50 Jahre, 50 Gesichter: Weisweiler triumphiert mit Fohlen

Eigentlich hatten sie ihn aus ihren Reihen verbannt, doch ausgerechnet am großen Tag gab er sein Comeback. Er war der beste Mann des HSV, der plötzlich rasant aufholte. Weisweiler sah das Unheil kommen. "Er tat, was er sonst selten tut, er lief quer über den Rasen zu seinem Torhüter Kleff, schrie sich die Lunge aus dem Hals – vergeblich. 4:1, 4:2, 4:3.", steht in einem Jahrbuch zur Saison 1969/1970 zu lesen. Dann kam endlich der erlösende Schlusspfiff, und in Mönchengladbach läuteten zur Feier des Tages die Kirchenglocken an einem Donnerstagabend.

Abschied als Meister und UEFA-Pokalsieger

Borussia war am Ziel und mit ihr Hennes Weisweiler. Dabei war er erst am Anfang. Er hatte noch viel vor am Bökelberg und übertraf sogar die Erwartungen; 1975 ging er als Meister und UEFA-Pokalsieger im Triumph nach Barcelona.

Hennes Weisweiler war, was nicht viele glauben, geschweige denn wissen, ein sehr moderner Trainer. Schon 1970 arbeitete er mit "Scouts", kaum ein Talent entging ihm, und Statistikern. So ließ er ermitteln, dass 70 Prozent aller aus der Abwehr gespielter Bälle im Meister-Jahr bei Netzer landeten. Weisweiler schrieb Bücher, besprach Schallplatten und war in den Medien in Relation zu den Kollegen so präsent wie es heute ein Jürgen Klopp ist. Aber es ging ihm immer nur um das Spiel, das damals noch viel stärker im Focus stand. Auch in der Öffentlichkeit dozierte er über Fußball, alberne Webespots waren nicht sein Ding.

Nach der Meisterschaft 1970 verglich er seine Mannschaft mit einem Organismus: "Günter Netzer ist der Kopf, Peter Dietrich das Herz und Berti Vogts die Lunge." Und er, er war der Vater des Wunderkinds, das bis 1977 fünf Mal Meister werden sollte. Zwei Titel musste er schon seinem einst so widerspenstigen Schüler an der Sporthochschule, Udo Lattek, überlassen. Dafür holte er nach der Rückkehrt aus Spanien mit dem 1. FC Köln 1978 seine vierte Meisterschaft, gekrönt vom Double. Mehr als angebracht, dass der Kölner Geißbock seinen Vornamen trägt.

Hennes Weisweilers Bundesligabilanz: 470 Spiele als Trainer; vier Meisterschaften (1970, 1971, 1975, 1978).

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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: die Saison 1969/1970 mit Trainer Hennes Weisweiler, der Borussia Mönchengladbach zur Meisterschaft führte.

Fünf Jahre waltete der knurrige Rheinländer nun schon seines Amtes und das mit durchaus beachtlichem Erfolg: Hennes Weisweiler hatte Borussia Mönchengladbach 1965 in die Bundesliga geführt und dort gehalten. Zuletzt waren sogar zwei dritte Plätze herausgesprungen. Keine Selbstverständlichkeit für den Klub aus einer der kleinsten Städte, die je Bundesliga-Standort waren. Aber Hennes Weisweiler, damals 50 Jahre alt, wollte mehr und so drohte er vor der Saison 1969/1970 unverhohlen: "Wenn wir wieder nicht Meister werden, werde ich den Verein verlassen."

Defensive stärken für Titelmission

Das Zeug dazu hatten seine Borussen schon, wegen ihrer stürmischen Art Fußball zu spielen nannte man sie überall nur "die Fohlen". Denn Weisweiler predigte Angriffsfußball, ohne Rücksicht auf Verluste. Aber auch der Dozent an der Kölner Sporthochschule – wo er 1954 Sepp Herberger ablöste und 15 Jahre die Trainerausbildung leitete – musste akzeptieren, dass Offensive allein nur Spiele gewinnt. Um Meister zu werden, brauchte es eine stabile Defensive.

Das flüsterte ihm auch sein Kapitän Günter Netzer ein und Weisweiler handelte: Mit Luggi Müller aus Nürnberg und Klaus-Dieter Sieloff aus Stuttgart holte er im Sommer 1969 zwei Nationalspieler für die Abwehr. In Zeiten, da es noch keine Sportdirektoren gab, war das Trainersache. Weisweiler ließ deshalb am letzten Spieltag 1968/1969 sogar seine Mannschaft im Stich und sah sich das Spiel zwischen Köln und Nürnberg (3:0) an. Da der Verlierer absteigen würde, wollte er sich von diesem den besten Verteidiger angeln – entweder Wolfgang Weber oder Luggi Müller.

