1937: So lief das erste Pokalfinale in Berlin

Als einziger Einwand gegen Schalkes haushohe Favoritenrolle wollte der Fußball nur einwenden, dass „Schalke und VfB Leipzig noch nie aufeinander gestoßen sind. Es fehlen somit jegliche Anhaltspunkte.“ Zur Warnung mochte mancher Experte immerhin anführen, dass der VfB auf seinem Weg nach Berlin fünf Gaumeister eliminiert hatte.

Coca-Cola als Massageöl gegen die Kälte

Es war kein typischer Wintertag. Weder Schnee noch Eis, dafür leichte Plusgrade und ein Wind, der sonst nur im Herbst bläst. Aus Leipzig waren 4000 Anhänger mit fünf Sonderzügen angereist. Sie waren in der Überzahl, für die Schalker war der Weg wesentlich weiter. Blau und Weiß dominierte die Szenerie, denn es war und ist die Farbe beider Klubs. Auf dem Platz fiel die Unterscheidung leichter. Während die Schalker ganz in Blau aufliefen, war der VfB-Dress traditionell weiß-blau gestreift und spielte in weißen Hosen. Noch etwas hatten die Sachsen exklusiv: Als Massageöl gegen die Kälte nahmen sie – Coca Cola.

Um 14 Uhr pfiff Schiedsrichter Zacher (Berlin) an. Schalke erkämpfte sich die erste Ecke und schoss auch durch Pörtgen das erste Tor, doch Zacher entschied auf Abseits. Dann nahm das Spiel einen unerwarteten Verlauf. In der Chronik „Ein Jahrhundert VfB Leipzig“ heißt es: „Nicht die Ballartisten um Kuzorra und Szepan machten das Spiel. Der VfB spielte frech nach vorn, vermeidet jeden Schnörkel und gelangt immer wieder gefährlich vor das Tor der Westdeutschen, indem die freien Räume geschickt genutzt werden.“ Gabriels Pfostenschuss (10.) kündigte die Sensation schon an; „in der Schalker Mannschaft zieht vollends Verunsicherung ein, weil eine solch freche und unbekümmerte Spielweise der Leipziger nicht erwartet worden war.“, heißt es in der VfB-Chronik.

Nach 19 Minuten passierte es: 1:0 für den VfB, durch Jakob May. Der Mittelstürmer war zur Stelle, als Schalke-Keeper Mellage einen Reichmann-Schuss in die Strafraummitte faustete. Schalke reagierte wütend, wieder schoss es ein Tor, das nicht zählte. Nach 30 Minuten kam es noch dicker für die Schalker: Georg Reichmann flankte von links auf Debütant Gabriel, der zunächst Bornemann und dann Torwart Mellage ausspielte, ehe er aus 18 Metern ins leere Tor schoss. Und das mit seinem schwachen rechten Fuß, wie Gabriel später stolz berichtete. Der Fußball-Reporter F. Richard kommentierte: „Das Stadion ist verblüfft.“

Das 2:0 brachte den berühmten Schalker Kreisel zum Wirbeln, nicht noch mal wollten die Knappen ein Pokalfinale verlieren. In der 42. Minute verkürzte Linksaußen Ernst Kalwitzki auf 2:1, es war der Halbzeitstand. Aber auch der Endstand? Das wollte keiner glauben. Auf der Pressetribüne zweifelten nur wenige an einer Wende, mancher glaubte noch an ein 5:2 für Schalke. Der Fußball meldete: „Schalke spielt eleganter, flüssiger, schöner. Trotzdem spielt Leipzig moderner, ‚englischer‘. Der Drei-Mann-Sturm ist bei jedem Vorstoß brenzlicher Zunder für Mellages Heiligtum.“

Weitere Gründe für den VfB-Triumph: Fast alle Spieler waren schneller als ihre Kontrahenten, niemand spielte für die Galerie, Keeper Wöllner machte das Spiel seines Lebens und parierte zehn der elf Bälle, die auf seinen Kasten kamen. Auch „schießen die Schalker Stürmer schlecht“ (Fußball) und Kuzorra hatte einen schwachen Tag, verlor viele Zweikämpfe gegen den Verteidiger mit dem bezeichnenden Namen Dobermann. Der Sieger hatte einfach mehr Biss, das Glänzen überließ er den Schalkern, die mehr Torschüse (20:9) und Ecken (15:6), aber keinen Erfolg hatten. So textete der Fußball über den VfB: „Man sieht gar keine besondere Taktik bei ihnen, aber sie sind sehr ballsicher, schicken die Bälle mit gewaltigen Schlägen weit über die Schalker Läuferreihe direkt zu ihren Außenstürmern, die dann ohne langes Besinnen losziehen.“

Pokalübergabe beim Bankett

Der Schlusspfiff ging im Jubel der seligen VfB-Anhänger unter. Ernst Kuzorra wollte die Niederlage nicht so recht akzeptieren: „Wir haben diesmal nicht so verdient verloren wie vor einem Jahr gegen den 1. FC Nürnberg.“ Den Tschammer-Pokal aber bekamen sie wieder nicht.

