"Anti-Rassismus-Wochen stärken Zivilcourage auf den Tribünen"

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Das Bundesliga-Topspiel Bayer Leverkusen gegen Bayern München am Samstag (ab 18.30 Uhr, live bei Sky) ist eine von mehr als 1000 Veranstaltungen der Internationalen Wochen gegen Rassismus. Wie in Leverkusen, bezieht der Fußball überall Position: von der Bundesliga bis in die Regionalligen. Organisiert werden die Aktionswochen durch den Interkulturellen Rat, dessen Vorsitzender Jürgen Micksch schon jetzt eine positive Bilanz zieht: "Noch nie war die Beteiligung so groß wie in diesem Jahr."

Der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski spricht zum Auftakt der Internationalen Wochen im aktuellen DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth über Rassismus und Diskriminierung im Stadion.

DFB.de: Herr Dembowski, am Montag wurden die Anti-Rassismus-Wochen von der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer eröffnet. Fast alle Klubs von der Bundesliga bis in die Regionalligen engagieren sich. Was bringt so etwas?

Gerd Dembowski: Die große Mehrheit der Fans ist friedfertig. Sie feiern den Sieg, und wenn verloren wird, blasen sie Trübsal. Gerade diese Fans sollen mit den Anti-Rassismus-Wochen erreicht werden. 213 Sportveranstaltungen beteiligen sich in diesem Jahr an der Aktion des Interkulturellen Rates, darunter überwiegend Spiele von der Bundesliga bis in die Regionalligen. Im besten Fall stärken die Anti-Rassismus-Wochen Zivilcourage auf den Tribünen. Der DFB ist seit Jahren aktiv und engagiert, ich selbst bin Mitglied in seiner AG Anti-Diskriminierung. Doch solche Zeichen von Anti-Diskriminierung müssen in den Stadien von Fans und Institutionen auch verlebendigt werden. Andererseits wäre nur Symbolik auch zu wenig. Es braucht schon ein Programm, das durch den Verband, die Vereine und die sozialpädagogischen Fanprojekte über das gesamte Jahr betrieben wird.

DFB.de: Sie nahmen am Dienstag an einer Veranstaltung der Deutschen Sportjugend in Frankfurt teil. "Niemals weg oder wieder da? - Rechtsextremismus im Stadion". Der Workshop gehörte auch zum Programm der Aktionswochen. Wie sehen Sie die Situation?

Dembowski: Neonazismus wird wieder auffälliger, das registrieren viele Beobachter der Fußballfanszenen. Manche Szenen äußern sich auch wieder offen homophob. Dortmund, Aachen, Braunschweig und Cottbus waren Standorte, die in den vergangenen Wochen in die Schlagzeilen gerieten.

DFB.de: Bei einem Heimspiel von Borussia Dortmund wurden per Banner Sympathien mit dem verbotenen "Nationalen Widerstand" kundgetan, in Aachen machte die rechtslastige "Karlsbande" Schlagzeilen.

Dembowski: Genau, das waren einige Ergebnisse eines diskursiven Puzzlespiels. Der Konsens im Stadion wird immer wieder neu ausgehandelt, gerade auch die Einstellungen gegenüber Rassismus, gegenüber unterschiedlichen Diskriminierungsformen. Bei aller berechtigten Kritik: Bestimmte Teile der Ultra-Bewegung haben für mehr Vielfalt im Stadion Position ergriffen. Dieser demokratisierende Prozess im Stadion muss wach gehalten werden. Die fortführende gesellschaftliche Entsicherung, der selbst so empfundene Drang zur Flexibilität und ständigen Erreichbarkeit, die teils fragmentarischen Berufsbiographien - all das weckt bei manchen Fußballfans die Sehnsucht, dass mal alles ganz einfach sein müsste.

DFB.de: Zum Beispiel?

Dembowski: Etwa durch Ausgrenzung von Sündenböcken. Das können zunehmend auch aktive junge Fans des eigenen Vereins sein, die Missstände aus menschenrechtlicher Hinsicht benennen und anprangern. So etwas bedeutet beängstigende Situationen für demokratische Verhältnisse: Hier sollten der DFB und seine Landes- und Regionalverbände, aber auch die jeweilig zuständige Landes- und Kommunalpolitik, die betroffenen Vereine und zivilcouragierten Fans mit den zu Grunde liegenden Handlungsempfehlungen eingehend beraten. Die Internationalen Wochen gegen Rassismus sehe ich als ein selbstverpflichtendes Zeichen in diese Richtung.

