Flüchtlingsberaterin: "Fußball ist perfekt"

Dass Bremens Herz besonders für Geflüchtete schlägt, verwundert nicht. Schließlich stammt die Geschichte zum Fliehen und Ankommen von hier. "Etwas Besseres als den Tod finden wir überall", sagen sich die Bremer Stadtmusikanten zu Beginn der gemeinsamen Flucht ins Ungewisse. 1819 veröffentlichten die Gebrüder Grimm das zeitlose Märchen. Vergangenes Jahr kamen mehr als 10.000 Geflüchtete nach Bremen, dazu noch rund 2500 unbegleitete Kinder und Jugendliche.

Viele helfen, gerade auch der Fußball. Werder Bremen und Refugio e.V. laden wöchentlich zweimal geflüchtete Kinder und Jugendliche zum gemeinsamen Fußballspielspielen ein. Die Kompetenzen ergänzen sich. Werder ist für alles rund um den Fußball zuständig, die fachliche Beratung leistet das Psychosoziale Beratungs- und Behandlungszentrum Refugio. Die Kunsttherapeutin Verena Wetzel, 41, von Refugio Bremen berichtet im DFB.de-Gespräch über Flucht, Traumata und Fußball.

DFB.de: Frau Wetzel, wie Werder helfen tausende Amateurklubs geflüchteten Menschen. Die Hilfe reicht oft weit über den Platz hinaus. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Verena Wetzel: Aus meiner Perspektive scheint es mir von großer Bedeutung zu sein, wenn so viele Trainer und Mitspieler und andere im Verein tätige Menschen sich über die Situation geflüchteter Menschen informieren und aktiv werden. So werden Vorurteile abgetragen. Der Fußball ist ein starker Meinungsverbreiter.

DFB.de: Manche Vereine reagierten aufgrund des massiven Andrangs spontan. Da standen dann zehn Syrer auf dem Platz und ein paar Tage später machte der Verein schon eine Trainingsgruppe auf. Kann sich ein Fußballverein auch überfordern?

Wetzel: Zehn Syrer sind in erster Linie zehn Menschen. Und diese zehn Menschen bringen ihre Persönlichkeit mit, eine andere Sprache, eine andere Kultur, vielleicht auch andere Umgangsformen. Es kommt darauf an, mit welcher Haltung Begegnung stattfindet. Es macht einen Unterschied, ob diese Haltung von Interesse geprägt ist oder von Ängsten und Vorurteilen. Geflüchtete, die Fußball spielen wollen, zeigen doch ein Interesse, mit den Einheimischen in Kontakt zu treten. Bei der von Ihnen beschriebenen Situation überwiegen für mich die positiven Aspekte.

DFB.de: Worum geht es beim Projekt von Refugio und Werder Bremen?

Wetzel: Sport hat eine positive Kraft, Sporttreiben kann sehr viel zur psychischen Stabilisierung beitragen. Wir bringen unsere Erfahrung aus der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten ein, Werder die Strahlkraft und Kompetenz eines Bundesligaklubs.



Dass Bremens Herz besonders für Geflüchtete schlägt, verwundert nicht. Schließlich stammt die Geschichte zum Fliehen und Ankommen von hier. "Etwas Besseres als den Tod finden wir überall", sagen sich die Bremer Stadtmusikanten zu Beginn der gemeinsamen Flucht ins Ungewisse. 1819 veröffentlichten die Gebrüder Grimm das zeitlose Märchen. Vergangenes Jahr kamen mehr als 10.000 Geflüchtete nach Bremen, dazu noch rund 2500 unbegleitete Kinder und Jugendliche.

Viele helfen, gerade auch der Fußball. Werder Bremen und Refugio e.V. laden wöchentlich zweimal geflüchtete Kinder und Jugendliche zum gemeinsamen Fußballspielspielen ein. Die Kompetenzen ergänzen sich. Werder ist für alles rund um den Fußball zuständig, die fachliche Beratung leistet das Psychosoziale Beratungs- und Behandlungszentrum Refugio. Die Kunsttherapeutin Verena Wetzel, 41, von Refugio Bremen berichtet im DFB.de-Gespräch über Flucht, Traumata und Fußball.

