Bierhoff über die Attacke auf Boateng: "Ein unglaublicher Mist"

Am Freitag wird im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund der 10. DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreis verliehen. Schirmherr der Veranstalung ist Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff. Vor der Preisvergabe spricht der inzwischen 48 Jahre alte Europameister von 1996 im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth über die Bedeutung des Integrationspreises, seine Rolle als Schirmherr, das Thema Integration und Vielfalt in Deutschland sowie die Rolle der deutschen Nationalmannschaft dabei.

DFB.de: Oliver Bierhoff, haben Sie sich schon häufig über den Integrationspreis geärgert?

Oliver Bierhoff: Geärgert? Eigentlich nie. Im Gegenteil, es ist immer wieder eine Freude, die Preisverleihung zu erleben. Der Idealismus und die Begeisterung der Preisträger, welche Hindernisse überwunden werden, das mitzubekommen, ist immer aufs Neue ein Erlebnis. Und so wird es auch diesmal bei der zehnten Verleihung sein.

DFB.de: Die Frage nach dem Ärger rührt daher, dass Sie häufig Nationalspieler am Abend vor Länderspielen gebeten haben, die Verleihung zu besuchen. Nicht immer wird der Bundestrainer begeistert gewesen sein.

Bierhoff: Na ja, wir wollten den Gewinnern des Integrationspreises häufig das Umfeld eines Länderspiels bieten, und dabei auch ein persönliches Kennenlernen mit einigen Spielern ermöglichen. Ilkay Gündogan und Jerome Boateng etwa setzen sich bekanntlich intensiv mit Integration auseinander, gerade auch mit Ideen, wie der Fußball einen Beitrag leisten kann. Jerome wurde ja für seinen Mitternachtsfußball in Berlin auch schon ausgezeichnet, Ilkay trat in einem Spot der Bundesliga auf. Die beiden musste ich also gar nicht überzeugen, die waren immer sehr gerne Talkgäste bei der Preisverleihung.

DFB.de: 2007 ging es los. Wie zufrieden sind Sie als Schirmherr mit Ihrem nun zehn Jahre alten Preis?

Bierhoff: Nachhaltigkeit spielt eine wichtige Rolle. Wir als DFB müssen uns davor hüten, dauernd neue Kurzprojekte zu starten. Wir überdenken neue Projekte bis ins Detail und halten es dann auch durch - jedenfalls meistens. (lacht) Mich freut die breite öffentliche Akzeptanz des DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreises, die unvermindert große Zahl der Bewerbungen, aber auch die Tatsache, dass der Preis jährlich mit rund 200.000 Euro dotiert ist. Mit Mercedes an unserer Seite ist es uns gelungen, eine große Glaubwürdigkeit zu erzielen.

DFB.de: Was war und ist die Zielsetzung?

Bierhoff: Man muss doch nur mal in die Kreisliga gehen, dort sieht man, was der Fußball bewegt. Der DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreis zeichnet die Ehrenamtler aus dem Amateurfußball aus, die hier einen tollen Job machen. Ich denke, man spürt unsere Ernsthaftigkeit. Der Jury gehören seit 2007 der DFB-Präsident an, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, hochrangige Mercedes-Vertreter und seit diesem Jahr auch Cacau, der neue DFB-Integrationsbeauftragte. Der Juryentscheid verflacht nie auf ein einfaches Abhaken, die Tiefe der Diskussion beeindruckt mich bis heute. Bei den Verleihungen habe ich häufig erlebt, dass es den Preisträgern in erster Linie gar nicht um die materiellen Dinge ging. Es geht um eine Anerkennung, durch den DFB und gerade auch durch die Nationalmannschaft, für eine unglaublich wichtiges Engagement an der Basis. Beim Integrationspreis geht es darum, die Gemeinsamkeit unter uns Fußballern zu stärken - egal, woher wir kommen oder welche Hautfarbe wir haben.

DFB.de: Das Gegenteil von Integration ist Spaltung. Wie haben Sie den verbalen Angriff eines AfD-Politikers auf Jerome Boateng direkt vor der Europameisterschaft 2016 erlebt?

Bierhoff: Ich fand diesen Angriff so billig und so offensichtlich, dass wir uns ganz bewusst entschlossen haben, darauf nicht zu reagieren. Mir machen manchmal stillere Ressentiments mehr Sorgen, denn auch die begegnen uns. Ich meine, durch die Veröffentlichung des kurzen Mannschaftsvideos "Wir sind Vielfalt" haben wir deutlich gemacht, welche Werte uns wichtig sind.