DFB.de:Sie beschreiben Ursachen für Diskriminierung und Rassismus im Stadion, die der Fußball nun wirklich nicht verantwortet.

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Dembowski: Das im und um den Fußball ist Gesellschaft und liefert Räume, in denen historisch tradiert das verhandelt und modifiziert wird, was der berühmte Forscher Heitmeyer mit gruppenbezogenener Menschenfeindlichkeit für weite gesellschaftliche Teile nachweist. Die erfindet sich eben auch im Fußball leider immer wieder neu.

DFB.de: Wehret den Anfängen - aber wird nicht auch überzogen reagiert, wenn im Stadion mal ein zugegeben bescheuertes Banner hochgehalten wird?

Dembowski: In Dortmund war es ja nicht nur das Banner. Der Fanprojektmitarbeiter und der Fanbeauftragte des BvB wurden dort beim Champions-League-Spiel in Donezk tätlich angegriffen und nicht nur die Borussenfront aus den 80er-Jahren wurde mit jungen Leuten wiederbelebt. Andere Sympathisanten tummeln sich in unterschiedlichen Gruppen. Der Verein Borussia Dortmund hat vorbildlich reagiert. Die betreffende Person, die das Banner zum "Nationalen Widerstand" hochgehalten hat, wurde sofort identifiziert und per Stadionverbot von den Heimspielen ausgeschlossen. Borussia hat zudem den Ordnungsdienst neu qualifiziert, etwa im Hinblick auf neonazistische Symbole. Hinzu kommt ein häufig tagender, überinstitutioneller Runder Tisch des Vereins, der auch für die Zukunft noch zahlreiche Aktivitäten vorhat.

DFB.de: Werder Bremen gehört zu den Bundesligakubs, bei denen Thor-Steinar-Klamotten verboten sind. Eine angemessene Maßnahme?

Dembowski: Verbote ändern keine Einstellungen. Auch hier geht es eher um symbolische Maßnahmen. Wenn einzelne Leute rausgeworfen werden, muss hin und wieder auch allen Fans verdeutlicht werden, dass und warum dies praktiziert wird. Werder zeigt und praktiziert mit zahlreichen engagierten Fußballfans öffentlich sehr deutlich: "Diskriminierende Botschaften wollen wir hier nicht!"

DFB.de: Worauf ist noch zu achten?

Dembowski: Es gibt Banner mit einem Satz, in denen die Worte "Sieg" und "Heil" vorkommen, die dann für einen Moment so hochgehalten werden, dass eben nur die beiden Worte zu sehen waren. Immer mehr Vereine lassen diese Symbolformen nicht mehr zu. Und was die Kleidung angeht: Es auch den 13-jährigen Fan, der die Klamotten einfach cool findet und sich noch nie größer Gedanken gemacht hat. Hier muss unterschieden werden und nicht gleich stigmatisiert. In der Praxis fordert der Ordnungsdienst den Fan auch schon mal auf, das T-Shirt auszuziehen oder umzudrehen.

DFB.de: Keine leichte Situation am Stadiontor.

Dembowski: Vor allem in der letzten halben Stunde vor dem Anstoß, wenn noch tausende Fans in der Schlange stehen.

DFB.de: Sie beenden gerade Ihre Doktorarbeit über die deutsche und englische Fußballkultur mit Blick auf Diskriminierung und Rassismus. Wie fällt der Vergleich aus?

Dembowski: Da müssen wir schon den deutschen Fußball sehr loben. DFB und DFL finanzieren sozialpädagogische Fanprojekte, kein anderer Fußball-Verband auf der ganzen Welt leistet sich das. Im Moment gibt es 52 Fanprojekte, von der Bundesliga bis in die Regionalligen. Etwas Essig muss ich dennoch in den Wein kippen: Das Nationale Konzept für Sport und Sicherheit sieht im besten Falle vier Stellen pro Fanprojekt vor. So besetzt sind derzeit gerade fünf Projekte. Im Schnitt funktionieren die Fanprojekte vielleicht mit eineinhalb Stellen. Das aber ist nicht dem DFB oder der DFL anzukreiden, die ihr Drittel der Finanzierung anstandslos beisteuern und gern aufstocken.

DFB.de: Und wie ist die Situation in England?

