50 Jahre, 50 Gesichter: Der "erste Legale" der Bundesliga

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: Andreas Thom, der in der Saison als die Mauer fiel, zum ersten legalen Überläufer der Bundesliga aus der DDR wurde.

Spätestens seit jenem Tag im September 1988 kannte ihn ganz Fußball-Deutschland – auch wenn es noch geteilt war. Das Los hatte im Europapokal der Meister für ein Duell zwischen dem DDR-Meister und dem der BRD gesorgt und es hatte einen Star: Andreas Thom überragte beim 3:0 im Hinspiel in Berlin alle. Am Tag vor seinem 24. Geburtstag war dem pfeilschnellen Stürmer, den sie gerade zum Fußballer des Jahres gekürt hatten, ein tolles Kopfballtor gelungen und auch sonst so allerhand, weshalb er nach dem Spiel übermütig nach einer Flasche Sekt verlangte.

"Danach kannte ihn jeder Deutsche, auch bei Otto Rehhagel stand er auf der Einkaufsliste", erinnert sich Leverkusens Manager Reiner Calmund. Bloß dass DDR-Spieler nicht zum Verkauf standen, noch trennte der Eiserne Vorhang Ost und West. Wer es in die Bundesliga geschafft hatte – wie etwa die Frankfurter Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl und Kaiserslauterns Lutz Eigendorf – der tat dies auf illegalem Wege und wurde von der FIFA ein Jahr gesperrt.

Wende-Herbst als Startschuss

Dann kam der Wende-Herbst 1989, die Mauer bekam Löcher und die deutsche Wiedervereinigung zeichnete sich ab. Plötzlich waren die Stars des DDR-Fußballs erreichbar, nun galt die alte Weisheit: wer zuerst kommt, mahlt zuerst – in diesem Fall mit "zahlt" zu ergänzen. Die schnellsten auf dem Gebiet der Spielerrekrutierung saßen am Rhein: Bayer Leverkusen mit seinem pfiffigen Manager Reiner Calmund war einer der ersten West-Bürger, der die DDR besuchte. Weniger als Tourist. Nachdem er sich vom späteren HSVer Frank Rohde die Adresse von Thom besorgt hatte – Telefon hatte der nicht – stand er an einem November-Tag 1989 vor einem Ost-Berliner Hochhaus ohne Namensschild und fragte sich durch nach den Thoms. Im Gepäck hatte er eine Holzeisenbahn, als Geschenk für Tochter Janine. Die Frau erhielt Blumen und Thom, der der "Jungen Welt" noch erklärt hatte: "Ich werde nicht vertragsbrüchig. Die DDR-Bürger haben ein Recht, vernünftigen Oberliga-Fußball zu sehen", wurde mit D-Mark überzeugt. "Leverkusen schon mit Geldkoffer bei Thom", titelte die Bild-Zeitung am 30. November.

Schon am 15. November hatte Bayer 04 durch den A-Jugend-Betreuer Wolfgang Karnath beim Länderspiel in Wien auf abenteuerliche Weise Kontakt geknöpft. Karnath schaffte es mit einem nicht ganz legal organisierten Fotografenleibchen in den Innenraum und bis auf die Bank der DDR-Elf, die an diesem Tag ihre WM-Fahrkarte verspielte. Selbst im "Interflug"-Flieger nach Ost-Berlin saß Karnath und leistete Überzeugungsarbeit. Während Verhandlungen auf allen möglichen Kanälen liefen und selbst Kanzler Helmut Kohl Einfluss nahm – er bat darum, dass Bayer nicht alle DDR-Stars kaufe, Matthias Sammer und Ulf Kirsten hatte man auch an der Angel – kam es zum Gegenbesuch; Thom war RTL-Studiogast bei der Bundesliga-Sendung "Anpfiff", auch da sorgte Calmund wieder für das Rahmenprogramm und führte ihn zum Edel-Italiener aus.

Debüt im Februar 1990

Nun war der Widerstand gebrochen und Thom unterschrieb in Leverkusen, zunächst für eineinhalb Jahre. Vertragsbeginn war Neujahr 1990, für Länderspiele der DDR war er laut Klausel freizustellen. Doch die sollte es nie mehr geben.