DFB.de: Die Aussage des AfD-Politikers implizierte, dass Menschen in Deutschland ihre Nachbarn nach der Hautfarbe aussuchen.

Bierhoff: Ein unglaublicher Mist, unser Land und die Menschen, die hier leben, sind gottseidank längst unendlich viel weiter. Deutschland ist ein weltoffenes und tolerantes Land. Diese Beurteilung unseres Landes höre ich immer wieder, ich bin ja auch viel im Ausland. Wir bemühen uns seit vielen Jahrzehnten, neu hier ankommende Menschen zu integrieren, angefangen bei den Gastarbeitern in den 60er-Jahren. Natürlich punkten gerade die Populisten. Die sprechen Ängste bei Menschen an. Klar ist auch: Wer zu uns kommt, muss sich anpassen, muss unsere Werte und Gesetze kennen und respektieren. Einige Kernwerte sind nicht verhandelbar, die gelten für uns alle. Gerade für eine klare, weltoffene Auseinandersetzung mit Integration in Deutschland kann der Fußball ungeheuer viel beitragen.

DFB.de: Zum Länderspiel in Augsburg unmittelbar vor dem Turnier bekundeten viele Fans mit Bannern ihre Position. "Jerome, lass mich Dein Nachbar sein", stand da etwa zu lesen.

Bierhoff: Wir leben Integration. Unsere Spieler sind Deutsche, sie bekennen sich zu 100 Prozent zu diesem Land, sie sprechen Deutsch, sie tragen das Trikot. Wenn sie angegriffen werden, tut man dann als junger Spieler erstmal so, als ob es einem die Attacke egal ist. Aber es trifft es einen halt doch. Damals meine ich schon gespürt zu haben, dass Jerome genervt und betroffen war. Der starke Rückhalt der Fans hat ihm gutgetan.

DFB.de: 2015 haben Sie auf den Bus Die Mannschaft schreiben lassen. In einer aktuellen Umfrage sagen 59 Prozent, dass sie den Titel Die Mannschaft gut finden. Nur 25 Prozent finden es nicht gut. Verspätete Bestätigung für eine gute Idee?

Bierhoff: Wir wollten eine Marke bilden und die Stärke unserer Gemeinschaft noch mehr zum Ausdruck bringen. Es ist ja nicht die erste Maßnahme, die anfangs auf Vorbehalte stieß. Im Fußball ist es besonders schwer, eine neue Idee zu etablieren, weil die Tradition eine große Rolle spielt. Ich weiß noch, wie viel Prügel Jürgen Klinsmann für die Spezialisierung im Betreuerstab einstecken musste. Pep Guardiola wurde dann dafür gelobt, wie viele Spezialisten er mit zu den Bayern bringt. Für mich ist es wichtig, dass wir ehrlich sind, dass wir authentisch bleiben - egal, ob im Marketing oder in der Kommunikation.

DFB.de: Die Kritiker warfen Ihnen vor, sie hätten die "Nation" gestrichen.

Bierhoff: Ein Vorwurf, der mich ärgert. Ich habe nicht unsere Identität gestrichen. Unser Logo ist doch geblieben, der Deutschland-Adler ist geblieben. Viel wichtiger ist doch, was die Spieler und die Sportliche Leitung jeden Moment zeigen und ausstrahlen. Wir repräsentieren Deutschland weltweit. Und wenn ich das mal sagen darf: Das macht die Mannschaft überragend.

DFB.de: Integration und Vision, hängt das gerade in einem Wirtschafts- und Wissensland mitten in Europa eng zusammen?

Bierhoff: Wir bauen mit der geplanten DFB-Akademie ein absolutes Zukunftsprojekt, für den Verband, für den Fußball in Deutschland. Wir müssen als Verband vielen unterschiedlichen Pflichten nachkommen. Und wir können ungeheuer viele Menschen erreichen. Klar ist, dass wir uns nur an der Spitze des Weltfußballs behaupten werden, wenn es an der Basis stimmt. Und dazu gehört für den Fußball, wie auch in der Wirtschaft und anderen Feldern der Gesellschaft, dass Integration funktioniert. Reinhard Grindel hat mal gesagt, dass der demografische Wandel an jede Vereinstür klopft. Und er hat recht. Wir werden als Gesellschaft weiterhin ein wenig älter, gerade in den Ballungsgebieten werden wir kulturell vielfältiger. Wir müssen das Miteinander im Verband und in allen unseren Mannschaften, auch bei den Frauen und Junioren, tagtäglich leben. Das ist die stärkste Message.

DFB.de: Haben Sie in den zehn Jahren eine einzige Preisverleihung verpasst?

Bierhoff: Nein. Und meine makellose Bilanz will ich halten.

