Eugen Gehlenborg: "Ehrenamt ist keine Selbstverständlichkeit"

DFB.de: Die diesjährige Verleihung des Julius Hirsch Preises an die Münchner Ultras hat auch Kritik ausgelöst. Wie ist Ihre Position?

Gehlenborg: Die "Schickeria" hat den Preis verdient, sie haben im Stadion des FC Bayern München bewegend an den ehemaligen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer erinnert. Dabei darf aber die sehr problematische Haltung der "Schickeria" zur Gewaltfrage natürlich nicht ausgeblendet werden. Es passt nicht, man kann doch nicht an die verheerende Gewalt der Vergangenheit erinnern und gleichzeitig sich im Stadion nicht eindeutig von Gewalt distanzieren. Das haben Wolfgang Niersbach, Karl-Heinz Rummenigge und Marcel Reif bei der Preisverleihung auch klar gesagt. Uns bleibt die Hoffnung, dass der Preis bei der Schickeria ein neues Nachdenken auslöst.

DFB.de: Vor zwei Wochen waren Sie Ehrengast der Premiere eines Kurzspielfilms über einen homosexuellen Juniorenspieler. "Zwei Gesichter" wurde in Köln im Deutschen Sport- und Olympiamuseum gezeigt. Warum muss der Fußball auch hier Zeichen setzen?

Gehlenborg: Dieser Film sowie der Abend bei der Premiere mit der anschließenden Diskussion haben bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, hinten mussten die Leute noch stehen. Ich muss sagen, in dieser Dichte wurde ich erstmals mit dem Thema Homophobie im Fußballsport konfrontiert. Basis für alle Überlegungen ist ganz allgemein Artikel 1 unseres Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Wichtig ist deshalb, dass der Fußball und seine Verbände und Institutionen niemanden ausgrenzen, schon gar nicht aufgrund seiner oder ihrer sexuellen Neigung. Die Spieler und Spielerinnen müssen wissen, sie können sich outen - müssen dies aber nicht.

DFB.de: Immer noch kommen immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland. Was bedeutet das für den Fußball?

Gehlenborg: Im Jahr 2013 kamen rund 465.000 Zuwanderer nach Deutschland, das ist also etwas weniger als die Größe von Hannover. Wir müssen ihnen die Türen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben öffnen. Dieses kann der Volkssport Fußball über seine breite Organisationsstruktur in die Fläche bis in den kleinsten Ort - wie sich immer wieder erweist - in sehr effektiver Weise. Menschen die sich auf- und angenommen fühlen, die also spüren: "Ich werde gebraucht", sind doch in der Regel für jede Gemeinschaft ein Gewinn. Aber der Fußball ist auf Unterstützung angewiesen - durch die Politik, die Gesellschaft, auch durch die Wirtschaft. Letztlich spitzt sich vieles darauf zu, dass wir den ehrenamtlichen Einsatz in den Vereinen weiter fördern.

DFB.de: Vor fast genau einem Jahr sind Sie ins DFB-Präsidium aufgerückt. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie seitdem anstoßen konnten?

Gehlenborg: Man kann mein Fazit auf die knappe Formel bringen: vom Begleiter und Betreuer zum aktiven Mitspieler in der ersten DFB-Mannschaft. War es vorher ein positiv gestimmtes, temporäres Mitgehen, nämlich in meiner Zeit im DFB-Vorstand seit 2009, so verlangt das mir vom DFB-Bundestag übertragene Ressort jetzt zeitlich und inhaltlich meinen vollen Einsatz. Das empfinde ich aber nicht als Belastung, sondern als Glücksfall, weil einem gerade der Fußball in Deutschland herausragende Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Diese wahrzunehmen, im Einklang mit einem hochprofessionellem DFB-Hauptamt, getragen von gegenseitigem Respekt und vor allem Vertrauen, ist eine sehr positive Erfahrung, die bei mir immer wieder ganz viel Energie freisetzt. Insofern bin ich dankbar, dass ich in dieser Funktion für eine durch Wahl begrenzte Zeit mitwirken kann - und hoffe, dass es dann auch im Endfazit eine erfolgreiche Zeit werden möge.

