Amateurserie: Ex-Bundesligist Blau-Weiß Berlin in der Bezirksliga

Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders, an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jeden Dienstag in seiner Serie. Sie zeigt, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: SV Blau Weiss Berlin, der Bezirksligist, dessen Vorgängerverein in der Bundesliga spielte.

Der Kapitän ist Obsthändler

1984 ist Helmut Kohl noch gar nicht so lange Bundeskanzler, Franz Beckenbauer wird Teamchef der Nationalmannschaft, in der Bundesliga spielen unter anderem Bayer Uerdingen und Waldhof Mannheim. Und in der 2. Bundesliga gibt es ein neues Gesicht: Blau-Weiß 90 Berlin. Kapitän ist Peter Stark, im Hauptberuf Obsthändler. Er arbeitet im Geschäft seines Vaters. Arbeitszeit von drei Uhr bis 13 Uhr. Nun verschieben sich die Prioritäten.

Stark erfüllt sich mit knapp 30 Jahren seinen Traum vom Profifußball, hat aber in den ersten Spielen noch keinen Profivertrag. Also heißt es zunächst bei Heimspielen: Fruchthof, frisch machen, zum Stadion fahren, auflaufen. "Vor Auswärtsspielen konnte ich mich ausschlafen, da war ich immer eine Klasse besser", erzählt er.

Berufung von Ribbeck für Amateur-Nationalmannschaft

Blau-Weiß 90 ist Geschichte, der Nachfolgeklub SV Blau Weiss Berlin spielt in der Bezirksliga. Achte Liga, so tief wie kein anderer ehemaliger Bundesligist. Stark ist inzwischen 58 Jahre alt. Er ist längst wieder in seinem alten Job tätig, inzwischen selbstständig, fünf Angestellte. Er spielt bei seinem Heimatklub Union 06 in der Ü 50.

1976 war er mit dem Verein Berliner Meister und wurde später von Erich Ribbeck in die Amateur-Nationalmannschaft berufen. "Union ist meine Heimat, aber bei Blau-Weiß hatte ich die schönste Zeit", sagt er. Dort kam er auf 127 Zweitligaspiele und eine Saison in der Bundesliga. Alles als Kapitän.

Gesucht bei "Aktenzeichen XY"

Die Sportliche Vereinigung Blau-Weiß 1890 spielte bis Anfang der 80er-Jahre im damaligen West-Berlin keine herausragende Rolle. Sie war in der Ober- oder Landesliga (damals vierte Liga) beheimatet. Der größte Erfolg - Deutscher Meister 1905 unter dem Namen Berliner TuFC Union 92 - lag ewig zurück. Für Aufsehen sorgte die B-Jugend, als sie 1979 mit dem späteren Leverkusener Rüdiger Vollborn im Tor die Deutsche Meisterschaft holte.

1982 begann der rasante Aufstieg. "Im ICE-Tempo nach oben", schrieb das Berliner Fachblatt Fußball-Woche in einer Rückschau vor einigen Jahren. 1983 ging es in die Oberliga, 1984 in die 2. Bundesliga, 1986 in die Bundesliga.

Weniger Anlass zum Jubilieren gab "die Finanzakrobatik in Berlin" (Der Spiegel). Der DFB beäugte den Verein Jahr für Jahr sehr sorgfältig und erteilte die Lizenz nur mit strengen Auflagen. In Person von Konrad Kopratschek war ein Geschäftsmann am Werk, der 1976 bei "Aktenzeichen XY" gesucht und später wegen Kreditbetrugs verurteilt worden war. Ein Jahr vor dem Bundesligaaufstieg trennte sich der Verein von Kropatschek. Beim Thema Finanzen blieb Blau-Weiß trotzdem ein Sorgenkind.

