Amateurserie: Kevin Kruth und das Spiel seines Lebens

Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars. Die heimlichen Helden spielen und engagieren sich an der Basis. Heute: Kevin Kruth, der den Kampf gegen den Lymphdrüsenkrebs gewonnen hat und wieder erfolgreich Fußball spielt.

Vor einem Jahr war Kevin Kruth ein schwer kranker Mann. Lymphdrüsenkrebs lautete die Diagnose. Chemotherapie und Bestrahlungen folgten. Der Fußball war für den 27-Jährigen ein Halt in dieser Zeit. Wann immer es ging, stand er auf dem Platz. Ganz wenig, nur ein bisschen. Doch das Gemeinschaftsgefühl gab ihm Kraft. Weihnachten 2013 feiert Kruth als gesunder Mensch, als junger Vater – und als Torjäger in der Bezirksliga. Ein Besuch in der DFB-Journal-Serie zum Amateurfußball.

Plötzlich ist der Moment gekommen, als das Display seines Smartphones aufleuchtet. Kevin Kruth erkennt die Vorwahl sofort. Ein Anrufer aus Essen. Er weiß es sofort: Die nächsten Augenblicke, die nächsten Sätze werden sein Leben grundlegend beeinflussen. Beginnt nun der Kampf? Der Kampf gegen den Tod? Der Kampf um das Leben? Seit Tagen hat Kruth auf dieses Telefonat gewartet. Er hat nachts wach gelegen. Mehrfach musste er seine durchgeschwitzte Schlafkleidung wechseln. Er hatte gehofft, gebangt, geweint, seit sein Arzt ihm im November des vergangenen Jahres mitgeteilt hatte, dass Verdacht auf Lymphdrüsenkrebs bestehe. Und nun ist also tatsächlich der Augenblick da, dass die Klinik in Essen ihm das Ergebnis der Gewebeprobe mitteilen will. Was hat der Arzt ihm zu sagen?

Ein halbes Jahr zuvor noch, im Sommer 2012, stand Kruth beim Regionalligisten Fortuna Köln unter Vertrag. Er war an der Schwelle zum Profifußball angekommen, auf dem Höhepunkt seiner Karriere. "Als Einziger im Kader war ich tagsüber noch arbeiten", sagt Kruth. Jedoch nur halbtags, bei einer Versicherung. Mehr war nicht möglich. Er musste trainieren, trainieren, trainieren. "Nicht selten sechsmal die Woche. Und samstags dann das Spiel." Der 27-Jährige war topfit. Er war nie der große Techniker. Er war mit Talent nicht überhäuft worden. Dafür war er immer der große Kämpfer. Sein Körper war sein Kapital. Sollte er jetzt wirklich nicht mehr um den Ballgewinn kämpfen müssen? Nicht mehr um drei Punkte? Sollte es jetzt wirklich um das Grundlegende gehen? Um sein Leben?

Signale des Körpers ließen sich nicht ignorieren

Sein Smartphone klingelt. Einmal, zweimal. Es ist der Moment, in dem ihm keine Zeit mehr bleibt, an die vergangenen Monate zu denken. Als sein Körper plötzlich streikte. Als aus dem Leistungssportler ein körperliches Wrack wurde. Er hatte ständig starke Schmerzen im linken Arm. Nur mit Medikamenten konnte er es ertragen. Manchmal brauchte er die Tabletten mehrmals am Tag. Dazu die Erschöpfung, die regelmäßigen Fieberschübe, das unerträgliche Jucken am Bein, ohne Anzeichen eines Ausschlags. Kruth konnte die Hinweise seines Körpers nicht missdeuten. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. "Ich habe mich nicht gefühlt, wie man sich mit 27 Jahren fühlen sollte", sagt er.

Danach beginnt der Horror erst richtig. Ärzte entfernen ihm zunächst einen gutartigen Tumor am Hals. Als es nicht besser wird, untersuchen sie ihn erneut. Dabei stoßen sie auf ein weiteres Geschwür, dieses Mal zwischen den Lungenflügeln. Es drückt bereits auf die Nerven, deshalb die Schmerzen. Er bekommt kaum noch Luft. Sie müssen ihm die Brust in einer komplizierten Operation öffnen. Und schon erkennen sie den nächsten Rückschlag. Der sechs Zentimeter große Tumor ummantelt die Hauptschlagader. Sie können ihn nicht restlos entfernen. Sie entnehmen so viel wie möglich und schicken eine Probe ins Labor. Danach beginnt die Zeit des Wartens. Es ist nur eine gute Woche, es kommt Kruth vor wie Jahre. Jeder Anruf schreckt ihn aus seinen dunklen Gedanken, es könnte der entscheidende sein.

