Angriff von Rechtsaußen?

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Missbrauchen Neonazis den Fußball? Führende NPD-Mitglieder als Jugendtrainer, Schiedsrichter in den Amateurligen, Ausländerfeindlichkeit und Homophobie im Stadion - hat es alles schon gegeben. Aber sind das Einzelfälle oder Belege für eine gezielte Unterwanderung? Darüber hinaus: Solange die NPD nicht verboten ist, warum sollte ein Mitglied dieser Partei nicht aktiver Fußballer sein?

An diesem Sonntag jährt sich der Geburtstag von Julius Hirsch, in dessen Namen der Deutsche Fußball-Bund seit 2006 einen Preis gegen Antisemitismus und Rassismus im Fußball vergibt. Bei einem Länderspiel im Herbst wird die hoch anerkannte Auszeichnung das nächste Mal verliehen werden. Ein wichtiger Preis, darüber sind sich viele einig, auch weil der Kampf gegen Rassismus eine dauerhafte Aufgabe sein muss. "Gewaltbereite, fremdenfeindliche Szenen im Fußballumfeld verändern sich ständig", meint etwa Prof. Dr. Gunter A. Pilz. "Nur durch den steten Austausch von Erkenntnissen über Ursachen, Erscheinungsformen, sowie Erfahrungen mit präventiven wie ordnungspolitischen Maßnahmen können wir deshalb langfristig dem Ziel der Verhinderung von Gewalt und Rassismus im Fußball näher kommen."

Wie groß ist die Bedrohung wirklich?

Professor Pilz beobachtete die Szene über Jahrzehnte, 2009 fasste er wesentliche Ergebnisse in seiner Studie "Rechtsextremismus im Sport" zusammen. Der Hannoveraner Sportsoziologe berät den DFB und vertritt den Verband im Beratungsnetzwerk "Sport und Politik vereint gegen Rechtsextremismus", dem etwa auch Vertreter des DOSB, des Bundesinnenministeriums, des Bundesfamilienministeriums und des Städte- und Gemeindebundes angehören. Pilz bezieht Position, sein Wort hat Gewicht. Aber wie groß ist die Bedrohung wirklich? Ein Banner im Dortmunder Fanblock, während des CL-Auswärtsspiels in Donezk eine Attacke gegen den BVB-Fanbeauftragten – nur Einzelfälle?

Der Berliner Ronny Blaschke schreibt für die "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit" und die "Berliner Zeitung". Vor knapp zwei Jahren hat der 33 Jahre alte Journalist ein Buch darüber geschrieben, wann und wo Rechtsradikale den Fußball als Plattform missbrauchen. "Angriff von Rechtsaußen" erschien 2011, seitdem tourt der Journalist mit Lesungen durch Fanprojekte und Schulen. "Die Resonanz war groß, ich habe schon Buchungen für 2014." Fünf Jahre hat er für den "Angriff" recherchiert.

"Urwaldgesänge sind nicht mehr zu hören"

Blaschke leugnet nicht, dass ein offen zur Schau getragener Rechtsextremismus mittlerweile aus den Bundesligastadien nahezu verschwunden ist. "Urwaldgesänge gegen schwarze Spieler sind nicht mehr zu hören". Nur heiße das eben nicht, dass die Einstellungen dahinter verschwunden seien, meint Blaschke, und bezieht sich auf Ergebnisse der Langzeitstudie des Bielefelder Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer. Seit 2002 erforschte der die Abwertung gesellschaftlicher Gruppen. 2010 konnte man in der neunten Ausgabe nachlesen, dass 49 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, in Deutschland lebten zu viele Ausländer. 26 Prozent befürworteten die Forderung, Muslimen müsse die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. Und erschreckende elf Prozent vertreten die Sicht, die "Weißen" seien zu Recht führend in der Welt. Zahlen aus der Gesellschaft, die auch für den Fußball bedeutsam sind.

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Blaschke plädiert – auch im Fußball – für eine politische Diskussionskultur und spricht vom "Privileg des Fußballs, gesellschaftliche Debatten voranzutreiben", während Gunter A. Pilz vor Verharmlosungen warnt. "Wir wären jedenfalls nicht gut beraten, würden wir die fremdenfeindlichen, rassistischen Äußerungen junger Menschen in der Fußballfan-, Ultra- und Hooliganszene nur als Protest-, Imponier- oder Machtgehabe bewerten."

