Video: Die Müllsammler von Chimalhuacán

30 Jahre Mexico-Hilfe: Rudi Völlers Spende brachte den Ball 1986 ins Rollen. Anlässlich des runden Geburtstages einer bemerkenswerten Hilfe besucht Reinhard Grindel mehrere Sozialprojekte in Mexiko. Nun war der DFB-Präsident bei den Müllsammlern von Chimalhuacán - und tief beeindruckt. DFB.de hat ihn begleitet.

Wenn sie lacht, hat sie dieses herzliche mexikanische Strahlen. Makellose weiße Zähne inmitten des braunen Gesichts. "Mystic Aquarium" liest man auf ihrem Collegesweater, sie trägt Jeans mit ein wenig Strassbesatz. Als wir in Chimalhuacán ankommen, sagt sie: "Das ist unser Arbeitsplatz." Adriana ist eine kleine, zierliche 38-jährige mexikanische Frau, und man fragt sich, wie sie tagtäglich in diesem brüllenden Fleischwolf überlebt.

Chimalhuacán heißt das Stadtviertel hier im Nordwesten des 22-Millionen-Einwohner-Molochs Mexiko-City, und hier liegt diese 300 Fußballfelder große Mülldeponie, auf der die Ärmsten unter der brennend heißen Maisonne im Dreck wühlen, voran stolpern auf einer dumpfen, freudlosen Suche nach Pappe, nach Weißblech, nach Metall, das sie dann für ein paar Pesos veräußern. Der Müll türmt sich, soweit das Auge reicht, riesige Vogelschwärme kreisen über Abfallhügeln und -tälern. Es stinkt tatsächlich nicht so sehr, wie man es befürchtet hatte, dafür brät einen die Sonne. Mai ist der heißeste Monat. Auch Kinder wühlen im Müll, viele Frauen. Wo sind die alten Männer?

Grindel: "Nur Qualifikation führt raus aus der Müllhalde"

"Wir fangen früh morgens an, um fünf Uhr, wenn es hell wird, und arbeiten manchmal bis zehn Uhr abends", erzählt die Mutter von vier Kindern. "Wenn keine Mülllaster einfahren, haben wir Pause, dann können wir uns ausruhen." Gemeinsam mit ihrem Mann bringe sie es auf 100 Pesos am Tag, umgerechnet fünf Euro, erzählt sie. Acht sei sie gewesen, als sie hier anfing. "Die Hoffnung der Menschen ist, dass ihre Kinder den Job nicht mehr machen müssen." Für Adrianas Ältesten hat sich die Hoffnung erfüllt. An einer durch die Mexico-Hilfe der Egidius-Braun-Stiftung finanzierten Vorschule lernte er Lesen und Schreiben, später schaffte er seinen Abschluss und konnte sich irgendwann ein Motorrad-Taxi kaufen. Er wohnt jetzt in der Stadt.

Reinhard Grindel besucht Adriana und die Müllsammler von Chimalhuacán. Der DFB-Präsident will sich selbst ein Bild machen. In drei Tagen werden er und eine 14-köpfige DFB-Delegation sich fünf Sozialprojekte der Mexico-Hilfe anschauen. Am Donnerstagabend beginnt in Mexiko-City der Ordentliche FIFA-Kongress, doch jetzt gehört seine Zeit der Mexico-Hilfe. Seit 1986 flossen 5,5 Millionen Euro, bis 2020 haben die Stiftung und das Kindermissionswerk je weitere 605.000 Euro budgetiert. Grindel sagt: "Der Schlüssel zu allem ist Bildung. Nur Qualifikation führt aus der Müllhalde raus." Wie etwa für Adrianas Sohn.

Jeder fünfte Mexikaner muss mit 1,25 Dollar pro Tag auskommen

In Chimalhuacán stecken die DFB-Stiftung Egidius Braun und das Kindermissionswerk Die Sternsinger die zur Verfügung stehenden Mittel in eine Vorschule. Rund 90 Kinder im Alter von sechs Monaten bis sechs Jahren lernen hier Lesen, Schreiben und bekommen mittags eine warme Mahlzeit. Die Schulleiterin Rosalinde Trejo sagt, dass es ohne die Zuwendung des deutschen Fußballs schlicht keine Vorschule für die Kinder von der Kippe gäbe.

