 2. Mai 1984 schwärmen sie auf Schalke noch heute, ein solches Spiel erlebt man nur alle hundert Jahre.

Historisches Halbfinale

Das sagte mancher schon vom ersten Halbfinale am Vortag, als Mönchengladbach die Bremer nach Verlängerung 5:4 schlug. Die Schalker sahen das damals im Trainingslager und Profi Bernd Dierßen erzählte später: „Wir haben damals gesagt: ‚So ein Spiel gibt es nur alle zehn Jahre’.“ Irrtum. Schon 26 Stunden später wurde es auf Schalke in den Schatten gestellt. übertroffen.

Offiziell 70.600, inoffiziell aber 78.000 Menschen strömten an diesem verregneten Mittwochabend ins Parkstadion in der Hoffnung auf ein königsblaues Wunder. Das Fernsehen übertrug live. Im Gegensatz zum Vortag rächte sich hier ein zu spätes Einschalten der Übertragung, die für das ZDF Eberhard Figgemeier kommentierte. Nach 20 Minuten waren bereits fünf Treffer gefallen, frei nach dem Motto: Ein Tor kommt selten alleine.

Karl-Heinz Rummenigge und Reinhold Mathy sorgten für eine standesgemäße Führung für Bayern, doch Thomas Kruse verkürzte im Gegenzug auf 1:2. Dann fiel der erste Treffer des Mannes, der an diesem Tag weltberühmt wurde. Olaf Thon, ein Gelsenkirchener Junge, am Vortag erst 18 Jahre geworden, wurde nun auch als Fußballer volljährig. Er versetzte gestandene Profis wie Klaus Augenthaler wie Slalomstangen, schoss aus allen Lagen und mit beiden Füßen. Gegen sein 2:2 hatten die Bayern noch ein probates Mittel, denn Michael Rummenigge stellte postwendend die Bayern-Führung wieder her.

Kaum zu glauben, dass es bei einer Partie mit zwölf Toren eine Phase über 41 Minuten geben konnte, in der sich das Netz mal nicht beulte. Dann aber kam wieder der nur 1,70 Meter kleine Thon zum Vorschein, nun sogar als Kopfball-Ungeheuer. „Meine Spieler haben den kleinen Kerl doch gar nicht ernst genommen“, sagte Bayern-Trainer Udo Lattek später.

Mit 4:4 in die Verlängerung - noch sollten vier Tore folgen

Das Stadion toste nach dem 3:3, die ersten bekamen eine Ahnung davon, dass das Drama vom Bökelberg wiederholbar sein könnte. Die Schalker Spieler vergaßen jedenfalls den Klassenunterschied und bekamen Flügel. Thon berichtete: „Ich war mir sicher: Die haben richtig Schiss.“ Der Verteidiger Peter Stichler gab ihnen allen Grund dazu, als er nach 72 Minuten Schalke erstmals in Führung köpfte. Für jeden Schalker ging es übrigens um 10.000 D-Mark Prämie.

Nun zog Lattek seinen Joker, brachte den langen Dieter Hoeneß, und Michael Rummenigge verhinderte das Schlimmste mit einem weiteren Kopfballtor (80.) – und so ging auch das zweite Halbfinale mit einem 4:4-Zwischenstand in die Verlängerung.

Die Abnutzungsschlacht bei Dauerregen nahm sich nun eine kleine Auszeit, bis ausgerechnet der frühere Bayern-Torwart Walter Junghans das Spiel wiederbelebte. In der 112. Minute ließ er einen schon gesicherten Ball wieder los, und Hoeneß stolperte ihn zum 4:5 ins Netz. Eberhard Figgemeier verhieß seinem Publikum die Vorentscheidung, Schalkes Spieler kümmerten sich nicht drum. „Der Walter Junghans hat uns so Leid getan. Wir haben uns gesagt: Er ist so ein netter Kerl und hat es einfach nicht verdient, als Verlierer vom Platz zu gehen“, nannte Thon in einem Jubiläumsbeitrag des WDR zu diesem Spiel ein Motiv für die Aufholjagd.

Drei Tore vom 18-jährigen Thon

Der Kapitän ging mit gutem Beispiel voran. Bernard Dietz kam nach einer Ecke frei zum Schuss und überwand Jean-Marie Pfaff ein fünftes Mal – das war fünf Minuten vor Ende, aber keineswegs Toresschluss. In der 117. Minute enteilte Dieter Hoeneß den Verteidigern und überwand Junghans. „Ist das die Entscheidung? Ja!“ legte sich Figgemeier nun fest.

Aber es gab ja noch den kleinen Mann mit der großen Zukunft und der Nummer zehn auf dem Rücken. Schiedsrichter Wiesel ließ drei Minuten nachspielen und munterte Olaf Thon sogar auf: „Komm, den einen Angriff noch.“ Daraus entstand ein Freistoß von Dierßen, Augenthaler köpfte nicht weit genug weg und der Ball fand seinen Weg zum Liebling des Schicksals: Olaf Thon, dem ZDF-Reporter Rolf Töpperwien im Interview entlockte, dass er eigentlich in Bayern-Bettwäsche schlafe.