"Wir hatten ein tolles Team"

Die Mannschaft von Trainer Bernd Hoss, der lange vor der Einführung der Coaching Zone mitunter gestikulierend an der Eckfahne auftauchte, bereitete den fußballerisch darbenden Berlinern dagegen viel Freude. "Wir hatten ein tolles Team, haben immer nach vorn gespielt", erinnert sich Stark.

Das wurde nach anfänglicher Skepsis honoriert. Bei mageren 3500 Besuchern lag der Schnitt in der ersten Zweitligasaison. In der Bundesligasaison 1986/1987, als die sonstige Nummer eins Hertha BSC nur drittklassig war, stieg die Zahl trotz des sofortigen Abstiegs auf fast 22.000. Eine respektable Quote für die Zeit Mitte der 80er-Jahre.

Riedle allein kann es nicht richten

18 Punkte standen am Saisonende (für einen Sieg gab es zwei Zähler), 22 hätten zum Klassenverbleib gereicht. "Vorne hat uns ein richtig guter zweiter Stürmer gefehlt", sagt Stark. Der ganz am Anfang seiner Karriere stehende Karl-Heinz Riedle konnte es im Alleingang nicht richten. "Und vielleicht hat uns insgesamt auch ein Quäntchen gefehlt", so Stark.

Die liegen gelassenen Punkte kann er aus dem Kopf aufzählen, als wäre die Saison vorgestern zu Ende gegangen: "Gegen Düsseldorf führen wir 1:0 und verlieren 1:2. Gegen Stuttgart steht es 0:0, wir reklamieren Elfer und kriegen im Gegenzug das 0:1." In Uerdingen forderte Stark den Schiedsrichter auf: "Pfeif doch ooch mal für die Kleenen." Blau-Weiß verlor 1:2, nachdem es lange 1:1 stand.<7p>

Die Liste ließe sich fortsetzen. Letztlich reichten die Höhepunkte nicht aus, um drinzubleiben: etwa ein mehr als verdientes 1:1 gegen den FC Bayern München.

Stark: "Wir haben auch viel gefeiert"

Für den deutschen Fußball ist der Höhenflug des Vereins aus dem Stadtteil Mariendorf ein Kapitel unter vielen, Blau-Weiß ist in der ewigen Bundesligatabelle auf Rang 49 gelistet. Beim Vereinsnamen dürften viele zuerst an einen legendären Auftritt im "Aktuellen Sportstudio" denken, bei dem die Mannschaft mit Schlagersänger Bernhard Brink "Wir sind heiß auf Blau-Weiß" zum Besten gab.

Für Stark und seine Mitspieler war es eine unvergessliche Zeit. Vor allem bezogen auf die 2. Bundesliga sagt er: "Wir haben auch viel gefeiert." Nach einem 4:0 in Duisburg stürmte die ganze Mannschaft den Hotelpool, in Saarbrücken kehrte Blau-Weiß nach dem Sieg per Polonaise ins Hotel zurück. Und im Flugzeug nach siegreichen Auswärtsspielen gehörte Stark zu einem Trio, das sich "3-mal-3" gönnte. Je drei Whiskey für drei Spieler. Wobei der Sieg nicht unbedingt Voraussetzung war.

Neuanfang in der Kreisliga C

Nach dem Abstieg 1987 hielt sich Blau-Weiß noch einige Jahre in der 2. Bundesliga, die Besucherzahlen gingen schnell wieder zurück. Die einmalige Chance, Hertha BSC in der Zuschauergunst dauerhaft abzuhängen, war vertan. Das bittere Ende kam 1992: Konkurs, Neugründung in der Kreisliga C. "Wir mussten Blau-Weiß sterben lassen, obwohl heute manche Oberligavereine mehr Schulden haben als wir damals", so der heutige Ehrenvorsitzende Siegfried Hahn in der Zeitschrift 11 Freunde.

Der SV Blau Weiss ist momentan in der Bezirksliga auf Aufstiegskurs. Zu Jahresbeginn gewann der Klub das Bezirksliga-Hallenturnier und schlug dort Hertha BSC. Es war Herthas dritte Mannschaft.

