10. Todestag von Fritz Walter

Heute vor zehn Jahren starb Deutschlands erster Ehrenspielführer Fritz Walter. Der Kapitän der Helden von Bern schlief friedlich ein in seinem Bungalow daheim in Alsenborn-Enkenbach. Es war ein Montag, an dem der deutsche Sport eine seiner größten Persönlichkeiten überhaupt verlor. Um 14.15 Uhr. Noch am Vortag hatte ihn Bruder Ottmar angerufen, er hatte im Gefühl aufgelegt, dass "es dem Friedrich schon wieder ganz gut geht." Den Umständen entsprechend, denn nach dem Tod seiner Frau Italia 2001 war er noch immer sehr niedergeschlagen. Ohne sie, die er 1948 geheiratet hatte, fand er keine rechte Freude mehr am Leben. Er wollte zu ihr.

Damals lief gerade die Weltmeisterschaft in Asien, wo die Nachricht von Walters Tod im deutschen Lager große Betroffenheit auslöste. Die Mannschaft saß gerade beim Frühstück. Trainer Rudi Völler versprach, gegen die USA auch für Fritz Walter zu gewinnen: "Wir werden am Freitag für ihn siegen." Auch für Völler war Fritz Walter ein besonderer Mensch: "Mein Vater hat in Tönen von ihm gesprochen, die wird kein Nationalspieler in den nächsten 100 oder 1000 Jahren erreichen. Fritz Walter hat nie die Bodenhaftung verloren, sondern ist immer ein einfacher, lieber Mensch geblieben."

Walter wollte nie ein Star sein

So war auch der Tenor der Reden bei der Trauerfeier im Stadion, das schon zu Lebzeiten seinen Namen trug. Rund 8000 Menschen waren nach Kaiserslautern gekommen, "uff den Betze", wohin die Menschen fast 30 Jahre lang auch immer gegangen waren, um Fritz Walter zu sehen. In den glorreichen 50er Jahren sprach man weniger vom FCK, sondern von "der Walter-Elf". Das mag seiner Bescheidenheit nicht entsprochen haben, er war das größte aller Fußball-Idole, das nie ein Star wurde. Weil er es nie sein wollte.

Miroslav Klose hat ihn nie spielen gesehen und nennt ihn doch "mein größtes Vorbild", weil er den Menschen noch kennengelernt hat. Das können immer weniger Menschen sagen, es ist der natürliche Lauf der Dinge.

Gewiss war Fritz Walter mehr als nur ein "Held von Bern". Von Heldentum wollten die Weltmeister von 1954, die alle den Krieg erlebt hatten, nichts wissen. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily würdigte ihn als "herausragenden Botschafter unseres Landes" und da wollte niemand widersprechen.

Ottmar Walter: "Acht Tage sperrte Fritz sich ein"

Fritz Walter war schon deshalb nicht der Star, den manche in ihm sehen wollten, weil er sich selbst kleiner machte als er war. Dreimal trat er aus der Nationalmannschaft zurück, von Kritiken zermürbt und von Selbstzweifeln geplagt. Wie nach dem Karriere-Tiefpunkt 1952 in Paris.

"Acht Tage sperrte er sich ein. Die Rolläden blieben verschlossen. Am Sonntag holten wir ihn und besiegten Wormatia Worms 10:2", erinnert sich sein Bruder Ottmar, Weltmeister und FCK-Idol wie er.

Obwohl jünger, gehörte er zu denen, auf die der Fritz bis an sein Lebensende hörte und die ihn aufzubauen verstanden. Der andere war Sepp Herberger, der "Chef", der wie ein Vater zu ihm war. Auch er konnte ihn zur Besinnung bringen und zurück ins DFB-Team holen. Es war ein Segen für das ganze Land. Denn ohne seinen Kapitän Fritz Walter wäre Deutschland 1954 kaum Weltmeister geworden, und wäre Fritz Walter kein Weltmeister geworden, hätte unser Land einen menschlichen Mythos weniger. Einen Mythos, der allen nachfolgenden Generationen zum Vorbild taugt. Auch und gerade denjenigen, die ihn nie haben spielen sehen.

Horst Eckel: "Der Fritz war der Größte"

Für die Zeitgenossen war der Regisseur und Torjäger (306 Oberliga-Treffer!) in einer Person sowieso der Größte. Weltmeister und Klubkamerad Horst Eckel stand mit ihm jahrelang auf dem Platz, er kann nicht ganz objektiv sein, und doch kann man ihn verstehen, wenn er sagt: "Der Fritz war der Größte. Größer als Pele und Beckenbauer. Denn er hat noch mit fast 38 bei einer WM gespielt, da haben die anderen längst aufgehört."

