Amateurserie: Deutschlands fairster Oberligist

Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt, im Schnitt finden 4400 Spiele statt - pro Tag. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga, der Nationalmannschaft, den Klubs wie Bayern München, Borussia Dortmund oder Schalke 04. Die heimlichen Helden aber spielen woanders, in der Verbands-, Bezirks-, Kreisliga, auf kleinen Sportplätzen, mit hingebungsvollen Ehrenamtlichen an ihrer Seite. Sie alle haben eines gemeinsam: die Liebe zum Fußball.

Diesen heimlichen Helden widmet sich DFB.de in seiner neuen Serie. Auf der Reise durch die Republik stellt die Redaktion jeden Dienstag Amateure vor - ob aufstrebender Newcomer oder gestrauchelter Traditionsklub, ob kleiner Dorf- oder städtischer Großverein, ob Oberligist oder C-Ligist, ob Jugendspielgemeinschaft oder reine Hobbytruppe. Wir zeigen, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: der TSV Buchholz.

Grätschverbot für Abwehrspieler

Wenn Schiedsrichter den TSV Buchholz pfeifen, können sie sich freuen. In aller Regel werden sie nicht viel zu tun bekommen, sich kaum über meckernde Spieler ärgern oder grobe Unsportlichkeiten ahnden müssen. Der TSV Buchholz ist der fairste Oberligist Deutschlands. Achtmal in Folge hat der Klub aus dem hohen Norden den Fairplay-Wettbewerb in der Oberliga Hamburg gewonnen, den der Landesverband halbjährlich durchführt. "Darauf", sagt Trainer Thomas Titze, "sind wir stolz, das gebe ich unumwunden zu."

Grätschverbot für Abwehrspieler. Kein Stürmer, der nach einer vergebenen Großchance flucht. Ein Trainer, der jede Niederlage und jeden umstrittenen Pfiff mit stoischer Ruhe zur Kenntnis nimmt. So könnte man sich die Buchholzer Fußballwelt vorstellen. Aber so sieht sie in der Realität natürlich nicht aus. "Wir haben nicht nur Engel im Kader", betont Titze, "auch bei uns gehören Emotionen dazu."

Allerdings schafft es sein Team, diese am besten zu kanalisieren. So gut, dass der Oberligist vor den Toren Hamburgs in den vergangenen vier Jahren jeweils die wenigsten Punkte in der Sünderkartei gesammelt hat. Fünf Zähler gibt es dort für Rote Karten oder andere Unsportlichkeiten, noch mehr für längere Sperren und grobe Verfehlungen am Rande des Spiels. Der TSV hat einen Koeffizienten von 1,0 - das macht im Schnitt eine Gelbe Karte pro Partie.

Viele sind schon seit der E-Jugend zusammen

Das vorbildliche Auftreten der Buchholzer hängt unter anderem mit dem gewachsenen Mannschaftsgefüge zusammen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat den Buchholzer Fußballern vor sieben Jahren mal eine ganze Seite gewidmet unter dem Titel: "Sie wollen nie mehr auseinander gehen."

Der Hintergrund: Das Team setzte sich fast ausschließlich aus Spielern zusammen, die bereits in der E-Jugend gemeinsam kicken. Auch der Trainer war von Anfang an dabei. Thomas Titze übernahm die TSV-Jungs 1991, durchlief mit ihnen jede Altersklasse und übernahm 2003 die erste Mannschaft.

Zu dieser Zeit spielte Buchholz in der Landesliga. Titze vollzog einen radikalen Umbruch - erwünscht, nicht erzwungen. Die komplette A-Jugend, zuvor Hamburger Meister geworden, rückte auf. Von der alten Mannschaft blieben nur drei Akteure übrig. "Wir hatten im Jugendbereich für Furore gesorgt", erzählt der Coach, "trotzdem hätte es bei so vielen jungen Spielern in die Hose gehen können." Ging es aber nicht.

"Für uns ist das eine kleine Sensation"

Nach drei Jahren stiegen die Buchholzer in die Oberliga auf, der sie seit Sommer 2006 ununterbrochen angehören. "Für einen Verein mit unseren bescheidenen Mitteln ist das eine kleine Sensation", meint Titze. Noch heute sind sieben Spieler dabei, die bereits der E-Jugend vor über 20 Jahren angehörten, unter ihnen Titzes ältester Sohn Henrik, der Torwart. Auch der zwei Jahre jüngere Bruder Sören steht im Buchholzer Oberligateam.

Mehrfach mischte der Turn- und Sportverein sogar ganz oben mit, wurde zweimal Vizemeister der Oberliga. Was eindrucksvoll zeigt: Fairness und Erfolg schließen sich nicht aus. Im Gegenteil. "Es ist ja oft so, dass erfolgreiche Mannschaften in der Fairnesswertung weit vorne zu finden sind", unterstreicht Titze und gibt zu: "Es ist sicherlich einfacher, fair aufzutreten, wenn man nicht gegen den Abstieg kämpft."

