50 Jahre, 50 Gesichter: Das Erfolgsjahr von Franz Beckenbauer

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: Franz Beckenbauer, der 1973/74 als Kapitän mit dem FC Bayern Meister und Europapokalsieger und mit Deutschland Weltmeister wurde.

Im Winter 1973 erschien im Kicker die traditionelle "Rangliste des deutschen Fußballs". Sie enthielt eine kleine Sensation. Mit sichtlichem Unbehagen stufte die Redaktion Franz Beckenbauer in der Rubrik Libero in die "Internationale Klasse" herab. "Ich höre schon die Proteste. Beckenbauer und nicht Weltklasse? Gibt's doch gar nicht", schrieb Redakteur Karl-Heinz Jens, listete dann aber die Gründe auf: "Formkrise der Bayern und damit auch Beckenbauers, Oberschenkelzerrung, Nierenkoliken, schmerzhaft übrigens und die Form sehr beeinträchtigend. Jeder weiß, dass Beckenbauer ein Weltklassespieler ist. Niemand zieht das in Zweifel, doch das zweite Halbjahr 1973 war auch für den Franz ein vertracktes."

Nun ja, andere hätten Millionen dafür gegeben, ein solches Halbjahr zu erleben. In allen Wettbewerben waren die Bayern noch vertreten, nach einem furiosen 4:3 im letzten Hinrundenspiel gegen Borussia Mönchengladbach wurden sie wieder Herbstmeister und im November avancierte der Kaiser mit seinem 73. Einsatz zum deutschen Rekordnationalspieler. Aber die Latte lag höher, der 28-Jährige hatte einfach schon zuviel erreicht. Seit 1972 war er Kapitän des amtierenden Europameisters und schon zwei Mal in Folge hatte er die Bayern zur Meisterschaft geführt. Scheinbar spielerisch leicht. So elegant wie er übers Feld tänzelte, schwebten die Bayern 1972/73 durch die Liga – mit elf Punkten Vorsprung wurden sie Meister.

34 Gegentore in der Vorrunde

1973/74 sah es danach lange nicht aus. In der Vorrunde kassierten sie unglaubliche 34 Gegentore, zwei pro Spiel – und das fiel natürlich auf den Abwehrchef zurück. Noch heute spricht alle Welt vom 4:7 auf dem Kaiserslauterer Betzenberg, auf Schalke spielten sie 5:5, in Köln verloren sie 3:4. Der FC Bayern bot so manches unfreiwillige Spektakel in jener Saison, auch im Europapokal (4:3 und 3:3 gegen Dynamo Dresden).

Franz Beckenbauer reflektierte die damalige Situation später so: "So schön diese Zeit auch war, so anstrengend war sie. In dieser Saison mussten wir über 100 Spiele bestreiten und danach noch die WM überstehen. Spätestens 1973/74 war es soweit, dass wir zum Erfolg regelrecht verurteilt waren. Wir mussten, um die Zuschauer ins Stadion zu locken, immer wieder Steigerungen bieten. Das Beste war gerade noch gut genug. Unsere eigenen Bestmarken waren jetzt die Meßlatte."

Aber sie sprangen wieder drüber. Und so hoch wie nie! Unter Trainer Udo Lattek erlebte das Starensemble im Frühjahr und Sommer 1974 die erfolgreichsten Monate der Klub-Geschichte. Zwar kosteten zwei umstrittene Elfmeter in Frankfurt die Teilnahme am DFB-Pokal-Finale, aber sonst glückte den Kaiserlichen alles. Am 33. Spieltag wurden sie dank eines Müller-Tors gegen Offenbach vorzeitig Meister und schafften als erster deutscher Verein den Titel-Hattrick. Vier Tage später bestritten sie das Finale im Landesmeister-Pokal, das schon verloren schien als Beckenbauers treuer Vasall Katsche Schwarzenbeck in der 120. Minute gegen Atletico Madrid ausglich.

Beckenbauer: "Nach dem 1:0 sind wir gerannt wie in Trance"

Zwei Tage später holten sie dann erstmals den Pott mit den Henkeln, gewannen das Wiederholungsspiel 4:0. Eigentlich hatten sie keine Kraft mehr, sagte der Kaiser auf dem Bankett, "aber nach dem 1:0 sind wir gerannt wie in Trance." Keinen Schritt zuviel machten sie nach durchzechter Nacht am nächsten Tag (!) am Bökelberg, wo das letzte Saisonspiel stattfand. Das wichtigste an diesem Nachmittag war die Übergabe der Meisterschale an Franz Beckenbauer im Stadion des Erzrivalen, dessen 5:0-Sieg keine Bedeutung hatte. Zwei Trophäen in zwei Tagen, das waren selbst für den Kaiser besondere Momente. Die Saison zahlte sich für die Bayern auch in klingender Münze aus: zu 113.000 DM Siegprämien kamen 10.000 Meisterprämie und 85.000 DM für den Europacup.

Wie alle Fußball-Fans wissen, blieb es nicht dabei. Im Juni begann die WM im eigenen Land und dort blieb auch der Pokal. Sechs Bayern standen am 7. Juli 1974 in München im Finale gegen die Niederlande (2:1) und wieder durfte Beckenbauer den Pokal als Erster anfassen. Kein Wunder, dass ihn die Sportpresse zum Fußballer des Jahres 1974 wählte – nach sechsjähriger Pause – und das mit einem imposanten Vorsprung von fast 300 Stimmen auf Berti Vogts. Und der Kicker stufte ihn in seiner Sommer-Rangliste wieder in die Weltklasse ein. Natürlich.

Franz Beckenbauers Bundesligabilanz: 424 Spiele als Profi - fünf Meisterschaften (1969, 1972, 1973, 1974, 1982). 17 Spiele als Trainer - eine Meisterschaft (1994).