DFB.de: Frau Wetzel, wie Werder helfen tausende Amateurklubs geflüchteten Menschen. Die Hilfe reicht oft weit über den Platz hinaus. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Verena Wetzel: Aus meiner Perspektive scheint es mir von großer Bedeutung zu sein, wenn so viele Trainer und Mitspieler und andere im Verein tätige Menschen sich über die Situation geflüchteter Menschen informieren und aktiv werden. So werden Vorurteile abgetragen. Der Fußball ist ein starker Meinungsverbreiter.

DFB.de: Manche Vereine reagierten aufgrund des massiven Andrangs spontan. Da standen dann zehn Syrer auf dem Platz und ein paar Tage später machte der Verein schon eine Trainingsgruppe auf. Kann sich ein Fußballverein auch überfordern?

Wetzel: Zehn Syrer sind in erster Linie zehn Menschen. Und diese zehn Menschen bringen ihre Persönlichkeit mit, eine andere Sprache, eine andere Kultur, vielleicht auch andere Umgangsformen. Es kommt darauf an, mit welcher Haltung Begegnung stattfindet. Es macht einen Unterschied, ob diese Haltung von Interesse geprägt ist oder von Ängsten und Vorurteilen. Geflüchtete, die Fußball spielen wollen, zeigen doch ein Interesse, mit den Einheimischen in Kontakt zu treten. Bei der von Ihnen beschriebenen Situation überwiegen für mich die positiven Aspekte.

DFB.de: Worum geht es beim Projekt von Refugio und Werder Bremen?

Wetzel: Sport hat eine positive Kraft, Sporttreiben kann sehr viel zur psychischen Stabilisierung beitragen. Wir bringen unsere Erfahrung aus der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten ein, Werder die Strahlkraft und Kompetenz eines Bundesligaklubs.

DFB.de: Wie erleben Sie die Situation der Kinder aus geflüchteten Familien?

Wetzel: Unsere Kinder und Jugendlichen leben oft in beengten Wohnsituationen wie in Heimen oder Notunterkünften. Die familiäre Situation ist oft mehrfach belastet, dazu kommen Anforderungen durch Spracherwerb und eine neue Schule. Wir wollen dieser Enge etwas entgegensetzen. Die Kinder und Jugendlichen empfinden beim Fußballspielen auf dem Platz eine große Freude. Sie finden ein Team, sie erleben Solidarität und Zugehörigkeit. In zwei Gruppen mit jeweils 15 Kindern und Jugendlichen wird unter Werders Anleitung Fußball gespielt. Refugio ist in der Beziehungsarbeit auf dem Platz tätig und flankierend und behandelnd, wann immer ein Mehrbedarf in Richtung psychischer Stabilisierung oder Psychotherapie notwendig wird.

DFB.de: Wie viele Flüchtlinge sind traumatisiert?

Wetzel: Laut Untersuchungen kann man davon ausgehen, dass rund die Hälfte der Geflüchteten in Deutschland unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder einer psychischen Erkrankung leiden.

DFB.de: Was bedeutet diese hohe Zahl für den Fußballverein?

Wetzel: Erstmal empfehle ich Gelassenheit. Nicht jeder Fußballtrainer in der Kreisklasse muss jetzt sofort eine Fortbildung zum Trauma-Experten anstreben. Sensibilität dafür, dass man es mit psychisch hochbelasteten Menschen zu tun hat, ist angemessen. Und dass geflüchtete Menschen einen sehr hohen Bedarf an Information und Orientierung in dieser neuen Lebensrealität mitbringen. Die Trainerin oder der Präsident des Vereins sollten über Beratungsstellen und Flüchtlingszentren informiert sein. Man sollte als Verein vorbereitet sein, damit man, wenn nötig, Informationen weitergeben kann.

DFB.de: Was kann der Fußball bewirken?

