15 unglaubliche Minuten in Dortmund

Marko Rehmer, der rechte Verteidiger in Völlers Elf, erinnert sich im Gespräch mit DFB.de: "Wir hätten diese Spiele am liebsten vermieden. Die Anspannung war sehr groß. Aber die Relegation hat uns zusammengeschweißt, so dass wir eine vernünftige WM gespielt haben." Eine sympathische Untertreibung, Deutschland zog bekanntlich ins Finale ein und unterlag erst Brasilien (0:2).

Davon war die Mannschaft im Herbst 2001 aber weit entfernt. Zu allem Übel fehlten in Sebastian Deisler und Mehmet Scholl zwei kreative Spieler verletzt, Stürmer Oliver Neuville war gesperrt.

Sat.1 übertrug die Partie, 13,61 Millionen verfolgten sie am Bildschirm. Der Abend in das in Gelb und Blau getauchte Olympia-Stadion von Kiew begann schlecht: Schon nach drei Minuten bebte der Pfosten des von Oliver Kahn gehüteten Tores und nach 18 Minuten landete ein Abstauber von Subow im deutschen Netz. 0:1! Dann wurde Marko Rehmer ein Kopball-Tor aberkannt, weshalb die Bild-Zeitung fragte: "Wann kommt endlich die Tor-Kamera?"

Retter gesucht

Auf dem Platz wurde derweil ein Retter gesucht. Er erschien in der Gestalt des 25-jährigen Leverkuseners Michael Ballack, "der die Gabe hat, das wichtige erste Tor zu machen", wie Rudi Völler stets betont. Es lief die 31. Minute. Gerade fragte SAT-Reporter Werner Hansch: "Wo ist eigentlich Ballack?", da war der schon zur Stelle. Als Bayern-Stürmer Alex Zickler eine Ecke verlängerte, traf er mit dem linken Fuß. "Das war das wichtigste Tor in meinem Leben. Es kann nur noch ein wichtigeres geben – wenn ich Deutschland am Mittwoch zur WM schieße", sagte Ballack, so als hätte er schon eine Ahnung.

Im Stadion legte er den Finger auf den Mund, um die Kulisse zum Schweigen zu bringen. "Ich wollte sagen: 'Seid ein bisschen ruhiger, die Deutschen sind auch noch da.'"

Zur Ernüchterung der 85.000 in Kiew war das 1:1 schon der Endstand, die von Jens Nowotny organisierte Abwehr hielt dicht und der gefürchtete Mailand-Legionär Andrej Schewtschenko ging leer aus. Nun reichte im mit 52.400 Zuschauern ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, wie es damals noch hieß, schon ein 0:0.

Die Mannschaft nahm Quartier im Fachwerk-Hotel Lennhof, zum Abendessen gab es eine Martinsgans. Die Laune stieg, die Umfragewerte auch (64 % pro Qualifikation) und Oliver Kahn prophezeite: "Wenn wir durch-kommen, wird es dieser Mannschaft einen unglaublichen Schub geben."



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Direkte Qualifikation oder nervenaufreibende Play-off-Spiele? In Moskau geht es heute (ab 17 Uhr, live im ZDF) gegen Russland für die deutsche Nationalmannschaft um das Ticket zur WM 2010 nach Südafrika.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine DFB-Auswahl vor einem so entscheidenden WM-Qualifikationsspiel steht. In einer sechsteiligen Serie erinnert DFB.de-Autor Udo Muras an die spektakulärsten und legendärsten Spiele in der WM- und EM-Qualifikation der DFB-Geschichte.

Teil 6: Deutschland - Ukraine, 14. November 2001

Zum ersten Mal überhaupt in der DFB-Geschichte hatte sich die Nationalmannschaft in den Gruppenspielen nicht direkt qualifiziert. Weil sie zwei "Matchbälle" daheim gegen England (1:5) und Finnland (0:0) vergab, musste sie als Gruppenzweite in die Relegation. Gegner war im November 2001 die Ukraine, die als noch junger Staat an keiner WM teilgenommen hatte. So war die Auswahl von Rudi Völler vor der Doppelveranstaltung am 10. 11. in Kiew und am 14.11. in Dortmund leichter Favorit, aber nicht gerade von Optimisten umzingelt.

In einer Umfrage des Fachblattes Kicker glaubte nur eine knappe Mehrheit von 55,3 Prozent an den Erfolg. Den Ernst der Stunde dokumentierte die Tatsache, dass alle 36 Profiklubs ihre Manager oder Vorstandsvertreter nach Kiew entsandten, um Flagge zu zeigen.

In der Mannschaft wurde das registriert, mehr nicht. "Sollen sich doch 120.000 Manager auf die Tribüne setzten, das hilft uns auch nichts. Auf dem Platz müssen wir es zeigen", sagte Christian Ziege von Tottenham Hotspur, einer von damals zwei England-Legionären.

Beckenbauer: "Wir sind guter Durchschnitt, mehr nicht"

Franz Beckenbauer, der Bayern-Präsident, strotzte auch nicht vor Zuversicht. "Wir müssen auf Sieg spielen, damit es wenigstens zu einem Unentschieden reicht." Seine Standortbestimmung des deutschen Fußballs war wenig ermutigend: "Wir sind guter Durchschnitt, mehr nicht." Der Schock über das 1:5 von München gegen Gruppensieger England saß eben noch immer tief. "Deutschlands Fußball war einst gefürchtet, nun wird er mitleidig verspottet", kommentierte der Kicker. Nun also musste der dreimalige Weltmeister nach-sitzen, um die Tickets für Japan und Südkorea zu bekommen.