Die Übergabe fand übrigens nicht im Stadion statt, es war noch nicht die Zeit von Konfetti-Regen, Weißbierduschen und Ehrenrunden. Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten überreichte den Pokal auf dem Bankett im Russischen Hof dem VfB-Vorsitzenden Dr. Fricke. Am Montag war großer Bahnhof in der Sachsen-Metropole, Tausende Anhänger trugen die Sieger auf Schultern zum Empfang ins Rathaus. Eine Prämie gab es offiziell nicht, Profitum war im Deutschland der Dreißiger verpönt. Ein Gönner spendierte den VfB-Kickern dennoch „unter dem Tisch“ jeweils 50 Reichsmark. Der Ruhm, erster Pokalsieger in Berlin gewesen zu sein, dürfte allen weit mehr wert gewesen zu sein.



35 Pfennige für einen Stehplatz, Cola als Massageöl und die Pokalübergabe beim Bankett - das erste Pokalfinale in Berlin 1937 hat einige Anekdoten zu bieten. Anlässlich des 80-jährigen Jubiläums blickt DFB.de auf das Duell zwischen dem FC Schalke und dem VfB Leipzig zurück.

Berlin, Berlin – wir fahren nach Berlin“. Jeder Fußball-Fan kennt diesen Schlachtruf, der nicht etwa die Freude auf ein Gastspiel bei Hertha BSC oder dem 1. FC Union ausdrückt. Nein, der Gegner ist völlig egal und in der Regel auch noch unbekannt, wenn der Ruf ertönt. Er ist seit über 30 Jahren Ausdruck der Sehnsucht nach dem Mekka des deutschen Fußballs, dem Berliner Olympiastadion, wo seit 1985 regelmäßig das Pokalfinale stattfindet.

Doch es gab auch eine Berliner Finalgeschichte vor der Paarung Bayer Uerdingen – Bayern München (2:1) – und die begann vor exakt 80 Jahren, als das Olympiastadion anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1936 gerade erst erstanden war. Am 3. Januar 1937 trafen sich der Meister von 1934 und 1935, Schalke 04 und der Premierenmeister von 1903, der VfB Leipzig, zum Finale um den Tschammer-Pokal, der erst zum zweiten Mal ausgespielt wurde und Vorläufer des DFB-Pokals war.

Es mangelte also noch an Tradition und Kult, aber gewiss nicht an Spannung. Die Schalker hatten schon im Vorjahr das erste Pokalfinale (in Düsseldorf) erreicht und gegen den 1. FC Nürnberg, der sie 1936 auch als Meister ablöste, 1:2 verloren. In Westfalen aber regierte Schalke gewohnt souverän die Gauliga, schlug noch im letzten Spiel vor Weihnachten Borussia Dortmund mit 4:1. Am zweiten Weihnachtsfeiertag gab es auch ein 3:1 im damals größten Prestigekampf des Westens gegen Fortuna Düsseldorf. Fünf aktuelle Nationalspieler standen im Kader der Knappen. Gegen den VfB, der im Sachsen-Gau nur auf Platz sechs stand, gab es keine Zweifel an Schalkes Favoritenrolle. Namen wie Szepan, Kuzorra, Gellesch, Pörtgen oder Urban waren in aller Munde und die Berliner freuten sich, die seltenen Gäste aus dem Westen einmal aus der Nähe sehen zu können – Fernsehen gab es noch nicht, die Bundesliga auch nicht. Im Alltag spielten die Spitzenklubs in ihren regionalen Gauligen, von denen es damals 16 gab. Nur die Meister kamen im Rahmen der Endrundenspiele aus ihren Regionen heraus. Das änderte sich mit dem Pokal, der wesentlich zur überregionalen Bekanntheit der Spieler und Mannschaften im ganzen Land beitrug.

