Ailton schießt Werder Bremen 2004 zum Titel

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. 2003/04 wird erstmals ein Ausländer Fußballer des Jahres und das mit Recht: denn der Brasilianer Ailton schießt Werder Bremen zum Meister mit einer Trefferzahl, die es 23 Jahre nicht gegeben hat.

Eine Schule hat er nie besucht. Da wissen die wenigsten, die sich über den drolligen Typen und seine komischen Interviews wunderten. Was hilft ein Dolmetscher, wenn der Schüler selbst in der Muttersprache so seine Schwächen hat. Aber Ailton Goncalves da Silva aus dem 2000-Einwohner-Ort Mogeiro hat trotzdem seine Lektionen gelernt - in Deutschland, in der Bundesliga. Da nahm er deutsche Tugenden an: niemals aufgeben, nicht verzweifeln.

Er galt schon als Flop in Bremen, wo ihn Felix Magath nicht gerade liebevoll aufnahm. Zwei Tore in seiner ersten Saison 1998/1999 und eine ziemlich ausgedehnte "Bank-Lehre" - da saß dieser Ailton nun auf dem Hotelzimmer und weinte ins Telefon. "Komm nach Hause", riet ihm sein besorgter Vater.

Mit Schaaf geht es aufwärts

Dann aber kam Thomas Schaaf, und der wusste den "Toni" zu nehmen. Jahr für Jahr wurde es besser und seine Torausbeute stieg kontinuierlich an: 12, 14, 16 und noch mal 16. Dann kam die Saison 2003/2004 - das Jahr, in dem Werder alles gelang bis auf den Start. Nach dem blamablen Aus im UI-Cup gegen den SV Pasching aus Österreich rissen sich die Grün-Weißen am Riemen - und Ailton ging vorneweg. Musste er auch allmählich, in der Sommerpause war er 30 geworden. Schon nach 18 Minuten stand sein Name erstmals auf der Anzeigetafel, da traf er beim 3:0 in Berlin. Später noch einmal. Ein Auftakt nach Maß und mit Signalwirkung.

Am achten Spieltag der nächste Doppelschlag, beim 5:3 gegen Wolfsburg gelang ihm sogar ein Kopfballtor. Dabei machte der gedrungene und doch so schnelle Mann - Spitzname "Kugelblitz" - eigentlich alles mit links. Nach einem weiteren Doppelpack gegen Freiburg glückte gegen Bochum sogar ein Hattrick, nur der Pausenpfiff zerstörte das Prädikat "echt".

Über diese Tore freute sich damals aber schon ein anderer Verein mit - Schalke 04 hatte Anfang Oktober einen Angriff auf die Werder-Idylle gestartet und neben Verteidiger Mladen Krstajic auch Ailton zur neuen Saison verpflichtet. Ihre Verträge liefen aus, Schalke bot deutlich mehr Geld und Werder-Sportdirektor Klaus Allofs sagte resignativ: "So sind wir zerstörbar." Ailton war todunglücklich, dass der Wechsel so früh bekannt wurde und sagte den Reportern: "Ich mussen erst Kopf frei kriegen."

Sieg in München macht Meisterschaft klar

Bald ging das Gerücht um, er werde schon ab der Rückrunde Königsblau tragen. Aber das tat er nicht: Die Chance, mit Werder Meister werden zu können, ließ er sich nicht entgehen. Werder führte nach der Vorrunde mit vier Punkten Vorsprung auf den FC Bayern und Ailton in der Torjägerliste mit 16 Treffern und vier Vorsprung auf Rostocks Martin Max. Ailton wollte beide Titel - und er bekam sie. Ailtons Leistungen blieben entgegen Bremer Befürchtungen konstant.

Am 8. Mai 2004 schlenzte er im Münchner Olympiastadion den Ball in hohem Bogen um Oliver Kahn in den Winkel - es war das 0:3, es war die Entscheidung in diesem Spiel und in der Meisterschaft. Die Schale ging nach Bremen und die nicht ganz jugendfreien Bilder von glücklichen Männern im Whirlpool um die Welt. Mittendrin Feierbiest Ailton, der als Meister Bremen verließ.

Torschützenkönig mit 28 Volltreffern

Mit am Ende 28 Toren, mehr hatte zuletzt Karl-Heinz Rummenigge geschossen - nämlich 29 in der Saison 1980/1981. In der brasilianischen Heimat freuten sie sich mit Ailton, der 56 Menschen in Mogeiro Arbeit gab. Sie kümmerten sich um seine Villa und seine Farm mit rund 700 Rindern.

Der krönende Abschluss seines Superjahres erfolgte im August, als Ailton schon Königsblau trug: die Sportjournalisten wählten mit ihm erstmals einen Ausländer zum Fußballer des Jahres (216 Stimmen). Als erstes rief er Vater Pedro an, danach einen, der kein Telefon hat: "Ich danke Gott für diesen Triumph!" Es war sein letzter im deutschen Fußball. Auch er sollte erfahren: Vom Gipfel geht es immer nur bergab.

Ailtons Bundesligabilanz: 219 Spiele, 106 Tore; einmal Deutscher Meister (2004), einmal Torschützenkönig (2004).