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Seit einem Jahr verantwortet Eugen Gehlenborg im DFB-Präsidium alles, was mit den sozialen und gesellschaftspolitischen Aufgaben zu tun hat. Dafür steht ihm nun - dank der erfolgreichen WM - etwas mehr Geld zur Verfügung. Benötigte Mittel, denn die Kassenlage der Stiftungen war doch etwas angespannt. Am Ende seines ersten Jahres "in der ersten Mannschaft" und passend zum Beginn des "Internationalen Tages des Ehrenamtes" zieht der 67-jährige Niedersache im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth seine Zwischenbilanz.

DFB.de: Herr Gehlenborg, vor einigen Tagen wurden in einem Nachtragshaushalt des DFB eine Million Euro verteilt. Das Geld stammt vom positiv abgeschlossenen WM-Turnier, profitiert haben auch die DFB-Stiftungen. Sind Sie jetzt froh und zufrieden über die zusätzlichen Mittel - oder eher erleichtert?

Eugen Gehlenborg: Sicher beides. Das Benefizländerspiel, dessen Einnahmen den Stiftungen zugute kommen, war schließlich um ein Jahr verschoben worden. Die Einnahmen aus dem Armenien-Spiel in Mainz kurz vor der WM waren also für die Arbeit der Fußball-Stiftungen eminent wichtig. Jetzt sind wir sehr dankbar für die nochmals aufgestockte Bezuschussung durch das DFB-Präsidium. Eine halbe Million fließt zur Bundesliga-Stiftung, die andere Hälfte verteilt sich auf die Robert-Enke-Stiftung, die DFB-Stiftung Egidius Braun und die DFB-Stiftung Sepp Herberger, die DFB-Kulturstiftung und die Fritz-Walter-Stiftung. Ebenfalls unterstützt werden die Stiftungen von Uwe Seeler und Franz Beckenbauer. Die Kassenlage der Stiftungen war zuvor doch angespannt. Wir mussten kürzen, etwa bei den Ferienfreizeiten oder im Bereich Inklusion. Noch im vertretbaren Rahmen, aber dennoch ist so etwas nicht schön.

DFB.de: Im November vor fünf Jahren starb Robert Enke, dessen Stiftung diesmal etwas mehr Gelder zugestanden wurden. Sie sind selbst Norddeutscher, wohnen in Oldenburg. Kannten Sie Enke persönlich?

Gehlenborg: Während meiner Zeit im niedersächsischen Ministerium in Hannover hatte ich ihn zweimal getroffen. Nach seinem Tod habe ich Ronald Rengs Buch sehr intensiv gelesen, weil mich die Frage quälte: Wie kann es sein, dass niemand helfen konnte? Wir hatten dann auch im weiteren Familienkreis eine depressive Erkrankung zu verkraften. Ich bin heute fest davon überzeugt: Alleine kommt da niemand von frei. Man braucht Gesprächspartner, ob Freunde oder auch Beratungsstellen. Markus Miller von Hannover 96 hat genau das einfach vorbildlich gemacht.

DFB.de: Anlässlich des fünften Jahrestages von Robert Enkes Selbstmord hatte die ARD eine Dokumentation gezeigt. Haben sich Einstellungen der Fans oder Medien gewandelt?

Gehlenborg: Man sehnt sich nach der ganz großen Lösung, nach dem einmaligen Befreiungsschlag. Den gibt es nicht. Gerade dem Thema Depression - ob im Leistungssport oder mehr noch in der Gesellschaft - kommt man nur mit durchdachten einzelnen Maßnahmen bei. Die Enke-Stiftung hat hier bereits einiges bewegt. Forschung und eine Trainerhandreichung sollen präventiv wirken, eine Hotline sorgt dafür, dass psychisch Verstimmten schnell geholfen wird. Gerade Teresa Enke und Markus Miller haben geholfen, das Thema zu enttabuisieren.