Klaus-Dieter Fischer: "Unser Verbot hat Symbolwirkung"

Pilz empfiehlt konkrete Maßnahmen, einiges hat der organisierte Fußball zunehmend umgesetzt. Etwa die Interkulturellen Wochen, die im März an zwei Spieltagen in vielen Stadien von der Bundesliga bis in die 3. Liga umgesetzt wurden. Oder die regelmäßige Schulung von Ordnern, Sicherheitsbeauftragten und Fanbetreuern, etwa auch um die Camouflage rechtsradikaler Symbolik überhaupt zu verstehen. Das 88 für "Heil Hitler" steht, ist heute bekannt, dass aber 192 für die Buchstaben "AIB" steht und "Adolf is back" meint, macht die "verschlüsselte Lebenswelt" rechtsradikaler Fußballfans deutlich. 1488 bezieht sich auf eine hohle Phrase, 14 Worte lang, des amerikanischen Terroristen David Eden Lane: "We must secure the existence of our people and a future for white children." Gut, wenn Ordner an den Stadiontoren überhaupt erstmal verstehen, was da so auf einigen Bannern steht.

Werder Bremen verhält sich eindeutig: Das Tragen von Thor-Steinar-Klamotten ist strikt verboten. Werders Präsident Klaus-Dieter Fischer, der beim Kasachstan-Länderspiel in Nürnberg den DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreis verliehen bekam, sagt: "Thor Steinar sind Klamotten, die im rechtsradikalen Umfeld getragen werden. Das hat Symbolwirkung. Hertha BSC und der FC St. Pauli verfahren wie wir. Auch dort müssen die Leute Thor Steinar Kleidung am Stadioneingang ausziehen. Wir schulen unsere Sicherheitskräfte regelmäßig, weil das gerade am Stadiontor keine leichte Situation darstellt."

Expertise und Symbolpoltik

Der DFB wiederum hat auf die Ausweichbewegungen rechtsextremer Parolen im Stadion reagiert. Offen verkündeter Rassismus und Antisemitismus sind fast komplett von den Rängen verschwunden, dafür mehren sich Vorfälle mit sexistischem oder homophobem Unterton. Die Arbeitsgemeinschaft gegen Rassismus des DFB hat sich inhaltlich und personell neu aufgestellt, was sich auch im neuen Namen ausdrückt. "AG Anti-Diskriminierung – Für Vielfalt im Fußball". Für sechs Formen der Diskriminierung, nämlich gegen Alter, soziale und ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung, sexuelle Identität und Geschlecht, werden bis zum DFB-Bundestag im Oktober Positionspapiere erarbeitet und konkrete Maßnahmen entwickelt werden. Blaschke sagt: "Kein Verband hat so viel Expertise eingeholt. Auch die Vergabe des Julius Hirsch Preises ist wichtige Symbolpolitik. Diese Botschaften müssen aber auch wirklich an der Basis ankommen."

Und wo zieht der Verband beim konkreten Einzelfall die Grenze? Kann jemand, der überzeugt davon ist, dass Menschen mit türkischer Herkunft gar nicht hier sein dürfen, objektiv die Schwere eines Fouls beurteilen? Kann so jemand eine Jugendmannschaft trainieren. Wann wird überzogen und die Mehrheitsmeinung rigoros durchgedrückt? Wann muss sich die Demokratie wehren?

Gräfenberger haben sich gewehrt

Ludwig K. Haas hat sich gewehrt. Erfolgreich. 2011 wurde das Engagement des ehrenamtlichen Kassierers eines Fußballvereins mit dem Julius Hirsch Preis ausgezeichnet. Haas hatte in Gräfenberg ein Sportbündnis gegründet und gegen regelmäßig stattfindende Nazi-Treffen protestiert und demonstriert. "Wir hatten einfach Pech", sagt Haas. „Zum einen liegt Gräfenberg nur 25 Kilometer nördlich von Nürnberg, wo die NSDAP früher ihre Parteitage veranstaltete. Oberhalb der Ortschaft, auf dem Michelsberg, steht ein Kriegerdenkmal von 1924. Das hat den Nazis wohl gefallen." Irgendwann reichte es Haas und vielen anderen Gräfenbergern – die Aufmärsche, die antisemitischen Parolen, die Geschichtsfälschung, und dass ihr Heimatort als "Nazitreff" in Verruf geriet. Der heute 73-jährige Ruheständler versammelte acht Fußballvereine der Region. "Geh' denken" oder "Denk' mal – aber nicht im Gleichschritt", schrieben sie auf Betttücher und Tafeln, immer wenn sie loszogen, um gegen den nächsten Nazi-Aufmarsch zu protestieren. Über 40 Aktionen gab es, jede mit Kreativität, jede mit Nachdruck. 2009 hörten die Aufmärsche der Rechtsradikalen plötzlich auf. Haas sagt: "Ich maße mir nicht an, in deren Köpfe reinschauen zu können."

