Als Seelers Achillessehne riss: "Es hat unheimlich laut geknallt"

Seeler: Etwa zwei Jahre. Dieser Schuh, den adidas-Chef Adi Dassler extra für mich entwickelt hatte, half mir sehr. Weil er an der Ferse abgepolstert war und dort auch, je nach dem wie groß der Druck war, exakt verschnürt werden konnte.

DFB.de: Und dieser Schuh erleichterte Ihnen auch Ihr Comeback im Nationalteam bei dem ungemein wichtigen WM-Qualifikationsspiel im September 1965 in Stockholm?

Seeler: Ohne diesen Schuh wäre eine so schnelle Rückhehr auch in die Nationalmannschaft nicht möglich gewesen.

DFB.de: Dennoch war Ihr Einsatz bei diesem Schicksalsspiel vorher nicht unumstritten. Zwei Fragen bewegten damals die Menschen in Deutschland ganz besonders: Wer gewinnt die Bundestagswahl, Ludwig Erhard oder Willy Brandt? Und: Kann und soll Uwe Seeler eine Woche später beim "Spiel des Jahres" in Schweden auflaufen oder noch nicht? Wie nahmen Sie die Situation damals wahr?

Seeler: In den Medien wurde meine Berufung zu diesem Spiel sehr kontrovers diskutiert. Zudem waren längst auch nicht alle Fans mit meiner Aufstellung einverstanden und hielten meinen Einsatz für verfrüht. Natürlich war ich noch nicht wieder ganz im Vollbesitz meiner Kräfte. Doch ich hatte in den vorausgegangenen sechs Wochen wieder meine ersten Punktspiele für den HSV bestritten und auch wieder Tore erzielt, so dass ich dem Bundestrainer guten Gewissens Grünes Licht geben konnte.

DFB.de: Und Helmut Schön hatte keinen Zweifel an Ihrer Einsatzfähigkeit?

Seeler: Der Bundestrainer gab mir während der Vorbereitung in Malente deutlich zu verstehen, dass er fest mit mir rechne und von mir überzeugt sei. Er wusste, dass ich ein Kämpfer und Beißer bin. Diese klare Ansage im Vorfeld des Spiels war unheimlich mutig von ihm. Alle wussten, dass uns in Stockholm nur ein Sieg zur erfolgreichen WM-Qualifikation helfen konnte.

DFB.de: Und dann kam es zum großen Happy-End dieser für Sie so schweren Zeit, als sie mit Ihrem Siegtor zum 2:1 das Ticket zur WM 1966 in England lösten. Welchen Stellenwert hat dieser Treffer für Sie persönlich?



34 Spieltage, 34 besondere Begegnungen, 34 Zeitzeugen. Auf DFB.de erinnern sich prägende Figuren der Bundesligageschichte an ganz spezielle Duelle, passend zum jeweils aktuellen Spieltag der Saison 2013/2014.

Der Knall ist bis auf die Tribüne des Waldstadions zu hören. Damals am 20. Februar 1965 in der 56. Minute des Bundesligaspieles Eintracht Frankfurt gegen den Hamburger SV. Die Spieler beider Mannschaften sind geschockt, als HSV-Kapitän Uwe Seeler wie vom Blitz getroffen auf das Spielfeld stürzt und sich vor Schmerzen auf dem hart gefrorenen Boden wälzt. Achillessehnenriss! In der damaligen Zeit eine der schwersten Sportverletzungen überhaupt. Das Ende der Karriere des damals 28-jährigen Mittelstürmers droht. Und dies im Zenit seiner Karriere als frisch gewählter Fußballer des Jahres 1964 und Torschützenkönig der vorausgegangenen Saison. Doch Uwe Seeler kämpft sich in bis dahin noch nicht erlebter kurzer Zeit zurück.

Bevor am Samstag (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) die aktuellen Bundesligateams der beiden Traditionsklubs einander wieder gegenüberstehen, blickt Uwe Seeler zurück auf diesen Vorfall. Im DFB.de-Exklusivinterview mit Redakteur Wolfgang Tobien beschreibt der Ehrenspielführer der Nationalmannschaft das "medizinische Wunder", mit dem er nach nur sechs Monaten wieder aufs Spielfeld zurückkehrte, und die riesige Anteilnahme, die ihm damals von allen Seiten entgegengebracht wurde. Er äußert sich über sein vorher nicht unumstrittenes Comeback im DFB-Team, bei dem er im September 1965 dann aber mit seinem Siegtor beim Qualifikationsspiel in Schweden das Ticket zur WM 1966 in Schweden löste. Und Seeler erklärt, mit welchen Erwartungen er seinen HSV in den aktuellen Abstiegskrimi gegen Frankfurt begleitet.