Schalker Kreisel gegen harte Leipziger Abwehr

Und dennoch: Von den Leipzigern kannten die meisten Zuschauer kaum einen, weder vor noch nach dem Finale schaffte es einer in die Nationalmannschaft. Der größte Tag dieser Elf war das Pokalfinale. Mit 26,4 Jahren im Schnitt war der VfB eine überdurchschnittlich alte Gauliga-Elf. Das Magazin Fußball informiert: „Von dieser wackeren Schar sind nicht weniger als sieben Kämpfer…aus den Reihen der Bewegungsspieler selbst hervorgegangen. Sie sind eigener Nachwuchs in des Wortes bester Bedeutung.“ Besonders zeichnete sie sich durch eine gut funktionierende, „in den erlaubten Grenzen äußerst harte Abwehr“ aus. Schalke dagegen stand für technisch brillanten Kombinationsfußball – den berühmten „Schalker Kreisel“.

Die Mannschaften wohnten im „Russischen Hof“, in dem in jener Epoche auch die Nationalmannschaft gewöhnlich abstieg. VfB-Kapitän Erich Dobermann erinnerte sich an die Ankunft am 2. Januar: „Dort hatten bereits auch die Schalker Quartier bezogen, die uns keines Blickes würdigten.“

Die Sachsen plagten Personalsorgen. Der einzige Auswahlspieler (für Sachsen), Verteidiger Heinz Schnetterter, fiel ebenso aus wie Linksaußen Peter Holst. Trainer Heinz Pfaff ließ am 27. Dezember noch eigens ein „Befähigungsspiel“ ansetzen, um aus den Reihen der Kreisliga-Reserve noch einen Stürmer herauszupicken. Er fand trotz dichten Nebels, den Ordner mit dem Entzünden von Feuern hinter den Toren nur leidlich vertrieben, den Linksaußen Herbert Gabriel. Den Mann, der das Pokalfinale entscheiden sollte.

35 Pfennig für einen Stehplatz

Es fand vor der damaligen Rekordkulisse für ein Pokalspiel von 70.000 Zuschauern statt. Das Olympiastadion fasste zwar schon damals mehr als 80.000 Plätze, aber der ungünstige Termin kurz nach Neujahr und die Witterungsbedingungen verhinderten ein ausverkauftes Haus. Damals wurde der Pokal noch im Kalendermodus ausgespielt, der Sieger also am Ende des Jahres gekürt, nachdem der Pokalwettbewerb im August gestartet war. Diesmal fiel der Termin auf den ersten Sonntag im neuen Jahr, der Pokalsieger 1936 wurde erst 1937 ermittelt. Der Kartenvorverkauf begann am 14. Dezember, die Preise entlocken uns heute ein ungläubiges Lächeln: „…und zwar betragen die Preise nur 35 Pfennig für alle Stehplätze, 55 Pfennig für den Oberring-Sitzplatz, 1,10 Mark für den Unterring-Sitzplatz, und zwar einschließlich Sportgroschen. Auswärtige Besucher können Karten ausschließlich durch das Fachamt Fußball im DRL (Deutscher Reichsbund für Leibesübungen, Anm. d. Red.), Berlin-Charlottenburg 9, Haus des Deutschen Sports, Zimmer 177 beziehen“, heißt es im Fußball vom 8. Dezember 1936. Zur Einordnung: die Fachzeitschrift kostete damals fast genauso viel wie der Stehplatz beim Finale – 20 Pfennig. Es waren allerdings auch für damalige Verhältnisse sehr soziale Preise, für Eishockeyspiele beispielsweise zahlte man in Berlin bis zu zehn Mark.

Als einziger Einwand gegen Schalkes haushohe Favoritenrolle wollte der Fußball nur einwenden, dass „Schalke und VfB Leipzig noch nie aufeinander gestoßen sind. Es fehlen somit jegliche Anhaltspunkte.“ Zur Warnung mochte mancher Experte immerhin anführen, dass der VfB auf seinem Weg nach Berlin fünf Gaumeister eliminiert hatte.

Coca-Cola als Massageöl gegen die Kälte

Es war kein typischer Wintertag. Weder Schnee noch Eis, dafür leichte Plusgrade und ein Wind, der sonst nur im Herbst bläst. Aus Leipzig waren 4000 Anhänger mit fünf Sonderzügen angereist. Sie waren in der Überzahl, für die Schalker war der Weg wesentlich weiter. Blau und Weiß dominierte die Szenerie, denn es war und ist die Farbe beider Klubs. Auf dem Platz fiel die Unterscheidung leichter. Während die Schalker ganz in Blau aufliefen, war der VfB-Dress traditionell weiß-blau gestreift und spielte in weißen Hosen. Noch etwas hatten die Sachsen exklusiv: Als Massageöl gegen die Kälte nahmen sie – Coca Cola.

