Arne Friedrich: "Deutschland ist der WM-Topfavorit"

Friedrich: Das war ein Spiel auf Messers Schneide. Ich wusste, dass es sehr eng wird und ich weiß noch, wie hochkonzentriert ich beim Anpfiff war. Mesut Özil macht das 1:0 in der 60. Minute. Es gibt dieses Foto von mir, direkt nach dem Abpfiff, auf den Knien, geballte Fäuste. Da mussten die Emotionen schon raus. Es war schon sehr knapp. Ghana ist einfach schwer zu spielen. Mit Kevin Prince Boateng haben sie einen überdurchschnittlich talentierten Spieler. Er wird hoch motiviert in dieses Bruderduell gehen. Asamoah Gyan, der 2010 im Sturm spielte und wohl auch in Brasilien dabei sein wird, ist sicher noch ein absoluter Aktivposten. Leicht wird’s nicht. Andererseits hat unsere Mannschaft die Qualität, jeden Gegner zu besiegen.

DFB.de: Nach dem Ghana-Spiel sagten Sie damals, diese Leistung reiche gegen England bestimmt nicht. Wie unzufrieden waren Sie?

Friedrich: Wir mussten in Johannesburg vor 80.000 Zuschauern in einem entscheidenden Gruppenspiel antreten. Uns reichte ein Punkt, Ghana musste gewinnen oder auf fremde Hilfe hoffen. Es stand lange 0:0. Dem Druck standzuhalten, war nicht so einfach. Ein hartes Stück Arbeit.

DFB.de: Auch gegen Portugal haben Sie mal ein besonderes Spiel bestritten. Im EM-Viertelfinale 2008 übertrug ihnen der Bundestrainer die Bewachung von Cristiano Ronaldo.

Friedrich: Da machst Du Dir vorher Gedanken, ob alles gut geht. Ich fand das immer gut, die klare Order, einen Spieler komplett auszuschalten. Je besser der Gegner, desto mehr konnte ich mich in diese Aufgabe verbeißen. Das hat mir gelegen.

DFB.de: 3:2 für Deutschland hieß es am Ende, und Ronaldo hatte kein Tor gemacht.

Friedrich: (lacht) Ich aber auch nicht.

DFB.de: Ist Ronaldo für Sie der Weltfußballer 2013?



Die Gruppe ist ausgelost, das Quartier ausgewählt, so richtig viele freie Plätze im Kader gibt es wohl nicht mehr. Von jetzt an bekommen die kleinen Dinge entscheidende Bedeutung. Die Tagesform etwa, ein freier Kopf, der Teamgeist. Arne Friedrich weiß, wie man auf den Punkt fit wird für eine Weltmeisterschaft. Südafrika war (auch) sein Turnier. Der langjährige Kapitän von Hertha BSC hat wichtige Länderspiele gegen Portugal und Ghana bestritten. Eliminationsspiele. Und den amerikanischen Fußball kennt er sowieso aus eigener Erfahrung. Gründe genug, für ein DFB.de-Gespräch der Woche mit dem 82-maligen Nationalspieler, der nach zwei Jahren in Chicago heute wieder in Berlin lebt.

DFB.de: Arne Friedrich, zwischen 2004 und 2010 standen Sie bei allen großen Endrunden für Deutschland auf dem Platz. Ihr bestes Turnier haben Sie sich für den Schluss aufgehoben. In Südafrika besetzten Sie mit Per Mertesacker die deutsche Innenverteidigung und verpassten keine einzige WM-Minute. Gegen Argentinien im Viertelfinale liefen Sie Messi und Tevez sicher ab, erzielten zudem das 3:0 – ihr erstes Tor im 77. Länderspiel. Alle Experten urteilten: Weltklasse. Am Ende des Turniers hatten Sie die beste Zweikampfquote aller deutschen Spieler vorzuweisen und waren in vier von sieben Spielen ohne ein einziges Foul ausgekommen. Lange Vorrede, kurze Frage: Wie haben Sie das gemacht?

Arne Friedrich: Ich durfte als Innenverteidiger spielen, nicht auf der rechten Seite, wie die Jahre zuvor. Ansonsten ging der WM ein schwieriges Jahr voraus. Als ich nach Afrika flog, war ich gerade mit Hertha BSC abgestiegen. Doch der Bundestrainer hatte meine Leistungen in der Vorbereitung gesehen und schenkte mir sein Vertrauen.

DFB.de: Hatten Sie den Vertrag mit Wolfsburg schon vor dem Turnier unterschrieben?

Friedrich: Ja, vor dem WM-Start war alles geklärt.

DFB.de: War es nicht dennoch schwer, den Kopf frei zu bekommen für die WM?