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Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders, an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jeden Dienstag in seiner Serie. Sie zeigt, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: SV Blau Weiss Berlin, der Bezirksligist, dessen Vorgängerverein in der Bundesliga spielte.

Der Kapitän ist Obsthändler

1984 ist Helmut Kohl noch gar nicht so lange Bundeskanzler, Franz Beckenbauer wird Teamchef der Nationalmannschaft, in der Bundesliga spielen unter anderem Bayer Uerdingen und Waldhof Mannheim. Und in der 2. Bundesliga gibt es ein neues Gesicht: Blau-Weiß 90 Berlin. Kapitän ist Peter Stark, im Hauptberuf Obsthändler. Er arbeitet im Geschäft seines Vaters. Arbeitszeit von drei Uhr bis 13 Uhr. Nun verschieben sich die Prioritäten.

Stark erfüllt sich mit knapp 30 Jahren seinen Traum vom Profifußball, hat aber in den ersten Spielen noch keinen Profivertrag. Also heißt es zunächst bei Heimspielen: Fruchthof, frisch machen, zum Stadion fahren, auflaufen. "Vor Auswärtsspielen konnte ich mich ausschlafen, da war ich immer eine Klasse besser", erzählt er.

Berufung von Ribbeck für Amateur-Nationalmannschaft

Blau-Weiß 90 ist Geschichte, der Nachfolgeklub SV Blau Weiss Berlin spielt in der Bezirksliga. Achte Liga, so tief wie kein anderer ehemaliger Bundesligist. Stark ist inzwischen 58 Jahre alt. Er ist längst wieder in seinem alten Job tätig, inzwischen selbstständig, fünf Angestellte. Er spielt bei seinem Heimatklub Union 06 in der Ü 50.

1976 war er mit dem Verein Berliner Meister und wurde später von Erich Ribbeck in die Amateur-Nationalmannschaft berufen. "Union ist meine Heimat, aber bei Blau-Weiß hatte ich die schönste Zeit", sagt er. Dort kam er auf 127 Zweitligaspiele und eine Saison in der Bundesliga. Alles als Kapitän.

Gesucht bei "Aktenzeichen XY"

Die Sportliche Vereinigung Blau-Weiß 1890 spielte bis Anfang der 80er-Jahre im damaligen West-Berlin keine herausragende Rolle. Sie war in der Ober- oder Landesliga (damals vierte Liga) beheimatet. Der größte Erfolg - Deutscher Meister 1905 unter dem Namen Berliner TuFC Union 92 - lag ewig zurück. Für Aufsehen sorgte die B-Jugend, als sie 1979 mit dem späteren Leverkusener Rüdiger Vollborn im Tor die Deutsche Meisterschaft holte.

1982 begann der rasante Aufstieg. "Im ICE-Tempo nach oben", schrieb das Berliner Fachblatt Fußball-Woche in einer Rückschau vor einigen Jahren. 1983 ging es in die Oberliga, 1984 in die 2. Bundesliga, 1986 in die Bundesliga.

Weniger Anlass zum Jubilieren gab "die Finanzakrobatik in Berlin" (Der Spiegel). Der DFB beäugte den Verein Jahr für Jahr sehr sorgfältig und erteilte die Lizenz nur mit strengen Auflagen. In Person von Konrad Kopratschek war ein Geschäftsmann am Werk, der 1976 bei "Aktenzeichen XY" gesucht und später wegen Kreditbetrugs verurteilt worden war. Ein Jahr vor dem Bundesligaaufstieg trennte sich der Verein von Kropatschek. Beim Thema Finanzen blieb Blau-Weiß trotzdem ein Sorgenkind.

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"Wir hatten ein tolles Team"

Die Mannschaft von Trainer Bernd Hoss, der lange vor der Einführung der Coaching Zone mitunter gestikulierend an der Eckfahne auftauchte, bereitete den fußballerisch darbenden Berlinern dagegen viel Freude. "Wir hatten ein tolles Team, haben immer nach vorn gespielt", erinnert sich Stark.