Aber das Lampenfieber begleitete ihn noch bis zum 61. und letzten Länderspiel im Halbfinale 1958 in Schweden gegen die Gastgeber. Sensibilität am Ball und im Wesen, vielleicht bedingen sie einander. Der Virtuose musste vor so manchem Spiel länger als üblich auf die Toilette und zuweilen gönnte er sich gar ein Gläschen Sekt gegen die Aufregung. Manchmal wollte er auch lieber gar nicht spielen und setzte sich bei Herberger noch auf der Busfahrt ins Stadion für einen jüngeren Kollegen ein, aber der Chef kannte seinen Fritz und in solchen Fällen keine Gnade. Zum Glück.

Die Zeit schrieb 1991: "Er spielte niemals bloß gut oder mittel – er war genial oder versagte tragisch." Doch sein Lebenswerk ist so voller Glanz- und Ruhmestaten, dass niemand in Fritz Walter einen Versager sehen kann.

Krieg kostete Walter 50 Länderspiele

Schon als 14-Jähriger war er eine Attraktion und Tausende Kaiserslauterer gingen sonntags zwei Stunden früher zum "Betze", um "es klä Fritzje" im Vorspiel der Jugend zu sehen, wie Weggefährte Rudi Michel, der berühmte Sportreporter der ARD, in seinen Erinnerungen berichtete.

Als er 19 war, lud ihn Sepp Herberger erstmals zu einem Länderspiel. Im März 1940, es war bereits Krieg, wurde Rumänien in Frankfurt 9:3 demontiert und der Debütant Walter erzielte drei Tore. Ein Star war geboren, nur zu einer denkbar falschen Zeit. Die WM 1942, in Deutschland hätte sie stattfinden sollen, fiel dem Krieg zum Opfer. Und bald auch jegliches Fußballspielen. Der Krieg kostete Walter rund 50 Länderspiele.

Nicht Franz Beckenbauer, sondern er hätte als erster Deutscher die 100er-Marke passiert, ganz ohne Zweifel. Dass er überhaupt noch mal spielen und seine Heimat wiedersehen durfte, hat etwas mit Schicksal zu tun. Der Fußball hat Fritz Walter buchstäblich das Leben gerettet – im Mai 1945 in einem russischen Kriegsgefangenenlager in Rumänien.

"Spiel seines Lebens" in Marmaros-Sziget

Es war und ist eine wundersame Geschichte, damals in Marmaros-Sziget: In Hundertschaften wurden die deutschen Soldaten gen Sibirien transportiert. Immer 100 für einen Zug. Beim Abzählen war Fritz der Hundertunderste und durfte mit 34 weiteren Soldaten noch eine Nacht bleiben. Bis zum nächsten Transport. Abends sah er der Lagerpolizei beim Kicken zu, ging neugierig hin und plötzlich sprang ihm der Ball vor die Füße.

Er schoss ihn gekonnt zurück, was den Fußballer in ihm sogleich verriet – und so ließen sie ihn mitspielen. In der Halbzeit fragten sie ihn nach seinem Namen, und einer der Wärter erinnerte sich an seine Tore 1942 beim 5:3 in Budapest gegen die Ungarn. Stolz auf ihren prominenten Gefangenen erwirkten die Wächter beim Lagerkommandanten, dass er nicht abtransportiert wurde. Für sie war er kein Nazi, sondern einfach nur ein guter Fußballer, den sie brauchen konnten. Als das Lager aufgelöst wurde, ließen sie ihn nach Hause ziehen. Als "Franzose", da Kaiserslautern ja zur französischen Besatzungszone zählte. Es war ein Trick, um ihm das Leben zu retten. Fritz Walter hat stets davon betont, dass er "das wichtigste Spiel meines Lebens" nicht in Bern, sondern in Marmaros-Sziget bestritten hat.

Fritz-Walter-Wetter

Sein größtes Spiel erlebte er 1954, mit 33, als er doch noch zu einer WM reisen durfte. Was damals geschah in der Schweiz, das weiß jedes Kind. Ebenso was Fritz-Walter-Wetter ist. Immer dann, wenn der Regen so unaufhörlich prasselt wie in Bern...

