50 Jahre Bundesliga: Die Saison 1993/1994

Ein rundes Jubiläum steht für Europas erfolgreichste Liga kurz bevor. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "Eine Erfolgsgeschichte: 50 Jahre Bundesliga" fasst der Autor und Historiker Udo Muras noch einmal alle bisherigen Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zusammen. Heute: die Saison 1993/1994.

Der Ball lag auf einem Weizenbier-Glas. Unmöglich, ihn zu treffen, ohne dass das Glas umkippt, geschweige denn dass er ins untere Loch der zehn Meter entfernten ZDF-Torwand hüpft. Oder doch? Wenn es einer kann, dann der Kaiser. Und Franz Beckenbauer wurde am Abend des 7. Mai 1994 seinem Ruf als Alleskönner in Sachen Fußball gerecht. Der erste Torwandschuss mit Handicap war ein Treffer, das Publikum johlte.

Von wegen "Bye, bye Bayern"

Krönender Abschluss einer Saison, die im Zeichen der Bayern stand. Nach der Vorrunde waren sie Zweiter, nur Zweiter hinter Herbstmeister Eintracht Frankfurt, die einen Startrekord von 20:2 Punkten aufgestellt hatte. Im Überschwang der Hochgefühle rief Eintracht-Trainer Klaus Toppmöller bereits im Herbst "Bye, Bye Bayern" und ließ einen Steinadler in der Kabine steigen.

Als es nach 20 Spielen in die Winterpause gingen, waren die Bayern nur noch Dritter und aus beiden Pokalwettbewerben ausgeschieden. Die Spieler meuterten, Uli Hoeneß und der Vorstand veranlassten Erich Ribbeck im Weihnachtsurlaub zum Rücktritt. Es übernahm der Vizepräsident. Das war kein Geringerer als Franz Beckenbauer, der die in hellen Scharen zum Dienstantritt erschienen Reporter gleich mal verblüffte: "Es ist mir selbst ein vollkommenes Rätsel, warum ich mir diesen Job antue."

Ein Fall für den Kaiser

Nach dem verpatzten Auftakt gegen Stuttgart (1:3 in München) dürften die Selbstzweifel nicht geringer geworden sein, nun waren die Bayern schon Fünfter. In den Chroniken der Liga fand sich kein Präzedenzfall, dass ein Fünfter nach 20 Spielen noch Meister wurde. Ein Fall für den Kaiser. Sein verlängerter Arm auf dem Platz, Lothar Matthäus, führte die nur unwesentlich verstärkte Mannschaft tatsächlich zum Titel. Das spannendste Finale aller Zeiten war es nicht, das kurioseste schon. Alles wegen eines Tores, das keines war. Wembley lag plötzlich in München. Warum?

Schiedsrichter Manfred Osmers entschied am 23. April, am 32. Spieltag, nach Thomas Helmers Gestocher nach dem Ball auf Wink seines Assistenten Jörg Jablonski auf Tor, für Bayern und gegen Nürnberg. Was half es, dass der Ball hinter das Tor gerollt war, dass die Nürnberger protestierten und dass TV-Kommentator Fritz von Thurn und Taxis ins Mikrofon rief: "Das ist eine furchtbare Fehlentscheidung"? Nichts. Tatsachenentscheidung.

Aber eine dermaßen falsche, dass sie keinen Bestand haben konnte. Bayerns 2:1-Heimsieg wurde annulliert, Nürnbergs Protest anerkannt. Ein Präzedenzfall war geschaffen, die Rüge der FIFA folgte prompt. Aber der DFB blieb hart. Hätte übrigens Manfred Schwabl seinen Elfmeter verwandelt, hätte es den Fall nicht gegeben, ein Punkt bei Bayern hätte dem Abstiegskandidat natürlich gereicht.

Tiefer Sturz der Eintracht

So aber kam es am 3. Mai zur Neuansetzung, die viele Gewinner hatte. Das Stadion war ausverkauft, Sat.1 übertrug live, die Kassen klingelten. Bayern gab seinen Anteil an den TV-Einnahmen an die Bewohner einer im Bürgerkrieg zerstörten bosnischen Stadt - und gewann mit 5:0. So ging der FCB mit einem Punkt Vorsprung ins letzte Spiel. Das entschieden die "Kaiserlichen" gegen Schalke 04 mit 2:0 für sich, Verfolger Kaiserslautern blieb das Nachsehen.

So holte der Rekordmeister 1994 den Titel, scheinbar nichts Ungewöhnliches. Dem Tabellenbild sah man die Turbulenzen der Saison nicht an. Sie war ausgeglichener denn je, nach dem 22. Spieltag trennten die ersten Neun nur vier Punkte, damals zwei Siege. Die halbe Liga durfte 1993/1994 vom Titel träumen, jedenfalls nach dem Einbruch der Frankfurter, die den tiefsten Herbstmeister-Sturz (von Platz eins auf fünf überhaupt hinlegten.