Am 15. Dezember 1989 wurde er vorgestellt, das Blitzlichtgewitter schüchterte ihn zunächst ein: "Meine Jüte, is det een Ufftrieb. So wat hab ick ja noch nie erlebt", berlinerte er in die Runde. Willkommen in der Bundesliga.

Er betonte: "Ich find gut, dass ich der erste Legale bin. Denn abgehauen wäre ich nie." Bayer ließ sich den "ersten Legalen" 2,8 Millionen DM kosten. Am 17. Februar 1990 gab er beim Nachholspiel gegen den FC Homburg sein Debüt. Thoms Vater und Bruder saßen auf der Tribüne, auch der kommende Bundestrainer Berti Vogts sah sich die Premiere an. Thom erinnert sich: "Das war schon ein ganz besonderes Spiel für mich. Ich wurde im Stadion als Neuzugang vorgestellt und nach sechs Wochen Vorbereitung lief es mit der Mannschaft schon sehr gut. Man hat mir die Integration im Verein wirklich leicht gemacht."

Einstand nach Maß

Aber er hatte seinen Anteil daran: Es war ein Einstand nach Maß, er traf schon nach 15 Minuten. Übrigens eine Spezialität von ihm: auch bei seinem Debüt für die DFB-Auswahl 1990 gegen die Schweiz, für Celtic Glasgow 1995 und Hertha BSC 1998 traf er beim ersten Einsatz.

Sein Trainer Jürgen Gelsdorf war beeindruckt: "Eines Tages wird man ihn in einem Atemzug mit Völler, Riedle und Klinsmann nennen." Das klappte nicht ganz, angesichts seiner Fähigkeiten gilt er als Unvollendeter. Eine WM-Teilnahme war ihm nie vergönnt. Aber er wird immer der erste legale DDR-Star der Bundesliga bleiben.

Andreas Thomas Bundesliga-Bilanz: 212 Spiele, 42 Tore als Spieler, 3 als Trainer

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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: Andreas Thom, der in der Saison als die Mauer fiel, zum ersten legalen Überläufer der Bundesliga aus der DDR wurde.

Spätestens seit jenem Tag im September 1988 kannte ihn ganz Fußball-Deutschland – auch wenn es noch geteilt war. Das Los hatte im Europapokal der Meister für ein Duell zwischen dem DDR-Meister und dem der BRD gesorgt und es hatte einen Star: Andreas Thom überragte beim 3:0 im Hinspiel in Berlin alle. Am Tag vor seinem 24. Geburtstag war dem pfeilschnellen Stürmer, den sie gerade zum Fußballer des Jahres gekürt hatten, ein tolles Kopfballtor gelungen und auch sonst so allerhand, weshalb er nach dem Spiel übermütig nach einer Flasche Sekt verlangte.

"Danach kannte ihn jeder Deutsche, auch bei Otto Rehhagel stand er auf der Einkaufsliste", erinnert sich Leverkusens Manager Reiner Calmund. Bloß dass DDR-Spieler nicht zum Verkauf standen, noch trennte der Eiserne Vorhang Ost und West. Wer es in die Bundesliga geschafft hatte – wie etwa die Frankfurter Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl und Kaiserslauterns Lutz Eigendorf – der tat dies auf illegalem Wege und wurde von der FIFA ein Jahr gesperrt.