DFB.de: Herr Seeler, am Samstag spielt der HSV gegen Eintracht Frankfurt. Ein Bundesligaspiel, das für Sie ja wohl einen ganz besonderen Erinnerungswert hat?

Uwe Seeler: Sie meinen bestimmt meinen Achillessehnenriss, damals im Februar 1965 beim Bundesligaspiel in Frankfurt?

DFB.de: Genau! Demnach steht für Sie als Fußballer im nächsten Jahr ein runder Gedenktag der ganz besonderen Art an?

Seeler: Da ich immer positiv denke und auch damals in der schwierigen Situation unbeirrt voller Optimismus war, würde ich eher auf ein goldenes Jubiläum im nächsten Jahr hinweisen.

DFB.de: Wie meinen Sie das?

Seeler: Na ja, meine Wiedergeburt als Fußballprofi vor 50 Jahren, nur sechs Monate nach dieser schweren Verletzung.

DFB.de: Was damals als kleines medizinisches Wunder beschrieben wurde.

Seeler: Das war es ja wohl auch. Alle Spieler, von denen ich damals wusste, dass sie einen Achillessehnenriss erlitten hatten, mussten ihre Laufbahn beenden. Ich war der erste, der wieder aufs Spielfeld zurückkehrte.

DFB.de:Der damalige Frankfurter Nationalspieler Horst Trimhold stand in der Nähe und hat heute noch, wie er sagt, den Knall in den Ohren, als Ihnen dieses Missgeschick passierte. Welche Erinnerung haben Sie an den Vorfall?

Seeler: Es hat wirklich unheimlich laut geknallt, und ich hatte das Gefühl, dass mich, wie ich immer gesagt habe, ein Elefant getreten hätte. Als ich dann auf dem gefrorenen, verschneiten Boden lag, hing mein rechter Fuß runter, und ich spürte plötzlich starke Schmerzen.

DFB.de:Und mit dem Schmerz wurde Ihnen auch gleich die Schwere der Verletzung bewusst?

Seeler: Riss der Achillessehne, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich wusste natürlich, dass es das gibt. Doch ich hätte nie für möglich gehalten, dass mir so etwas passiert. Auf der Tribüne musste meine Frau alles miterleben. Wir wollten ja ursprünglich weiter zu einer Sportartikelmesse.

DFB.de: Heutzutage hat die damalige Horrordiagnose Achillessehnenriss ihren Schrecken, weil durchweg erfolgreich behandelbar, weitgehend verloren. Wie lautete bei Ihnen damals die Prognose?

Seeler: Schlimmstenfalls Ende der Profikarriere. Im günstigsten Fall mindestens ein Jahr Pause. Mancher prophezeite tatsächlich das Ende meiner Laufbahn.

DFB.de: Deswegen war wohl auch die Anteilnahme der Öffentlichkeit sehr groß?

Seeler: Es kamen kleine Geschenke und Genesungswünsche in unglaublicher Menge ins Krankenhaus. Von Helmut Schön, dem Bundestrainer. Von Fritz Walter, meinen HSV-Kumpels, von Freunden und vielen Kollegen aus der Nationalmannschaft und von anderen Bundesligisten. Aber auch von zahlreichen unbekannten Fans. Das Klinikpersonal wusste gar nicht mehr, wohin mit all den Blumen.

DFB.de: "Ein bitterer Tag für den deutschen Fußball" - so schrieben die Zeitungen. Wohl auch deswegen, weil Sie damals mit Ihren 30 Treffern als Bundesliga-Torschützenkönig 1963/1964 und als frisch gekürter Fußballer des Jahres 1964 einen Höhepunkt Ihrer Karriere erreicht hatten und Deutschlands populärster Fußballspieler waren. Wie kam es danach zu dem ungewöhnlich zügigen Heilungsprozess?

Seeler: Nach der Rückkehr nach Hamburg wurde ich am 22. Februar sofort operiert. Von unserem Vereinsarzt Dr. Kurt Fischer, der generell als ausgezeichneter Operateur galt, für den es aber die erste Operation dieser Art war. Er hat seine Sache hervorragend gemacht. Danach folgte die Reha, die damals ebenfalls ohne die großen Erfahrungswerte von heute ablief. Aber auch dabei wurde alles richtig gemacht. Insgesamt war der ganze Heilungsprozess dennoch ein harter Kampf gewesen.

DFB.de: Worauf war diese schwere Verletzung, die ohne gegnerische Einwirkung passiert war, eigentlich zurückzuführen? Auf Überlastung und Abnutzung, so damals der Spiegel in einem zweiseitigen Bericht, demzufolge Sie mit Ihrer überragenden Sprungkraft in Ihrer bis dahin elfjährigen Erstligakarriere 45.000 Sprünge verrichtet hätten?