Kruth erzählt die Geschichte in seiner Wohnung am Küchentisch. Seinen vier Monate alten Sohn Tom hat er auf dem Arm. Seine Frau Nicole ist auch da. Im Treppenhaus steht der Buggy, im Wohnzimmer der Stubenwagen. Familienidylle. Kevin Kruth hat volles Haar, trägt Drei-Tage-Bart. Kein Hinweis darauf, dass die vergangenen Monate die schlimmsten seines Lebens waren. Kruth hat den Trainingsanzug des GFC Düren 99 an. Er ist auf den Platz zurückgekehrt, gleich ist ein Auswärtsspiel in der Bezirksliga. War die ganze Aufregung also umsonst? War der Befund negativ? Kein Krebs? Was hatte der Anrufer ihm mitzuteilen?

Der Fußball verliert kurzzeitig seine Bedeutung

Kruth erinnert sich, wie sein Smartphone erneut geklingelt hat. 30 Sekunden später ist alles anders. "Herr Kruth, Sie haben Lymphdrüsenkrebs. Es tut uns leid, Ihnen das mitteilen zu müssen. Begeben Sie sich bitte in ärztliche Behandlung." So ungefähr ist der Wortlaut. Kruth empfängt die Nachricht in der Küche. Seine Mutter sitzt neben ihm. Ihm schießen die Tränen in die Augen. Er ruft seine Frau an. Sie kommt direkt von der Arbeit. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Sie ist im zweiten Monat schwanger. Doch sie will ihm das noch nicht sagen. Erst nach der zwölften Woche, wenn die Sicherheit etwas höher ist, will sie ihm die freudige Nachricht überbringen. Sie will nicht, dass er sich um sie Sorgen macht. Jetzt geht es nur um ihn. Um sein Leben. Alles andere spielt keine Rolle mehr. Auch der Fußball nicht.



Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars. Die heimlichen Helden spielen und engagieren sich an der Basis. Heute: Kevin Kruth, der den Kampf gegen den Lymphdrüsenkrebs gewonnen hat und wieder erfolgreich Fußball spielt.

Vor einem Jahr war Kevin Kruth ein schwer kranker Mann. Lymphdrüsenkrebs lautete die Diagnose. Chemotherapie und Bestrahlungen folgten. Der Fußball war für den 27-Jährigen ein Halt in dieser Zeit. Wann immer es ging, stand er auf dem Platz. Ganz wenig, nur ein bisschen. Doch das Gemeinschaftsgefühl gab ihm Kraft. Weihnachten 2013 feiert Kruth als gesunder Mensch, als junger Vater – und als Torjäger in der Bezirksliga. Ein Besuch in der DFB-Journal-Serie zum Amateurfußball.

Plötzlich ist der Moment gekommen, als das Display seines Smartphones aufleuchtet. Kevin Kruth erkennt die Vorwahl sofort. Ein Anrufer aus Essen. Er weiß es sofort: Die nächsten Augenblicke, die nächsten Sätze werden sein Leben grundlegend beeinflussen. Beginnt nun der Kampf? Der Kampf gegen den Tod? Der Kampf um das Leben? Seit Tagen hat Kruth auf dieses Telefonat gewartet. Er hat nachts wach gelegen. Mehrfach musste er seine durchgeschwitzte Schlafkleidung wechseln. Er hatte gehofft, gebangt, geweint, seit sein Arzt ihm im November des vergangenen Jahres mitgeteilt hatte, dass Verdacht auf Lymphdrüsenkrebs bestehe. Und nun ist also tatsächlich der Augenblick da, dass die Klinik in Essen ihm das Ergebnis der Gewebeprobe mitteilen will. Was hat der Arzt ihm zu sagen?

Ein halbes Jahr zuvor noch, im Sommer 2012, stand Kruth beim Regionalligisten Fortuna Köln unter Vertrag. Er war an der Schwelle zum Profifußball angekommen, auf dem Höhepunkt seiner Karriere. "Als Einziger im Kader war ich tagsüber noch arbeiten", sagt Kruth. Jedoch nur halbtags, bei einer Versicherung. Mehr war nicht möglich. Er musste trainieren, trainieren, trainieren. "Nicht selten sechsmal die Woche. Und samstags dann das Spiel." Der 27-Jährige war topfit. Er war nie der große Techniker. Er war mit Talent nicht überhäuft worden. Dafür war er immer der große Kämpfer. Sein Körper war sein Kapital. Sollte er jetzt wirklich nicht mehr um den Ballgewinn kämpfen müssen? Nicht mehr um drei Punkte? Sollte es jetzt wirklich um das Grundlegende gehen? Um sein Leben?