Die Schule selbst ist spartanisch, sauber. Mehrere kleine Klassenräume, eine Bibliothek, ein Speiseraum, eine Dachterrasse, Wasser und Strom. Das ist schon viel in diesem Land, in dem laut Angaben der Weltbank jeder fünfte Einwohner den Tag mit weniger als 1,25 Dollar bestreiten muss. In dem man 1987 vier Stunden arbeiten musste für den Erwerb eines Warenkorbs. Heute sind es für den gleichen Warenkorb 23 Stunden.

Fallende Ölpreise, Korruption und Drogen, der Mord an 43 Studenten, das Fernbleiben der Touristen, die ungeheuren Schulden der Ölgesellschaft Pemex - manchmal scheint es, das Land würde an seinen Problemen ersticken. Wie die Menschen im Müll. Adriana erzählt, sie und ihr Mann kennen kein Verfallsdatum. Wenn Nahrung noch verschlossen ist, wird sie gegessen. Auf der Kippe gibt es kein Wasser, also müssen sie täglich Wasser kaufen. Früher hätten sie 200 Pesos pro Tag verdient, doch heute sortierten die Männer auf den Müllautos viele Wertstoffe schon in der Stadt aus.

"Man muss anpacken"

Am Ende des Besuchs in der Vorschule führen die mexikanischen Kinder einen ziemlich lustigen, ziemlich coolen Tanz vor. Sie sind stolz, so wichtige Gäste aus Deutschland in ihrer kleinen Schule zu haben. Der DFB-Präsident beantwortet die Fragen eines ARD-Teams: "Man darf nicht sagen, das Problem ist so groß, da haben wir doch keine Chance", so Grindel. "Man muss anpacken. Und das tun wir nun schon seit 30 Jahren. Wir wirken nachhaltig." Zuversicht kann ansteckend sein.

Egidius Braun hat mit Leidenschaft für die Mexico-Hilfe gefochten, die Familie von Hans-Peter Briegel, einer der Vizeweltmeister 1986 in Mexiko, cofinanziert die Essenskosten der Vorschule, Nationalteammanager Oliver Bierhoff und seine Familie beteiligen sich jetzt am Bau einer Berufsschule. So viele Nationalspieler aus dem WM-Kader 1986 haben gespendet. Und doch - als am Nachmittag die DFB-Delegation Chimalhuacán verlässt und Adriana immer kleiner wird im Rückspiegel, steht im Bus diese unausgesprochene Frage. Ist es genug?

[th]

30 Jahre Mexico-Hilfe: Rudi Völlers Spende brachte den Ball 1986 ins Rollen. Anlässlich des runden Geburtstages einer bemerkenswerten Hilfe besucht Reinhard Grindel mehrere Sozialprojekte in Mexiko. Nun war der DFB-Präsident bei den Müllsammlern von Chimalhuacán - und tief beeindruckt. DFB.de hat ihn begleitet.

Wenn sie lacht, hat sie dieses herzliche mexikanische Strahlen. Makellose weiße Zähne inmitten des braunen Gesichts. "Mystic Aquarium" liest man auf ihrem Collegesweater, sie trägt Jeans mit ein wenig Strassbesatz. Als wir in Chimalhuacán ankommen, sagt sie: "Das ist unser Arbeitsplatz." Adriana ist eine kleine, zierliche 38-jährige mexikanische Frau, und man fragt sich, wie sie tagtäglich in diesem brüllenden Fleischwolf überlebt.

Chimalhuacán heißt das Stadtviertel hier im Nordwesten des 22-Millionen-Einwohner-Molochs Mexiko-City, und hier liegt diese 300 Fußballfelder große Mülldeponie, auf der die Ärmsten unter der brennend heißen Maisonne im Dreck wühlen, voran stolpern auf einer dumpfen, freudlosen Suche nach Pappe, nach Weißblech, nach Metall, das sie dann für ein paar Pesos veräußern. Der Müll türmt sich, soweit das Auge reicht, riesige Vogelschwärme kreisen über Abfallhügeln und -tälern. Es stinkt tatsächlich nicht so sehr, wie man es befürchtet hatte, dafür brät einen die Sonne. Mai ist der heißeste Monat. Auch Kinder wühlen im Müll, viele Frauen. Wo sind die alten Männer?

