"Ein Spiegelbild der gesamten Gesellschaft"

Ein Straßencafé gegenüber der Frankfurter Alten Oper. Isak "Jackie" Schwarzbart trägt das Hemd aufgeknöpft, der April kommt schließlich auch sommerlich daher. Fit schaut er aus, ein paar Kilogramm, mehr wird er nicht zugelegt haben seit jenen Tagen, als er im Mittelfeld von Makkabi Frankfurt die Fäden zog. Der heute 69-jährige Schwarzbart wechselte 1965 von Eintracht Frankfurt zu Makkabi. Keine 18 Jahre alt, wurde er erster Kapitän des neu gegründeten jüdischen Vereins. Später Trainer, noch später Präsident. Zwei Jahre lang trainierte er eine Auswahl der besten jüdischen Fußballer Deutschlands. Schwarzbarts Eltern waren polnische Juden waren, die das KZ überlebten. Er hat nach anfänglichen Zweifeln dem Gespräch zugestimmt und redet - auch anlässlich des 125. Geburtstages von Julius Hirsch an diesem Freitag - mit DFB.de über jüdischen Fußball in Deutschland.

DFB.de: Herr Schwarzbart, als Jakob Perlmutter Sie 1965 für Makkabi Frankfurt gewinnen wollte, spielten Sie für die Junioren von Eintracht Frankfurt, immerhin damals schon ein Bundesligaklub. Was bewog Sie dennoch, zu Makkabi zu wechseln?

Isak Schwarzbart: Na ja, gut. Es hatte halt schon etwas Einmaliges, dass man wieder einen jüdischen Verein in Frankfurt gründete. Da wollte ich mich nicht verschließen, sondern mit Freude dabei sein. Zumal ich ja auch "nur" für die A-Junioren der Eintracht spielte. Ivica Horvat war damals Trainer der Bundesligamannschaft, Horst Trimhold und Istvan Sztani regelten das Mittelfeld der Eintracht. Aber bei Makkabi hatten wir auch auf Anhieb eine starke Mannschaft. Die Jahrgänge 1947 bis 1949 waren einfach sehr leistungsstark. Und so wurde dieser Verein dann gegründet, der anfänglich übrigens nicht Makkabi heißen durfte.

DFB.de: Sondern?

Schwarzbart: TuS Blau-Weiß Dachsberg. So waren die vereinsrechtlichen Bestimmungen damals. Hier in Hessen durfte kein Verein so bezeichnet sein, dass es auf eine konfessionelle oder politische Herkunft hinwies.

DFB.de: Aus heutiger Sicht wirkt das sehr verordnend.

Schwarzbart: Für mich ist das heute auch nicht mehr nachvollziehbar, aber es war halt so.

DFB.de: Erinnern Sie sich an Ihr erstes Spiel für Makkabi?

Schwarzbart: Hans Schwerdhöfer, der später auch beim FSV Frankfurt auf der Bank saß, trainierte uns. Wir waren noch nicht für den Spielbetrieb zugelassen. Unser erstes Spiel war dann ein Vergleichswettkampf mit Makkabi München. Das war eine Welle, überall in den großen Städten gründeten sich Makkabi-Sportvereinigungen, bald auch so etwas wie eine Nationalmannschaft. Die Korsettstangen der Makkabi-Bewegung anfangs aber waren Frankfurt und München. Unser erstes Spiel fand also gegen München am Riederwald statt, wir gewannen 7:3, die halbe jüdische Gemeinschaft Frankfurts schaute zu. Ich spielte im Mittelfeld. Damals hieß das noch Halbstürmer. (lacht)

DFB.de: Und Sie wurden mit nicht mal 18 Jahren erster Kapitän von Makkabi Frankfurt.

Schwarzbart: Wir waren alle so jung. Zu Beginn war es tatsächlich eine rein jüdische Mannschaft, aber schon nach zwei Jahren war es nicht mehr so. Freunde stießen dazu, wir schauten nach dem Tabellenplatz, und wenn wir einen guten Fußballer holen konnten, war uns seine religiöse Zugehörigkeit egal. Bald lag die Mischung von Juden und anderen Religionen so bei fifty-fifty.

DFB.de: 20 Jahre nach der Shoa und nach Kriegsende hatte die Gründung eines jüdischen Vereins auch eine politische Bedeutung. War Ihnen die bewusst?