Grotesker Höhepunkt: am 22. Spieltag reiste Aufsteiger MSV Duisburg als Tabellenführer nach München - mit negativer Tordifferenz. Das war sie nach dem Spiel (4:0 für Bayern) erst recht. Seit jenem Februar-Samstag marschierten die Bayern vorneweg, eine Übermannschaft waren sie nicht. Ein Meister mit nur 44 Punkten, das hatte es erst zweimal gegeben.

Dresden: Klassenverbleib trotz Punktabzug

Ein Novum verschaffte der Liga auch Dynamo Dresden. Den Sachsen wurden vor der Saison vier Punkte abgezogen, und im Gegensatz zu zwei früheren Fällen hatte das Urteil Bestand. Trotzdem überstanden die Dresdner auch ihre dritte Bundesligasaison und vertraten den Osten auch 1994/1995. Eine wahre Heldentat mit dem passenden Trainer dazu: Siggi Held. Wenn auch auf das Gastspiel in Dortmund ein Schatten fiel, nie gab es mehr Platzverweise als jene fünf - drei gegen Dynamo.

Der VfB Leipzig dagegen verschwand nach nur drei Siegen so schnell, wie er gekommen war. Auch für Wattenscheid 09 war das Abenteuer Bundesliga vorbei. Es währte drei Jahre länger, als alle gedacht hatten. Dass Nürnberg den Fahrstuhl nach unten bestieg, waren die leidgeprüften Club-Fans schon gewohnt. Diesmal wegen der schlechteren Tordifferenz, die sie sich im Münchner Wiederholungsspiel kräftig ruiniert hatten.

So freute sich Bundesliganeuling SC Freiburg über seine wundersame Rettung. Nach drei Siegen in den letzten Spielen entrollten SC-Fans ein Transparent: "Über Freiburg lacht die Sonne, über Nürnberg die ganze Welt." Wer den Schaden hat…

ZAHLEN UND FAKTEN DER 31. BUNDESLIGASAISON

Tore: 895 (2,92 pro Spiel)
Torschützenkönige: Stefan Kuntz (1. FC Kaiserslautern), Anthony Yeboah (Frankfurt) - je 18
Zuschauer: 7.986.681 (26.100 pro Spiel) - Rekord für eine Saison mit 18 Mannschaften
Meister: Bayern München
Absteiger: 1. FC Nürnberg, Wattenscheid 09, VfB Leipzig
Aufsteiger: VfL Bochum, Bayer Uerdingen, 1860 München
Trainerentlassungen: 8
[um]


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Ein rundes Jubiläum steht für Europas erfolgreichste Liga kurz bevor. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "Eine Erfolgsgeschichte: 50 Jahre Bundesliga" fasst der Autor und Historiker Udo Muras noch einmal alle bisherigen Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zusammen. Heute: die Saison 1993/1994.

Der Ball lag auf einem Weizenbier-Glas. Unmöglich, ihn zu treffen, ohne dass das Glas umkippt, geschweige denn dass er ins untere Loch der zehn Meter entfernten ZDF-Torwand hüpft. Oder doch? Wenn es einer kann, dann der Kaiser. Und Franz Beckenbauer wurde am Abend des 7. Mai 1994 seinem Ruf als Alleskönner in Sachen Fußball gerecht. Der erste Torwandschuss mit Handicap war ein Treffer, das Publikum johlte.

Von wegen "Bye, bye Bayern"

Krönender Abschluss einer Saison, die im Zeichen der Bayern stand. Nach der Vorrunde waren sie Zweiter, nur Zweiter hinter Herbstmeister Eintracht Frankfurt, die einen Startrekord von 20:2 Punkten aufgestellt hatte. Im Überschwang der Hochgefühle rief Eintracht-Trainer Klaus Toppmöller bereits im Herbst "Bye, Bye Bayern" und ließ einen Steinadler in der Kabine steigen.

Als es nach 20 Spielen in die Winterpause gingen, waren die Bayern nur noch Dritter und aus beiden Pokalwettbewerben ausgeschieden. Die Spieler meuterten, Uli Hoeneß und der Vorstand veranlassten Erich Ribbeck im Weihnachtsurlaub zum Rücktritt. Es übernahm der Vizepräsident. Das war kein Geringerer als Franz Beckenbauer, der die in hellen Scharen zum Dienstantritt erschienen Reporter gleich mal verblüffte: "Es ist mir selbst ein vollkommenes Rätsel, warum ich mir diesen Job antue."

Ein Fall für den Kaiser

Nach dem verpatzten Auftakt gegen Stuttgart (1:3 in München) dürften die Selbstzweifel nicht geringer geworden sein, nun waren die Bayern schon Fünfter. In den Chroniken der Liga fand sich kein Präzedenzfall, dass ein Fünfter nach 20 Spielen noch Meister wurde. Ein Fall für den Kaiser. Sein verlängerter Arm auf dem Platz, Lothar Matthäus, führte die nur unwesentlich verstärkte Mannschaft tatsächlich zum Titel. Das spannendste Finale aller Zeiten war es nicht, das kurioseste schon. Alles wegen eines Tores, das keines war. Wembley lag plötzlich in München. Warum?