Das wurde nach anfänglicher Skepsis honoriert. Bei mageren 3500 Besuchern lag der Schnitt in der ersten Zweitligasaison. In der Bundesligasaison 1986/1987, als die sonstige Nummer eins Hertha BSC nur drittklassig war, stieg die Zahl trotz des sofortigen Abstiegs auf fast 22.000. Eine respektable Quote für die Zeit Mitte der 80er-Jahre.

Riedle allein kann es nicht richten

18 Punkte standen am Saisonende (für einen Sieg gab es zwei Zähler), 22 hätten zum Klassenverbleib gereicht. "Vorne hat uns ein richtig guter zweiter Stürmer gefehlt", sagt Stark. Der ganz am Anfang seiner Karriere stehende Karl-Heinz Riedle konnte es im Alleingang nicht richten. "Und vielleicht hat uns insgesamt auch ein Quäntchen gefehlt", so Stark.

Die liegen gelassenen Punkte kann er aus dem Kopf aufzählen, als wäre die Saison vorgestern zu Ende gegangen: "Gegen Düsseldorf führen wir 1:0 und verlieren 1:2. Gegen Stuttgart steht es 0:0, wir reklamieren Elfer und kriegen im Gegenzug das 0:1." In Uerdingen forderte Stark den Schiedsrichter auf: "Pfeif doch ooch mal für die Kleenen." Blau-Weiß verlor 1:2, nachdem es lange 1:1 stand.<7p>

Die Liste ließe sich fortsetzen. Letztlich reichten die Höhepunkte nicht aus, um drinzubleiben: etwa ein mehr als verdientes 1:1 gegen den FC Bayern München.

Stark: "Wir haben auch viel gefeiert"

Für den deutschen Fußball ist der Höhenflug des Vereins aus dem Stadtteil Mariendorf ein Kapitel unter vielen, Blau-Weiß ist in der ewigen Bundesligatabelle auf Rang 49 gelistet. Beim Vereinsnamen dürften viele zuerst an einen legendären Auftritt im "Aktuellen Sportstudio" denken, bei dem die Mannschaft mit Schlagersänger Bernhard Brink "Wir sind heiß auf Blau-Weiß" zum Besten gab.

Für Stark und seine Mitspieler war es eine unvergessliche Zeit. Vor allem bezogen auf die 2. Bundesliga sagt er: "Wir haben auch viel gefeiert." Nach einem 4:0 in Duisburg stürmte die ganze Mannschaft den Hotelpool, in Saarbrücken kehrte Blau-Weiß nach dem Sieg per Polonaise ins Hotel zurück. Und im Flugzeug nach siegreichen Auswärtsspielen gehörte Stark zu einem Trio, das sich "3-mal-3" gönnte. Je drei Whiskey für drei Spieler. Wobei der Sieg nicht unbedingt Voraussetzung war.

Neuanfang in der Kreisliga C

Nach dem Abstieg 1987 hielt sich Blau-Weiß noch einige Jahre in der 2. Bundesliga, die Besucherzahlen gingen schnell wieder zurück. Die einmalige Chance, Hertha BSC in der Zuschauergunst dauerhaft abzuhängen, war vertan. Das bittere Ende kam 1992: Konkurs, Neugründung in der Kreisliga C. "Wir mussten Blau-Weiß sterben lassen, obwohl heute manche Oberligavereine mehr Schulden haben als wir damals", so der heutige Ehrenvorsitzende Siegfried Hahn in der Zeitschrift 11 Freunde.

Der SV Blau Weiss ist momentan in der Bezirksliga auf Aufstiegskurs. Zu Jahresbeginn gewann der Klub das Bezirksliga-Hallenturnier und schlug dort Hertha BSC. Es war Herthas dritte Mannschaft.