50 Jahre, 50 Gesichter: "Kobra" Wegmann beißt zu

Ausgerechnet Wegmann! Mit Pfiffen hatten sie ihn trotz seiner 19 Saisontore (inklusive DFB-Pokal) begrüßt, denn ein paar Tage zuvor war sein Wechsel bekannt geworden. Zu Schalke 04, ausgerechnet. Da war auch die Ablösesumme von 1,4 Millionen Mark kein Trost für die BVB-Fans. "Sie nannten mich 'Judas' und pfiffen mich aus, als ich an diesem schwülen Nachmittag das Feld betrat", erzählte Wegmann dem Magazin 11 Freunde, das 25 Jahre später noch mal alles genau wissen wollte.

Wechsel zum BVB-Erzrivalen Schalke

Wegmann machte keinen Hehl daraus, dass Schalke für ihn ein Karriere-Sprungbrett sei. Im Kicker sagte er, noch während die Relegation lief: "Ich verspreche mir von meinem Wechsel viel. Ich möchte Nationalspieler werden, das kann ich mit einem Olaf Thon neben mir mit Sicherheit besser als in Dortmund." Auch sei es ihm wichtig, "so nah wie möglich am Parkstadion zu wohnen".

Da war ein Dortmunder im Abstiegskampf offenbar schon mit vollem Herzen Schalker - im Grunde unmöglich, noch die Liebe der Fans zu gewinnen. Aber als er sein Tor schoss, "da stürmten plötzlich 500 bis 600 Mann über die Zäune", übertrieb Wegmann etwas.

"Das war das schönste Spiel meiner Laufbahn"

Glaubhafter war seine Behauptung, "das war das schönste Spiel meiner Laufbahn". Weil er quasi mit Abpfiff traf, hatte es ein Nachspiel, also eine dritte Partie zur Folge. Beim denkwürdigen 8:0 gegen entkräftete und dezimierte Fortunen spielte Wegmann nur eine Nebenrolle. Als es beim Stand von 5:0 Elfmeter gab und sein Name immer noch nicht auf der Anzeigetafel stand, schnappte er sich den Ball - und traf. Übrigens nicht zum letzten Mal für Borussia.

Der Mann, der sich seinen Spitznamen selbst gab ("Ich bin giftiger als die giftigste Kobra") kehrte nach Stationen auf Schalke und bei Bayern München 1989 zum BVB zurück. Nationalspieler ist er nie geworden, und in den letzten drei BVB-Jahren kam er nicht auf annähernd so viele Tore wie in seiner besten Saison. Aber für dieses eine lieben sie ihn noch immer. Als Wegmann nach der Karriere Probleme hatte, im Berufsleben Fuß zu fassen, ließ ihn die Borussia nicht auf der Straße stehen.

Jürgen Wegmanns Bundesligabilanz: 203 Spiele, 69 Tore, einmal Deutscher Meister (1989).

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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: 1985/1986 wird Jürgen Wegmann in Dortmund unsterblich, obwohl er nach der Saison zu Schalke wechselt - denn sein Tor verhindert den Abstieg.

Vor seiner dritten Saison bei Borussia Dortmund musste er einige unerfreuliche Dinge über sich lesen. Das "Milchgesicht" aus Essen sei ein Fehleinkauf, hieß es über den 21-jährigen Jürgen Wegmann. Nach 32 Zweitligatoren als Teenager für Rot-Weiß Essen hatte er Erwartungen geweckt, aber der Sprung in die Bundesliga schien für ihn zu groß gewesen zu sein.

Auch beim BVB zweifelten sie und holten vor der Saison den schon 34 Jahre alten Europameister Horst Hrubesch, Wegmann drohte ein Platz auf der Bank. Es kam dann aber doch ganz anders, nie schoss er mehr Tore in der Bundesliga als 1985/1986 (14) - und das für einen Fast-Absteiger.

Relegation: Fortuna Köln schon fast durch

Ohne ihn hätte man das "fast" streichen müssen, was wesentlich mit dem 19. Mai 1986 zusammenhängt. Der BVB stand an diesem Pfingstmontag im Relegationsrückspiel gegen Fortuna Köln auf scheinbar verlorenem Posten. Der Zweitligist führte in der Summe von Hinspiel und erster Halbzeit des Rückspiels bereits 3:0, und 54.000 Zuschauer im Westfalenstadion machten sich schon allmählich mit dem Gedanken an den zweiten Abstieg nach 1972 vertraut.