Dembowski: Der englische Fußball hat auf Rassismus und später dann auf weitere Diskriminierungsformen im Stadion von Beginn an eher ausschließlich mit repressiven Maßnahmen geantwortet. Das lief ab im Kontext von Gewaltbekämpfung seit Ende der 80er-Jahre. Dazu gehörte eine rigide Preispolitik, bestimmte Fans aus den sozialschwächeren Schichten können sich heute nicht mehr jedes Heimspiel von Arsenal leisten. Der englische Fußball ist dadurch schon früh schrittweise salonfähiger geworden. Dazu kam, dass die englische Spielergewerkschaft sehr stark auftrat. Schwarze Profis wie Ian Wright und John Barnes äußerten über dieses Sprachrohr sehr früh schon, dass sie nicht mehr bereit sind, von rassistischen Schmährufen begleitet Fußball zu spielen. Das hat wachgerüttelt, aber auch dazu geführt, dass viele Vereine inzwischen so etwas wie Diversity-Manager beschäftigen oder zumindest regelmäßig zu Rate ziehen. Genau hier könnte ein Austausch mit den Engländern gewinnbringend sein. Der deutsche Fußball hat zusätzlich zu den ordnungspolitischen Maßnahmen auch sozialpädagogische Antworten auf Rassismus und Diskriminierung im Stadion entwickelt.

DFB.de: Ein Fußballspiel ist auch ein Ort, um sich hin und wieder aufzuregen oder zu ärgern. Wo verläuft die Grenzlinie zwischen Fankultur und Diskriminierung? Wo ist es noch akzeptable Stadionsprache und wo schon Rassismus?

Dembowski: Das Stadion gilt zuschauerhistorisch als Ort, an dem man glaubt, Kompensation für die Erniedrigungen und Nackenschläge des gesellschaftlichen Alltags ausleben zu können. Überall sonst, zu Hause und am Arbeitsplatz, müssen Menschen sich disziplinieren. Sie spielen ihre immer schneller von Ort zu Ort switchende sozialen Rollen. Im Fußballstadion vermischen sich Rollenbestandteile, öffnen sich die Ventile, und manchmal ist es nicht sonderlich schön, was dann rauskommt: Sexismus und Homophobie, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus oder Behindertenfeindlichkeit. Es kann jedoch nicht darum gehen, die Leidenschaft aus der Fankultur herauszudrängen.

DFB.de: Sondern?

Dembowski: Das Lagerdenken von "Wir" und "die Anderen" kennzeichnet den Fußball doch auch. Hier die Roten und dort die Blauen, hier die Fans und dort die Spieler. Das lässt sich aber sozial anders füllen, daran gilt es zu arbeiten. Fanverhalten heute ist manchmal auch humoristisch und ironisch distanziert. Man muss auf irgendeinen gerufenen Blödsinn nicht gleich überaggressiv reagieren. Cleverness und Humor trifft manchmal viel brillanter.

DFB.de: Was hat Sie eigentlich selbst zu diesem Thema gebracht?

Dembowski: Für den SV Sodingen in Herne habe ich Fußball gespielt, die standen immerhin Mitte der 50er-Jahre in der Endrunde der Deutschen Meisterschaft. Als ich dann an die Uni kam, gab es dort den Dozenten Dieter Bott, der in den 90er-Jahren die Fanprojekte in Frankfurt und Düsseldorf, etwas später dann das Fanprojekt in Duisburg gegründet hatte. Mir erschloss sich die soziale Komponente des Fußballs. Recht schnell wurde ich Honorarkraft des Duisburger Projekts und bin seitdem dem Thema immer treu geblieben. Mit jetzt 40 Jahren bin ich eigentlich der Fanszene entwachsen. Mein ständiges Engagement erlaubt es mir nicht mehr, meinen Verein regelmäßig zu sehen. Ich gehe eher dort ins Stadion, wo ich mich gerade aufhalte. Ich spreche die ganze Woche über mit aktiven Fußballfans vor und nach Veranstaltungen und online. Dieser persönlich fließende Dialog, der gleichzeitig auch eine ethnografische Forschung ist, die die Menschen mit ihren Bedürfnissen ernst nimmt, ist eine wichtige Kompenente meiner Arbeit und meines Lebens.

Gerd Dembowski (40) lebt in Berlin und Hannover, ist seit 19 Jahren als Sozialwissenschaftler mit Bildungs-, Sozialarbeits- und Forschungsprojekten international unterwegs. Seit 2012 arbeitet er in der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit (KoFaS) am Institut für Sportwissenschaft der Leibniz-Universität Hannover und ist Mitglied der AG Antidiskriminierung beim DFB.