Fairplay bringt 24.000 Euro ein

Besondere Benimmregeln hat der Trainer nicht aufgestellt. Es gibt keinen offiziellen Kodex, keinen Verhaltenskatalog. "Ich verlange von den Jungs lediglich, dass sie andere so behandeln, wie sie selbst behandelt werden wollen", erklärt der 53-Jährige. Den Rest regelt die Mannschaft weitgehend selbst, auch in den Trainingsspielen, in denen die Spieler über Einwürfe, Ecken oder Regelverstöße entscheiden.

Lohnenswert ist das gute Auftreten allemal - nicht nur weil der TSV am 3. August das Saisoneröffnungsspiel des Hamburger Fußball-Verbandes austragen darf. Der Fairnesspreis in der Oberliga ist mit 3000 Euro dotiert. "Böse Zungen behaupten, dass wir das Geld mittlerweile schon fest in unseren Etat einplanen", flachst Thomas Titze.

24.000 Euro sind so in den vergangenen vier Jahren zusammengekommen. Geld, das der Verein gut gebrauchen kann. Als eine Abteilung unter vielen beim TSV sind die Fußballer finanziell nicht auf Rosen gebettet. Strukturell herrscht Nachholbedarf. Beispielsweise musste der Oberligist während der Sommervorbereitung andere Plätze anmieten, weil das heimische Geläuf gesperrt war.

Der große Traum: Einzug in den DFB-Pokal

Gerne hätten die Buchholzer bessere Trainingsbedingungen, gerne hätten sie für ihren treuen Anhang (knapp 500 Zuschauer im Schnitt) ein eigenes, kleines Stadion - nur umsetzbar scheint es kaum. Darum war trotz aller sportlichen Erfolge auch die Regionalliga kein Thema. Der Verein wäre nicht in der Lage gewesen, die Anforderungen zu erfüllen. Mit der gerade vollzogenen Regionalliga-Reform könnte sich dies ändern.

Oder es erfüllt sich ein Traum von Thomas Titze: "Wir möchten unbedingt mal in die erste Runde des DFB-Pokals einziehen. Mit den Einnahmen daraus könnten wir einen riesigen Schritt in unserer Infrastruktur machen." Im Vorjahr war im Achtelfinale des Landespokals nach Verlängerung Schluss, davor hatte den TSV im Elfmeterschießen das Aus ereilt. Jetzt nimmt Buchholz einen neuen Anlauf. Natürlich gewohnt fair.

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Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt, im Schnitt finden 4400 Spiele statt - pro Tag. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga, der Nationalmannschaft, den Klubs wie Bayern München, Borussia Dortmund oder Schalke 04. Die heimlichen Helden aber spielen woanders, in der Verbands-, Bezirks-, Kreisliga, auf kleinen Sportplätzen, mit hingebungsvollen Ehrenamtlichen an ihrer Seite. Sie alle haben eines gemeinsam: die Liebe zum Fußball.

Diesen heimlichen Helden widmet sich DFB.de in seiner neuen Serie. Auf der Reise durch die Republik stellt die Redaktion jeden Dienstag Amateure vor - ob aufstrebender Newcomer oder gestrauchelter Traditionsklub, ob kleiner Dorf- oder städtischer Großverein, ob Oberligist oder C-Ligist, ob Jugendspielgemeinschaft oder reine Hobbytruppe. Wir zeigen, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: der TSV Buchholz.

Grätschverbot für Abwehrspieler

Wenn Schiedsrichter den TSV Buchholz pfeifen, können sie sich freuen. In aller Regel werden sie nicht viel zu tun bekommen, sich kaum über meckernde Spieler ärgern oder grobe Unsportlichkeiten ahnden müssen. Der TSV Buchholz ist der fairste Oberligist Deutschlands. Achtmal in Folge hat der Klub aus dem hohen Norden den Fairplay-Wettbewerb in der Oberliga Hamburg gewonnen, den der Landesverband halbjährlich durchführt. "Darauf", sagt Trainer Thomas Titze, "sind wir stolz, das gebe ich unumwunden zu."

Grätschverbot für Abwehrspieler. Kein Stürmer, der nach einer vergebenen Großchance flucht. Ein Trainer, der jede Niederlage und jeden umstrittenen Pfiff mit stoischer Ruhe zur Kenntnis nimmt. So könnte man sich die Buchholzer Fußballwelt vorstellen. Aber so sieht sie in der Realität natürlich nicht aus. "Wir haben nicht nur Engel im Kader", betont Titze, "auch bei uns gehören Emotionen dazu."

Allerdings schafft es sein Team, diese am besten zu kanalisieren. So gut, dass der Oberligist vor den Toren Hamburgs in den vergangenen vier Jahren jeweils die wenigsten Punkte in der Sünderkartei gesammelt hat. Fünf Zähler gibt es dort für Rote Karten oder andere Unsportlichkeiten, noch mehr für längere Sperren und grobe Verfehlungen am Rande des Spiels. Der TSV hat einen Koeffizienten von 1,0 - das macht im Schnitt eine Gelbe Karte pro Partie.