Signale des Körpers ließen sich nicht ignorieren

Sein Smartphone klingelt. Einmal, zweimal. Es ist der Moment, in dem ihm keine Zeit mehr bleibt, an die vergangenen Monate zu denken. Als sein Körper plötzlich streikte. Als aus dem Leistungssportler ein körperliches Wrack wurde. Er hatte ständig starke Schmerzen im linken Arm. Nur mit Medikamenten konnte er es ertragen. Manchmal brauchte er die Tabletten mehrmals am Tag. Dazu die Erschöpfung, die regelmäßigen Fieberschübe, das unerträgliche Jucken am Bein, ohne Anzeichen eines Ausschlags. Kruth konnte die Hinweise seines Körpers nicht missdeuten. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. "Ich habe mich nicht gefühlt, wie man sich mit 27 Jahren fühlen sollte", sagt er.

Danach beginnt der Horror erst richtig. Ärzte entfernen ihm zunächst einen gutartigen Tumor am Hals. Als es nicht besser wird, untersuchen sie ihn erneut. Dabei stoßen sie auf ein weiteres Geschwür, dieses Mal zwischen den Lungenflügeln. Es drückt bereits auf die Nerven, deshalb die Schmerzen. Er bekommt kaum noch Luft. Sie müssen ihm die Brust in einer komplizierten Operation öffnen. Und schon erkennen sie den nächsten Rückschlag. Der sechs Zentimeter große Tumor ummantelt die Hauptschlagader. Sie können ihn nicht restlos entfernen. Sie entnehmen so viel wie möglich und schicken eine Probe ins Labor. Danach beginnt die Zeit des Wartens. Es ist nur eine gute Woche, es kommt Kruth vor wie Jahre. Jeder Anruf schreckt ihn aus seinen dunklen Gedanken, es könnte der entscheidende sein.

Kruth erzählt die Geschichte in seiner Wohnung am Küchentisch. Seinen vier Monate alten Sohn Tom hat er auf dem Arm. Seine Frau Nicole ist auch da. Im Treppenhaus steht der Buggy, im Wohnzimmer der Stubenwagen. Familienidylle. Kevin Kruth hat volles Haar, trägt Drei-Tage-Bart. Kein Hinweis darauf, dass die vergangenen Monate die schlimmsten seines Lebens waren. Kruth hat den Trainingsanzug des GFC Düren 99 an. Er ist auf den Platz zurückgekehrt, gleich ist ein Auswärtsspiel in der Bezirksliga. War die ganze Aufregung also umsonst? War der Befund negativ? Kein Krebs? Was hatte der Anrufer ihm mitzuteilen?

Der Fußball verliert kurzzeitig seine Bedeutung

Kruth erinnert sich, wie sein Smartphone erneut geklingelt hat. 30 Sekunden später ist alles anders. "Herr Kruth, Sie haben Lymphdrüsenkrebs. Es tut uns leid, Ihnen das mitteilen zu müssen. Begeben Sie sich bitte in ärztliche Behandlung." So ungefähr ist der Wortlaut. Kruth empfängt die Nachricht in der Küche. Seine Mutter sitzt neben ihm. Ihm schießen die Tränen in die Augen. Er ruft seine Frau an. Sie kommt direkt von der Arbeit. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Sie ist im zweiten Monat schwanger. Doch sie will ihm das noch nicht sagen. Erst nach der zwölften Woche, wenn die Sicherheit etwas höher ist, will sie ihm die freudige Nachricht überbringen. Sie will nicht, dass er sich um sie Sorgen macht. Jetzt geht es nur um ihn. Um sein Leben. Alles andere spielt keine Rolle mehr. Auch der Fußball nicht.

Dabei war er vorher doch sein Leben gewesen. Und rückblickend war genau das wahrscheinlich auch sein großes Glück. Schon während der Chemotherapie kehrt er auf den Trainingsplatz zurück. Er kann nicht viel machen. Leichte Waldläufe mit seinem Trainer, mit einigen Spielern. Dazu Standfußball, zum Beispiel fünf gegen zwei im Kreis. Mehr geht nicht. Aber das ist ihm unendlich wichtig. Er ist wieder Teil der Gemeinschaft. Hier erhält er sich seinen Lebensmut. Hier sammelt er die Kraft, um die Chemotherapie zu überstehen.

Es sind meist lange Tage, wenn er die Prozedur beim Arzt über sich ergehen lassen muss. Er sitzt dann in einem Zimmer mit zehn, manchmal 20 anderen kranken Menschen. Bei einigen erkennt er sofort, dass sie kaum noch Chancen haben. Ihm hat der behandelnde Doktor eine Heilungschance von 75 bis 80 Prozent eingeräumt. Auch das macht ihm Mut. Er hat sich Bücher mitgebracht. Mit seinem Handy hört er in diesen sechs bis sieben Stunden viel Musik. Er will das erdrückende Szenario nicht zu nah an sich herankommen lassen.

