50 Jahre, 50 Gesichter: Torschützenkönig aus Oberhausen

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: die Saison 1970/1971 mit dem Oberhausener Lothar Kobluhn, der als erster Mittelfeldspieler Torschützenkönig wurde.

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der im Fußball Großes geleistet hat und dafür nie gewürdigt worden wäre, wenn er nicht ab und zu auf den Fischmarkt von Sterkrade, einen Stadtteil von Oberhausen, gehen würde. Es geht um einen handfesten Skandal, eine Kanone, einen höchst moralischen Chefredakteur und einen ziemlich stolzen Kerl.

24 Tore für den Klassenverbleib

Der Reihe nach: Deutschland 1971. Die Jugend trug lange Haare, Willy Brandt regierte das Land, Franz Beckenbauer den Fußball, damals noch im Wechsel mit Günter Netzer. Die Bundesliga hatte längst Laufen gelernt, nun geriet sie auf Abwege. Im Abstiegskampf wurden Spiele verschoben, und Torhüter ließen Bälle durch, die sie auch hätten halten können. Als im Juni die Bombe platzte und der Kickers-Präsident Horst-Gregorio Canellas auf seiner Geburtstagsfeier mitgeschnittene Telefonate vorführte und so die Lawine ins Rollen brachte, hatte das für über 60 Spieler und Funktionäre schwere Folgen. Sperren, Geldstrafen, Punktabzüge, Lizenzentzüge - der DFB zog die Betrüger konsequent zur Rechenschaft.

Aber nach sechs Jahren wurde auch den hartnäckigsten Sündern verziehen. Nur einer litt weiter, 37 Jahre lang. Lothar Kobluhn aus Oberhausen, der vielleicht größte Anti-Star, den die Bundesliga je hervor gebracht hat. Kobluhn hatte in jener Saison wahre Wunderdinge vollbracht und für den Abstiegskandidaten Rot-Weiß Oberhausen 24 rettende Tore geschossen - als Mittelfeldspieler.

Eine Sensation, die auch die Medien dankbar aufnahmen. Die Fachzeitung Kicker widmete ihm am 26. April 1971 die Titelgeschichte: "Kobluhn beschämt die Stürmer". Eine ganze Seite. Der Leser erfuhr, dass er seine Tore im Grunde aus purer Verzweiflung schoss: "Wenn ich sehe, was unsere Stürmer oft zusammenspielen, dann hält mich nichts mehr, dann muss ich vorne rein." Da auch der Ball in schöner Regelmäßigkeit reinging, geschah das Unfassbare. Kobluhn wurde Torschützenkönig, in Zeiten eines Gerd Müller, Jupp Heynckes, Uwe Seeler und Klaus Fischer.

Torjägerkanone verweigert

Gerd Müller, erzählte Kobluhn, habe "kein Wort mehr mit mir gesprochen. Er hat mich immer angeschaut, als ob ich alle Torhüter bestochen hätte". Dummerweise dachten das damals viele Menschen. Der Kicker, der seit Bundesligagründung 1963 dem Torschützenkönig eine Kanone als Symbol für seine Schusskraft überreicht hatte, verweigerte ihm die Auszeichnung. Chefredakteur Karl-Heinz Heimann hielt nichts davon, womöglich gekaufte Tore auch noch zu prämieren, zumal RWO tief im Sumpf steckte.



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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: die Saison 1970/1971 mit dem Oberhausener Lothar Kobluhn, der als erster Mittelfeldspieler Torschützenkönig wurde.

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der im Fußball Großes geleistet hat und dafür nie gewürdigt worden wäre, wenn er nicht ab und zu auf den Fischmarkt von Sterkrade, einen Stadtteil von Oberhausen, gehen würde. Es geht um einen handfesten Skandal, eine Kanone, einen höchst moralischen Chefredakteur und einen ziemlich stolzen Kerl.

24 Tore für den Klassenverbleib

Der Reihe nach: Deutschland 1971. Die Jugend trug lange Haare, Willy Brandt regierte das Land, Franz Beckenbauer den Fußball, damals noch im Wechsel mit Günter Netzer. Die Bundesliga hatte längst Laufen gelernt, nun geriet sie auf Abwege. Im Abstiegskampf wurden Spiele verschoben, und Torhüter ließen Bälle durch, die sie auch hätten halten können. Als im Juni die Bombe platzte und der Kickers-Präsident Horst-Gregorio Canellas auf seiner Geburtstagsfeier mitgeschnittene Telefonate vorführte und so die Lawine ins Rollen brachte, hatte das für über 60 Spieler und Funktionäre schwere Folgen. Sperren, Geldstrafen, Punktabzüge, Lizenzentzüge - der DFB zog die Betrüger konsequent zur Rechenschaft.

