50 Jahre, 50 Gesichter: Breitner mischt Braunschweig auf

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute die Saison 1977/1978: ein Weltmeister für Braunschweig.

Die ersten Gerüchte kamen am 12. April 1977 in Umlauf. Etwas zu spät für einen April-Scherz, und doch war mancher geneigt, sie noch in diese Schublade zu legen. Aber schon am nächsten Tag wurde das Geschäft abgeschlossen und das Gerücht Tatsache: Paul Breitner sollte in die Bundesliga zurückkehren - aber nicht zu seinen Bayern, die er 1974 als Weltmeister verlassen hatte, sondern zu Eintracht Braunschweig.

Mit Scheck im Jackett nach Madrid

Würde er wirklich für den niedersächsischen Provinzklub die Königlichen von Real Madrid verlassen? Ja, er würde. Auch die Braunschweiger versuchen, Mitte der Siebziger in das Machtvakuum zu stoßen, das Bayern Münchens Absturz nach 1974 hat entstehen lassen. Im Frühjahr 1977 träumen sie von der Wiederholung der bis heute einzigen Meisterschaft zehn Jahre zuvor, noch bis zum letzten Spieltag hat das Team von Trainer Branko Zebec Titelchancen. Mit Breitner, damals 26, wollen sie nun nach der Schale greifen. Dank ihres Mäzens Günter Mast, der die 1,6 Millionen Mark Ablösesumme aus eigener Tasche zahlt.

Präsident Fricke fliegt gleich mit dem Scheck im Jackett nach Madrid und erzählt davon: "Als die merkten, dass wir Barzahler waren, akzeptierten die Spanier unser Angebot sofort." Breitner lernt er bei der Gelegenheit auch gleich als "sauberen und korrekten Mann" kennen, was ihn zu der Prognose verleitete: "Ich glaube, dass wir mit ihm keine Schwierigkeiten bekommen werden." Da sollte er sich irren.

Breitner unterschreibt zwar einen Drei-Jahres-Vertrag, bezieht mit Frau und zwei Kindern einen Bungalow und schreibt sich an der Kant-Hochschule ein, um wieder Sozialpädagogik zu studieren. Aber schon nach einer Saison packt er wieder seine Koffer. Warum? Die Kritiker, die geunkt hatten, er sei eine Nummer zu groß für diesen Verein, sollten Recht bekommen. Alles dreht sich um Breitner, Touristenbusse halten vor seinem Bungalow. Und auch die Apothekerin von gegenüber schickt die Kunden gern zu Breitners, wenn ihr Geschäft noch geschlossen ist - zur Verkürzung der Wartezeit. Ein Weltstar in der Provinz.

Kontroversen mit den Mitspielern

All das schürt Neid. Breitner pflegt die Distanz zu den Kollegen, Freundschaften wie einst bei Bayern zu Uli Hoeneß entstehen nicht. Breitner gesteht im Rückblick einen Fehler ein: "Ich hätte mit den jüngeren Spielern meiner Mannschaft gleich von Beginn an Kontakt aufnehmen müssen. Das habe ich versäumt, dadurch entstanden die Kontroversen." Er soll und will Führungsspieler sein, aber es gelingt ihm nicht, "die anderen Spieler zu motivieren, da war eine Mauer des Neides und des Hasses um mich herum", sagt er dem Kicker im Herbst 1978, als er wieder bei den Bayern ist.

Breitner schildert, dass er in Braunschweig eines Tages 20 Stühle für die Kollegen in Kreisform aufgestellt und sich selbst in die Mitte gesetzt habe. So organisiert er quasi sein eigenes Strafgericht. "Ich fragte sie, was sie gegen mich hätten", erzählt er. "Lange Zeit sagte keiner etwas, dann kam nur Mist heraus. Zum Beispiel, weshalb ich als einziger bei Ausrüster Puma wäre."

Öffentlich wagen einige Kollegen freilich die Kontroverse. Der alte Haudegen Wolfgang Grzyb handelt sich dafür sogar eine Strafe ein, Konkurrent Charly Handschuh kommt ungeschoren davon als er sagt: "Ich führe die Regie im Mittelfeld - nicht Paul Breitner."