Der DFB hat Fritz Walter noch am Abend jenes 4. Juli 1954 zum Ehrenspielführer ernannt. Für ihn hat man diesen Titel, den nach ihm noch Franz Beckenbauer, Uwe Seeler und Lothar Matthäus erhalten haben, erst erfunden. Aus Dank und Anerkennung. Er sah ihn auch nach der Karriere, die 1959 endete, als Verpflichtung an. Er kümmerte sich um die Kameraden von einst, besorgte beispielsweise dem tief gestürzten Weltmeister Werner Kohlmeyer einen Anzug für einen Pressetermin. Und jedes Jahr am 4. Juli trafen sich die Weltmeister, alle 22, darauf legte er Wert. Oft stieg das Wiedersehensfest in seinem Garten. Kameradschaft war kein leeres Wort für den Fritz, dem 1995 das Bundesverdienstkreuz verliehen worden war.

Walter war für die Sepp-Herberger-Stiftung tätig

Als würdiger Repräsentant des deutschen Fußballs stand er öfter im Rampenlicht als es ihm behagte. Und noch öfter als er das DFB-Dress trug, besuchte er im Auftrag der Sepp-Herberger-Stiftung Gefängnisse, um jungen Insassen Werte zu vermitteln für ein besseres Leben und für eine neue Chance. So, wie er sie bekam, damals in Marmaros-Sziget.

Nicht nur die DFB-Auswahl, auch sein Verein erlebte nach dem Krieg die größte Zeit mit und wegen Fritz Walter. Man sprach bundesweit ehrfürchtig von der "Walter-Elf", die von 1951 bis 1955 viermal ins Finale um die Meisterschaft gelangte und es zweimal (1951, 1953) gewann. Seinen FCK hat Fritz nie verlassen, auch das macht den Mythos aus. Dabei hagelte es Angebote aus dem In- und Ausland. Schalke 04 wollte ihn, Nizza und Atletico Madrid, das ihm einen Vertrag zuschickte. Der blieb immer im Tresor, daheim in seinem Bungalow in Alsenborn, der jetzt ein Museum ist.

"Ich käme mir wie ein Verräter vor"

"Ich käme mir wie ein Verräter vor. Ich bin unter Kameraden aufgewachsen, habe dort meine schönste Zeit, wertvollste Zeit verbracht und will auch in Deutschland meine Laufbahn abschließen", sagte er 1956. So geschah es dann auch: 1959 trat er von der Bühne ab, nach 31 Jahren für seinen FCK. Er war bis zuletzt so gut, dass Herberger ihn 1962 noch aus dem Ruhestand heraus mit zur WM nach Chile nehmen wollte, denn "es genügt, wenn er zwei Pässe spielt, die zu zwei Toren führen". Dazu kam es nicht, und es war wohl auch besser so. Diesmal ließ sich Fritz nicht erweichen: "Das Risiko, meine Karriere als verkrachte Fußballexistenz zu beenden, war mir zu groß".

Über den Fußballer Fritz Walter ist manches Kritische geschrieben worden, über den Menschen nie. Er selbst hat seine Popularität einmal so begründet: "Sicher zählen nicht nur meine sportlichen Erfolge. Ich bin mit beiden Beinen auf dem Boden und ein normaler Mensch geblieben. Ich habe keine Starallüren gekannt und Heldenverehrung verachtet."

Was er mit vielen Menschen gemein hat, die im Krieg einem falschen Heldentum gehuldigt haben. Trotzdem hatte er ein Talent, das ihn über andere Menschen erhob, zugleich aber die Veranlagung, niemals abzuheben. Selbst dann nicht, wenn er den Gipfel erklomm. Nun schaut er wohl vom Himmel aus zu, was seine Nachfolger an seinem zehnten Todestag machen. Niemand muss ihnen sagen, worüber er sich heute ganz besonders freuen würde.

Das meinen DFB.de-User:

"Großes Lob an den Verfasser dieses Artikels. Er schildert den Menschen Fritz Walter und seine Leistungen. Er wird deshalb für mich immer der Größte sein, als Mensch und als Fußballer. Und dieser Mythos begeistert mich immer wieder, wenn ich zum Spiel im Stadion bin. Danke Fritz Walter" (Harald Plote, Salzatal)

"Es war eine wunderbare Fußballzeit. Er war für mich einfach ein Genie, auch Ottmar war ein sehr guter Spieler und der FCK war früher mit Abstand mein liebster Verein. Schade, dass man die Zeit nicht zurück drehen kann." (Horst Pokop, Reutlingen)