Viele sind schon seit der E-Jugend zusammen

Das vorbildliche Auftreten der Buchholzer hängt unter anderem mit dem gewachsenen Mannschaftsgefüge zusammen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat den Buchholzer Fußballern vor sieben Jahren mal eine ganze Seite gewidmet unter dem Titel: "Sie wollen nie mehr auseinander gehen."

Der Hintergrund: Das Team setzte sich fast ausschließlich aus Spielern zusammen, die bereits in der E-Jugend gemeinsam kicken. Auch der Trainer war von Anfang an dabei. Thomas Titze übernahm die TSV-Jungs 1991, durchlief mit ihnen jede Altersklasse und übernahm 2003 die erste Mannschaft.

Zu dieser Zeit spielte Buchholz in der Landesliga. Titze vollzog einen radikalen Umbruch - erwünscht, nicht erzwungen. Die komplette A-Jugend, zuvor Hamburger Meister geworden, rückte auf. Von der alten Mannschaft blieben nur drei Akteure übrig. "Wir hatten im Jugendbereich für Furore gesorgt", erzählt der Coach, "trotzdem hätte es bei so vielen jungen Spielern in die Hose gehen können." Ging es aber nicht.

"Für uns ist das eine kleine Sensation"

Nach drei Jahren stiegen die Buchholzer in die Oberliga auf, der sie seit Sommer 2006 ununterbrochen angehören. "Für einen Verein mit unseren bescheidenen Mitteln ist das eine kleine Sensation", meint Titze. Noch heute sind sieben Spieler dabei, die bereits der E-Jugend vor über 20 Jahren angehörten, unter ihnen Titzes ältester Sohn Henrik, der Torwart. Auch der zwei Jahre jüngere Bruder Sören steht im Buchholzer Oberligateam.

Mehrfach mischte der Turn- und Sportverein sogar ganz oben mit, wurde zweimal Vizemeister der Oberliga. Was eindrucksvoll zeigt: Fairness und Erfolg schließen sich nicht aus. Im Gegenteil. "Es ist ja oft so, dass erfolgreiche Mannschaften in der Fairnesswertung weit vorne zu finden sind", unterstreicht Titze und gibt zu: "Es ist sicherlich einfacher, fair aufzutreten, wenn man nicht gegen den Abstieg kämpft."

Fairplay bringt 24.000 Euro ein

Besondere Benimmregeln hat der Trainer nicht aufgestellt. Es gibt keinen offiziellen Kodex, keinen Verhaltenskatalog. "Ich verlange von den Jungs lediglich, dass sie andere so behandeln, wie sie selbst behandelt werden wollen", erklärt der 53-Jährige. Den Rest regelt die Mannschaft weitgehend selbst, auch in den Trainingsspielen, in denen die Spieler über Einwürfe, Ecken oder Regelverstöße entscheiden.

Lohnenswert ist das gute Auftreten allemal - nicht nur weil der TSV am 3. August das Saisoneröffnungsspiel des Hamburger Fußball-Verbandes austragen darf. Der Fairnesspreis in der Oberliga ist mit 3000 Euro dotiert. "Böse Zungen behaupten, dass wir das Geld mittlerweile schon fest in unseren Etat einplanen", flachst Thomas Titze.

24.000 Euro sind so in den vergangenen vier Jahren zusammengekommen. Geld, das der Verein gut gebrauchen kann. Als eine Abteilung unter vielen beim TSV sind die Fußballer finanziell nicht auf Rosen gebettet. Strukturell herrscht Nachholbedarf. Beispielsweise musste der Oberligist während der Sommervorbereitung andere Plätze anmieten, weil das heimische Geläuf gesperrt war.

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Der große Traum: Einzug in den DFB-Pokal

Gerne hätten die Buchholzer bessere Trainingsbedingungen, gerne hätten sie für ihren treuen Anhang (knapp 500 Zuschauer im Schnitt) ein eigenes, kleines Stadion - nur umsetzbar scheint es kaum. Darum war trotz aller sportlichen Erfolge auch die Regionalliga kein Thema. Der Verein wäre nicht in der Lage gewesen, die Anforderungen zu erfüllen. Mit der gerade vollzogenen Regionalliga-Reform könnte sich dies ändern.

Oder es erfüllt sich ein Traum von Thomas Titze: "Wir möchten unbedingt mal in die erste Runde des DFB-Pokals einziehen. Mit den Einnahmen daraus könnten wir einen riesigen Schritt in unserer Infrastruktur machen." Im Vorjahr war im Achtelfinale des Landespokals nach Verlängerung Schluss, davor hatte den TSV im Elfmeterschießen das Aus ereilt. Jetzt nimmt Buchholz einen neuen Anlauf. Natürlich gewohnt fair.