"Ich weiß nicht, wie ich das alles ohne den Fußball und meine Familie überstanden hätte"

Acht Wochen muss er das freitags über sich ergehen lassen. Danach geht es ihm am Wochenende extrem schlecht. Er hat ständig Brechreiz, kann sich aber nicht übergeben. Häufig findet er morgens Haarbüschel auf dem Kopfkissen. Er schämt sich, er fühlt sich mies, er hat kaum Kraft aufzustehen. Erst montags schafft er langsam die Rückkehr in die Gesellschaft. Und der nächste Freitag droht dann schon wieder. Aber Kruth hat keine Wahl. Er muss das durchziehen.

Weihnachten kommt, dann Silvester. Es sind keine rauschenden Feste, es sind nachdenkliche Tage. Wie werde ich das nächste Weihnachtsfest erleben? Wie den Jahreswechsel? Die Zukunft ist doch so ungewiss. Anfang 2013 ist die Chemo beendet. Bei der Abschlussuntersuchung kommt die nächste Hiobsbotschaft. Es sind noch immer Reste des Krebsgeschwürs da. Nun muss bestrahlt werden. Jeden Tag, zwei Wochen lang. Für Kruth ist es der Tiefpunkt. In dieser Zeit kann er nichts anderes machen. Nicht einmal mit seinen Jungs kicken, nicht einmal gegen den Ball treten. Es fehlt ihm, er braucht das.

"Ich weiß nicht, wie ich das alles ohne den Fußball und meine Familie überstanden hätte", sagt Kruth heute. "Ich habe die totale Unterstützung gespürt. Von meiner Frau und meinen Eltern sowieso. Aber auch von den Jungs vom GFC Düren, besonders vom Trainerteam.“ Kruth kann sich ein Leben ohne Fußball nicht vorstellen. Eines wusste er auch in den dunkelsten Momenten ganz genau: Wenn er den Kampf gegen den Krebs gewonnen hat, wird er auf den Platz zurückkehren: "Wenn ich die Rückkehr nicht als Spieler geschafft hätte, wäre ich irgendwo Zeugwart geworden. Oder ich hätte ein anderes Amt übernommen. Ich bin jetzt seit 20 Jahren dabei. Es waren 20 großartige Jahre."

13 Treffer nach zwölf Spieltagen

Und Kruth schafft es tatsächlich. Die Bestrahlung beseitigt die letzten Reste des Tumors. Es ist ein langer, ein mühsamer Weg zurück. Sein Körper hat extrem gelitten. Aber er geht ihn Schritt für Schritt. Er steigert die Belastung im Training. Er spürt, wie gut ihm das tut: "Meine Mitspieler haben sich natürlich Sorgen gemacht. Aber sie haben es mich nicht spüren lassen. Im Gegenteil, sie haben mich völlig normal wieder aufgenommen." Als der Frühling kommt, blüht auch Kruth wieder auf. Am 7. März dieses Jahres feiert er beim 2:1 gegen den SV Rhenania Bessenich in einem Nachholspiel vor 22 Zuschauern in der Bezirksliga sein Comeback. Die letzten elf Minuten kommt er zum Einsatz. "Ich bin erst rumgelaufen wie Falschgeld", sagt er schmunzelnd. Aber seine Kollegen ziehen ihn mit. Fußball verbindet, Fußballer helfen sich. Danach geht es rasend schnell wieder aufwärts. Das erste Tor nach seiner Krankheit drei Tage später wird er nie mehr vergessen. Die Emotionen danach, den Jubel, die Anerkennung.

Dann wird am 14. Juli sein Sohn geboren. Dieses Ereignis überstrahlt all die schrecklichen Erinnerungen an die jüngere Vergangenheit. Und auch auf dem Platz wird er immer besser. In dieser Saison läuft es für ihn persönlich perfekt. Vielleicht war er niemals so gut. Der Kampf gegen den Krebs hat ihn noch robuster, selbstbewusster, abgeklärter gemacht. Er regt sich nicht mehr so schnell auf. Das merkt man auch beim Fußball. Sein wichtigstes Spiel hat er längst gewonnen. Nach zwölf Spieltagen hat der Angreifer bereits 13 Treffer erzielt. Damit steht er ganz oben in der Torjägerliste. Es gibt keinen Zweifel mehr: Kevin Kruth ist zurück. Zurück auf dem Platz. Zurück im Leben.