Bayer gegen Schalke: Werkself gegen Traditionsklub

Es sind Duelle, die sich ins kollektive Gedächtnis der Fußballfans eingebrannt haben. Spiele für die ganz großen Emotionen - Begeisterung und Entsetzen, Siegestaumel und tiefe Trauer. Begegnungen, die Millionen von Menschen in ihren Bann ziehen, jedes Mal aufs Neue. Unvergessene Momente der Bundesligahistorie, 90 Minuten für die Ewigkeit, die normale Partien zu Klassikern gemacht haben.

Ein Spiel und seine Geschichte: In einer Serie schaut der DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras immer freitags während der Saison in die Chronik von ganz besonderen Bundesliga-Duellen, die aktuell anstehen. Heute: Bayer Leverkusen gegen den FC Schalke 04, die am Sonntag (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) in der BayArena aufeinandertreffen.

Traditionsklub gegen Werkself - das klingt nicht nach allzu viel Gemeinsamkeiten. Dabei sind sie sogar im selben Jahr „geboren“, wie die Vereinsnamen nur unschwer erraten lassen: Schalke 04 und Bayer 04 Leverkusen. Doch es vergingen Jahrzehnte, ehe sich die Altersgenossen einigermaßen auf Augenhöhe begegneten. Während Schalke schon vor dem Krieg an seinem Mythos arbeitete und Meisterschaften in Serie sammelte, war von Bayer 04 nichts zu sehen auf den überregionalen Sportseiten. 1936 war Leverkusen auf dem vorläufigen Höhepunkt und immerhin zweitklassig, aber Schalke begegnete das Werksteam in Punktspielen vor dem Krieg nie.

Nach Gründung der Oberligen dauerte es auch noch ein Weilchen, ehe Bayer von 1951 bis 1956 tatsächlich in einer Liga mit Schalke spielen durfte. Das erste Duell stieg am 18. November 1951 in der Glückauf-Kampfbahn, und 30.000 kamen, um den Aufsteiger zu sehen. Bayer hatte bis dahin überrascht und noch kein Spiel verloren. Schalke-Legende Fritz Szepan, damals Trainer der Knappen, schlotterten dennoch nicht die Knie: „Leverkusen muss sich auswärts erst einleben“, sagte er im Radio. Das reizte die Gäste natürlich, aber die Punkte blieben schließlich auf Schalke, das dank zweier Tore von Kapitän Hermann Eppenhoff 2:1 siegte - das erste Bayer-Tor in diesem Duell schoss ein gewisser Herr Brecht.

Bayer erntete dennoch gute Kritiken, das Sport Magazin schrieb: „Leverkusen kämpfte mit allen Energien und ging mit fliegenden Fahnen unter.“ Und Szepan lobte: „Dieses Leverkusen wird seinen Weg machen!“

"Dieses Leverkusen wird seinen Weg machen!"

Schon im Rückspiel kassierte Schalke seine erste Niederlage (0:2) gegen Bayer. 1954/1955 standen die Leverkusener erstmals überhaupt in der Tabelle vor Schalke - als Dritter vor dem Sechsten. Dennoch datiert aus der Saison die höchste Leverkusener Pleite vor der Bundesliga - auf Schalke gab es ein 1:5. Vorboten düsterer Tage, denn 1956 stieg Leverkusen wieder ab. Die Bilanz sprach nach den ersten fünf gemeinsamen Jahren noch für Schalke (6-2-2). 1962/1963 kamen in der Oberliga noch zwei Unentschieden hinzu, der spätere Homburger Kult-Trainer Uwe Klimaschefski rettete Bayer mit seinem Tor zum 2:2 einen Punkt in der Glückauf-Kampfbahn.

Dann kam die Bundesliga, für die sich nur Schalke qualifizierte. Bayer nahm einen langen Anlauf, ehe es 1978/1979 mit einem Rekord für die 2. Liga - man blieb die ersten 20 Spiele ungeschlagen - aufstieg. Seitdem folgten 32 Jahre Bundesligajahre ohne Unterbrechung, von Beginn an verbesserte Bayer seine Bilanz gegen Schalke, zu dessen Angstgegner es längst geworden ist. Von 53 Spielen gewann Bayer 24, Schalke nur zwölf.