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Heute vor zehn Jahren starb Deutschlands erster Ehrenspielführer Fritz Walter. Der Kapitän der Helden von Bern schlief friedlich ein in seinem Bungalow daheim in Alsenborn-Enkenbach. Es war ein Montag, an dem der deutsche Sport eine seiner größten Persönlichkeiten überhaupt verlor. Um 14.15 Uhr. Noch am Vortag hatte ihn Bruder Ottmar angerufen, er hatte im Gefühl aufgelegt, dass "es dem Friedrich schon wieder ganz gut geht." Den Umständen entsprechend, denn nach dem Tod seiner Frau Italia 2001 war er noch immer sehr niedergeschlagen. Ohne sie, die er 1948 geheiratet hatte, fand er keine rechte Freude mehr am Leben. Er wollte zu ihr.

Damals lief gerade die Weltmeisterschaft in Asien, wo die Nachricht von Walters Tod im deutschen Lager große Betroffenheit auslöste. Die Mannschaft saß gerade beim Frühstück. Trainer Rudi Völler versprach, gegen die USA auch für Fritz Walter zu gewinnen: "Wir werden am Freitag für ihn siegen." Auch für Völler war Fritz Walter ein besonderer Mensch: "Mein Vater hat in Tönen von ihm gesprochen, die wird kein Nationalspieler in den nächsten 100 oder 1000 Jahren erreichen. Fritz Walter hat nie die Bodenhaftung verloren, sondern ist immer ein einfacher, lieber Mensch geblieben."

Walter wollte nie ein Star sein

So war auch der Tenor der Reden bei der Trauerfeier im Stadion, das schon zu Lebzeiten seinen Namen trug. Rund 8000 Menschen waren nach Kaiserslautern gekommen, "uff den Betze", wohin die Menschen fast 30 Jahre lang auch immer gegangen waren, um Fritz Walter zu sehen. In den glorreichen 50er Jahren sprach man weniger vom FCK, sondern von "der Walter-Elf". Das mag seiner Bescheidenheit nicht entsprochen haben, er war das größte aller Fußball-Idole, das nie ein Star wurde. Weil er es nie sein wollte.

Miroslav Klose hat ihn nie spielen gesehen und nennt ihn doch "mein größtes Vorbild", weil er den Menschen noch kennengelernt hat. Das können immer weniger Menschen sagen, es ist der natürliche Lauf der Dinge.

Gewiss war Fritz Walter mehr als nur ein "Held von Bern". Von Heldentum wollten die Weltmeister von 1954, die alle den Krieg erlebt hatten, nichts wissen. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily würdigte ihn als "herausragenden Botschafter unseres Landes" und da wollte niemand widersprechen.

Ottmar Walter: "Acht Tage sperrte Fritz sich ein"

Fritz Walter war schon deshalb nicht der Star, den manche in ihm sehen wollten, weil er sich selbst kleiner machte als er war. Dreimal trat er aus der Nationalmannschaft zurück, von Kritiken zermürbt und von Selbstzweifeln geplagt. Wie nach dem Karriere-Tiefpunkt 1952 in Paris.

"Acht Tage sperrte er sich ein. Die Rolläden blieben verschlossen. Am Sonntag holten wir ihn und besiegten Wormatia Worms 10:2", erinnert sich sein Bruder Ottmar, Weltmeister und FCK-Idol wie er.

Obwohl jünger, gehörte er zu denen, auf die der Fritz bis an sein Lebensende hörte und die ihn aufzubauen verstanden. Der andere war Sepp Herberger, der "Chef", der wie ein Vater zu ihm war. Auch er konnte ihn zur Besinnung bringen und zurück ins DFB-Team holen. Es war ein Segen für das ganze Land. Denn ohne seinen Kapitän Fritz Walter wäre Deutschland 1954 kaum Weltmeister geworden, und wäre Fritz Walter kein Weltmeister geworden, hätte unser Land einen menschlichen Mythos weniger. Einen Mythos, der allen nachfolgenden Generationen zum Vorbild taugt. Auch und gerade denjenigen, die ihn nie haben spielen sehen.

Horst Eckel: "Der Fritz war der Größte"

Für die Zeitgenossen war der Regisseur und Torjäger (306 Oberliga-Treffer!) in einer Person sowieso der Größte. Weltmeister und Klubkamerad Horst Eckel stand mit ihm jahrelang auf dem Platz, er kann nicht ganz objektiv sein, und doch kann man ihn verstehen, wenn er sagt: "Der Fritz war der Größte. Größer als Pele und Beckenbauer. Denn er hat noch mit fast 38 bei einer WM gespielt, da haben die anderen längst aufgehört."