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Das Bundesliga-Topspiel Bayer Leverkusen gegen Bayern München am Samstag (ab 18.30 Uhr, live bei Sky) ist eine von mehr als 1000 Veranstaltungen der Internationalen Wochen gegen Rassismus. Wie in Leverkusen, bezieht der Fußball überall Position: von der Bundesliga bis in die Regionalligen. Organisiert werden die Aktionswochen durch den Interkulturellen Rat, dessen Vorsitzender Jürgen Micksch schon jetzt eine positive Bilanz zieht: "Noch nie war die Beteiligung so groß wie in diesem Jahr."

Der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski spricht zum Auftakt der Internationalen Wochen im aktuellen DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth über Rassismus und Diskriminierung im Stadion.

DFB.de: Herr Dembowski, am Montag wurden die Anti-Rassismus-Wochen von der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer eröffnet. Fast alle Klubs von der Bundesliga bis in die Regionalligen engagieren sich. Was bringt so etwas?

Gerd Dembowski: Die große Mehrheit der Fans ist friedfertig. Sie feiern den Sieg, und wenn verloren wird, blasen sie Trübsal. Gerade diese Fans sollen mit den Anti-Rassismus-Wochen erreicht werden. 213 Sportveranstaltungen beteiligen sich in diesem Jahr an der Aktion des Interkulturellen Rates, darunter überwiegend Spiele von der Bundesliga bis in die Regionalligen. Im besten Fall stärken die Anti-Rassismus-Wochen Zivilcourage auf den Tribünen. Der DFB ist seit Jahren aktiv und engagiert, ich selbst bin Mitglied in seiner AG Anti-Diskriminierung. Doch solche Zeichen von Anti-Diskriminierung müssen in den Stadien von Fans und Institutionen auch verlebendigt werden. Andererseits wäre nur Symbolik auch zu wenig. Es braucht schon ein Programm, das durch den Verband, die Vereine und die sozialpädagogischen Fanprojekte über das gesamte Jahr betrieben wird.

DFB.de: Sie nahmen am Dienstag an einer Veranstaltung der Deutschen Sportjugend in Frankfurt teil. "Niemals weg oder wieder da? - Rechtsextremismus im Stadion". Der Workshop gehörte auch zum Programm der Aktionswochen. Wie sehen Sie die Situation?

Dembowski: Neonazismus wird wieder auffälliger, das registrieren viele Beobachter der Fußballfanszenen. Manche Szenen äußern sich auch wieder offen homophob. Dortmund, Aachen, Braunschweig und Cottbus waren Standorte, die in den vergangenen Wochen in die Schlagzeilen gerieten.

DFB.de: Bei einem Heimspiel von Borussia Dortmund wurden per Banner Sympathien mit dem verbotenen "Nationalen Widerstand" kundgetan, in Aachen machte die rechtslastige "Karlsbande" Schlagzeilen.

Dembowski: Genau, das waren einige Ergebnisse eines diskursiven Puzzlespiels. Der Konsens im Stadion wird immer wieder neu ausgehandelt, gerade auch die Einstellungen gegenüber Rassismus, gegenüber unterschiedlichen Diskriminierungsformen. Bei aller berechtigten Kritik: Bestimmte Teile der Ultra-Bewegung haben für mehr Vielfalt im Stadion Position ergriffen. Dieser demokratisierende Prozess im Stadion muss wach gehalten werden. Die fortführende gesellschaftliche Entsicherung, der selbst so empfundene Drang zur Flexibilität und ständigen Erreichbarkeit, die teils fragmentarischen Berufsbiographien - all das weckt bei manchen Fußballfans die Sehnsucht, dass mal alles ganz einfach sein müsste.

DFB.de: Zum Beispiel?

Dembowski: Etwa durch Ausgrenzung von Sündenböcken. Das können zunehmend auch aktive junge Fans des eigenen Vereins sein, die Missstände aus menschenrechtlicher Hinsicht benennen und anprangern. So etwas bedeutet beängstigende Situationen für demokratische Verhältnisse: Hier sollten der DFB und seine Landes- und Regionalverbände, aber auch die jeweilig zuständige Landes- und Kommunalpolitik, die betroffenen Vereine und zivilcouragierten Fans mit den zu Grunde liegenden Handlungsempfehlungen eingehend beraten. Die Internationalen Wochen gegen Rassismus sehe ich als ein selbstverpflichtendes Zeichen in diese Richtung.