Sogar in Schalke ist Bayers Bilanz positiv (9-11-7). Kein Wunder, so wie es anfing: Die ersten drei Duelle wurden von der von Willibert Kremer trainierten Bayer-Auswahl ohne Gegentor gewonnen. Für die Premiere in der Bundesliga interessierten sich am 1. Dezember 1979 im Parkstadion übrigens kaum glaubliche 6000 Zuschauer, die ihr Kommen zudem noch bereuten. Bayer gewann dank eines Doppelschlags von Peter Szech 2:0. Es war ganz nebenbei Bayer Leverkusens allererster Auswärtssieg in der Bundesliga.

Erster Schalker Sieg in erster Abstiegssaison

In Schalkes erster Abstiegssaison 1980/1981 kamen die Knappen wenigstens zum ersten Sieg über Bayer (3:1), 30.000 waren Zeuge in Gelsenkirchen. Schalke stieg noch öfters ab in den Achtzigern, dreimal insgesamt, Bayer blieb. Am 7. September 1984 gab es das erste Remis, in Leverkusen trennte man sich 2:2. Aufsteiger Schalke hatte nach zwei Toren von Klaus Täuber zur Pause schon klar geführt, doch binnen zwei Minuten glichen Christian Schreier und Bum-kun Cha aus. Im Ulrich-Haberland-Stadion war Schalke in jenen Tagen übrigens kein Kassenmagnet, vierstellige Zuschauerzahlen waren keine Seltenheit. Es war eben weder ein Derby noch ein Klassiker, dazu fehlte eine bedeutende gemeinsame Vergangenheit.

Noch im 20. Jahrhundert lief Bayer Schalke den Rang ab. Meister wurden zwar beide nie, aber Leverkusen etablierte sich in der Liga und auch international dank des UEFA-Cup-Siegs 1988, als Nachbar Schalke gerade mal wieder abstieg. Ein faszinierender Fakt unterstreicht die Machtverhältnisse in dieser Beziehung: Schalke brauchte 21 Jahre bis zum ersten Sieg in Leverkusen. Bis zu jenem 31. März 2001 (0:3), dem zwei weitere in Serie folgten, flossen noch viele Schalker Tränen.

Im September 1992 etwa nach der Rekordniederlage in diesem Duell (1:6), als auch Meister-Trainer Udo Lattek kein Rezept gegen die oft als „Pillenkicker“ abqualifizierten Leverkusener. Die Revanche im Folgejahr ging auch in die Hose, nun quittierte Jörg Berger eine 1:5-Pleite, und der zur Pause ausgewechselte Schalker Torwart Jens Lehmann fuhr noch während des Spiels frustriert mit der Straßenbahn nach Hause. Von einem Passanten lieh er sich noch das Fahrgeld.

Ära der Ende Berger - Stevens übernimmt

Als Schalke im September 1996 zu Hause erneut gegen Bayer verlor (1:2), war dies das Ende der Ära Jörg Berger. Auch durch den UEFA-Cup-Sieg unter Nachfolger Huub Stevens 1997 änderte sich am Kräfteverhältnis weg. Schalke war Ende der Neunziger noch nicht stabil genug, Bayer dagegen Dauergast in der Champions League. Wieder sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache, nun bezogen auf die Schalker Heimspiele: Von den vergangenen 13 bis dato haben die Knappen nur eines gewonnen, von dem noch die Rede sein wird - es endete 7:4.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends prägte Nationalspieler Bernd Schneider zwei Duelle auf Schalke. Er verdarb jeweils in letzter Minute die Party in der Veltins-Arena, wo das Duell nach Abriss des Parkstadions erstmals am 18. August 2001 stattfand. Es war überhaupt das allererste Bundesligaspiel im neuen Schalker Stadion, und rund 60.000 Fans wollten natürlich einen Sieg zum Einzug feiern. Tomasz Hajto und Jörg Böhme per Elfmeter hatten einen 2:0-Pausenvorsprung herausgeschossen, doch Michael Ballack und Ulf Kirsten glichen nach 73 Minuten aus. Nach einem Kopfballtor von Emile Mpenza kochte die Arena wieder. Da gab es in letzter Minute Freistoß für Bayer, und Bernd Schneider nahm sich den Ball, den auch Kollege Zoltan Sebescen haben wollte: „Ich schieße. Pass auf, der sitzt“, setzte sich der „Schnix“ durch - und er hielt Wort. Und das im 100. Bundesligaspiel, einem mit besonders hitziger Atmosphäre.