In der BVB-Kabine aber war noch Leben, die Spieler erinnerten einander an das Wunder von Uerdingen, das zwei Monate zuvor weltweit Schlagzeilen gemacht hatte, als Bayer Uerdingen im Europapokal Dynamo Dresden nach einem 1:3-Rückstand noch 7:3 schlug.

"Sie nannten mich 'Judas' und pfiffen mich aus"

Den Worten mussten Taten und vor allem Tore folgen. Michael Zorc per Elfmeter und Marcel Raducanu hatten nach 68 Minuten das 2:1 hergestellt, aber das rettende dritte Tor ließ auf sich warten. 20 Sekunden vor Schluss kam noch einmal eine scharfe Flanke von Ingo Anderbrügge vor das Fortuna-Tor. Jacek Jarecki, der bis dahin so überragende Kölner Torwart, ließ den harten Ball abtropfen. Dahin, wohin ein Torwart keinen Ball abtropfen lassen sollte, weil ein klassischer Torjäger dort immer stehen wird. Einer wie Jürgen Wegmann. Mit dem linken Fuß drückte er den Abpraller beinahe zögerlich über die Linie.

Ausgerechnet Wegmann! Mit Pfiffen hatten sie ihn trotz seiner 19 Saisontore (inklusive DFB-Pokal) begrüßt, denn ein paar Tage zuvor war sein Wechsel bekannt geworden. Zu Schalke 04, ausgerechnet. Da war auch die Ablösesumme von 1,4 Millionen Mark kein Trost für die BVB-Fans. "Sie nannten mich 'Judas' und pfiffen mich aus, als ich an diesem schwülen Nachmittag das Feld betrat", erzählte Wegmann dem Magazin 11 Freunde, das 25 Jahre später noch mal alles genau wissen wollte.

Wechsel zum BVB-Erzrivalen Schalke

Wegmann machte keinen Hehl daraus, dass Schalke für ihn ein Karriere-Sprungbrett sei. Im Kicker sagte er, noch während die Relegation lief: "Ich verspreche mir von meinem Wechsel viel. Ich möchte Nationalspieler werden, das kann ich mit einem Olaf Thon neben mir mit Sicherheit besser als in Dortmund." Auch sei es ihm wichtig, "so nah wie möglich am Parkstadion zu wohnen".

Da war ein Dortmunder im Abstiegskampf offenbar schon mit vollem Herzen Schalker - im Grunde unmöglich, noch die Liebe der Fans zu gewinnen. Aber als er sein Tor schoss, "da stürmten plötzlich 500 bis 600 Mann über die Zäune", übertrieb Wegmann etwas.

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"Das war das schönste Spiel meiner Laufbahn"

Glaubhafter war seine Behauptung, "das war das schönste Spiel meiner Laufbahn". Weil er quasi mit Abpfiff traf, hatte es ein Nachspiel, also eine dritte Partie zur Folge. Beim denkwürdigen 8:0 gegen entkräftete und dezimierte Fortunen spielte Wegmann nur eine Nebenrolle. Als es beim Stand von 5:0 Elfmeter gab und sein Name immer noch nicht auf der Anzeigetafel stand, schnappte er sich den Ball - und traf. Übrigens nicht zum letzten Mal für Borussia.

Der Mann, der sich seinen Spitznamen selbst gab ("Ich bin giftiger als die giftigste Kobra") kehrte nach Stationen auf Schalke und bei Bayern München 1989 zum BVB zurück. Nationalspieler ist er nie geworden, und in den letzten drei BVB-Jahren kam er nicht auf annähernd so viele Tore wie in seiner besten Saison. Aber für dieses eine lieben sie ihn noch immer. Als Wegmann nach der Karriere Probleme hatte, im Berufsleben Fuß zu fassen, ließ ihn die Borussia nicht auf der Straße stehen.

Jürgen Wegmanns Bundesligabilanz: 203 Spiele, 69 Tore, einmal Deutscher Meister (1989).