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DFB.de: Am 13. Juli 2014 erfüllte sich der ganz große Traum vom vierten WM-Sieg. Was bedeutet der Titelgewinn für Ihre Arbeit?

Gehlenborg: Kolossal, was die Mannschaft geleistet hat. Die Bilder von der Fanmeile habe ich bis heute vor Augen. Die vielen glücklichen Menschen, die unsere Mannschaft in Berlin empfangen haben. Der Fußball lebt von Emotionen. Der WM-Gewinn hilft uns indirekt sicher bei der Arbeit der Stiftungen oder der Vergabe unserer Preise für Integration und gegen Diskriminierung weiter. Ich war diese Woche beim Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin. Auch dort wurde mir wieder bewusst: Der Fußball findet nicht im luftleeren Raum statt. Integration ist ein starkes Thema für den Fußball. Das Spiel an und für sich wirkt integrativ, ein Doppelpass ist ein gelungenes Zusammenspiel. Menschen in einer Gemeinschaft haben Rechte und Pflichten, vor allem bringt jeder sein Können mit. Mir ist die Diskussion manchmal zu sehr an Defiziten orientiert. Wenn wir im Kerngeschäft erfolgreich sind, löst das Wellenbewegungen aus. Wir werden wieder vermehrt Menschen auf soziale Themen ansprechen können.

DFB.de: Wie gefällt Ihnen die DFB-Kampagne "Unsere Amateure - echte Profis"?

Gehlenborg: Dem DFB ist es hier gelungen, auf eine, wie ich finde, frische und moderne Weise auszudrücken, wie viel der kleine Fußballverein leistet. Das Motiv zur kulturellen Integration wurde bereits ausgezeichnet. Ohnehin arbeiten wir hier etwa bei der Umsetzung des Masterplans sehr zielstrebig. Ich finde, wir können sehr zufrieden sein.

DFB.de: Wird der Amateurfußball unterschätzt? Und werden etwa die Leistungen des Fußballs für die Gesundheit oder den Zusammenhalt zu selten gewürdigt?

Gehlenborg: Es wäre billig, hier zuzustimmen. Wissen Sie, bei einem Haus lobt selten jemand das Fundament, alle freuen sich über die schöne Terrasse oder den Neuanstrich der Fassade. Ehrenamtliche Arbeit als Fundament wird eben als selbstverständlich angenommen. Dabei ist sie es natürlich nicht. Schüler, selbst die kleinsten, sind geografisch ganz anders orientiert, wenn sie erst mal im Verein Fußball spielen. Fußball stiftet Identifikation. Das ist mein Ort - dieses Bewusstsein haben junge Fußballerinnen und Fußballer. Dabei geht es auch um gemeinschaftliche Werte. Wenn Gesundheit angesprochen wird, denke ich an den Fußball für Ältere, den wir noch stärker fördern sollten. Man muss sich nur für einen Moment vorstellen, es gäbe in diesem Land die 26.000 Vereine nicht…

DFB.de: Kaum ein Kreisvorsitzender hat eine Zuwanderungsgeschichte, und auch in den Landesverbänden findet man nicht viele, sagen wir, türkischstämmige Mitarbeiter. Gibt es Nachholbedarf?

Gehlenborg: Mit Sicherheit - umso mehr, da Fußball tatsächlich quer durch alle Kulturen die beliebteste Sportart ist. Auf dem Platz haben wir im Fußballverein einen höheren Migrationsanteil als etwa in Spartenvereinen. Gerade als Jugendtrainer brauchen wir auch Ehrenamtler aus den Herkunftsländern der Migranten. Das gehört dazu, wenn man im Verein Vertrauen aufbauen will. Aber in diesem Bereich bewegt sich viel.

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DFB.de: Die diesjährige Verleihung des Julius Hirsch Preises an die Münchner Ultras hat auch Kritik ausgelöst. Wie ist Ihre Position?