Noch hitziger wurde es im Jahr darauf, als Bayer in letzter Minute einen Elfmeter bekam und Schalkes Elfmetertöter Frank Rost als Verursacher vor dem Schuss des Feldes verwiesen wurde. Und wieder wurde Bernd Schneider zum Spielverderber, fügte mit seinem 0:1 Schalke die erste Heimniederlage der Saison 2002/2003 zu.

Bayer wieder "Vizekusen"

Dazwischen lag allerdings der Triumph von Berlin am 11. Mai 2002, als der erste DFB-Pokalspiel der Nullvierer-Klubs gleich ein Finale war. Es waren die beiden Wochen, als Bayer Leverkusen zu „Vizekusen“ wurde. Die deutsche Meisterschaft hatte man bereits verspielt, nun wurden die Finals im DFB-Pokal und der Champions League verloren. Beobachter hatten damals den Eindruck, dass die Leverkusener das Berliner Finale angesichts des Gangs gegen Real Madrid (1:2) vier Tage darauf in Glasgow nicht sonderlich hoch gewichteten.

Jedenfalls brachen sie nach Dimitar Berbatovs Führung ein, Jörg Böhme mit dem Pausenpfiff, Viktor Agali und Andreas Möller mit einem Doppelschlag (68., 71.) und Ebbe Sand (85.) schossen für Schalke einen 4:1-Vorsprung heraus. Ulf Kirsten verkürzte, als alles schon zu spät war, auf 2:4. Leverkusens Carsten Ramelow klagte: „Kein Spielfluss mehr, keine Konzentration, irgendwie war die Luft raus.“ Bayer-Manager Calmund gab dennoch einen Feierbefehl auf dem Bankett: „Lasst es heute Nacht richtig krachen. Dann habt ihr morgen zwar Kopfschmerzen, aber vielleicht hilft das, um die Rübe wieder frei zu kriegen.“

Schalke feierte ganz ohne Befehl, und auch der Platzverweis für Agali trübte die Freude nur unwesentlich. Manager Rudi Assauer musste trotzdem weinen, als er die Sieger in einer emotionalen Ansprache würdigte. Vielleicht war auch Abschiedsschmerz dabei, Huub Stevens ging zu Hertha BSC Berlin. Die Tribüne im Olympiastadion sah er sich schon mal genauer an, denn erstmals wurden bei einem Pokalfinale beide Trainer aus dem Innenraum verwiesen, wobei Stevens noch eine Viertelstunde früher dran war als Leverkusens Klaus Toppmöller.

Elf Tore beim Sensationsspiel von 2006

An diesem Abend gewann letztmals eines der beiden Nullvierer-Teams einen Titel, mal abgesehen vom Ligapokal. Große Geschichte schrieben sie nicht mehr, aber noch viele kleine Geschichten. Auch in den internen Duellen. Am 17. April 2004 beispielsweise, als Mike Hanke den Bayer-Keeper Jörg Butt nach dessen euphorischem Torjubel vom Anstoßpunkt aus überwand, was an Schalkes Niederlage (2:3) aber nichts mehr änderte.

Oder dieses verrückte 7:4 vom 11. Februar 2006 an gleicher Stelle - es war Schalkes einziger Heimsieg gegen Bayer, und es ist immer noch das torreichste Bundesligaspiel in diesem Jahrtausend. Die Partie hat es zum youtube-Videohit gebracht. „Schalke gewann Sensationsspiel“, schrieb die Rheinische Post nach dem ersten Heimsieg unter dem in der Winterpause beförderten Chetrainer Mirko Slomka. Bayer-Torwart Butt betonte die Einmaligkeit des Ereignisses: „In diesem Spiel war einfach alles anders. Ich weiß nur, dass wir das nie mehr erleben werden.“

Die Gastgeber lagen immer vorn, aber nie waren sie in Sicherheit. Die Torfolge: 3:1 zur Pause, dann 3:2, 5:2, 5:4 und letztlich noch zwei Schalke-Treffer. Erst das 7:4 von Joker Gerald Asamoah entschied das verrückte Spiel. An so einem Tag der offenen Tore trafen sogar Sorgenkinder. Wie Kevin Kuranyi, damals in einer veritablen Torkrise, die nach 664 Minuten endete.

Er fügte im März 2010 Bayer auch die bis dato letzte von fünf Heimniederlagen gegen Schalke zu, Kuranyi schoss beim 2:0 beide Tore. Das kann sich Sonntag nicht wiederholen, Kuranyi ist jetzt in Moskau. Tore dürften trotzdem fallen, so wie immer in den letzten 14 Jahren. Nur ein 0:4 gab es übrigens noch nie im Duell der Nullvierer.