Am Sonntag jährt sich der Geburtstag von Julius Hirsch, der 1892 als siebtes Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren wurde. Bereits mit zehn Jahren trat er dem Karlsruher FV bei, der damals einer der erfolgreichsten Vereine Deutschlands war. Schon mit 18 Jahren wurde Julius, genannt „Juller“ Hirsch Mitglied der 1. Mannschaft und gewann 1910 mit dem KFV die Deutsche Meisterschaft. Mit gerade einmal 19 Jahren wurde er 1911 wegen seiner herausragenden Leistungen zum ersten Mal in die deutsche Nationalmannschaft berufen und nahm 1912 an den Olympischen Spielen in Stockholm teil. Er diente im Ersten Weltkrieg als Soldat und erhielt 1916 das Eiserne Kreuz II. Klasse sowie die Bayerische Dienstauszeichnung. Im Unterschied zu seinem Bruder Leopold, der 1916 gefallen war, überlebte er den Krieg. 1919 kehrte „Juller“ Hirsch nach Karlsruhe zurück. Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers begann für Julius Hirsch – wie für Millionen anderer Opfer der verbrecherischen Nationalsozialisten – ein schrecklicher Leidensweg, auf dem er gedemütigt, entrechtet, verfolgt und ermordet wurde. 1943 wurde Julius Hirsch in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und kehrte nicht mehr zurück.

Bewerbungsunterlagen anfordern

Vereine, Schulen und Projekte, die mit den Mitteln des Fußballs gegen Diskriminierung, Anti-Semitismus und Fremdenfeindlichkeit aufstehen, können beim DFB die Bewerbungsunterlagen anfordern. Die nächste Verleihung des Julius Hirsch Preises wird im Umfeld eines WM-Qualifikationsspiels im Herbst stattfinden.

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Missbrauchen Neonazis den Fußball? Führende NPD-Mitglieder als Jugendtrainer, Schiedsrichter in den Amateurligen, Ausländerfeindlichkeit und Homophobie im Stadion - hat es alles schon gegeben. Aber sind das Einzelfälle oder Belege für eine gezielte Unterwanderung? Darüber hinaus: Solange die NPD nicht verboten ist, warum sollte ein Mitglied dieser Partei nicht aktiver Fußballer sein?

An diesem Sonntag jährt sich der Geburtstag von Julius Hirsch, in dessen Namen der Deutsche Fußball-Bund seit 2006 einen Preis gegen Antisemitismus und Rassismus im Fußball vergibt. Bei einem Länderspiel im Herbst wird die hoch anerkannte Auszeichnung das nächste Mal verliehen werden. Ein wichtiger Preis, darüber sind sich viele einig, auch weil der Kampf gegen Rassismus eine dauerhafte Aufgabe sein muss. "Gewaltbereite, fremdenfeindliche Szenen im Fußballumfeld verändern sich ständig", meint etwa Prof. Dr. Gunter A. Pilz. "Nur durch den steten Austausch von Erkenntnissen über Ursachen, Erscheinungsformen, sowie Erfahrungen mit präventiven wie ordnungspolitischen Maßnahmen können wir deshalb langfristig dem Ziel der Verhinderung von Gewalt und Rassismus im Fußball näher kommen."

Wie groß ist die Bedrohung wirklich?

Professor Pilz beobachtete die Szene über Jahrzehnte, 2009 fasste er wesentliche Ergebnisse in seiner Studie "Rechtsextremismus im Sport" zusammen. Der Hannoveraner Sportsoziologe berät den DFB und vertritt den Verband im Beratungsnetzwerk "Sport und Politik vereint gegen Rechtsextremismus", dem etwa auch Vertreter des DOSB, des Bundesinnenministeriums, des Bundesfamilienministeriums und des Städte- und Gemeindebundes angehören. Pilz bezieht Position, sein Wort hat Gewicht. Aber wie groß ist die Bedrohung wirklich? Ein Banner im Dortmunder Fanblock, während des CL-Auswärtsspiels in Donezk eine Attacke gegen den BVB-Fanbeauftragten – nur Einzelfälle?

