DFB.de: Sie sprechen von einer „Aufsteiger-Republik“ und fordern,
kein Talent dürfe verloren gehen. Joachim Löw
und Matthias Sammer würden ihnen dabei sicher zustimmen.
Was bringt Integration auf dem Spielfeld der
Gesellschaft?
Laschet: Wir sind eine älter werdende Gesellschaft. Im vergangenen
Jahr war erstmals die Gruppe der Menschen, die 65
Jahre und älter waren, größer als die Gruppe derjenigen,
die jünger als 20 Jahre waren. Wenn die geburtenstarken
Jahrgänge in etwa 20 Jahren das Pensionsalter erreichen,
wechseln pro Jahr eine Million Menschen in den
Ruhestand. Heute haben von unseren Jüngsten im
Kindergarten hier in Nordrhein-Westfalen 40 Prozent eine
Zuwanderungsgeschichte. Genau die aber werden 2030 das Land tragen und unsere Renten finanzieren müssen.
Dass diese Kinder ein gutes Deutsch sprechen, dass sie
Bildungs- und Aufstiegschancen haben, liegt im gesamtgesellschaftlichen
Interesse. Viele dieser Kinder aus
Zuwandererfamilien werden in 20 Jahren die Eliten unserer
Gesellschaft stellen müssen, so wie einige es heute
schon auf dem Fußballplatz tun.
DFB.de: Die Argumentation leuchtet ein, aber geht die Rechnung
wirklich auf? Sind diese Kinder für diese besondere
Aufgabe gut gewappnet?
Laschet: Wir haben viel zu spät begonnen. Aber mittlerweile wird
auf allen Ebenen, von Bund, Ländern und Kommunen, integrativ
gearbeitet. Wir bieten schon im Kindergarten Sprachförderung an, mehr schulische Ganztagsangebote, die finden
jetzt überall in Deutschland statt. Auch beim DFB.
DFB.de: Wo steht Deutschland bei der Integration im europäischen
Vergleich? Wer ist „Integrations-Europameister“?
Laschet: Der DFB hat das Thema erkannt und mit viel Engagement
vorangetrieben. Genau wie die Politik hatte der Fußball
eine Weile die Augen vor dem Wandel verschlossen, dafür
scheint mir der Verband seine Verantwortung bei der
Integration mittlerweile mit voller Kraft anzugehen. Europas
Länder unterscheiden sich stark in ihrer Bevölkerungsstruktur. Bei uns in Deutschland veränderte die sogenannte
„Gastarbeiter-Zuwanderung“ das Bevölkerungsbild, während
die Situation etwa in Frankreich und den Niederlanden
durch die Kolonialgeschichte geprägt wird. Grenzübergreifend gilt aus meiner Sicht, dass der Sport der Motor
der Integration ist.
[th]
[bild1]
Es ist eine Vision, und eine Verpflichtung. „Kein Kind, kein Talent, kein Potenzial darf
verloren gehen." Wer das sagt, ist Armin Laschet. Ein Aachener, der in den vergangenen
fünf Jahren nach diesem Leitmotiv viel bewegt hat. 2005 hatte Nordrhein-Westfalens
damals gerade gewählter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ihn zum „Generationen-Minister“ ernannt. Hauptaufgabe: die Ausländer- und Migranten-Integration. Er war zu
jener Zeit der erste und einzige „Integrations-Minister“ auf Länderebene. DFB.de-Redakteur
Thomas Hackbarth sprach mit Laschet über Fußball in der „älter-bunter-weniger Republik“.
Laschet, dessen Vater noch
unter Tage geschuftet
hatte, im Bergwerk Anna
im Aachener Revier, und
der selbst am 18. Februar 1961
im Marienhospital in Aachen-Burtscheid das Licht der Welt
erblickt hatte, sollte 2005
plötzlich zuständig sein für die
drängenden Fragen der Integration. Ein Jurist, Fernsehjournalist und dann Politiker, der 1994 per Direktmandat
des Wahlkreises Aachen-Stadt in den Bundestag aufgestiegen
war. Auf einer Familienfeier hatte den leidenschaftlichen
Fußballfan und Anhänger von Alemannia Aachen
damals der Anruf von Rüttgers erreicht. Die Stellenbeschreibung von einst ist längst Grundüberzeugung.
DFB.de: Sich für Integration einsetzen und beim Länderspiel
lautstark "Deutschland, Deutschland" rufen, passt das
zusammen?
Armin Laschet: Ja, auf jeden Fall! Patriotismus und Integration sind längst kein sich beißendes Begriffspaar mehr.
Gerade die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hat hier viel
verändert. Während der WM 2006 haben viele türkischstämmige
Zuwanderer mit unserer deutschen Mannschaft
gefiebert. Mittlerweile gibt es sogar aus der Türkei stammende
Nationalspieler. Mesut Özil hat sich zu Deutschland
bekannt, anders als eine Generation zuvor, als Spieler wie
etwa die Altintops sich noch für die türkische Nationalmannschaft entschieden haben. Die Nationalmannschaft
ist heute ein Ort und ein Symbol der erfolgreichen Integration. Jugendliche sehen, dass ein talentierter Spieler, egal
mit welcher Zuwanderungsgeschichte, seinen Weg gehen
kann, bis hoch zum Stammplatz in der Nationalmannschaft.