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Es sind Duelle, die sich ins kollektive Gedächtnis der Fußballfans eingebrannt haben. Spiele für die ganz großen Emotionen - Begeisterung und Entsetzen, Siegestaumel und tiefe Trauer. Begegnungen, die Millionen von Menschen in ihren Bann ziehen, jedes Mal aufs Neue. Unvergessene Momente der Bundesligahistorie, 90 Minuten für die Ewigkeit, die normale Partien zu Klassikern gemacht haben.

Ein Spiel und seine Geschichte: In einer Serie schaut der DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras immer freitags während der Saison in die Chronik von ganz besonderen Bundesliga-Duellen, die aktuell anstehen. Heute: Bayer Leverkusen gegen den FC Schalke 04, die am Sonntag (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) in der BayArena aufeinandertreffen.

Traditionsklub gegen Werkself - das klingt nicht nach allzu viel Gemeinsamkeiten. Dabei sind sie sogar im selben Jahr „geboren“, wie die Vereinsnamen nur unschwer erraten lassen: Schalke 04 und Bayer 04 Leverkusen. Doch es vergingen Jahrzehnte, ehe sich die Altersgenossen einigermaßen auf Augenhöhe begegneten. Während Schalke schon vor dem Krieg an seinem Mythos arbeitete und Meisterschaften in Serie sammelte, war von Bayer 04 nichts zu sehen auf den überregionalen Sportseiten. 1936 war Leverkusen auf dem vorläufigen Höhepunkt und immerhin zweitklassig, aber Schalke begegnete das Werksteam in Punktspielen vor dem Krieg nie.

Nach Gründung der Oberligen dauerte es auch noch ein Weilchen, ehe Bayer von 1951 bis 1956 tatsächlich in einer Liga mit Schalke spielen durfte. Das erste Duell stieg am 18. November 1951 in der Glückauf-Kampfbahn, und 30.000 kamen, um den Aufsteiger zu sehen. Bayer hatte bis dahin überrascht und noch kein Spiel verloren. Schalke-Legende Fritz Szepan, damals Trainer der Knappen, schlotterten dennoch nicht die Knie: „Leverkusen muss sich auswärts erst einleben“, sagte er im Radio. Das reizte die Gäste natürlich, aber die Punkte blieben schließlich auf Schalke, das dank zweier Tore von Kapitän Hermann Eppenhoff 2:1 siegte - das erste Bayer-Tor in diesem Duell schoss ein gewisser Herr Brecht.

Bayer erntete dennoch gute Kritiken, das Sport Magazin schrieb: „Leverkusen kämpfte mit allen Energien und ging mit fliegenden Fahnen unter.“ Und Szepan lobte: „Dieses Leverkusen wird seinen Weg machen!“

"Dieses Leverkusen wird seinen Weg machen!"

Schon im Rückspiel kassierte Schalke seine erste Niederlage (0:2) gegen Bayer. 1954/1955 standen die Leverkusener erstmals überhaupt in der Tabelle vor Schalke - als Dritter vor dem Sechsten. Dennoch datiert aus der Saison die höchste Leverkusener Pleite vor der Bundesliga - auf Schalke gab es ein 1:5. Vorboten düsterer Tage, denn 1956 stieg Leverkusen wieder ab. Die Bilanz sprach nach den ersten fünf gemeinsamen Jahren noch für Schalke (6-2-2). 1962/1963 kamen in der Oberliga noch zwei Unentschieden hinzu, der spätere Homburger Kult-Trainer Uwe Klimaschefski rettete Bayer mit seinem Tor zum 2:2 einen Punkt in der Glückauf-Kampfbahn.

Dann kam die Bundesliga, für die sich nur Schalke qualifizierte. Bayer nahm einen langen Anlauf, ehe es 1978/1979 mit einem Rekord für die 2. Liga - man blieb die ersten 20 Spiele ungeschlagen - aufstieg. Seitdem folgten 32 Jahre Bundesligajahre ohne Unterbrechung, von Beginn an verbesserte Bayer seine Bilanz gegen Schalke, zu dessen Angstgegner es längst geworden ist. Von 53 Spielen gewann Bayer 24, Schalke nur zwölf.