Diesmal schoss Thon mit links, volley in den Winkel. 6:6! Ein solches Ergebnis gab es nie zuvor und niemals wieder im DFB-Pokal, ein solches Erlebnis schon gar nicht. Drei Menschen erlitten im Stadion einen Herzinfarkt, ein 60-Jähriger verstarb. Die Regeln sahen ein Wiederholungsspiel vor, das die Bayern in München mit Mühe 3:2 gewannen. Ebenso wie den Pokal.

Bayern siegt 8:1 mit drei Matthäus-Toren

27 Jahre sind seitdem vergangen, und nichts konnte dieses Halbfinale in den Schatten stellen, aber es gab noch einige bemerkenswerte Partien zwischen Schalke und den Bayern. An Nikolaus 1986 verspielte Bayern auf Schalke die Herbstmeisterschaft, nach dem 2:2 zog der HSV noch vorbei. Bayern rächte sich mit vier Siegen in Folge, darunter einem 8:1 am 9. April 1988. Lothar Matthäus schoss erstmals in der Liga drei Tore, darunter allerdings zwei Elfmeter. Schalkes Trainer Horst Franz war so wütend, dass er den Rückflug strich und eine weit unbequemere Busfahrt anordnete.

Schalke stieg in jenem Jahr zum dritten Mal ab, und Olaf Thon wechselte nach München. Sein erstes Wiedersehen mit den alten Kameraden endete siegreich, im August 1991 gewann Bayern zu Hause 3:2, verlor aber Pechvogel Stefan Effenberg. Der scheiterte zunächst mit einem Elfmeter an Jens Lehmann, zwei Minuten danach flog er vom Platz. Die Schalker ärgerten sich dabei über Schiedsrichter Michael Malbranc.

Es folgten vier Unentschieden, wobei das 3:3 im Juni 1993 auf Schalke für Bayern eine Niederlage war. Es kostete im Fernduell mit Werder Bremen den Titel. Bayern nutzte die erste Gelegenheit zur Revanche und gewann im September 1993 ein weiteres Pokaldrama auf Schalke, als Christian Ziege in letzter Minute der Verlängerung das 3:2 erzielte. Im Mai 1994 traf man sich in der Liga erneut am letzten Spieltag. Und nun stieg die Münchner Meisterfeier, da Schalke im Olympiastadion 0:2 verlor. So wurde Franz Beckenbauer 22 Jahre nach einem Heimsieg als Spieler nun auch als Trainer mit einem Heimsieg gegen Schalke Meister.

Schalke macht Dortmund zum Meister

Am 11. Mai 1996, Beckenbauer war erneut Aushilfstrainer, ging es dann anders herum: Schalke gewann durch ein Traumtor des späteren Managers Andreas Müller in letzter Minute 2:1 und machte ausgerechnet den Erzrivalen Borussia Dortmund zum Meister. Unter den Torschützen auch Olaf Thon, nach sechsjähriger Abstinenz wieder im Schalke-Trikot.

Schalke avancierte in den Neunzigern zum Spielverderber. Im März 1998 etwa schlug der amtierende UEFA-Cup-Sieger Meister Bayern durch ein Tor des späteren Müncheners Thomas Linke 1:0. Bayern lag danach bereits sieben Punkte hinter Kaiserslautern zurück, und die Spieler zeterten öffentlich über die Taktik, was die berühmte Wutrede von Trainer Giovanni Trapattoni auslöste. Auch das hat dieses Duell hervor gebracht.

Im Oktober 1999 holten die Bayern nach Kuffours Platzverweis in Unterzahl einen Rückstand auf, Stefan Effenberg glich mit Abpfiff aus. Im November 2000 (3:2) startete Schalke seine Heimsieg-Serie gegen Bayern, die immerhin fünf Jahre anhielt. Andreas Möller schoss an jenem Tag sein erstes Bundesliga-Tor für die Schalker und jubelte: Ich habe immer gesagt, dass ich dieses Tor den Fans widmen werde.“

Das Siegtor glückte Ebbe Sand, der in jener Saison zum Bayern-Schreck avancierte. Denn der Däne entschied das Rückspiel, das ein echtes Gipfeltreffen zwischen Erstem und Zweitem war, ganz allein. Schalke gewann im Olympiastadion am 14. April 2001 mit 3:1, alle Tore schoss Sand. Die Meisterträume des neuen Tabellenführers waren dennoch auf Sand gebaut, Schalke wurde im legendären Saisonfinale 2001 nur "Meister der Herzen".