Aber das Lampenfieber begleitete ihn noch bis zum 61. und letzten Länderspiel im Halbfinale 1958 in Schweden gegen die Gastgeber. Sensibilität am Ball und im Wesen, vielleicht bedingen sie einander. Der Virtuose musste vor so manchem Spiel länger als üblich auf die Toilette und zuweilen gönnte er sich gar ein Gläschen Sekt gegen die Aufregung. Manchmal wollte er auch lieber gar nicht spielen und setzte sich bei Herberger noch auf der Busfahrt ins Stadion für einen jüngeren Kollegen ein, aber der Chef kannte seinen Fritz und in solchen Fällen keine Gnade. Zum Glück.

Die Zeit schrieb 1991: "Er spielte niemals bloß gut oder mittel – er war genial oder versagte tragisch." Doch sein Lebenswerk ist so voller Glanz- und Ruhmestaten, dass niemand in Fritz Walter einen Versager sehen kann.

Krieg kostete Walter 50 Länderspiele

Schon als 14-Jähriger war er eine Attraktion und Tausende Kaiserslauterer gingen sonntags zwei Stunden früher zum "Betze", um "es klä Fritzje" im Vorspiel der Jugend zu sehen, wie Weggefährte Rudi Michel, der berühmte Sportreporter der ARD, in seinen Erinnerungen berichtete.

Als er 19 war, lud ihn Sepp Herberger erstmals zu einem Länderspiel. Im März 1940, es war bereits Krieg, wurde Rumänien in Frankfurt 9:3 demontiert und der Debütant Walter erzielte drei Tore. Ein Star war geboren, nur zu einer denkbar falschen Zeit. Die WM 1942, in Deutschland hätte sie stattfinden sollen, fiel dem Krieg zum Opfer. Und bald auch jegliches Fußballspielen. Der Krieg kostete Walter rund 50 Länderspiele.

Nicht Franz Beckenbauer, sondern er hätte als erster Deutscher die 100er-Marke passiert, ganz ohne Zweifel. Dass er überhaupt noch mal spielen und seine Heimat wiedersehen durfte, hat etwas mit Schicksal zu tun. Der Fußball hat Fritz Walter buchstäblich das Leben gerettet – im Mai 1945 in einem russischen Kriegsgefangenenlager in Rumänien.

"Spiel seines Lebens" in Marmaros-Sziget

Es war und ist eine wundersame Geschichte, damals in Marmaros-Sziget: In Hundertschaften wurden die deutschen Soldaten gen Sibirien transportiert. Immer 100 für einen Zug. Beim Abzählen war Fritz der Hundertunderste und durfte mit 34 weiteren Soldaten noch eine Nacht bleiben. Bis zum nächsten Transport. Abends sah er der Lagerpolizei beim Kicken zu, ging neugierig hin und plötzlich sprang ihm der Ball vor die Füße.

Er schoss ihn gekonnt zurück, was den Fußballer in ihm sogleich verriet – und so ließen sie ihn mitspielen. In der Halbzeit fragten sie ihn nach seinem Namen, und einer der Wärter erinnerte sich an seine Tore 1942 beim 5:3 in Budapest gegen die Ungarn. Stolz auf ihren prominenten Gefangenen erwirkten die Wächter beim Lagerkommandanten, dass er nicht abtransportiert wurde. Für sie war er kein Nazi, sondern einfach nur ein guter Fußballer, den sie brauchen konnten. Als das Lager aufgelöst wurde, ließen sie ihn nach Hause ziehen. Als "Franzose", da Kaiserslautern ja zur französischen Besatzungszone zählte. Es war ein Trick, um ihm das Leben zu retten. Fritz Walter hat stets davon betont, dass er "das wichtigste Spiel meines Lebens" nicht in Bern, sondern in Marmaros-Sziget bestritten hat.

Fritz-Walter-Wetter

Sein größtes Spiel erlebte er 1954, mit 33, als er doch noch zu einer WM reisen durfte. Was damals geschah in der Schweiz, das weiß jedes Kind. Ebenso was Fritz-Walter-Wetter ist. Immer dann, wenn der Regen so unaufhörlich prasselt wie in Bern...