Das ist eine sehr starke Botschaft.
DFB.de: Es gibt Kritiker, die behaupten, die Integration gerade
muslimischer Menschen in Deutschland sei gescheitert,
das friedliche und respektvolle Miteinander der Kulturen
nur eine Illusion.
Laschet: Integration ist nicht gescheitert, aber es gibt noch viel
zu tun. Wir müssen ran an die Probleme, die eigentlich
soziale Probleme sind. Wenn Menschen aus bildungsfernsten
Schichten ihrem Kind in der Schule helfen wollen, dann
ist das schwierig. Diesem Kind muss unser Bildungssystem
eine reelle Aufstiegschance geben, unabhängig von der
Herkunft der Eltern. Gleichzeitig müssen wir die durchaus
vorhandenen Erfolgsgeschichten erzählen. Die Karriere
Mesut Özils ist so eine Erfolgsstory, genauso die Laufbahn
meiner neuen Kollegin Aygül Özkan aus Niedersachsen,
die als Tochter eines türkischen Schneiders ihr Abitur und
Studium gemeistert hat und jetzt in ein hohes Staatsamt
aufgestiegen ist. Solche Beispiele gibt es in der Wirtschaft,
in der Politik und in den Medien. Aber gerade der Sport
in Deutschland mit seinen vielen tausend Vereinen ist der
eigentliche Motor der Integration.
DFB.de: Was kann gerade der Fußball für die Integration leisten?
Laschet: Der Fußball ist ein Modell, hier zeigt sich, dass jeder in
unserer Gesellschaft es schaffen kann. Hier wird sichtbar,
dass Deutschland sich verändert hat und weiter verändert.
Die Helden von Bern sahen anders aus als die heutige
Nationalmannschaft, die mit Klose, Podolski, Özil und
Tasci ein Spiegelbild unserer Gesellschaft ist. Unsere
Mannschaft ist vielfältiger geworden.
DFB.de: Sie sprechen von einer „Aufsteiger-Republik“ und fordern,
kein Talent dürfe verloren gehen. Joachim Löw
und Matthias Sammer würden ihnen dabei sicher zustimmen.
Was bringt Integration auf dem Spielfeld der
Gesellschaft?
Laschet: Wir sind eine älter werdende Gesellschaft. Im vergangenen
Jahr war erstmals die Gruppe der Menschen, die 65
Jahre und älter waren, größer als die Gruppe derjenigen,
die jünger als 20 Jahre waren. Wenn die geburtenstarken
Jahrgänge in etwa 20 Jahren das Pensionsalter erreichen,
wechseln pro Jahr eine Million Menschen in den
Ruhestand. Heute haben von unseren Jüngsten im
Kindergarten hier in Nordrhein-Westfalen 40 Prozent eine
Zuwanderungsgeschichte. Genau die aber werden 2030 das Land tragen und unsere Renten finanzieren müssen.
Dass diese Kinder ein gutes Deutsch sprechen, dass sie
Bildungs- und Aufstiegschancen haben, liegt im gesamtgesellschaftlichen
Interesse. Viele dieser Kinder aus
Zuwandererfamilien werden in 20 Jahren die Eliten unserer
Gesellschaft stellen müssen, so wie einige es heute
schon auf dem Fußballplatz tun.
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DFB.de: Die Argumentation leuchtet ein, aber geht die Rechnung
wirklich auf? Sind diese Kinder für diese besondere
Aufgabe gut gewappnet?
Laschet: Wir haben viel zu spät begonnen. Aber mittlerweile wird
auf allen Ebenen, von Bund, Ländern und Kommunen, integrativ
gearbeitet. Wir bieten schon im Kindergarten Sprachförderung an, mehr schulische Ganztagsangebote, die finden
jetzt überall in Deutschland statt. Auch beim DFB.
DFB.de: Wo steht Deutschland bei der Integration im europäischen
Vergleich? Wer ist „Integrations-Europameister“?
Laschet: Der DFB hat das Thema erkannt und mit viel Engagement
vorangetrieben. Genau wie die Politik hatte der Fußball
eine Weile die Augen vor dem Wandel verschlossen, dafür
scheint mir der Verband seine Verantwortung bei der
Integration mittlerweile mit voller Kraft anzugehen. Europas
Länder unterscheiden sich stark in ihrer Bevölkerungsstruktur. Bei uns in Deutschland veränderte die sogenannte
„Gastarbeiter-Zuwanderung“ das Bevölkerungsbild, während
die Situation etwa in Frankreich und den Niederlanden
durch die Kolonialgeschichte geprägt wird. Grenzübergreifend gilt aus meiner Sicht, dass der Sport der Motor
der Integration ist.