Wende-Herbst als Startschuss

Dann kam der Wende-Herbst 1989, die Mauer bekam Löcher und die deutsche Wiedervereinigung zeichnete sich ab. Plötzlich waren die Stars des DDR-Fußballs erreichbar, nun galt die alte Weisheit: wer zuerst kommt, mahlt zuerst – in diesem Fall mit "zahlt" zu ergänzen. Die schnellsten auf dem Gebiet der Spielerrekrutierung saßen am Rhein: Bayer Leverkusen mit seinem pfiffigen Manager Reiner Calmund war einer der ersten West-Bürger, der die DDR besuchte. Weniger als Tourist. Nachdem er sich vom späteren HSVer Frank Rohde die Adresse von Thom besorgt hatte – Telefon hatte der nicht – stand er an einem November-Tag 1989 vor einem Ost-Berliner Hochhaus ohne Namensschild und fragte sich durch nach den Thoms. Im Gepäck hatte er eine Holzeisenbahn, als Geschenk für Tochter Janine. Die Frau erhielt Blumen und Thom, der der "Jungen Welt" noch erklärt hatte: "Ich werde nicht vertragsbrüchig. Die DDR-Bürger haben ein Recht, vernünftigen Oberliga-Fußball zu sehen", wurde mit D-Mark überzeugt. "Leverkusen schon mit Geldkoffer bei Thom", titelte die Bild-Zeitung am 30. November.

Schon am 15. November hatte Bayer 04 durch den A-Jugend-Betreuer Wolfgang Karnath beim Länderspiel in Wien auf abenteuerliche Weise Kontakt geknöpft. Karnath schaffte es mit einem nicht ganz legal organisierten Fotografenleibchen in den Innenraum und bis auf die Bank der DDR-Elf, die an diesem Tag ihre WM-Fahrkarte verspielte. Selbst im "Interflug"-Flieger nach Ost-Berlin saß Karnath und leistete Überzeugungsarbeit. Während Verhandlungen auf allen möglichen Kanälen liefen und selbst Kanzler Helmut Kohl Einfluss nahm – er bat darum, dass Bayer nicht alle DDR-Stars kaufe, Matthias Sammer und Ulf Kirsten hatte man auch an der Angel – kam es zum Gegenbesuch; Thom war RTL-Studiogast bei der Bundesliga-Sendung "Anpfiff", auch da sorgte Calmund wieder für das Rahmenprogramm und führte ihn zum Edel-Italiener aus.

Debüt im Februar 1990

Nun war der Widerstand gebrochen und Thom unterschrieb in Leverkusen, zunächst für eineinhalb Jahre. Vertragsbeginn war Neujahr 1990, für Länderspiele der DDR war er laut Klausel freizustellen. Doch die sollte es nie mehr geben.

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Am 15. Dezember 1989 wurde er vorgestellt, das Blitzlichtgewitter schüchterte ihn zunächst ein: "Meine Jüte, is det een Ufftrieb. So wat hab ick ja noch nie erlebt", berlinerte er in die Runde. Willkommen in der Bundesliga.

Er betonte: "Ich find gut, dass ich der erste Legale bin. Denn abgehauen wäre ich nie." Bayer ließ sich den "ersten Legalen" 2,8 Millionen DM kosten. Am 17. Februar 1990 gab er beim Nachholspiel gegen den FC Homburg sein Debüt. Thoms Vater und Bruder saßen auf der Tribüne, auch der kommende Bundestrainer Berti Vogts sah sich die Premiere an. Thom erinnert sich: "Das war schon ein ganz besonderes Spiel für mich. Ich wurde im Stadion als Neuzugang vorgestellt und nach sechs Wochen Vorbereitung lief es mit der Mannschaft schon sehr gut. Man hat mir die Integration im Verein wirklich leicht gemacht."

Einstand nach Maß

Aber er hatte seinen Anteil daran: Es war ein Einstand nach Maß, er traf schon nach 15 Minuten. Übrigens eine Spezialität von ihm: auch bei seinem Debüt für die DFB-Auswahl 1990 gegen die Schweiz, für Celtic Glasgow 1995 und Hertha BSC 1998 traf er beim ersten Einsatz.

Sein Trainer Jürgen Gelsdorf war beeindruckt: "Eines Tages wird man ihn in einem Atemzug mit Völler, Riedle und Klinsmann nennen." Das klappte nicht ganz, angesichts seiner Fähigkeiten gilt er als Unvollendeter. Eine WM-Teilnahme war ihm nie vergönnt. Aber er wird immer der erste legale DDR-Star der Bundesliga bleiben.

Andreas Thomas Bundesliga-Bilanz: 212 Spiele, 42 Tore als Spieler, 3 als Trainer