Der Berliner Ronny Blaschke schreibt für die "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit" und die "Berliner Zeitung". Vor knapp zwei Jahren hat der 33 Jahre alte Journalist ein Buch darüber geschrieben, wann und wo Rechtsradikale den Fußball als Plattform missbrauchen. "Angriff von Rechtsaußen" erschien 2011, seitdem tourt der Journalist mit Lesungen durch Fanprojekte und Schulen. "Die Resonanz war groß, ich habe schon Buchungen für 2014." Fünf Jahre hat er für den "Angriff" recherchiert.

"Urwaldgesänge sind nicht mehr zu hören"

Blaschke leugnet nicht, dass ein offen zur Schau getragener Rechtsextremismus mittlerweile aus den Bundesligastadien nahezu verschwunden ist. "Urwaldgesänge gegen schwarze Spieler sind nicht mehr zu hören". Nur heiße das eben nicht, dass die Einstellungen dahinter verschwunden seien, meint Blaschke, und bezieht sich auf Ergebnisse der Langzeitstudie des Bielefelder Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer. Seit 2002 erforschte der die Abwertung gesellschaftlicher Gruppen. 2010 konnte man in der neunten Ausgabe nachlesen, dass 49 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, in Deutschland lebten zu viele Ausländer. 26 Prozent befürworteten die Forderung, Muslimen müsse die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. Und erschreckende elf Prozent vertreten die Sicht, die "Weißen" seien zu Recht führend in der Welt. Zahlen aus der Gesellschaft, die auch für den Fußball bedeutsam sind.

[bild2]

Blaschke plädiert – auch im Fußball – für eine politische Diskussionskultur und spricht vom "Privileg des Fußballs, gesellschaftliche Debatten voranzutreiben", während Gunter A. Pilz vor Verharmlosungen warnt. "Wir wären jedenfalls nicht gut beraten, würden wir die fremdenfeindlichen, rassistischen Äußerungen junger Menschen in der Fußballfan-, Ultra- und Hooliganszene nur als Protest-, Imponier- oder Machtgehabe bewerten."

Klaus-Dieter Fischer: "Unser Verbot hat Symbolwirkung"

Pilz empfiehlt konkrete Maßnahmen, einiges hat der organisierte Fußball zunehmend umgesetzt. Etwa die Interkulturellen Wochen, die im März an zwei Spieltagen in vielen Stadien von der Bundesliga bis in die 3. Liga umgesetzt wurden. Oder die regelmäßige Schulung von Ordnern, Sicherheitsbeauftragten und Fanbetreuern, etwa auch um die Camouflage rechtsradikaler Symbolik überhaupt zu verstehen. Das 88 für "Heil Hitler" steht, ist heute bekannt, dass aber 192 für die Buchstaben "AIB" steht und "Adolf is back" meint, macht die "verschlüsselte Lebenswelt" rechtsradikaler Fußballfans deutlich. 1488 bezieht sich auf eine hohle Phrase, 14 Worte lang, des amerikanischen Terroristen David Eden Lane: "We must secure the existence of our people and a future for white children." Gut, wenn Ordner an den Stadiontoren überhaupt erstmal verstehen, was da so auf einigen Bannern steht.

Werder Bremen verhält sich eindeutig: Das Tragen von Thor-Steinar-Klamotten ist strikt verboten. Werders Präsident Klaus-Dieter Fischer, der beim Kasachstan-Länderspiel in Nürnberg den DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreis verliehen bekam, sagt: "Thor Steinar sind Klamotten, die im rechtsradikalen Umfeld getragen werden. Das hat Symbolwirkung. Hertha BSC und der FC St. Pauli verfahren wie wir. Auch dort müssen die Leute Thor Steinar Kleidung am Stadioneingang ausziehen. Wir schulen unsere Sicherheitskräfte regelmäßig, weil das gerade am Stadiontor keine leichte Situation darstellt."