Schwarzbart: Als junger Fußballer habe ich jedenfalls nicht darüber nachgedacht. Mein Vater kam zu allen Spielen, und bei ihm war es bestimmt eine Mischung aus Stolz und einer Unsicherheit, ob es überhaupt richtig ist, hier in Deutschland wieder Fußball zu spielen. Ich habe mich mit ihm darüber, vielleicht auch leider, nie unterhalten. Dass Juden sich wieder auf dem Sportplatz zeigen, darauf waren die Älteren stolz, das glaube ich schon.

DFB.de: Makkabi bekam recht schnell den Stempel "Millionärsklub" aufgedrückt. Zeigte sich damals ein durchaus noch vorhandener Antisemitismus?

Schwarzbart: Ich kann mich noch an den Zeitungsartikel erinnern. Das war vielleicht gar nicht böse gewollt. In der Frankfurter Bild-Zeitung stand so ungefähr: "Da am Dachsberg, da ist ein Verein, da klimpern nicht die Münzen in der Eintrittsdose, da rascheln die Scheine." Man muss das richtig einordnen. Die Herrschaften, die den Verein gegründet hatten, waren sicher nicht unvermögende Menschen. Der Artikel hat aus meiner Sicht nicht den Antisemitismus befeuert. Als Spieler hatte man damit hin und wieder auf dem Platz schon so sein Thema.

DFB.de: Wie sind Sie mit antisemitischen Anfeindungen als junger Spieler umgegangen?

Schwarzbart: Wir hatten einige in der Mannschaft, die sich so etwas nicht zweimal sagen ließen. Das wurde schnell handgreiflich. Aber das waren eher Ausnahmen. Nach zwei Amtszeiten als Präsident von Makkabi Frankfurt habe ich später noch mal zehn Jahre lang eine Jugend trainiert, von sieben bis 17 Jahre. Und da gab es einige Begegnungen, die wirklich nicht schön waren. Diese antisemitischen Anfeindungen kamen sowohl von deutschen Gegenspielern als auch von Jugendlichen aus muslimischen Familien, oft aus Nordafrika. Aber so im Funktionärsbereich, da waren es dann schon eher ganz normale Deutsche, so Menschen wie Sie oder ich.

DFB.de: Untersuchungen zufolge stimmt jeder Fünfte der Aussage "Juden haben zu viel Einfluss" zu, und weit mehr als die Hälfte bejaht die Aussage: "Ich bin es leid, immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören."

Schwarzbart: Aber so ist das. Das ist die Realität. Man muss das für sich einfach mal begreifen. Wenn bei gewissen Aussagen nur die AfD-Wähler zustimmen, dann wäre man bei zehn oder zwölf Prozent. Aber wir sind bei 25 Prozent. Wenn es reicht.

DFB.de: Konnten Sie denn miterleben, dass der Fußball zu einer Normalisierung beitrug, dass Begegnungen möglich und auf beiden Seiten Vorurteile abgebaut wurden?

Schwarzbart: Dass Fußball zu einem integrativen Prozess mit allen Teilen der Gesellschaft beitragen kann, das würde ich nicht mit Ja beantworten. Wir im Verein, in den Mannschaften, wir sind sehr heterogen, kulturell, auch was das Finanzielle angeht. Dort entstehen Freundschaften. Aber dass man über den Fußball Menschen erreicht und verändert, die etwa gegenüber Juden Vorurteile haben - nein, das glaube ich eher nicht. Im Verein funktioniert das schon. Makkabi jedenfalls ist heute ein Spiegelbild der gesamten Gesellschaft.

Makkabi Frankfurt feierte 2015 seinen 50. Geburtstag. Seitdem fährt eine Straßenbahnlinie mit dem Vereinswappen durch die Stadt. Mit 1300 Mitgliedern und 900 Kindern und Junioren stellt der Verein eine der größten Jugendabteilungen Frankfurts. Makkabis heutiger Präsident Alon Meyer war 2015 verantwortlicher Organisator der Maccabi Games in Berlin, die vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck eröffnet wurden. Makkabi Frankfurt ist heute der größte und aktivste Makkakbi-Verein Deutschlands. Ein noch nicht behobenes Manko ist das fehlende Vereinsgelände, nachdem die vorhandenen Plätze am Dachsberg dem Bau eines Autobahnzubringers weichen mussten.