Marko Rehmer, der rechte Verteidiger in Völlers Elf, erinnert sich im Gespräch mit DFB.de: "Wir hätten diese Spiele am liebsten vermieden. Die Anspannung war sehr groß. Aber die Relegation hat uns zusammengeschweißt, so dass wir eine vernünftige WM gespielt haben." Eine sympathische Untertreibung, Deutschland zog bekanntlich ins Finale ein und unterlag erst Brasilien (0:2).

Davon war die Mannschaft im Herbst 2001 aber weit entfernt. Zu allem Übel fehlten in Sebastian Deisler und Mehmet Scholl zwei kreative Spieler verletzt, Stürmer Oliver Neuville war gesperrt.

Sat.1 übertrug die Partie, 13,61 Millionen verfolgten sie am Bildschirm. Der Abend in das in Gelb und Blau getauchte Olympia-Stadion von Kiew begann schlecht: Schon nach drei Minuten bebte der Pfosten des von Oliver Kahn gehüteten Tores und nach 18 Minuten landete ein Abstauber von Subow im deutschen Netz. 0:1! Dann wurde Marko Rehmer ein Kopball-Tor aberkannt, weshalb die Bild-Zeitung fragte: "Wann kommt endlich die Tor-Kamera?"

Retter gesucht

Auf dem Platz wurde derweil ein Retter gesucht. Er erschien in der Gestalt des 25-jährigen Leverkuseners Michael Ballack, "der die Gabe hat, das wichtige erste Tor zu machen", wie Rudi Völler stets betont. Es lief die 31. Minute. Gerade fragte SAT-Reporter Werner Hansch: "Wo ist eigentlich Ballack?", da war der schon zur Stelle. Als Bayern-Stürmer Alex Zickler eine Ecke verlängerte, traf er mit dem linken Fuß. "Das war das wichtigste Tor in meinem Leben. Es kann nur noch ein wichtigeres geben – wenn ich Deutschland am Mittwoch zur WM schieße", sagte Ballack, so als hätte er schon eine Ahnung.

Im Stadion legte er den Finger auf den Mund, um die Kulisse zum Schweigen zu bringen. "Ich wollte sagen: 'Seid ein bisschen ruhiger, die Deutschen sind auch noch da.'"

Zur Ernüchterung der 85.000 in Kiew war das 1:1 schon der Endstand, die von Jens Nowotny organisierte Abwehr hielt dicht und der gefürchtete Mailand-Legionär Andrej Schewtschenko ging leer aus. Nun reichte im mit 52.400 Zuschauern ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, wie es damals noch hieß, schon ein 0:0.

Die Mannschaft nahm Quartier im Fachwerk-Hotel Lennhof, zum Abendessen gab es eine Martinsgans. Die Laune stieg, die Umfragewerte auch (64 % pro Qualifikation) und Oliver Kahn prophezeite: "Wenn wir durch-kommen, wird es dieser Mannschaft einen unglaublichen Schub geben."

15 unglaubliche Minuten legen Grundstein

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Der Schub war schon mit Anpfiff da, wie entfesselt begann die mit neuem Sturm (Jancker und Neuville für Zickler/Asamoah) auflaufende Elf um die WM-Teilnahme zu rennen und zu kämpfen. So stand es nach 15 unglaublichen Minuten bereits 3:0. Rehmer weiß noch: "Schon im Hotel und auf der Fahrt im Bus war es so ruhig wie selten. Alle waren so konzentriert, dass es mir klar war, dass wir gut spielen würden."

Der Berliner trug wesentlich dazu bei. Nachdem erneut Ballack das erste Tor (4.) geköpft hatte, bereitete Rehmer das 2:0 (11.) von Oliver Neuville mit einem Pfosten-kopfball vor und erzielte das 3:0 (15.) per Kopf selbst. Das Stadion tobte, die Ukrainer waren geschockt "und wir konnten das einfach nur noch genießen", sagt Rehmer. In nur 15 furiosen Minuten war die Aussöhnung mit dem Publikum gelungen. Michael Ballack erhöhte in einem seiner besten Länderspiele überhaupt kurz nach der Pause nach Bernd Schneiders Flanke auf 4:0 (51.) – es war das dritte Kopfballtor des Tages. Zum ersten Mal wurde in solch wichtiges Spiel sogar ein fußballerischer Genuss, in dem Maße in dem die Spannung wich, kam die Kunst zur Geltung.

Erst in der Nachspielzeit wurde der Ukraine das Ehrentor zum 4:1 durch Schewtschenko gestattet. Am Jubel über die WM-Qualifikation änderte das nichts und Rudi Völler freute sich, dass sein 500. Arbeitstag als Bundestrainer nicht sein letzter gewesen war. Und das lag nicht nur am Glückspfennig, den ein "Bild"-Reporter im Stadion von Kiew vergraben und anschließend nach Dortmund mitgebracht hatte.

Jedenfalls hielt die stolze Serie, dass Deutschland nie eine WM-Qualifikation verpasst hat.

Deutschland (im Rückspiel): Kahn – Rehmer (87. Baumann), Nowotny, Linke – Ramelow, Hamann, Ziege – Schneider, Ballack – Jancker (58. Bierhoff), Neuville (70. Ricken).