Gehlenborg: Die "Schickeria" hat den Preis verdient, sie haben im Stadion des FC Bayern München bewegend an den ehemaligen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer erinnert. Dabei darf aber die sehr problematische Haltung der "Schickeria" zur Gewaltfrage natürlich nicht ausgeblendet werden. Es passt nicht, man kann doch nicht an die verheerende Gewalt der Vergangenheit erinnern und gleichzeitig sich im Stadion nicht eindeutig von Gewalt distanzieren. Das haben Wolfgang Niersbach, Karl-Heinz Rummenigge und Marcel Reif bei der Preisverleihung auch klar gesagt. Uns bleibt die Hoffnung, dass der Preis bei der Schickeria ein neues Nachdenken auslöst.

DFB.de: Vor zwei Wochen waren Sie Ehrengast der Premiere eines Kurzspielfilms über einen homosexuellen Juniorenspieler. "Zwei Gesichter" wurde in Köln im Deutschen Sport- und Olympiamuseum gezeigt. Warum muss der Fußball auch hier Zeichen setzen?

Gehlenborg: Dieser Film sowie der Abend bei der Premiere mit der anschließenden Diskussion haben bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, hinten mussten die Leute noch stehen. Ich muss sagen, in dieser Dichte wurde ich erstmals mit dem Thema Homophobie im Fußballsport konfrontiert. Basis für alle Überlegungen ist ganz allgemein Artikel 1 unseres Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Wichtig ist deshalb, dass der Fußball und seine Verbände und Institutionen niemanden ausgrenzen, schon gar nicht aufgrund seiner oder ihrer sexuellen Neigung. Die Spieler und Spielerinnen müssen wissen, sie können sich outen - müssen dies aber nicht.

DFB.de: Immer noch kommen immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland. Was bedeutet das für den Fußball?

Gehlenborg: Im Jahr 2013 kamen rund 465.000 Zuwanderer nach Deutschland, das ist also etwas weniger als die Größe von Hannover. Wir müssen ihnen die Türen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben öffnen. Dieses kann der Volkssport Fußball über seine breite Organisationsstruktur in die Fläche bis in den kleinsten Ort - wie sich immer wieder erweist - in sehr effektiver Weise. Menschen die sich auf- und angenommen fühlen, die also spüren: "Ich werde gebraucht", sind doch in der Regel für jede Gemeinschaft ein Gewinn. Aber der Fußball ist auf Unterstützung angewiesen - durch die Politik, die Gesellschaft, auch durch die Wirtschaft. Letztlich spitzt sich vieles darauf zu, dass wir den ehrenamtlichen Einsatz in den Vereinen weiter fördern.

DFB.de: Vor fast genau einem Jahr sind Sie ins DFB-Präsidium aufgerückt. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie seitdem anstoßen konnten?

Gehlenborg: Man kann mein Fazit auf die knappe Formel bringen: vom Begleiter und Betreuer zum aktiven Mitspieler in der ersten DFB-Mannschaft. War es vorher ein positiv gestimmtes, temporäres Mitgehen, nämlich in meiner Zeit im DFB-Vorstand seit 2009, so verlangt das mir vom DFB-Bundestag übertragene Ressort jetzt zeitlich und inhaltlich meinen vollen Einsatz. Das empfinde ich aber nicht als Belastung, sondern als Glücksfall, weil einem gerade der Fußball in Deutschland herausragende Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Diese wahrzunehmen, im Einklang mit einem hochprofessionellem DFB-Hauptamt, getragen von gegenseitigem Respekt und vor allem Vertrauen, ist eine sehr positive Erfahrung, die bei mir immer wieder ganz viel Energie freisetzt. Insofern bin ich dankbar, dass ich in dieser Funktion für eine durch Wahl begrenzte Zeit mitwirken kann - und hoffe, dass es dann auch im Endfazit eine erfolgreiche Zeit werden möge.