Friedrich: Klar, ich hatte acht Jahre in Berlin gespielt, der Abstieg hatte mich sehr traurig gemacht. Wir haben damals 20 Niederlagen eingefahren, wurden ziemlich deutlich Tabellenletzter. Kritik wurde massiv beim Hertha-Kapitän abgeladen. Für mich war es ein echt langes Jahr, der Druck war immens. Kurz vor der WM aber, als der Wechsel feststand, fühlte ich mich eigentlich eher erleichtert. Ich kam dann sofort gut in die Zweikämpfe, mein Selbstvertrauen wuchs von Spiel zu Spiel.

DFB.de: 2010 fiel Kapitän Michael Ballack kurz vor dem Turnier aus. Wie hat es die Mannschaft damals geschafft, seinen Ausfall wegzustecken?

Friedrich: Sehr gut, das hat man dann ja gesehen. Michael hätte uns sicher geholfen, vielleicht gerade auch im Halbfinale gegen Spanien. Aber insgesamt hat die Mannschaft die Sache hervorragend kompensiert. Philipp wurde Kapitän, die Verantwortung im Mannschaftsrat auf mehrere Spieler verteilt.

DFB.de: Beim Länderspiel in Mailand hat sich Sami Khedira schwer verletzt. Eine Parallele zur letzten WM: Es droht der Ausfall des dominanten defensiven Mittelfeldspielers.

Friedrich: Mit Sami Khedira ist jetzt ein unglaublich wichtiger Spieler ausgefallen. Er hat eine sehr starke Präsenz auf dem Platz, er hat technisch viele Möglichkeiten, kann aber auch mal dazwischen hauen und robuster einsteigen. Er deckt während eines Spiels eine große Fläche ab. Khedira ist sehr laufstark, und, wichtiger noch, sehr willensstark. Seine Rückkehr in die Mannschaft ist sehr, sehr wichtig. Auch bei den Temperaturen in Fortaleza und Recife wird unsere Mannschaft seine Willenskraft dringend brauchen. Gerade dieser Wille wird Sami aber auch helfen, rechtzeitig für die WM fit zu werden.

DFB.de: Per Mertesacker musste bei der EM 2012 zuschauen und gehört jetzt, ein halbes Jahr vor Brasilien, wieder zum festen Stamm. Freuen Sie sich für Ihren Ex-Kollegen in der Innenverteidigung ganz besonders?

Friedrich: Pers Wechsel zu Arsenal London war ein wichtiger Schritt. Arsene Wenger ist ein ganz großer des Trainerfachs. Mit Wengers Hilfe hat Per sein Spiel noch mal weiter entwickelt, seine Fähigkeiten auf und neben dem Platz. Er ist ohnehin nicht nur ein starker Spieler, sondern auch ein wahnsinnig netter Kerl. Per ist seit fast zehn Jahren in der Nationalmannschaft, war eigentlich immer gesetzt. Diese kleine Schwächephase hat doch fast jeder Nationalspieler irgendwann…okay, bis auf Philipp Lahm.

DFB.de: Viel wird gerade über das deutsche Basecamp in Brasilien gesprochen. Ihr wart damals im Gran Velmore nahe Pretoria untergebracht. Wie wichtig ist der passende Rahmen für die sportliche Leistung?

Friedrich: Total wichtig. Man ist so viele Tage am Stück zusammen, da ist es schon zu empfehlen, eine Atmosphäre für die Spieler zu schaffen, in der man sich wohlfühlt. Es kommt der Tag, an dem jeder mal den Kopf frei bekommen muss und mal nicht an Fußball denken will. Abwechslung ist wichtig, mal die Routine durchbrechen. Dafür muss das Hotel Möglichkeiten bieten. Wir hatten damals wirklich alles an Sport- und Freizeitmöglichkeiten. Immer wieder gab es Angebote, Veranstaltungen, auch außerhalb des Hotels. Nein, in dieser Beziehung sind der DFB und besonders Oliver Bierhoff bis ins Detail vorbereitet. Das läuft gut.

DFB.de: Ghana war schon 2010 unser Gruppengegner. Wie sind ihre Erinnerungen an das dritte Gruppenspiel damals in Johannesburg?

Friedrich: Das war ein Spiel auf Messers Schneide. Ich wusste, dass es sehr eng wird und ich weiß noch, wie hochkonzentriert ich beim Anpfiff war. Mesut Özil macht das 1:0 in der 60. Minute. Es gibt dieses Foto von mir, direkt nach dem Abpfiff, auf den Knien, geballte Fäuste. Da mussten die Emotionen schon raus. Es war schon sehr knapp. Ghana ist einfach schwer zu spielen. Mit Kevin Prince Boateng haben sie einen überdurchschnittlich talentierten Spieler. Er wird hoch motiviert in dieses Bruderduell gehen. Asamoah Gyan, der 2010 im Sturm spielte und wohl auch in Brasilien dabei sein wird, ist sicher noch ein absoluter Aktivposten. Leicht wird’s nicht. Andererseits hat unsere Mannschaft die Qualität, jeden Gegner zu besiegen.