[th]

Ein Straßencafé gegenüber der Frankfurter Alten Oper. Isak "Jackie" Schwarzbart trägt das Hemd aufgeknöpft, der April kommt schließlich auch sommerlich daher. Fit schaut er aus, ein paar Kilogramm, mehr wird er nicht zugelegt haben seit jenen Tagen, als er im Mittelfeld von Makkabi Frankfurt die Fäden zog. Der heute 69-jährige Schwarzbart wechselte 1965 von Eintracht Frankfurt zu Makkabi. Keine 18 Jahre alt, wurde er erster Kapitän des neu gegründeten jüdischen Vereins. Später Trainer, noch später Präsident. Zwei Jahre lang trainierte er eine Auswahl der besten jüdischen Fußballer Deutschlands. Schwarzbarts Eltern waren polnische Juden waren, die das KZ überlebten. Er hat nach anfänglichen Zweifeln dem Gespräch zugestimmt und redet - auch anlässlich des 125. Geburtstages von Julius Hirsch an diesem Freitag - mit DFB.de über jüdischen Fußball in Deutschland.

DFB.de: Herr Schwarzbart, als Jakob Perlmutter Sie 1965 für Makkabi Frankfurt gewinnen wollte, spielten Sie für die Junioren von Eintracht Frankfurt, immerhin damals schon ein Bundesligaklub. Was bewog Sie dennoch, zu Makkabi zu wechseln?

Isak Schwarzbart: Na ja, gut. Es hatte halt schon etwas Einmaliges, dass man wieder einen jüdischen Verein in Frankfurt gründete. Da wollte ich mich nicht verschließen, sondern mit Freude dabei sein. Zumal ich ja auch "nur" für die A-Junioren der Eintracht spielte. Ivica Horvat war damals Trainer der Bundesligamannschaft, Horst Trimhold und Istvan Sztani regelten das Mittelfeld der Eintracht. Aber bei Makkabi hatten wir auch auf Anhieb eine starke Mannschaft. Die Jahrgänge 1947 bis 1949 waren einfach sehr leistungsstark. Und so wurde dieser Verein dann gegründet, der anfänglich übrigens nicht Makkabi heißen durfte.

DFB.de: Sondern?

Schwarzbart: TuS Blau-Weiß Dachsberg. So waren die vereinsrechtlichen Bestimmungen damals. Hier in Hessen durfte kein Verein so bezeichnet sein, dass es auf eine konfessionelle oder politische Herkunft hinwies.

DFB.de: Aus heutiger Sicht wirkt das sehr verordnend.

Schwarzbart: Für mich ist das heute auch nicht mehr nachvollziehbar, aber es war halt so.

DFB.de: Erinnern Sie sich an Ihr erstes Spiel für Makkabi?

Schwarzbart: Hans Schwerdhöfer, der später auch beim FSV Frankfurt auf der Bank saß, trainierte uns. Wir waren noch nicht für den Spielbetrieb zugelassen. Unser erstes Spiel war dann ein Vergleichswettkampf mit Makkabi München. Das war eine Welle, überall in den großen Städten gründeten sich Makkabi-Sportvereinigungen, bald auch so etwas wie eine Nationalmannschaft. Die Korsettstangen der Makkabi-Bewegung anfangs aber waren Frankfurt und München. Unser erstes Spiel fand also gegen München am Riederwald statt, wir gewannen 7:3, die halbe jüdische Gemeinschaft Frankfurts schaute zu. Ich spielte im Mittelfeld. Damals hieß das noch Halbstürmer. (lacht)

DFB.de: Und Sie wurden mit nicht mal 18 Jahren erster Kapitän von Makkabi Frankfurt.

Schwarzbart: Wir waren alle so jung. Zu Beginn war es tatsächlich eine rein jüdische Mannschaft, aber schon nach zwei Jahren war es nicht mehr so. Freunde stießen dazu, wir schauten nach dem Tabellenplatz, und wenn wir einen guten Fußballer holen konnten, war uns seine religiöse Zugehörigkeit egal. Bald lag die Mischung von Juden und anderen Religionen so bei fifty-fifty.

DFB.de: 20 Jahre nach der Shoa und nach Kriegsende hatte die Gründung eines jüdischen Vereins auch eine politische Bedeutung. War Ihnen die bewusst?