Schiedsrichter Manfred Osmers entschied am 23. April, am 32. Spieltag, nach Thomas Helmers Gestocher nach dem Ball auf Wink seines Assistenten Jörg Jablonski auf Tor, für Bayern und gegen Nürnberg. Was half es, dass der Ball hinter das Tor gerollt war, dass die Nürnberger protestierten und dass TV-Kommentator Fritz von Thurn und Taxis ins Mikrofon rief: "Das ist eine furchtbare Fehlentscheidung"? Nichts. Tatsachenentscheidung.

Aber eine dermaßen falsche, dass sie keinen Bestand haben konnte. Bayerns 2:1-Heimsieg wurde annulliert, Nürnbergs Protest anerkannt. Ein Präzedenzfall war geschaffen, die Rüge der FIFA folgte prompt. Aber der DFB blieb hart. Hätte übrigens Manfred Schwabl seinen Elfmeter verwandelt, hätte es den Fall nicht gegeben, ein Punkt bei Bayern hätte dem Abstiegskandidat natürlich gereicht.

Tiefer Sturz der Eintracht

So aber kam es am 3. Mai zur Neuansetzung, die viele Gewinner hatte. Das Stadion war ausverkauft, Sat.1 übertrug live, die Kassen klingelten. Bayern gab seinen Anteil an den TV-Einnahmen an die Bewohner einer im Bürgerkrieg zerstörten bosnischen Stadt - und gewann mit 5:0. So ging der FCB mit einem Punkt Vorsprung ins letzte Spiel. Das entschieden die "Kaiserlichen" gegen Schalke 04 mit 2:0 für sich, Verfolger Kaiserslautern blieb das Nachsehen.

So holte der Rekordmeister 1994 den Titel, scheinbar nichts Ungewöhnliches. Dem Tabellenbild sah man die Turbulenzen der Saison nicht an. Sie war ausgeglichener denn je, nach dem 22. Spieltag trennten die ersten Neun nur vier Punkte, damals zwei Siege. Die halbe Liga durfte 1993/1994 vom Titel träumen, jedenfalls nach dem Einbruch der Frankfurter, die den tiefsten Herbstmeister-Sturz (von Platz eins auf fünf überhaupt hinlegten.

Grotesker Höhepunkt: am 22. Spieltag reiste Aufsteiger MSV Duisburg als Tabellenführer nach München - mit negativer Tordifferenz. Das war sie nach dem Spiel (4:0 für Bayern) erst recht. Seit jenem Februar-Samstag marschierten die Bayern vorneweg, eine Übermannschaft waren sie nicht. Ein Meister mit nur 44 Punkten, das hatte es erst zweimal gegeben.

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Dresden: Klassenverbleib trotz Punktabzug

Ein Novum verschaffte der Liga auch Dynamo Dresden. Den Sachsen wurden vor der Saison vier Punkte abgezogen, und im Gegensatz zu zwei früheren Fällen hatte das Urteil Bestand. Trotzdem überstanden die Dresdner auch ihre dritte Bundesligasaison und vertraten den Osten auch 1994/1995. Eine wahre Heldentat mit dem passenden Trainer dazu: Siggi Held. Wenn auch auf das Gastspiel in Dortmund ein Schatten fiel, nie gab es mehr Platzverweise als jene fünf - drei gegen Dynamo.

Der VfB Leipzig dagegen verschwand nach nur drei Siegen so schnell, wie er gekommen war. Auch für Wattenscheid 09 war das Abenteuer Bundesliga vorbei. Es währte drei Jahre länger, als alle gedacht hatten. Dass Nürnberg den Fahrstuhl nach unten bestieg, waren die leidgeprüften Club-Fans schon gewohnt. Diesmal wegen der schlechteren Tordifferenz, die sie sich im Münchner Wiederholungsspiel kräftig ruiniert hatten.

So freute sich Bundesliganeuling SC Freiburg über seine wundersame Rettung. Nach drei Siegen in den letzten Spielen entrollten SC-Fans ein Transparent: "Über Freiburg lacht die Sonne, über Nürnberg die ganze Welt." Wer den Schaden hat…

ZAHLEN UND FAKTEN DER 31. BUNDESLIGASAISON

Tore: 895 (2,92 pro Spiel)
Torschützenkönige: Stefan Kuntz (1. FC Kaiserslautern), Anthony Yeboah (Frankfurt) - je 18
Zuschauer: 7.986.681 (26.100 pro Spiel) - Rekord für eine Saison mit 18 Mannschaften
Meister: Bayern München
Absteiger: 1. FC Nürnberg, Wattenscheid 09, VfB Leipzig
Aufsteiger: VfL Bochum, Bayer Uerdingen, 1860 München
Trainerentlassungen: 8