Grindel: "Nur Qualifikation führt raus aus der Müllhalde"

"Wir fangen früh morgens an, um fünf Uhr, wenn es hell wird, und arbeiten manchmal bis zehn Uhr abends", erzählt die Mutter von vier Kindern. "Wenn keine Mülllaster einfahren, haben wir Pause, dann können wir uns ausruhen." Gemeinsam mit ihrem Mann bringe sie es auf 100 Pesos am Tag, umgerechnet fünf Euro, erzählt sie. Acht sei sie gewesen, als sie hier anfing. "Die Hoffnung der Menschen ist, dass ihre Kinder den Job nicht mehr machen müssen." Für Adrianas Ältesten hat sich die Hoffnung erfüllt. An einer durch die Mexico-Hilfe der Egidius-Braun-Stiftung finanzierten Vorschule lernte er Lesen und Schreiben, später schaffte er seinen Abschluss und konnte sich irgendwann ein Motorrad-Taxi kaufen. Er wohnt jetzt in der Stadt.

Reinhard Grindel besucht Adriana und die Müllsammler von Chimalhuacán. Der DFB-Präsident will sich selbst ein Bild machen. In drei Tagen werden er und eine 14-köpfige DFB-Delegation sich fünf Sozialprojekte der Mexico-Hilfe anschauen. Am Donnerstagabend beginnt in Mexiko-City der Ordentliche FIFA-Kongress, doch jetzt gehört seine Zeit der Mexico-Hilfe. Seit 1986 flossen 5,5 Millionen Euro, bis 2020 haben die Stiftung und das Kindermissionswerk je weitere 605.000 Euro budgetiert. Grindel sagt: "Der Schlüssel zu allem ist Bildung. Nur Qualifikation führt aus der Müllhalde raus." Wie etwa für Adrianas Sohn.

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Jeder fünfte Mexikaner muss mit 1,25 Dollar pro Tag auskommen

In Chimalhuacán stecken die DFB-Stiftung Egidius Braun und das Kindermissionswerk Die Sternsinger die zur Verfügung stehenden Mittel in eine Vorschule. Rund 90 Kinder im Alter von sechs Monaten bis sechs Jahren lernen hier Lesen, Schreiben und bekommen mittags eine warme Mahlzeit. Die Schulleiterin Rosalinde Trejo sagt, dass es ohne die Zuwendung des deutschen Fußballs schlicht keine Vorschule für die Kinder von der Kippe gäbe.

Die Schule selbst ist spartanisch, sauber. Mehrere kleine Klassenräume, eine Bibliothek, ein Speiseraum, eine Dachterrasse, Wasser und Strom. Das ist schon viel in diesem Land, in dem laut Angaben der Weltbank jeder fünfte Einwohner den Tag mit weniger als 1,25 Dollar bestreiten muss. In dem man 1987 vier Stunden arbeiten musste für den Erwerb eines Warenkorbs. Heute sind es für den gleichen Warenkorb 23 Stunden.

Fallende Ölpreise, Korruption und Drogen, der Mord an 43 Studenten, das Fernbleiben der Touristen, die ungeheuren Schulden der Ölgesellschaft Pemex - manchmal scheint es, das Land würde an seinen Problemen ersticken. Wie die Menschen im Müll. Adriana erzählt, sie und ihr Mann kennen kein Verfallsdatum. Wenn Nahrung noch verschlossen ist, wird sie gegessen. Auf der Kippe gibt es kein Wasser, also müssen sie täglich Wasser kaufen. Früher hätten sie 200 Pesos pro Tag verdient, doch heute sortierten die Männer auf den Müllautos viele Wertstoffe schon in der Stadt aus.

"Man muss anpacken"

Am Ende des Besuchs in der Vorschule führen die mexikanischen Kinder einen ziemlich lustigen, ziemlich coolen Tanz vor. Sie sind stolz, so wichtige Gäste aus Deutschland in ihrer kleinen Schule zu haben. Der DFB-Präsident beantwortet die Fragen eines ARD-Teams: "Man darf nicht sagen, das Problem ist so groß, da haben wir doch keine Chance", so Grindel. "Man muss anpacken. Und das tun wir nun schon seit 30 Jahren. Wir wirken nachhaltig." Zuversicht kann ansteckend sein.

Egidius Braun hat mit Leidenschaft für die Mexico-Hilfe gefochten, die Familie von Hans-Peter Briegel, einer der Vizeweltmeister 1986 in Mexiko, cofinanziert die Essenskosten der Vorschule, Nationalteammanager Oliver Bierhoff und seine Familie beteiligen sich jetzt am Bau einer Berufsschule. So viele Nationalspieler aus dem WM-Kader 1986 haben gespendet. Und doch - als am Nachmittag die DFB-Delegation Chimalhuacán verlässt und Adriana immer kleiner wird im Rückspiegel, steht im Bus diese unausgesprochene Frage. Ist es genug?

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