Bayern verliert erstes Spiel in der Arena AufSchalke 1:5

Im Januar 2002 wurde erstmals in der Veltins-Arena gespielt, und Bayern wird diesen Tag nie vergessen: Der Champions-League-Gewinner kam gehörig unter die Räder und verlor 1:5. Es war Bayerns höchste Niederlage auf Schalke überhaupt, und Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge grollte: „Das war eine Beleidigung für den Namen FC Bayern.“ Im November 2003 waren sie wieder beleidigt, dabei gewann Schalke „nur“ 2:0. Kurios: Thomas Linke flog wieder vom Platz, nun aber als Bayern-Spieler. Als einer von sieben übrigens, die auf Schalke buchstäblich Rot sahen.

Im Oktober 2004 gewann Schalke unter seinem neuen Trainer Ralf Rangnick 1:0 in München und fügte Kollege Felix Magath dessen erste Heimniederlage als Bayern-Trainer zu, das Tor schoss Gerald Asamoah. Schalke-Torwart Frank Rost verweigerte hinterher Interviews, denn er habe „ja gar nicht mitgespielt“. Eine Spitze gegen die Harmlosigkeit der Bayern an jenem Tage. „Michael Ballack sprach schlicht von einem „Scheißspiel“, was die Süddeutsche Zeitung so kommentierte: „Eine solche Injurie aus Ballacks stubenreinem Munde – die Lage scheint wirklich übel und ernst zu sein.“

Nach dem Rückspiel war sie noch ernster; Lincolns Freistoßtor beförderte Schalke mit drei Punkten Vorsprung an die Spitze. Diese Niederlage trieb Bayern an, es folgte die längste Siegserie der Bundesliga-Historie (15 Spiele).

2005: Double für Bayern, Schalke zweimal "Vize"

Es war auch das letzte Mal, dass Schalke beide Saisonspiele gegen Bayern gewann. Obwohl: Eigentlich gab es 2004/2005 ja drei Pflichtspiele, denn am 28. Mai standen sich Meister und Vizemeister in Berlin im Pokalfinale gegenüber. Wie 1969 endete es mit einem noch zu niedrigen 2:1 für die Bayern, die sich trotz einiger unglücklicher Entscheidungen – sie hätten einen Handelfmeter bekommen müssen, Pizarros Tor war nicht aus Abseitsposition – nicht aus der Bahn werfen ließen.

Roy Makaays Führung glich Lincoln per Elfmeter mit dem Pausenpfiff aus. Der eingewechselte Hasan Salihamidzic traf nach 76 Minuten mit seinem ersten Ballkontakt aus allerdings abseitsverdächtiger Position. Fertig war das Double für die Bayern, die an jenem Tag zum zwölften Mal Pokalsieger wurden. Karl-Heinz Rummenigge nannte ihn „geschichtsträchtig“. Erinnerungswürdig bleibt für manche auch, dass mitten im Spiel zwei Wassersprenger losgingen und für eine Unterbrechung sorgten.

Boykott endet nach 19 Minuten und vier Sekunden

Immer weiter ging es mit den Merkwürdigkeiten: Im November 2006 beschlossen die Schalke-Fans einen Stimmungsboykott, der nach exakt 19 Minuten und vier Sekunden, entsprechend dem Gründungsjahr 1904, enden sollte. Die Mannschaft hatte verstanden und schoss schnell eine 2:0-Führung heraus, wobei das zweite Tor von Levan Kobiashvili exakt zum Ende des Boykotts fiel – so dass Jubeln wieder erlaubt war. Der FC Bayern verhinderte jedoch die komplette Aussöhnung mit den Fans und rettete noch ein 2:2.

Den ersten Münchner Sieg in der Veltins-Arena schoss dann Miroslav Klose heraus – im März 2008 endete beim 1:0 eine Serie von sechs Münchner Fehlschlägen. Danach gewann Bayern auch die drei folgenden Spiele auf Schalke, darunter ein legendäres Pokalspiel.

Legendär nicht wegen seiner vielen Tore, sondern wegen des einzigen. Das Solo von Arjen Robben am 24. März 2010, dass er in der Verlängerung an der Mittellinie begann und mit einem Prachtschuss abschloss, wurde zum Tor des Monats gewählt. Es brachte Bayern ins Finale von Berlin, das prompt 4:0 gegen Bremen gewonnen wurde.

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Revanche dank Raul

2011 nahm Schalke Revanche, wieder traf ein ausländischer Superstar – Rauls Kopfball ließ Schalkes Anhang nicht zum ersten Mal in der Allianz-Arena jubeln.

Seit vier Pflichtspielen sind die Königsblauen dort ungeschlagen, und bereits im April 2009 hieß es in der Liga 0:1 – beide Niederlagen kosteten den jeweiligen Bayern-Trainer den Job. Damals Jürgen Klinsmann, diesmal im März, wenngleich mit Verzögerung, Louis van Gaal.

Da beide Teams ihre Trainer erst neulich gewechselt haben, dürfte das Spiel am Samstag wohl nicht zu neuen Aktivitäten in den Vorstandsetagen führen. Ansonsten kann bei Bayern gegen Schalke wirklich alles passieren. Schau´n wir mal.