Der DFB hat Fritz Walter noch am Abend jenes 4. Juli 1954 zum Ehrenspielführer ernannt. Für ihn hat man diesen Titel, den nach ihm noch Franz Beckenbauer, Uwe Seeler und Lothar Matthäus erhalten haben, erst erfunden. Aus Dank und Anerkennung. Er sah ihn auch nach der Karriere, die 1959 endete, als Verpflichtung an. Er kümmerte sich um die Kameraden von einst, besorgte beispielsweise dem tief gestürzten Weltmeister Werner Kohlmeyer einen Anzug für einen Pressetermin. Und jedes Jahr am 4. Juli trafen sich die Weltmeister, alle 22, darauf legte er Wert. Oft stieg das Wiedersehensfest in seinem Garten. Kameradschaft war kein leeres Wort für den Fritz, dem 1995 das Bundesverdienstkreuz verliehen worden war.

Walter war für die Sepp-Herberger-Stiftung tätig

Als würdiger Repräsentant des deutschen Fußballs stand er öfter im Rampenlicht als es ihm behagte. Und noch öfter als er das DFB-Dress trug, besuchte er im Auftrag der Sepp-Herberger-Stiftung Gefängnisse, um jungen Insassen Werte zu vermitteln für ein besseres Leben und für eine neue Chance. So, wie er sie bekam, damals in Marmaros-Sziget.

Nicht nur die DFB-Auswahl, auch sein Verein erlebte nach dem Krieg die größte Zeit mit und wegen Fritz Walter. Man sprach bundesweit ehrfürchtig von der "Walter-Elf", die von 1951 bis 1955 viermal ins Finale um die Meisterschaft gelangte und es zweimal (1951, 1953) gewann. Seinen FCK hat Fritz nie verlassen, auch das macht den Mythos aus. Dabei hagelte es Angebote aus dem In- und Ausland. Schalke 04 wollte ihn, Nizza und Atletico Madrid, das ihm einen Vertrag zuschickte. Der blieb immer im Tresor, daheim in seinem Bungalow in Alsenborn, der jetzt ein Museum ist.

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"Ich käme mir wie ein Verräter vor"

"Ich käme mir wie ein Verräter vor. Ich bin unter Kameraden aufgewachsen, habe dort meine schönste Zeit, wertvollste Zeit verbracht und will auch in Deutschland meine Laufbahn abschließen", sagte er 1956. So geschah es dann auch: 1959 trat er von der Bühne ab, nach 31 Jahren für seinen FCK. Er war bis zuletzt so gut, dass Herberger ihn 1962 noch aus dem Ruhestand heraus mit zur WM nach Chile nehmen wollte, denn "es genügt, wenn er zwei Pässe spielt, die zu zwei Toren führen". Dazu kam es nicht, und es war wohl auch besser so. Diesmal ließ sich Fritz nicht erweichen: "Das Risiko, meine Karriere als verkrachte Fußballexistenz zu beenden, war mir zu groß".

Über den Fußballer Fritz Walter ist manches Kritische geschrieben worden, über den Menschen nie. Er selbst hat seine Popularität einmal so begründet: "Sicher zählen nicht nur meine sportlichen Erfolge. Ich bin mit beiden Beinen auf dem Boden und ein normaler Mensch geblieben. Ich habe keine Starallüren gekannt und Heldenverehrung verachtet."

Was er mit vielen Menschen gemein hat, die im Krieg einem falschen Heldentum gehuldigt haben. Trotzdem hatte er ein Talent, das ihn über andere Menschen erhob, zugleich aber die Veranlagung, niemals abzuheben. Selbst dann nicht, wenn er den Gipfel erklomm. Nun schaut er wohl vom Himmel aus zu, was seine Nachfolger an seinem zehnten Todestag machen. Niemand muss ihnen sagen, worüber er sich heute ganz besonders freuen würde.

Das meinen DFB.de-User:

"Großes Lob an den Verfasser dieses Artikels. Er schildert den Menschen Fritz Walter und seine Leistungen. Er wird deshalb für mich immer der Größte sein, als Mensch und als Fußballer. Und dieser Mythos begeistert mich immer wieder, wenn ich zum Spiel im Stadion bin. Danke Fritz Walter" (Harald Plote, Salzatal)

"Es war eine wunderbare Fußballzeit. Er war für mich einfach ein Genie, auch Ottmar war ein sehr guter Spieler und der FCK war früher mit Abstand mein liebster Verein. Schade, dass man die Zeit nicht zurück drehen kann." (Horst Pokop, Reutlingen)