[th]

Am Freitag wird im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund der 10. DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreis verliehen. Schirmherr der Veranstalung ist Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff. Vor der Preisvergabe spricht der inzwischen 48 Jahre alte Europameister von 1996 im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth über die Bedeutung des Integrationspreises, seine Rolle als Schirmherr, das Thema Integration und Vielfalt in Deutschland sowie die Rolle der deutschen Nationalmannschaft dabei.

DFB.de: Oliver Bierhoff, haben Sie sich schon häufig über den Integrationspreis geärgert?

Oliver Bierhoff: Geärgert? Eigentlich nie. Im Gegenteil, es ist immer wieder eine Freude, die Preisverleihung zu erleben. Der Idealismus und die Begeisterung der Preisträger, welche Hindernisse überwunden werden, das mitzubekommen, ist immer aufs Neue ein Erlebnis. Und so wird es auch diesmal bei der zehnten Verleihung sein.

DFB.de: Die Frage nach dem Ärger rührt daher, dass Sie häufig Nationalspieler am Abend vor Länderspielen gebeten haben, die Verleihung zu besuchen. Nicht immer wird der Bundestrainer begeistert gewesen sein.

Bierhoff: Na ja, wir wollten den Gewinnern des Integrationspreises häufig das Umfeld eines Länderspiels bieten, und dabei auch ein persönliches Kennenlernen mit einigen Spielern ermöglichen. Ilkay Gündogan und Jerome Boateng etwa setzen sich bekanntlich intensiv mit Integration auseinander, gerade auch mit Ideen, wie der Fußball einen Beitrag leisten kann. Jerome wurde ja für seinen Mitternachtsfußball in Berlin auch schon ausgezeichnet, Ilkay trat in einem Spot der Bundesliga auf. Die beiden musste ich also gar nicht überzeugen, die waren immer sehr gerne Talkgäste bei der Preisverleihung.

DFB.de: 2007 ging es los. Wie zufrieden sind Sie als Schirmherr mit Ihrem nun zehn Jahre alten Preis?

Bierhoff: Nachhaltigkeit spielt eine wichtige Rolle. Wir als DFB müssen uns davor hüten, dauernd neue Kurzprojekte zu starten. Wir überdenken neue Projekte bis ins Detail und halten es dann auch durch - jedenfalls meistens. (lacht) Mich freut die breite öffentliche Akzeptanz des DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreises, die unvermindert große Zahl der Bewerbungen, aber auch die Tatsache, dass der Preis jährlich mit rund 200.000 Euro dotiert ist. Mit Mercedes an unserer Seite ist es uns gelungen, eine große Glaubwürdigkeit zu erzielen.

DFB.de: Was war und ist die Zielsetzung?

Bierhoff: Man muss doch nur mal in die Kreisliga gehen, dort sieht man, was der Fußball bewegt. Der DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreis zeichnet die Ehrenamtler aus dem Amateurfußball aus, die hier einen tollen Job machen. Ich denke, man spürt unsere Ernsthaftigkeit. Der Jury gehören seit 2007 der DFB-Präsident an, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, hochrangige Mercedes-Vertreter und seit diesem Jahr auch Cacau, der neue DFB-Integrationsbeauftragte. Der Juryentscheid verflacht nie auf ein einfaches Abhaken, die Tiefe der Diskussion beeindruckt mich bis heute. Bei den Verleihungen habe ich häufig erlebt, dass es den Preisträgern in erster Linie gar nicht um die materiellen Dinge ging. Es geht um eine Anerkennung, durch den DFB und gerade auch durch die Nationalmannschaft, für eine unglaublich wichtiges Engagement an der Basis. Beim Integrationspreis geht es darum, die Gemeinsamkeit unter uns Fußballern zu stärken - egal, woher wir kommen oder welche Hautfarbe wir haben.

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DFB.de: Das Gegenteil von Integration ist Spaltung. Wie haben Sie den verbalen Angriff eines AfD-Politikers auf Jerome Boateng direkt vor der Europameisterschaft 2016 erlebt?

Bierhoff: Ich fand diesen Angriff so billig und so offensichtlich, dass wir uns ganz bewusst entschlossen haben, darauf nicht zu reagieren. Mir machen manchmal stillere Ressentiments mehr Sorgen, denn auch die begegnen uns. Ich meine, durch die Veröffentlichung des kurzen Mannschaftsvideos "Wir sind Vielfalt" haben wir deutlich gemacht, welche Werte uns wichtig sind.

DFB.de: Die Aussage des AfD-Politikers implizierte, dass Menschen in Deutschland ihre Nachbarn nach der Hautfarbe aussuchen.