Sogar in Schalke ist Bayers Bilanz positiv (9-11-7). Kein Wunder, so wie es anfing: Die ersten drei Duelle wurden von der von Willibert Kremer trainierten Bayer-Auswahl ohne Gegentor gewonnen. Für die Premiere in der Bundesliga interessierten sich am 1. Dezember 1979 im Parkstadion übrigens kaum glaubliche 6000 Zuschauer, die ihr Kommen zudem noch bereuten. Bayer gewann dank eines Doppelschlags von Peter Szech 2:0. Es war ganz nebenbei Bayer Leverkusens allererster Auswärtssieg in der Bundesliga.

Erster Schalker Sieg in erster Abstiegssaison

In Schalkes erster Abstiegssaison 1980/1981 kamen die Knappen wenigstens zum ersten Sieg über Bayer (3:1), 30.000 waren Zeuge in Gelsenkirchen. Schalke stieg noch öfters ab in den Achtzigern, dreimal insgesamt, Bayer blieb. Am 7. September 1984 gab es das erste Remis, in Leverkusen trennte man sich 2:2. Aufsteiger Schalke hatte nach zwei Toren von Klaus Täuber zur Pause schon klar geführt, doch binnen zwei Minuten glichen Christian Schreier und Bum-kun Cha aus. Im Ulrich-Haberland-Stadion war Schalke in jenen Tagen übrigens kein Kassenmagnet, vierstellige Zuschauerzahlen waren keine Seltenheit. Es war eben weder ein Derby noch ein Klassiker, dazu fehlte eine bedeutende gemeinsame Vergangenheit.

Noch im 20. Jahrhundert lief Bayer Schalke den Rang ab. Meister wurden zwar beide nie, aber Leverkusen etablierte sich in der Liga und auch international dank des UEFA-Cup-Siegs 1988, als Nachbar Schalke gerade mal wieder abstieg. Ein faszinierender Fakt unterstreicht die Machtverhältnisse in dieser Beziehung: Schalke brauchte 21 Jahre bis zum ersten Sieg in Leverkusen. Bis zu jenem 31. März 2001 (0:3), dem zwei weitere in Serie folgten, flossen noch viele Schalker Tränen.

Im September 1992 etwa nach der Rekordniederlage in diesem Duell (1:6), als auch Meister-Trainer Udo Lattek kein Rezept gegen die oft als „Pillenkicker“ abqualifizierten Leverkusener. Die Revanche im Folgejahr ging auch in die Hose, nun quittierte Jörg Berger eine 1:5-Pleite, und der zur Pause ausgewechselte Schalker Torwart Jens Lehmann fuhr noch während des Spiels frustriert mit der Straßenbahn nach Hause. Von einem Passanten lieh er sich noch das Fahrgeld.

Ära der Ende Berger - Stevens übernimmt

Als Schalke im September 1996 zu Hause erneut gegen Bayer verlor (1:2), war dies das Ende der Ära Jörg Berger. Auch durch den UEFA-Cup-Sieg unter Nachfolger Huub Stevens 1997 änderte sich am Kräfteverhältnis weg. Schalke war Ende der Neunziger noch nicht stabil genug, Bayer dagegen Dauergast in der Champions League. Wieder sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache, nun bezogen auf die Schalker Heimspiele: Von den vergangenen 13 bis dato haben die Knappen nur eines gewonnen, von dem noch die Rede sein wird - es endete 7:4.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends prägte Nationalspieler Bernd Schneider zwei Duelle auf Schalke. Er verdarb jeweils in letzter Minute die Party in der Veltins-Arena, wo das Duell nach Abriss des Parkstadions erstmals am 18. August 2001 stattfand. Es war überhaupt das allererste Bundesligaspiel im neuen Schalker Stadion, und rund 60.000 Fans wollten natürlich einen Sieg zum Einzug feiern. Tomasz Hajto und Jörg Böhme per Elfmeter hatten einen 2:0-Pausenvorsprung herausgeschossen, doch Michael Ballack und Ulf Kirsten glichen nach 73 Minuten aus. Nach einem Kopfballtor von Emile Mpenza kochte die Arena wieder. Da gab es in letzter Minute Freistoß für Bayer, und Bernd Schneider nahm sich den Ball, den auch Kollege Zoltan Sebescen haben wollte: „Ich schieße. Pass auf, der sitzt“, setzte sich der „Schnix“ durch - und er hielt Wort. Und das im 100. Bundesligaspiel, einem mit besonders hitziger Atmosphäre.

Noch hitziger wurde es im Jahr darauf, als Bayer in letzter Minute einen Elfmeter bekam und Schalkes Elfmetertöter Frank Rost als Verursacher vor dem Schuss des Feldes verwiesen wurde. Und wieder wurde Bernd Schneider zum Spielverderber, fügte mit seinem 0:1 Schalke die erste Heimniederlage der Saison 2002/2003 zu.