Fataler Start in die Saison

Es sind nicht die ersten Kontroversen im Leben des Paul Breitner, und vielleicht hätte er sie noch eine Weile ausgefochten, wenn wenigstens der Erfolg da gewesen wäre. Aber es fängt schon fatal an. Beim Spiel in Kaiserslautern streckt Schiedsrichter Wilfried Burgers bei einer Abwehrbewegung Eintrachts Reiner Hollmann zu Boden, der scheidet bewusstlos aus. Hitzkopf Breitner sagt vor den TV-Mikrofonen: "Ich wusste nicht, dass in Deutschland Schiedsrichter Spieler niederschlagen dürfen", wofür er vom DFB mit einer Strafe über 5000 Mark belegt wird. Immerhin, er brennt noch immer vor Ehrgeiz.

An Breitner liegt es jedenfalls nicht, dass die ambitionierte Eintracht nur Dreizehnter wird. "Spielte Paul auch noch so schwach - und das kam gegen Saisonschluss öfter vor -, war er immer noch der herausragende Spieler", ist im Jahrbuch des Copress-Verlages zu lesen. Breitners mehr als passable Bilanz für einen Mittelfeldspieler mit zehn Toren in 30 Einsätzen und seine erkennbare Weiterentwicklung vom pflichtbewussten linken Verteidiger zum Anführer und zentralen Spiellenker treiben ihn 1978 zurück in die offenen Arme des FC Bayern, wo er eine neue Erfolgsära einleiten wird.

Zum Abschied in Braunschweig sagt er: "Ich habe Fehler gemacht, und ich habe dazu gelernt. Doch das Jahr in Braunschweig habe ich nicht bereut." Günter Mast wird sein Freund bleiben - und als er Eintracht-Präsident wird, wird er Paul Breitner zuweilen als seinen persönlichen Berater beschäftigen.

Paul Breitners Bundesligabilanz: 285 Spiele und 93 Tore, fünfmal Deutscher Meister.

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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute die Saison 1977/1978: ein Weltmeister für Braunschweig.

Die ersten Gerüchte kamen am 12. April 1977 in Umlauf. Etwas zu spät für einen April-Scherz, und doch war mancher geneigt, sie noch in diese Schublade zu legen. Aber schon am nächsten Tag wurde das Geschäft abgeschlossen und das Gerücht Tatsache: Paul Breitner sollte in die Bundesliga zurückkehren - aber nicht zu seinen Bayern, die er 1974 als Weltmeister verlassen hatte, sondern zu Eintracht Braunschweig.

Mit Scheck im Jackett nach Madrid

Würde er wirklich für den niedersächsischen Provinzklub die Königlichen von Real Madrid verlassen? Ja, er würde. Auch die Braunschweiger versuchen, Mitte der Siebziger in das Machtvakuum zu stoßen, das Bayern Münchens Absturz nach 1974 hat entstehen lassen. Im Frühjahr 1977 träumen sie von der Wiederholung der bis heute einzigen Meisterschaft zehn Jahre zuvor, noch bis zum letzten Spieltag hat das Team von Trainer Branko Zebec Titelchancen. Mit Breitner, damals 26, wollen sie nun nach der Schale greifen. Dank ihres Mäzens Günter Mast, der die 1,6 Millionen Mark Ablösesumme aus eigener Tasche zahlt.

Präsident Fricke fliegt gleich mit dem Scheck im Jackett nach Madrid und erzählt davon: "Als die merkten, dass wir Barzahler waren, akzeptierten die Spanier unser Angebot sofort." Breitner lernt er bei der Gelegenheit auch gleich als "sauberen und korrekten Mann" kennen, was ihn zu der Prognose verleitete: "Ich glaube, dass wir mit ihm keine Schwierigkeiten bekommen werden." Da sollte er sich irren.