DFB.de:Sie beschreiben Ursachen für Diskriminierung und Rassismus im Stadion, die der Fußball nun wirklich nicht verantwortet.

[bild2]

Dembowski: Das im und um den Fußball ist Gesellschaft und liefert Räume, in denen historisch tradiert das verhandelt und modifiziert wird, was der berühmte Forscher Heitmeyer mit gruppenbezogenener Menschenfeindlichkeit für weite gesellschaftliche Teile nachweist. Die erfindet sich eben auch im Fußball leider immer wieder neu.

DFB.de: Wehret den Anfängen - aber wird nicht auch überzogen reagiert, wenn im Stadion mal ein zugegeben bescheuertes Banner hochgehalten wird?

Dembowski: In Dortmund war es ja nicht nur das Banner. Der Fanprojektmitarbeiter und der Fanbeauftragte des BvB wurden dort beim Champions-League-Spiel in Donezk tätlich angegriffen und nicht nur die Borussenfront aus den 80er-Jahren wurde mit jungen Leuten wiederbelebt. Andere Sympathisanten tummeln sich in unterschiedlichen Gruppen. Der Verein Borussia Dortmund hat vorbildlich reagiert. Die betreffende Person, die das Banner zum "Nationalen Widerstand" hochgehalten hat, wurde sofort identifiziert und per Stadionverbot von den Heimspielen ausgeschlossen. Borussia hat zudem den Ordnungsdienst neu qualifiziert, etwa im Hinblick auf neonazistische Symbole. Hinzu kommt ein häufig tagender, überinstitutioneller Runder Tisch des Vereins, der auch für die Zukunft noch zahlreiche Aktivitäten vorhat.

DFB.de: Werder Bremen gehört zu den Bundesligakubs, bei denen Thor-Steinar-Klamotten verboten sind. Eine angemessene Maßnahme?

Dembowski: Verbote ändern keine Einstellungen. Auch hier geht es eher um symbolische Maßnahmen. Wenn einzelne Leute rausgeworfen werden, muss hin und wieder auch allen Fans verdeutlicht werden, dass und warum dies praktiziert wird. Werder zeigt und praktiziert mit zahlreichen engagierten Fußballfans öffentlich sehr deutlich: "Diskriminierende Botschaften wollen wir hier nicht!"

DFB.de: Worauf ist noch zu achten?

Dembowski: Es gibt Banner mit einem Satz, in denen die Worte "Sieg" und "Heil" vorkommen, die dann für einen Moment so hochgehalten werden, dass eben nur die beiden Worte zu sehen waren. Immer mehr Vereine lassen diese Symbolformen nicht mehr zu. Und was die Kleidung angeht: Es auch den 13-jährigen Fan, der die Klamotten einfach cool findet und sich noch nie größer Gedanken gemacht hat. Hier muss unterschieden werden und nicht gleich stigmatisiert. In der Praxis fordert der Ordnungsdienst den Fan auch schon mal auf, das T-Shirt auszuziehen oder umzudrehen.

DFB.de: Keine leichte Situation am Stadiontor.

Dembowski: Vor allem in der letzten halben Stunde vor dem Anstoß, wenn noch tausende Fans in der Schlange stehen.

DFB.de: Sie beenden gerade Ihre Doktorarbeit über die deutsche und englische Fußballkultur mit Blick auf Diskriminierung und Rassismus. Wie fällt der Vergleich aus?

Dembowski: Da müssen wir schon den deutschen Fußball sehr loben. DFB und DFL finanzieren sozialpädagogische Fanprojekte, kein anderer Fußball-Verband auf der ganzen Welt leistet sich das. Im Moment gibt es 52 Fanprojekte, von der Bundesliga bis in die Regionalligen. Etwas Essig muss ich dennoch in den Wein kippen: Das Nationale Konzept für Sport und Sicherheit sieht im besten Falle vier Stellen pro Fanprojekt vor. So besetzt sind derzeit gerade fünf Projekte. Im Schnitt funktionieren die Fanprojekte vielleicht mit eineinhalb Stellen. Das aber ist nicht dem DFB oder der DFL anzukreiden, die ihr Drittel der Finanzierung anstandslos beisteuern und gern aufstocken.

DFB.de: Und wie ist die Situation in England?