Schwarzbart: Als junger Fußballer habe ich jedenfalls nicht darüber nachgedacht. Mein Vater kam zu allen Spielen, und bei ihm war es bestimmt eine Mischung aus Stolz und einer Unsicherheit, ob es überhaupt richtig ist, hier in Deutschland wieder Fußball zu spielen. Ich habe mich mit ihm darüber, vielleicht auch leider, nie unterhalten. Dass Juden sich wieder auf dem Sportplatz zeigen, darauf waren die Älteren stolz, das glaube ich schon.

###more###

DFB.de: Makkabi bekam recht schnell den Stempel "Millionärsklub" aufgedrückt. Zeigte sich damals ein durchaus noch vorhandener Antisemitismus?

Schwarzbart: Ich kann mich noch an den Zeitungsartikel erinnern. Das war vielleicht gar nicht böse gewollt. In der Frankfurter Bild-Zeitung stand so ungefähr: "Da am Dachsberg, da ist ein Verein, da klimpern nicht die Münzen in der Eintrittsdose, da rascheln die Scheine." Man muss das richtig einordnen. Die Herrschaften, die den Verein gegründet hatten, waren sicher nicht unvermögende Menschen. Der Artikel hat aus meiner Sicht nicht den Antisemitismus befeuert. Als Spieler hatte man damit hin und wieder auf dem Platz schon so sein Thema.

DFB.de: Wie sind Sie mit antisemitischen Anfeindungen als junger Spieler umgegangen?

Schwarzbart: Wir hatten einige in der Mannschaft, die sich so etwas nicht zweimal sagen ließen. Das wurde schnell handgreiflich. Aber das waren eher Ausnahmen. Nach zwei Amtszeiten als Präsident von Makkabi Frankfurt habe ich später noch mal zehn Jahre lang eine Jugend trainiert, von sieben bis 17 Jahre. Und da gab es einige Begegnungen, die wirklich nicht schön waren. Diese antisemitischen Anfeindungen kamen sowohl von deutschen Gegenspielern als auch von Jugendlichen aus muslimischen Familien, oft aus Nordafrika. Aber so im Funktionärsbereich, da waren es dann schon eher ganz normale Deutsche, so Menschen wie Sie oder ich.

DFB.de: Untersuchungen zufolge stimmt jeder Fünfte der Aussage "Juden haben zu viel Einfluss" zu, und weit mehr als die Hälfte bejaht die Aussage: "Ich bin es leid, immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören."

Schwarzbart: Aber so ist das. Das ist die Realität. Man muss das für sich einfach mal begreifen. Wenn bei gewissen Aussagen nur die AfD-Wähler zustimmen, dann wäre man bei zehn oder zwölf Prozent. Aber wir sind bei 25 Prozent. Wenn es reicht.

DFB.de: Konnten Sie denn miterleben, dass der Fußball zu einer Normalisierung beitrug, dass Begegnungen möglich und auf beiden Seiten Vorurteile abgebaut wurden?

Schwarzbart: Dass Fußball zu einem integrativen Prozess mit allen Teilen der Gesellschaft beitragen kann, das würde ich nicht mit Ja beantworten. Wir im Verein, in den Mannschaften, wir sind sehr heterogen, kulturell, auch was das Finanzielle angeht. Dort entstehen Freundschaften. Aber dass man über den Fußball Menschen erreicht und verändert, die etwa gegenüber Juden Vorurteile haben - nein, das glaube ich eher nicht. Im Verein funktioniert das schon. Makkabi jedenfalls ist heute ein Spiegelbild der gesamten Gesellschaft.

Makkabi Frankfurt feierte 2015 seinen 50. Geburtstag. Seitdem fährt eine Straßenbahnlinie mit dem Vereinswappen durch die Stadt. Mit 1300 Mitgliedern und 900 Kindern und Junioren stellt der Verein eine der größten Jugendabteilungen Frankfurts. Makkabis heutiger Präsident Alon Meyer war 2015 verantwortlicher Organisator der Maccabi Games in Berlin, die vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck eröffnet wurden. Makkabi Frankfurt ist heute der größte und aktivste Makkakbi-Verein Deutschlands. Ein noch nicht behobenes Manko ist das fehlende Vereinsgelände, nachdem die vorhandenen Plätze am Dachsberg dem Bau eines Autobahnzubringers weichen mussten.

###more###