Regelmäßige Auseinandersetzungen mit Netzer

Das Los fiel auf Müller und Weisweiler ließ ihn den Vertrag noch auf dem Stadion-Parkplatz unterzeichnen. So war Weisweiler. Entschlossen, zupackend und sicher kein Mann der großen Kompromisse. Schon in jenen Jahren geriet er regelmäßig mit Netzer aneinander und wenn er richtig sauer war, sprach er tagelang nicht mit seinem Kapitän. Berti Vogts musste dann zwischen den Antipoden hin und her laufen und Botschaften austauschen, selbst wenn sie nur wenige Meter auseinander standen. So ist es überliefert: "Berti, sag Deinem Kapitän dass morgen um zehn Training ist!". Netzer: "Berti, sag dem Trainer, ich werde da sein." Legendär ist auch der Weisweiler-Satz "Abseits is, wenn dat lange Arschloch zu spät abspielt!". Gemeint war Netzer. Es waren andere Zeiten und Trainer noch unumschränkte Autoritäten. Kämen solche Geschichten heute vor, würden sie ihren Job wohl schnell verlieren.

Am Gladbacher Bökelberg gedieh in diesem harten, aber herzlichen Klima jedoch Großes. 1969/1970 gewann die Borussia am 33. Spieltag nach einem 4:3 gegen den HSV die erste Meisterschaft ihrer Geschichte. Mit der besten Abwehr der Liga, die nur 29 Tore zuließ. Es war der Beginn einer großen Ära. An jenem 30. April zeigte die Borussia noch mal beide Gesichter. Furios aufspielend führte sie nach 53 Minuten mit 4:0, dann schlich sich ein Kollege ein, der nicht auf dem Spielberichtsbogen stand: Bruder Leichtsinn.

Eigentlich hatten sie ihn aus ihren Reihen verbannt, doch ausgerechnet am großen Tag gab er sein Comeback. Er war der beste Mann des HSV, der plötzlich rasant aufholte. Weisweiler sah das Unheil kommen. "Er tat, was er sonst selten tut, er lief quer über den Rasen zu seinem Torhüter Kleff, schrie sich die Lunge aus dem Hals – vergeblich. 4:1, 4:2, 4:3.", steht in einem Jahrbuch zur Saison 1969/1970 zu lesen. Dann kam endlich der erlösende Schlusspfiff, und in Mönchengladbach läuteten zur Feier des Tages die Kirchenglocken an einem Donnerstagabend.

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Abschied als Meister und UEFA-Pokalsieger

Borussia war am Ziel und mit ihr Hennes Weisweiler. Dabei war er erst am Anfang. Er hatte noch viel vor am Bökelberg und übertraf sogar die Erwartungen; 1975 ging er als Meister und UEFA-Pokalsieger im Triumph nach Barcelona.

Hennes Weisweiler war, was nicht viele glauben, geschweige denn wissen, ein sehr moderner Trainer. Schon 1970 arbeitete er mit "Scouts", kaum ein Talent entging ihm, und Statistikern. So ließ er ermitteln, dass 70 Prozent aller aus der Abwehr gespielter Bälle im Meister-Jahr bei Netzer landeten. Weisweiler schrieb Bücher, besprach Schallplatten und war in den Medien in Relation zu den Kollegen so präsent wie es heute ein Jürgen Klopp ist. Aber es ging ihm immer nur um das Spiel, das damals noch viel stärker im Focus stand. Auch in der Öffentlichkeit dozierte er über Fußball, alberne Webespots waren nicht sein Ding.

Nach der Meisterschaft 1970 verglich er seine Mannschaft mit einem Organismus: "Günter Netzer ist der Kopf, Peter Dietrich das Herz und Berti Vogts die Lunge." Und er, er war der Vater des Wunderkinds, das bis 1977 fünf Mal Meister werden sollte. Zwei Titel musste er schon seinem einst so widerspenstigen Schüler an der Sporthochschule, Udo Lattek, überlassen. Dafür holte er nach der Rückkehrt aus Spanien mit dem 1. FC Köln 1978 seine vierte Meisterschaft, gekrönt vom Double. Mehr als angebracht, dass der Kölner Geißbock seinen Vornamen trägt.

Hennes Weisweilers Bundesligabilanz: 470 Spiele als Trainer; vier Meisterschaften (1970, 1971, 1975, 1978).