Dembowski: Der englische Fußball hat auf Rassismus und später dann auf weitere Diskriminierungsformen im Stadion von Beginn an eher ausschließlich mit repressiven Maßnahmen geantwortet. Das lief ab im Kontext von Gewaltbekämpfung seit Ende der 80er-Jahre. Dazu gehörte eine rigide Preispolitik, bestimmte Fans aus den sozialschwächeren Schichten können sich heute nicht mehr jedes Heimspiel von Arsenal leisten. Der englische Fußball ist dadurch schon früh schrittweise salonfähiger geworden. Dazu kam, dass die englische Spielergewerkschaft sehr stark auftrat. Schwarze Profis wie Ian Wright und John Barnes äußerten über dieses Sprachrohr sehr früh schon, dass sie nicht mehr bereit sind, von rassistischen Schmährufen begleitet Fußball zu spielen. Das hat wachgerüttelt, aber auch dazu geführt, dass viele Vereine inzwischen so etwas wie Diversity-Manager beschäftigen oder zumindest regelmäßig zu Rate ziehen. Genau hier könnte ein Austausch mit den Engländern gewinnbringend sein. Der deutsche Fußball hat zusätzlich zu den ordnungspolitischen Maßnahmen auch sozialpädagogische Antworten auf Rassismus und Diskriminierung im Stadion entwickelt.

DFB.de: Ein Fußballspiel ist auch ein Ort, um sich hin und wieder aufzuregen oder zu ärgern. Wo verläuft die Grenzlinie zwischen Fankultur und Diskriminierung? Wo ist es noch akzeptable Stadionsprache und wo schon Rassismus?

Dembowski: Das Stadion gilt zuschauerhistorisch als Ort, an dem man glaubt, Kompensation für die Erniedrigungen und Nackenschläge des gesellschaftlichen Alltags ausleben zu können. Überall sonst, zu Hause und am Arbeitsplatz, müssen Menschen sich disziplinieren. Sie spielen ihre immer schneller von Ort zu Ort switchende sozialen Rollen. Im Fußballstadion vermischen sich Rollenbestandteile, öffnen sich die Ventile, und manchmal ist es nicht sonderlich schön, was dann rauskommt: Sexismus und Homophobie, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus oder Behindertenfeindlichkeit. Es kann jedoch nicht darum gehen, die Leidenschaft aus der Fankultur herauszudrängen.

DFB.de: Sondern?

Dembowski: Das Lagerdenken von "Wir" und "die Anderen" kennzeichnet den Fußball doch auch. Hier die Roten und dort die Blauen, hier die Fans und dort die Spieler. Das lässt sich aber sozial anders füllen, daran gilt es zu arbeiten. Fanverhalten heute ist manchmal auch humoristisch und ironisch distanziert. Man muss auf irgendeinen gerufenen Blödsinn nicht gleich überaggressiv reagieren. Cleverness und Humor trifft manchmal viel brillanter.

DFB.de: Was hat Sie eigentlich selbst zu diesem Thema gebracht?

Dembowski: Für den SV Sodingen in Herne habe ich Fußball gespielt, die standen immerhin Mitte der 50er-Jahre in der Endrunde der Deutschen Meisterschaft. Als ich dann an die Uni kam, gab es dort den Dozenten Dieter Bott, der in den 90er-Jahren die Fanprojekte in Frankfurt und Düsseldorf, etwas später dann das Fanprojekt in Duisburg gegründet hatte. Mir erschloss sich die soziale Komponente des Fußballs. Recht schnell wurde ich Honorarkraft des Duisburger Projekts und bin seitdem dem Thema immer treu geblieben. Mit jetzt 40 Jahren bin ich eigentlich der Fanszene entwachsen. Mein ständiges Engagement erlaubt es mir nicht mehr, meinen Verein regelmäßig zu sehen. Ich gehe eher dort ins Stadion, wo ich mich gerade aufhalte. Ich spreche die ganze Woche über mit aktiven Fußballfans vor und nach Veranstaltungen und online. Dieser persönlich fließende Dialog, der gleichzeitig auch eine ethnografische Forschung ist, die die Menschen mit ihren Bedürfnissen ernst nimmt, ist eine wichtige Kompenente meiner Arbeit und meines Lebens.

Gerd Dembowski (40) lebt in Berlin und Hannover, ist seit 19 Jahren als Sozialwissenschaftler mit Bildungs-, Sozialarbeits- und Forschungsprojekten international unterwegs. Seit 2012 arbeitet er in der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit (KoFaS) am Institut für Sportwissenschaft der Leibniz-Universität Hannover und ist Mitglied der AG Antidiskriminierung beim DFB.