DFB.de: Nach dem Ghana-Spiel sagten Sie damals, diese Leistung reiche gegen England bestimmt nicht. Wie unzufrieden waren Sie?

Friedrich: Wir mussten in Johannesburg vor 80.000 Zuschauern in einem entscheidenden Gruppenspiel antreten. Uns reichte ein Punkt, Ghana musste gewinnen oder auf fremde Hilfe hoffen. Es stand lange 0:0. Dem Druck standzuhalten, war nicht so einfach. Ein hartes Stück Arbeit.

DFB.de: Auch gegen Portugal haben Sie mal ein besonderes Spiel bestritten. Im EM-Viertelfinale 2008 übertrug ihnen der Bundestrainer die Bewachung von Cristiano Ronaldo.

Friedrich: Da machst Du Dir vorher Gedanken, ob alles gut geht. Ich fand das immer gut, die klare Order, einen Spieler komplett auszuschalten. Je besser der Gegner, desto mehr konnte ich mich in diese Aufgabe verbeißen. Das hat mir gelegen.

DFB.de: 3:2 für Deutschland hieß es am Ende, und Ronaldo hatte kein Tor gemacht.

Friedrich: (lacht) Ich aber auch nicht.

DFB.de: Ist Ronaldo für Sie der Weltfußballer 2013?

Friedrich: Nein, den Titel hat ein Bundesliga-Profi verdient. Die Liga hat sich nach ganz oben in Europa gearbeitet und Franck Ribéry hat eine absolute Weltklasse-Saison gespielt. Ich darf nicht abstimmen. Wenn ich dürfte, wäre es für Ribéry.

DFB.de: Auch den dritten deutschen Gruppengegner kennen Sie sehr gut.

Friedrich: Viele US-Nationalspieler sind doch eher nicht in der Major League Soccer unter Vertrag, da ist vielleicht Clint Dempsey von den Seattle Sounders der bekannteste. Jürgen Klinsmann holt sich seine Spieler aus anderen Ligen. Ich traue ihm sicher zu, aus diesem zusammen gewürfelten Haufen zur WM eine Mannschaft zu formen. Laufen und kämpfen können sie alle. Aber wir haben doch ein ganz anderes Potential.

DFB.de: Wie war die Erfahrung, zum Ausklang Ihrer Karriere in den USA Fußball zu spielen?

Friedrich: Sicher eine meiner besten Entscheidungen. Für mich war das mit die schönste Zeit im Fußball. Dort wird sehr professionell gearbeitet. Ich habe die Sprache gelernt, neue Freunde gefunden und ich hatte mein Haus direkt am Lake Michigan. Chicago ist für mich eine der schönsten Städte der Welt.

DFB.de: Doch nicht schöner als Berlin?

Friedrich: Berlin ist meine Heimat, aber die Lebensqualität in Chicago würde ich dann doch noch mal höher bewerten.

DFB.de: Im Herbst 2010 hatten Sie einen Bandscheibenvorfall. Der Zustand hatte sich danach zunehmend verschlechtert. Wie geht es Ihnen heute?

Friedrich: Viel besser. Vor rund einem halben Jahr habe ich bei Chicago Fire aufgehört, seitdem hat sich mein Gesundheitszustand um rund 80 Prozent verbessert. Die noch bestehenden Probleme sind marginal.

DFB.de: Und die Zukunft? Wissen Sie schon, wie Sie den Weg nach der Fußballkarriere fortsetzen wollen? Trainer oder TV?

Friedrich: Nein. Momentan lerne ich Spanisch, das mache ich fünfmal die Woche, jeweils drei Stunden per Lerneinheit. Ich treibe mittlerweile wieder viel Sport. Den konkreten nächsten Schritt gibt es noch nicht. Das lasse ich auf mich zukommen.

DFB.de: Diesmal kurzer Vorlauf, dafür eine große Frage: Wer wird Weltmeister?

Friedrich: Jogi Löw hat vor einigen Tagen gesagt, Brasilien sei für ihn aufgrund der klimatischen Bedingungen und des Heimvorteils der Topfavorit. Für mich ist Deutschland der Topfavorit. Die Mannschaft hat in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, dass sie auf einem unglaublich hohen Niveau Fußball spielen kann. Natürlich gehört auch Glück dazu. Italien hat 2006 auch nicht nur überzeugt und wurde am Ende Weltmeister. Jetzt sind wir soweit. Der Titel ist drin.