Expertise und Symbolpoltik

Der DFB wiederum hat auf die Ausweichbewegungen rechtsextremer Parolen im Stadion reagiert. Offen verkündeter Rassismus und Antisemitismus sind fast komplett von den Rängen verschwunden, dafür mehren sich Vorfälle mit sexistischem oder homophobem Unterton. Die Arbeitsgemeinschaft gegen Rassismus des DFB hat sich inhaltlich und personell neu aufgestellt, was sich auch im neuen Namen ausdrückt. "AG Anti-Diskriminierung – Für Vielfalt im Fußball". Für sechs Formen der Diskriminierung, nämlich gegen Alter, soziale und ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung, sexuelle Identität und Geschlecht, werden bis zum DFB-Bundestag im Oktober Positionspapiere erarbeitet und konkrete Maßnahmen entwickelt werden. Blaschke sagt: "Kein Verband hat so viel Expertise eingeholt. Auch die Vergabe des Julius Hirsch Preises ist wichtige Symbolpolitik. Diese Botschaften müssen aber auch wirklich an der Basis ankommen."

Und wo zieht der Verband beim konkreten Einzelfall die Grenze? Kann jemand, der überzeugt davon ist, dass Menschen mit türkischer Herkunft gar nicht hier sein dürfen, objektiv die Schwere eines Fouls beurteilen? Kann so jemand eine Jugendmannschaft trainieren. Wann wird überzogen und die Mehrheitsmeinung rigoros durchgedrückt? Wann muss sich die Demokratie wehren?

Gräfenberger haben sich gewehrt

Ludwig K. Haas hat sich gewehrt. Erfolgreich. 2011 wurde das Engagement des ehrenamtlichen Kassierers eines Fußballvereins mit dem Julius Hirsch Preis ausgezeichnet. Haas hatte in Gräfenberg ein Sportbündnis gegründet und gegen regelmäßig stattfindende Nazi-Treffen protestiert und demonstriert. "Wir hatten einfach Pech", sagt Haas. „Zum einen liegt Gräfenberg nur 25 Kilometer nördlich von Nürnberg, wo die NSDAP früher ihre Parteitage veranstaltete. Oberhalb der Ortschaft, auf dem Michelsberg, steht ein Kriegerdenkmal von 1924. Das hat den Nazis wohl gefallen." Irgendwann reichte es Haas und vielen anderen Gräfenbergern – die Aufmärsche, die antisemitischen Parolen, die Geschichtsfälschung, und dass ihr Heimatort als "Nazitreff" in Verruf geriet. Der heute 73-jährige Ruheständler versammelte acht Fußballvereine der Region. "Geh' denken" oder "Denk' mal – aber nicht im Gleichschritt", schrieben sie auf Betttücher und Tafeln, immer wenn sie loszogen, um gegen den nächsten Nazi-Aufmarsch zu protestieren. Über 40 Aktionen gab es, jede mit Kreativität, jede mit Nachdruck. 2009 hörten die Aufmärsche der Rechtsradikalen plötzlich auf. Haas sagt: "Ich maße mir nicht an, in deren Köpfe reinschauen zu können."

Am Sonntag jährt sich der Geburtstag von Julius Hirsch, der 1892 als siebtes Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren wurde. Bereits mit zehn Jahren trat er dem Karlsruher FV bei, der damals einer der erfolgreichsten Vereine Deutschlands war. Schon mit 18 Jahren wurde Julius, genannt „Juller“ Hirsch Mitglied der 1. Mannschaft und gewann 1910 mit dem KFV die Deutsche Meisterschaft. Mit gerade einmal 19 Jahren wurde er 1911 wegen seiner herausragenden Leistungen zum ersten Mal in die deutsche Nationalmannschaft berufen und nahm 1912 an den Olympischen Spielen in Stockholm teil. Er diente im Ersten Weltkrieg als Soldat und erhielt 1916 das Eiserne Kreuz II. Klasse sowie die Bayerische Dienstauszeichnung. Im Unterschied zu seinem Bruder Leopold, der 1916 gefallen war, überlebte er den Krieg. 1919 kehrte „Juller“ Hirsch nach Karlsruhe zurück. Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers begann für Julius Hirsch – wie für Millionen anderer Opfer der verbrecherischen Nationalsozialisten – ein schrecklicher Leidensweg, auf dem er gedemütigt, entrechtet, verfolgt und ermordet wurde. 1943 wurde Julius Hirsch in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und kehrte nicht mehr zurück.

Bewerbungsunterlagen anfordern

Vereine, Schulen und Projekte, die mit den Mitteln des Fußballs gegen Diskriminierung, Anti-Semitismus und Fremdenfeindlichkeit aufstehen, können beim DFB die Bewerbungsunterlagen anfordern. Die nächste Verleihung des Julius Hirsch Preises wird im Umfeld eines WM-Qualifikationsspiels im Herbst stattfinden.