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Bayer wieder "Vizekusen"

Dazwischen lag allerdings der Triumph von Berlin am 11. Mai 2002, als der erste DFB-Pokalspiel der Nullvierer-Klubs gleich ein Finale war. Es waren die beiden Wochen, als Bayer Leverkusen zu „Vizekusen“ wurde. Die deutsche Meisterschaft hatte man bereits verspielt, nun wurden die Finals im DFB-Pokal und der Champions League verloren. Beobachter hatten damals den Eindruck, dass die Leverkusener das Berliner Finale angesichts des Gangs gegen Real Madrid (1:2) vier Tage darauf in Glasgow nicht sonderlich hoch gewichteten.

Jedenfalls brachen sie nach Dimitar Berbatovs Führung ein, Jörg Böhme mit dem Pausenpfiff, Viktor Agali und Andreas Möller mit einem Doppelschlag (68., 71.) und Ebbe Sand (85.) schossen für Schalke einen 4:1-Vorsprung heraus. Ulf Kirsten verkürzte, als alles schon zu spät war, auf 2:4. Leverkusens Carsten Ramelow klagte: „Kein Spielfluss mehr, keine Konzentration, irgendwie war die Luft raus.“ Bayer-Manager Calmund gab dennoch einen Feierbefehl auf dem Bankett: „Lasst es heute Nacht richtig krachen. Dann habt ihr morgen zwar Kopfschmerzen, aber vielleicht hilft das, um die Rübe wieder frei zu kriegen.“

Schalke feierte ganz ohne Befehl, und auch der Platzverweis für Agali trübte die Freude nur unwesentlich. Manager Rudi Assauer musste trotzdem weinen, als er die Sieger in einer emotionalen Ansprache würdigte. Vielleicht war auch Abschiedsschmerz dabei, Huub Stevens ging zu Hertha BSC Berlin. Die Tribüne im Olympiastadion sah er sich schon mal genauer an, denn erstmals wurden bei einem Pokalfinale beide Trainer aus dem Innenraum verwiesen, wobei Stevens noch eine Viertelstunde früher dran war als Leverkusens Klaus Toppmöller.

Elf Tore beim Sensationsspiel von 2006

An diesem Abend gewann letztmals eines der beiden Nullvierer-Teams einen Titel, mal abgesehen vom Ligapokal. Große Geschichte schrieben sie nicht mehr, aber noch viele kleine Geschichten. Auch in den internen Duellen. Am 17. April 2004 beispielsweise, als Mike Hanke den Bayer-Keeper Jörg Butt nach dessen euphorischem Torjubel vom Anstoßpunkt aus überwand, was an Schalkes Niederlage (2:3) aber nichts mehr änderte.

Oder dieses verrückte 7:4 vom 11. Februar 2006 an gleicher Stelle - es war Schalkes einziger Heimsieg gegen Bayer, und es ist immer noch das torreichste Bundesligaspiel in diesem Jahrtausend. Die Partie hat es zum youtube-Videohit gebracht. „Schalke gewann Sensationsspiel“, schrieb die Rheinische Post nach dem ersten Heimsieg unter dem in der Winterpause beförderten Chetrainer Mirko Slomka. Bayer-Torwart Butt betonte die Einmaligkeit des Ereignisses: „In diesem Spiel war einfach alles anders. Ich weiß nur, dass wir das nie mehr erleben werden.“

Die Gastgeber lagen immer vorn, aber nie waren sie in Sicherheit. Die Torfolge: 3:1 zur Pause, dann 3:2, 5:2, 5:4 und letztlich noch zwei Schalke-Treffer. Erst das 7:4 von Joker Gerald Asamoah entschied das verrückte Spiel. An so einem Tag der offenen Tore trafen sogar Sorgenkinder. Wie Kevin Kuranyi, damals in einer veritablen Torkrise, die nach 664 Minuten endete.

Er fügte im März 2010 Bayer auch die bis dato letzte von fünf Heimniederlagen gegen Schalke zu, Kuranyi schoss beim 2:0 beide Tore. Das kann sich Sonntag nicht wiederholen, Kuranyi ist jetzt in Moskau. Tore dürften trotzdem fallen, so wie immer in den letzten 14 Jahren. Nur ein 0:4 gab es übrigens noch nie im Duell der Nullvierer.