Um 14 Uhr pfiff Schiedsrichter Zacher (Berlin) an. Schalke erkämpfte sich die erste Ecke und schoss auch durch Pörtgen das erste Tor, doch Zacher entschied auf Abseits. Dann nahm das Spiel einen unerwarteten Verlauf. In der Chronik „Ein Jahrhundert VfB Leipzig“ heißt es: „Nicht die Ballartisten um Kuzorra und Szepan machten das Spiel. Der VfB spielte frech nach vorn, vermeidet jeden Schnörkel und gelangt immer wieder gefährlich vor das Tor der Westdeutschen, indem die freien Räume geschickt genutzt werden.“ Gabriels Pfostenschuss (10.) kündigte die Sensation schon an; „in der Schalker Mannschaft zieht vollends Verunsicherung ein, weil eine solch freche und unbekümmerte Spielweise der Leipziger nicht erwartet worden war.“, heißt es in der VfB-Chronik.

Nach 19 Minuten passierte es: 1:0 für den VfB, durch Jakob May. Der Mittelstürmer war zur Stelle, als Schalke-Keeper Mellage einen Reichmann-Schuss in die Strafraummitte faustete. Schalke reagierte wütend, wieder schoss es ein Tor, das nicht zählte. Nach 30 Minuten kam es noch dicker für die Schalker: Georg Reichmann flankte von links auf Debütant Gabriel, der zunächst Bornemann und dann Torwart Mellage ausspielte, ehe er aus 18 Metern ins leere Tor schoss. Und das mit seinem schwachen rechten Fuß, wie Gabriel später stolz berichtete. Der Fußball-Reporter F. Richard kommentierte: „Das Stadion ist verblüfft.“

Das 2:0 brachte den berühmten Schalker Kreisel zum Wirbeln, nicht noch mal wollten die Knappen ein Pokalfinale verlieren. In der 42. Minute verkürzte Linksaußen Ernst Kalwitzki auf 2:1, es war der Halbzeitstand. Aber auch der Endstand? Das wollte keiner glauben. Auf der Pressetribüne zweifelten nur wenige an einer Wende, mancher glaubte noch an ein 5:2 für Schalke. Der Fußball meldete: „Schalke spielt eleganter, flüssiger, schöner. Trotzdem spielt Leipzig moderner, ‚englischer‘. Der Drei-Mann-Sturm ist bei jedem Vorstoß brenzlicher Zunder für Mellages Heiligtum.“

Weitere Gründe für den VfB-Triumph: Fast alle Spieler waren schneller als ihre Kontrahenten, niemand spielte für die Galerie, Keeper Wöllner machte das Spiel seines Lebens und parierte zehn der elf Bälle, die auf seinen Kasten kamen. Auch „schießen die Schalker Stürmer schlecht“ (Fußball) und Kuzorra hatte einen schwachen Tag, verlor viele Zweikämpfe gegen den Verteidiger mit dem bezeichnenden Namen Dobermann. Der Sieger hatte einfach mehr Biss, das Glänzen überließ er den Schalkern, die mehr Torschüse (20:9) und Ecken (15:6), aber keinen Erfolg hatten. So textete der Fußball über den VfB: „Man sieht gar keine besondere Taktik bei ihnen, aber sie sind sehr ballsicher, schicken die Bälle mit gewaltigen Schlägen weit über die Schalker Läuferreihe direkt zu ihren Außenstürmern, die dann ohne langes Besinnen losziehen.“

Pokalübergabe beim Bankett

Der Schlusspfiff ging im Jubel der seligen VfB-Anhänger unter. Ernst Kuzorra wollte die Niederlage nicht so recht akzeptieren: „Wir haben diesmal nicht so verdient verloren wie vor einem Jahr gegen den 1. FC Nürnberg.“ Den Tschammer-Pokal aber bekamen sie wieder nicht.

Die Übergabe fand übrigens nicht im Stadion statt, es war noch nicht die Zeit von Konfetti-Regen, Weißbierduschen und Ehrenrunden. Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten überreichte den Pokal auf dem Bankett im Russischen Hof dem VfB-Vorsitzenden Dr. Fricke. Am Montag war großer Bahnhof in der Sachsen-Metropole, Tausende Anhänger trugen die Sieger auf Schultern zum Empfang ins Rathaus. Eine Prämie gab es offiziell nicht, Profitum war im Deutschland der Dreißiger verpönt. Ein Gönner spendierte den VfB-Kickern dennoch „unter dem Tisch“ jeweils 50 Reichsmark. Der Ruhm, erster Pokalsieger in Berlin gewesen zu sein, dürfte allen weit mehr wert gewesen zu sein.

Die Sieger-Elf: Bruno Wöllner – Erich Dobermann, Rudolf Große – Gerhard Richter, Erich Thiele, Walter Jähnig – Hans Breidenbach, Martin Schön, Jakob May, Georg Reichmann, Herbert Gabriel