Aber nach sechs Jahren wurde auch den hartnäckigsten Sündern verziehen. Nur einer litt weiter, 37 Jahre lang. Lothar Kobluhn aus Oberhausen, der vielleicht größte Anti-Star, den die Bundesliga je hervor gebracht hat. Kobluhn hatte in jener Saison wahre Wunderdinge vollbracht und für den Abstiegskandidaten Rot-Weiß Oberhausen 24 rettende Tore geschossen - als Mittelfeldspieler.

Eine Sensation, die auch die Medien dankbar aufnahmen. Die Fachzeitung Kicker widmete ihm am 26. April 1971 die Titelgeschichte: "Kobluhn beschämt die Stürmer". Eine ganze Seite. Der Leser erfuhr, dass er seine Tore im Grunde aus purer Verzweiflung schoss: "Wenn ich sehe, was unsere Stürmer oft zusammenspielen, dann hält mich nichts mehr, dann muss ich vorne rein." Da auch der Ball in schöner Regelmäßigkeit reinging, geschah das Unfassbare. Kobluhn wurde Torschützenkönig, in Zeiten eines Gerd Müller, Jupp Heynckes, Uwe Seeler und Klaus Fischer.

Torjägerkanone verweigert

Gerd Müller, erzählte Kobluhn, habe "kein Wort mehr mit mir gesprochen. Er hat mich immer angeschaut, als ob ich alle Torhüter bestochen hätte". Dummerweise dachten das damals viele Menschen. Der Kicker, der seit Bundesligagründung 1963 dem Torschützenkönig eine Kanone als Symbol für seine Schusskraft überreicht hatte, verweigerte ihm die Auszeichnung. Chefredakteur Karl-Heinz Heimann hielt nichts davon, womöglich gekaufte Tore auch noch zu prämieren, zumal RWO tief im Sumpf steckte.

Fakt ist, dass Oberhausen einige Spiele im Endspurt der Saison kaufte - oder es zumindest versucht hatte. Dafür wurde der Klub vom DFB auch mit Punktabzug bestraft. Und Fakt ist, dass Lothar Kobluhn erst in der Rückrunde so richtig in seinen Torrausch verfiel. Nach der Vorrunde hatte er achtmal getroffen, das Doppelte brachte er in der Rückrunde zu Stande. Neun seiner 24 Tore schoss er in den letzten sechs Spielen, vier davon waren Gegenstand von Untersuchungen des DFB-Kontrollausschusses. Und solange keine Klarheit bestand, gab es keine Kanone.

Kobluhn hat das bitter getroffen, er ging seinerseits in Streik. Mit dem Kicker wollte er nie mehr sprechen. Tore schoss er auch kaum noch - im Folgejahr gar nur eines. Er war eben nur Star für eine Saison. Zwei Auslandsangebote lehnte er ab, ihm reichte 1974 Wattenscheid 09. Nach zwei Knieoperationen endete die Karriere 1976 in der 2. Bundesliga Nord eher unspektakulär. Mit zwei Saisontoren. Kobluhn blieb zeit seines Lebens in Oberhausen, aber zu RWO ging er 25 Jahre nicht. Auch aus Gram, weil der Vorstand nie um seine Kanone gekämpft hatte. Auf der Straße wurde Kobluhn schon mal gefrotzelt: "Na Lothar, wo ist denn deine Kanone?" Die Jüngeren erkannten ihn bald nicht mehr. Die Zeit heilt alle Wunden?

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"Was lange währt, wird endlich gut"

Nein, alle heilt sie nicht. 2007 rief ihn ein jüngerer Journalist an und fragte wieder: "Wo ist denn ihre Kanone?" Aber ganz im Ernst. "Der hat danach gefragt, wo ich meine Kanone stehen habe und wie ich die pflege", hat Kobluhn damals der Süddeutschen Zeitung erzählt. "Da habe ich gemerkt, wie es in mir brodelt und ich richtig sauer werde. Ich wollte kein Geld, sondern das, was mir zusteht. Da habe ich ein Foto von mir montiert mit dem einer Kanone und an den Kicker geschickt."

Aber der Kicker reagierte nicht, was Kobluhn seinem Fischhändler in Sterkrade erzählte, der mittwochs und samstags immer Brathering anbot. Der Händler musste ziemlich gute Kontakte haben, denn er versprach ihm, den Fall zu regeln. Auch der RWO-Vorstand wurde aktiv, und dann kam ein Brief des damaligen Kicker-Chefredakteurs Rainer Holzschuh, der so begann: "Lieber Lothar, was lange währt, wird endlich gut."

An seinem 65. Geburtstag bekam er sie im April 2008 in einer Feierstunde doch noch, seine Kanone. Ein Kicker-Redakteur hielt eine Rede und betonte, Kobluhn sei völlig unschuldig gewesen. Da wurde der Jubilar weich: "37 Jahre habe ich gewartet, nun freue ich mich um so mehr." Solche Geschichten schreibt nur der Fußball.

Lothar Kobluhns Bundesligabilanz: 107 Spiele, 36 Tore, einmal Torschützenkönig.