[um]

[bild1]

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. 2003/04 wird erstmals ein Ausländer Fußballer des Jahres und das mit Recht: denn der Brasilianer Ailton schießt Werder Bremen zum Meister mit einer Trefferzahl, die es 23 Jahre nicht gegeben hat.

Eine Schule hat er nie besucht. Da wissen die wenigsten, die sich über den drolligen Typen und seine komischen Interviews wunderten. Was hilft ein Dolmetscher, wenn der Schüler selbst in der Muttersprache so seine Schwächen hat. Aber Ailton Goncalves da Silva aus dem 2000-Einwohner-Ort Mogeiro hat trotzdem seine Lektionen gelernt - in Deutschland, in der Bundesliga. Da nahm er deutsche Tugenden an: niemals aufgeben, nicht verzweifeln.

Er galt schon als Flop in Bremen, wo ihn Felix Magath nicht gerade liebevoll aufnahm. Zwei Tore in seiner ersten Saison 1998/1999 und eine ziemlich ausgedehnte "Bank-Lehre" - da saß dieser Ailton nun auf dem Hotelzimmer und weinte ins Telefon. "Komm nach Hause", riet ihm sein besorgter Vater.

Mit Schaaf geht es aufwärts

Dann aber kam Thomas Schaaf, und der wusste den "Toni" zu nehmen. Jahr für Jahr wurde es besser und seine Torausbeute stieg kontinuierlich an: 12, 14, 16 und noch mal 16. Dann kam die Saison 2003/2004 - das Jahr, in dem Werder alles gelang bis auf den Start. Nach dem blamablen Aus im UI-Cup gegen den SV Pasching aus Österreich rissen sich die Grün-Weißen am Riemen - und Ailton ging vorneweg. Musste er auch allmählich, in der Sommerpause war er 30 geworden. Schon nach 18 Minuten stand sein Name erstmals auf der Anzeigetafel, da traf er beim 3:0 in Berlin. Später noch einmal. Ein Auftakt nach Maß und mit Signalwirkung.

Am achten Spieltag der nächste Doppelschlag, beim 5:3 gegen Wolfsburg gelang ihm sogar ein Kopfballtor. Dabei machte der gedrungene und doch so schnelle Mann - Spitzname "Kugelblitz" - eigentlich alles mit links. Nach einem weiteren Doppelpack gegen Freiburg glückte gegen Bochum sogar ein Hattrick, nur der Pausenpfiff zerstörte das Prädikat "echt".

Über diese Tore freute sich damals aber schon ein anderer Verein mit - Schalke 04 hatte Anfang Oktober einen Angriff auf die Werder-Idylle gestartet und neben Verteidiger Mladen Krstajic auch Ailton zur neuen Saison verpflichtet. Ihre Verträge liefen aus, Schalke bot deutlich mehr Geld und Werder-Sportdirektor Klaus Allofs sagte resignativ: "So sind wir zerstörbar." Ailton war todunglücklich, dass der Wechsel so früh bekannt wurde und sagte den Reportern: "Ich mussen erst Kopf frei kriegen."

[bild2]

Sieg in München macht Meisterschaft klar

Bald ging das Gerücht um, er werde schon ab der Rückrunde Königsblau tragen. Aber das tat er nicht: Die Chance, mit Werder Meister werden zu können, ließ er sich nicht entgehen. Werder führte nach der Vorrunde mit vier Punkten Vorsprung auf den FC Bayern und Ailton in der Torjägerliste mit 16 Treffern und vier Vorsprung auf Rostocks Martin Max. Ailton wollte beide Titel - und er bekam sie. Ailtons Leistungen blieben entgegen Bremer Befürchtungen konstant.

Am 8. Mai 2004 schlenzte er im Münchner Olympiastadion den Ball in hohem Bogen um Oliver Kahn in den Winkel - es war das 0:3, es war die Entscheidung in diesem Spiel und in der Meisterschaft. Die Schale ging nach Bremen und die nicht ganz jugendfreien Bilder von glücklichen Männern im Whirlpool um die Welt. Mittendrin Feierbiest Ailton, der als Meister Bremen verließ.

Torschützenkönig mit 28 Volltreffern

Mit am Ende 28 Toren, mehr hatte zuletzt Karl-Heinz Rummenigge geschossen - nämlich 29 in der Saison 1980/1981. In der brasilianischen Heimat freuten sie sich mit Ailton, der 56 Menschen in Mogeiro Arbeit gab. Sie kümmerten sich um seine Villa und seine Farm mit rund 700 Rindern.

Der krönende Abschluss seines Superjahres erfolgte im August, als Ailton schon Königsblau trug: die Sportjournalisten wählten mit ihm erstmals einen Ausländer zum Fußballer des Jahres (216 Stimmen). Als erstes rief er Vater Pedro an, danach einen, der kein Telefon hat: "Ich danke Gott für diesen Triumph!" Es war sein letzter im deutschen Fußball. Auch er sollte erfahren: Vom Gipfel geht es immer nur bergab.

Ailtons Bundesligabilanz: 219 Spiele, 106 Tore; einmal Deutscher Meister (2004), einmal Torschützenkönig (2004).