Breitner unterschreibt zwar einen Drei-Jahres-Vertrag, bezieht mit Frau und zwei Kindern einen Bungalow und schreibt sich an der Kant-Hochschule ein, um wieder Sozialpädagogik zu studieren. Aber schon nach einer Saison packt er wieder seine Koffer. Warum? Die Kritiker, die geunkt hatten, er sei eine Nummer zu groß für diesen Verein, sollten Recht bekommen. Alles dreht sich um Breitner, Touristenbusse halten vor seinem Bungalow. Und auch die Apothekerin von gegenüber schickt die Kunden gern zu Breitners, wenn ihr Geschäft noch geschlossen ist - zur Verkürzung der Wartezeit. Ein Weltstar in der Provinz.

Kontroversen mit den Mitspielern

All das schürt Neid. Breitner pflegt die Distanz zu den Kollegen, Freundschaften wie einst bei Bayern zu Uli Hoeneß entstehen nicht. Breitner gesteht im Rückblick einen Fehler ein: "Ich hätte mit den jüngeren Spielern meiner Mannschaft gleich von Beginn an Kontakt aufnehmen müssen. Das habe ich versäumt, dadurch entstanden die Kontroversen." Er soll und will Führungsspieler sein, aber es gelingt ihm nicht, "die anderen Spieler zu motivieren, da war eine Mauer des Neides und des Hasses um mich herum", sagt er dem Kicker im Herbst 1978, als er wieder bei den Bayern ist.

Breitner schildert, dass er in Braunschweig eines Tages 20 Stühle für die Kollegen in Kreisform aufgestellt und sich selbst in die Mitte gesetzt habe. So organisiert er quasi sein eigenes Strafgericht. "Ich fragte sie, was sie gegen mich hätten", erzählt er. "Lange Zeit sagte keiner etwas, dann kam nur Mist heraus. Zum Beispiel, weshalb ich als einziger bei Ausrüster Puma wäre."

Öffentlich wagen einige Kollegen freilich die Kontroverse. Der alte Haudegen Wolfgang Grzyb handelt sich dafür sogar eine Strafe ein, Konkurrent Charly Handschuh kommt ungeschoren davon als er sagt: "Ich führe die Regie im Mittelfeld - nicht Paul Breitner."

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Fataler Start in die Saison

Es sind nicht die ersten Kontroversen im Leben des Paul Breitner, und vielleicht hätte er sie noch eine Weile ausgefochten, wenn wenigstens der Erfolg da gewesen wäre. Aber es fängt schon fatal an. Beim Spiel in Kaiserslautern streckt Schiedsrichter Wilfried Burgers bei einer Abwehrbewegung Eintrachts Reiner Hollmann zu Boden, der scheidet bewusstlos aus. Hitzkopf Breitner sagt vor den TV-Mikrofonen: "Ich wusste nicht, dass in Deutschland Schiedsrichter Spieler niederschlagen dürfen", wofür er vom DFB mit einer Strafe über 5000 Mark belegt wird. Immerhin, er brennt noch immer vor Ehrgeiz.

An Breitner liegt es jedenfalls nicht, dass die ambitionierte Eintracht nur Dreizehnter wird. "Spielte Paul auch noch so schwach - und das kam gegen Saisonschluss öfter vor -, war er immer noch der herausragende Spieler", ist im Jahrbuch des Copress-Verlages zu lesen. Breitners mehr als passable Bilanz für einen Mittelfeldspieler mit zehn Toren in 30 Einsätzen und seine erkennbare Weiterentwicklung vom pflichtbewussten linken Verteidiger zum Anführer und zentralen Spiellenker treiben ihn 1978 zurück in die offenen Arme des FC Bayern, wo er eine neue Erfolgsära einleiten wird.

Zum Abschied in Braunschweig sagt er: "Ich habe Fehler gemacht, und ich habe dazu gelernt. Doch das Jahr in Braunschweig habe ich nicht bereut." Günter Mast wird sein Freund bleiben - und als er Eintracht-Präsident wird, wird er Paul Breitner zuweilen als seinen persönlichen Berater beschäftigen.

Paul Breitners Bundesligabilanz: 285 Spiele und 93 Tore, fünfmal Deutscher Meister.