Bierhoff: Ein unglaublicher Mist, unser Land und die Menschen, die hier leben, sind gottseidank längst unendlich viel weiter. Deutschland ist ein weltoffenes und tolerantes Land. Diese Beurteilung unseres Landes höre ich immer wieder, ich bin ja auch viel im Ausland. Wir bemühen uns seit vielen Jahrzehnten, neu hier ankommende Menschen zu integrieren, angefangen bei den Gastarbeitern in den 60er-Jahren. Natürlich punkten gerade die Populisten. Die sprechen Ängste bei Menschen an. Klar ist auch: Wer zu uns kommt, muss sich anpassen, muss unsere Werte und Gesetze kennen und respektieren. Einige Kernwerte sind nicht verhandelbar, die gelten für uns alle. Gerade für eine klare, weltoffene Auseinandersetzung mit Integration in Deutschland kann der Fußball ungeheuer viel beitragen.

DFB.de: Zum Länderspiel in Augsburg unmittelbar vor dem Turnier bekundeten viele Fans mit Bannern ihre Position. "Jerome, lass mich Dein Nachbar sein", stand da etwa zu lesen.

Bierhoff: Wir leben Integration. Unsere Spieler sind Deutsche, sie bekennen sich zu 100 Prozent zu diesem Land, sie sprechen Deutsch, sie tragen das Trikot. Wenn sie angegriffen werden, tut man dann als junger Spieler erstmal so, als ob es einem die Attacke egal ist. Aber es trifft es einen halt doch. Damals meine ich schon gespürt zu haben, dass Jerome genervt und betroffen war. Der starke Rückhalt der Fans hat ihm gutgetan.

DFB.de: 2015 haben Sie auf den Bus Die Mannschaft schreiben lassen. In einer aktuellen Umfrage sagen 59 Prozent, dass sie den Titel Die Mannschaft gut finden. Nur 25 Prozent finden es nicht gut. Verspätete Bestätigung für eine gute Idee?

Bierhoff: Wir wollten eine Marke bilden und die Stärke unserer Gemeinschaft noch mehr zum Ausdruck bringen. Es ist ja nicht die erste Maßnahme, die anfangs auf Vorbehalte stieß. Im Fußball ist es besonders schwer, eine neue Idee zu etablieren, weil die Tradition eine große Rolle spielt. Ich weiß noch, wie viel Prügel Jürgen Klinsmann für die Spezialisierung im Betreuerstab einstecken musste. Pep Guardiola wurde dann dafür gelobt, wie viele Spezialisten er mit zu den Bayern bringt. Für mich ist es wichtig, dass wir ehrlich sind, dass wir authentisch bleiben - egal, ob im Marketing oder in der Kommunikation.

DFB.de: Die Kritiker warfen Ihnen vor, sie hätten die "Nation" gestrichen.

Bierhoff: Ein Vorwurf, der mich ärgert. Ich habe nicht unsere Identität gestrichen. Unser Logo ist doch geblieben, der Deutschland-Adler ist geblieben. Viel wichtiger ist doch, was die Spieler und die Sportliche Leitung jeden Moment zeigen und ausstrahlen. Wir repräsentieren Deutschland weltweit. Und wenn ich das mal sagen darf: Das macht die Mannschaft überragend.

DFB.de: Integration und Vision, hängt das gerade in einem Wirtschafts- und Wissensland mitten in Europa eng zusammen?

Bierhoff: Wir bauen mit der geplanten DFB-Akademie ein absolutes Zukunftsprojekt, für den Verband, für den Fußball in Deutschland. Wir müssen als Verband vielen unterschiedlichen Pflichten nachkommen. Und wir können ungeheuer viele Menschen erreichen. Klar ist, dass wir uns nur an der Spitze des Weltfußballs behaupten werden, wenn es an der Basis stimmt. Und dazu gehört für den Fußball, wie auch in der Wirtschaft und anderen Feldern der Gesellschaft, dass Integration funktioniert. Reinhard Grindel hat mal gesagt, dass der demografische Wandel an jede Vereinstür klopft. Und er hat recht. Wir werden als Gesellschaft weiterhin ein wenig älter, gerade in den Ballungsgebieten werden wir kulturell vielfältiger. Wir müssen das Miteinander im Verband und in allen unseren Mannschaften, auch bei den Frauen und Junioren, tagtäglich leben. Das ist die stärkste Message.

DFB.de: Haben Sie in den zehn Jahren eine einzige Preisverleihung verpasst?

Bierhoff: Nein. Und meine makellose Bilanz will ich halten.

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