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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: Franz Beckenbauer, der 1973/74 als Kapitän mit dem FC Bayern Meister und Europapokalsieger und mit Deutschland Weltmeister wurde.

Im Winter 1973 erschien im Kicker die traditionelle "Rangliste des deutschen Fußballs". Sie enthielt eine kleine Sensation. Mit sichtlichem Unbehagen stufte die Redaktion Franz Beckenbauer in der Rubrik Libero in die "Internationale Klasse" herab. "Ich höre schon die Proteste. Beckenbauer und nicht Weltklasse? Gibt's doch gar nicht", schrieb Redakteur Karl-Heinz Jens, listete dann aber die Gründe auf: "Formkrise der Bayern und damit auch Beckenbauers, Oberschenkelzerrung, Nierenkoliken, schmerzhaft übrigens und die Form sehr beeinträchtigend. Jeder weiß, dass Beckenbauer ein Weltklassespieler ist. Niemand zieht das in Zweifel, doch das zweite Halbjahr 1973 war auch für den Franz ein vertracktes."

Nun ja, andere hätten Millionen dafür gegeben, ein solches Halbjahr zu erleben. In allen Wettbewerben waren die Bayern noch vertreten, nach einem furiosen 4:3 im letzten Hinrundenspiel gegen Borussia Mönchengladbach wurden sie wieder Herbstmeister und im November avancierte der Kaiser mit seinem 73. Einsatz zum deutschen Rekordnationalspieler. Aber die Latte lag höher, der 28-Jährige hatte einfach schon zuviel erreicht. Seit 1972 war er Kapitän des amtierenden Europameisters und schon zwei Mal in Folge hatte er die Bayern zur Meisterschaft geführt. Scheinbar spielerisch leicht. So elegant wie er übers Feld tänzelte, schwebten die Bayern 1972/73 durch die Liga – mit elf Punkten Vorsprung wurden sie Meister.

34 Gegentore in der Vorrunde

1973/74 sah es danach lange nicht aus. In der Vorrunde kassierten sie unglaubliche 34 Gegentore, zwei pro Spiel – und das fiel natürlich auf den Abwehrchef zurück. Noch heute spricht alle Welt vom 4:7 auf dem Kaiserslauterer Betzenberg, auf Schalke spielten sie 5:5, in Köln verloren sie 3:4. Der FC Bayern bot so manches unfreiwillige Spektakel in jener Saison, auch im Europapokal (4:3 und 3:3 gegen Dynamo Dresden).

Franz Beckenbauer reflektierte die damalige Situation später so: "So schön diese Zeit auch war, so anstrengend war sie. In dieser Saison mussten wir über 100 Spiele bestreiten und danach noch die WM überstehen. Spätestens 1973/74 war es soweit, dass wir zum Erfolg regelrecht verurteilt waren. Wir mussten, um die Zuschauer ins Stadion zu locken, immer wieder Steigerungen bieten. Das Beste war gerade noch gut genug. Unsere eigenen Bestmarken waren jetzt die Meßlatte."

Aber sie sprangen wieder drüber. Und so hoch wie nie! Unter Trainer Udo Lattek erlebte das Starensemble im Frühjahr und Sommer 1974 die erfolgreichsten Monate der Klub-Geschichte. Zwar kosteten zwei umstrittene Elfmeter in Frankfurt die Teilnahme am DFB-Pokal-Finale, aber sonst glückte den Kaiserlichen alles. Am 33. Spieltag wurden sie dank eines Müller-Tors gegen Offenbach vorzeitig Meister und schafften als erster deutscher Verein den Titel-Hattrick. Vier Tage später bestritten sie das Finale im Landesmeister-Pokal, das schon verloren schien als Beckenbauers treuer Vasall Katsche Schwarzenbeck in der 120. Minute gegen Atletico Madrid ausglich.

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Beckenbauer: "Nach dem 1:0 sind wir gerannt wie in Trance"

Zwei Tage später holten sie dann erstmals den Pott mit den Henkeln, gewannen das Wiederholungsspiel 4:0. Eigentlich hatten sie keine Kraft mehr, sagte der Kaiser auf dem Bankett, "aber nach dem 1:0 sind wir gerannt wie in Trance." Keinen Schritt zuviel machten sie nach durchzechter Nacht am nächsten Tag (!) am Bökelberg, wo das letzte Saisonspiel stattfand. Das wichtigste an diesem Nachmittag war die Übergabe der Meisterschale an Franz Beckenbauer im Stadion des Erzrivalen, dessen 5:0-Sieg keine Bedeutung hatte. Zwei Trophäen in zwei Tagen, das waren selbst für den Kaiser besondere Momente. Die Saison zahlte sich für die Bayern auch in klingender Münze aus: zu 113.000 DM Siegprämien kamen 10.000 Meisterprämie und 85.000 DM für den Europacup.

Wie alle Fußball-Fans wissen, blieb es nicht dabei. Im Juni begann die WM im eigenen Land und dort blieb auch der Pokal. Sechs Bayern standen am 7. Juli 1974 in München im Finale gegen die Niederlande (2:1) und wieder durfte Beckenbauer den Pokal als Erster anfassen. Kein Wunder, dass ihn die Sportpresse zum Fußballer des Jahres 1974 wählte – nach sechsjähriger Pause – und das mit einem imposanten Vorsprung von fast 300 Stimmen auf Berti Vogts. Und der Kicker stufte ihn in seiner Sommer-Rangliste wieder in die Weltklasse ein. Natürlich.

Franz Beckenbauers Bundesligabilanz: 424 Spiele als Profi - fünf Meisterschaften (1969, 1972, 1973, 1974, 1982). 17 Spiele als Trainer - eine Meisterschaft (1994).