Seeler: Ich weiß es nicht. Vielleicht war es tatsächlich die andauernde Belastung. Dazu der gefrorene Boden, die Feuchtigkeit und Kälte. Ich habe mir darüber nicht den Kopf zerbrochen, sondern mit Zuversicht und großer Hoffnung gekämpft und hart daran gearbeitet, wieder als Profi Fußball spielen zu können.

DFB.de: Zur Schonung der frisch operierten Achillessehne entwickelte adidas einen Spezialschuh, der als Modell "Achilles" ins Programm der Firma eingegangen ist. Wie lange trugen Sie diesen Schuh?

Seeler: Etwa zwei Jahre. Dieser Schuh, den adidas-Chef Adi Dassler extra für mich entwickelt hatte, half mir sehr. Weil er an der Ferse abgepolstert war und dort auch, je nach dem wie groß der Druck war, exakt verschnürt werden konnte.

DFB.de: Und dieser Schuh erleichterte Ihnen auch Ihr Comeback im Nationalteam bei dem ungemein wichtigen WM-Qualifikationsspiel im September 1965 in Stockholm?

Seeler: Ohne diesen Schuh wäre eine so schnelle Rückhehr auch in die Nationalmannschaft nicht möglich gewesen.

DFB.de: Dennoch war Ihr Einsatz bei diesem Schicksalsspiel vorher nicht unumstritten. Zwei Fragen bewegten damals die Menschen in Deutschland ganz besonders: Wer gewinnt die Bundestagswahl, Ludwig Erhard oder Willy Brandt? Und: Kann und soll Uwe Seeler eine Woche später beim "Spiel des Jahres" in Schweden auflaufen oder noch nicht? Wie nahmen Sie die Situation damals wahr?

Seeler: In den Medien wurde meine Berufung zu diesem Spiel sehr kontrovers diskutiert. Zudem waren längst auch nicht alle Fans mit meiner Aufstellung einverstanden und hielten meinen Einsatz für verfrüht. Natürlich war ich noch nicht wieder ganz im Vollbesitz meiner Kräfte. Doch ich hatte in den vorausgegangenen sechs Wochen wieder meine ersten Punktspiele für den HSV bestritten und auch wieder Tore erzielt, so dass ich dem Bundestrainer guten Gewissens Grünes Licht geben konnte.

DFB.de: Und Helmut Schön hatte keinen Zweifel an Ihrer Einsatzfähigkeit?

Seeler: Der Bundestrainer gab mir während der Vorbereitung in Malente deutlich zu verstehen, dass er fest mit mir rechne und von mir überzeugt sei. Er wusste, dass ich ein Kämpfer und Beißer bin. Diese klare Ansage im Vorfeld des Spiels war unheimlich mutig von ihm. Alle wussten, dass uns in Stockholm nur ein Sieg zur erfolgreichen WM-Qualifikation helfen konnte.

DFB.de: Und dann kam es zum großen Happy-End dieser für Sie so schweren Zeit, als sie mit Ihrem Siegtor zum 2:1 das Ticket zur WM 1966 in England lösten. Welchen Stellenwert hat dieser Treffer für Sie persönlich?

Seeler: (lacht) Dieses Tor mit dem linken Fuß, dem gesunden, der ja noch auf Tore programmiert war, dieses Tor war eines der wichtigsten in meiner Karriere. Wer weiß, wohin sich unser Fußball entwickelt hätte, wenn wir uns damals in Schweden nicht für die WM-Endrunde 1966 in England qualifiziert hätten. So aber konnte unser tolles WM-Turnier in England zusammen mit der Dynamik der noch jungen Bundesliga zum Ausgangspunkt für fantastische Jahre des deutschen Fußballs werden.

DFB.de: Eine aktuelle Frage zum Schluss: Das Punktspiel zwischen dem HSV und der Eintracht findet am Samstag unter den Vorzeichen des Abstiegskampfes statt. Mit welchen Erwartungen blicken Sie als HSV-Legende jetzt diesem Aufeinandertreffen der beiden Bundesliga-Gründungsmitglieder entgegen?

Seeler: Beide Mannschaften liegen mir sehr am Herzen, da sie beide an der Erfolgsgeschichte der Bundesliga beteiligt sind. Der HSV noch ein Stück mehr als die Eintracht. Da wir im aktuellen Abstiegskampf die Punkte fast noch dringender brauchen als die Frankfurter, hoffe ich natürlich sehr auf einen HSV-Sieg. Auf der anderen Seite wünsche ich der Eintracht alles Gute. Doch jetzt in diesem Spiel drücke ich unserer Mannschaft die Daumen. Am Ende der Saison werden hoffentlich beide Teams nichts mehr mit dem Abstieg zu tun haben, denn sowohl die Eintracht wie der HSV gehören als zwei große Traditionsteams ganz einfach in die Bundesliga.