Wetzel: Der Fußballverein öffnet eine Tür. Die Botschaft lautet: Wir sind Teil dieser Gesellschaft, hier könnt ihr mitmachen, hier könnt ihr Verantwortung übernehmen, hier könnt ihr eure Kompetenzen einbringen. Im Fußball gibt es Regeln, die für alle gelten – auch das stabilisiert. Fußball ist Bewegung, ist Erfolgserlebnis. Fußball eignet sich nahezu perfekt für ein gegenseitiges Kennenlernen und miteinander Wachsen.

DFB.de: Wo liegen die Vorteile für den Verein?

Wetzel: Jeder Mensch, der neu dazu stößt, trägt doch potenziell positive Erfahrungen in die bestehende Gruppe. Wenn man offen ist, hat man sich gegenseitig viel zu erzählen. Gemeinsame Unternehmungen oder Grillfeste sind gute Möglichkeiten, bei denen sich auch Eltern oder andere Familienangehörige einbringen können.

DFB.de: Gibt es Refugio bundesweit?

Wetzel: Nein, und es gibt auch nicht in jeder Stadt ein vergleichbares psychosoziales Behandlungszentrum. Aber man kann sich auch an andere Flüchtlingsinitiativen wenden, wenn man geeignete Adressen und Informationen zur Rechtsberatung und psychosozialen Unterstützung von Geflüchteten benötigt.

DFB.de: Die Gewalttaten von Flüchtlingen vor einigen Wochen in Würzburg und Ansbach lösen auch in Fußballvereinen Besorgnis aus. Haben Sie Verständnis dafür?

Wetzel: Ich habe Verständnis dafür, dass die Ereignisse Bestürzung und Sorge auslösen und für Verunsicherung sorgen. Besorgniserregend finde ich jedoch auch, dass die bisherige Stimmung umkippt und umschlägt in Angst. Es gab schon so viele positive Erfahrungen und Erlebnisse. Ich glaube, wir sollten sehr sorgsam mit den Informationen und den eigenen Reaktionen darauf umgehen. Es entsteht eine äußerst schwierige Situation, wenn wir vermuten, dass die Leute, denen wir Hilfe gewähren, etwa durch die Aufnahme in unserem Fußballverein, insgeheim Gewalttaten gegen uns planen. Das ist als ob man Gift in den Brunnen tröpfelte, ein normaler Kontakt ist dann nicht mehr möglich.

DFB.de: Nervt Sie die Dauerberichterstattung über Flüchtlinge?

Wetzel: Genervt bin ich nicht. Endlich rückt die Lebenssituation der Geflüchteten mehr in den Fokus. Wir müssen nicht mehr so viel erklären wie noch vor wenigen Jahren. Viele Menschen haben Interesse, Mitgefühl und großes Engagement gezeigt. Aber wir verfolgen natürlich aufmerksam, mit welcher Konnotation berichtet wird. Leider schlägt die Stimmung momentan gravierend um. Darüber bin ich in Sorge.

DFB.de: Ist Ihnen in Ihrer Arbeit schon die Radikalisierung eines islamischen Flüchtlings vorgekommen?

Wetzel: Sehr selten, aber Radikalisierung im Sinne einer verstärkten Hinwendung zu fundamentalen Werten in Kultur und Religion ist in unserer Arbeit schon vorgekommen.

DFB.de: Wie haben Sie reagiert?

Wetzel: Ich habe das Gespräch gesucht. So arbeiten wir - die aufgebaute Beziehung ist immer die Grundlage unserer Arbeit. Mit Angst und Vorbehalten zu reagieren, wäre ein Fehler, auch in den Vereinsstrukturen. Beim Großteil der Geflüchteten, wie wir sie hier etwa bei Werder Bremen erleben, ist die Sehnsucht nach Sicherheit, Normalität und Alltag sowie dem Aufbau einer Lebensperspektive sehr groß.

Im Herbst veröffentlicht der DFB die neue Broschüre "Im Fußball zuhause", in der "Best Practice-Beispiele" vorgestellt werden, wie Fußballangebote für Flüchtlinge funktionieren können.