Schmidt: "Braun-Stiftung ist viel mehr als ein Dankeschön für ein Lebenswerk"

Soweit bekannt, ist Karl Schmidt noch nicht aus einem Fenster gestiegen, doch wie der Protagonist des Erfolgsromans von Jonas Jonasson hat Karl Schmidt Unglaubliches erlebt. Während Herbergers Ägide spielte er für Deutschland und mit Fritz Walter auf dem Betzenberg Fußball. Unvorstellbar: 1958 verzichtete er auf die Weltmeisterschaft. Lieber bestand der Familienvater das Jura-Staatsexamen. Später wurde er Ministerialdirigent in Rheinland-Pfalz, im DFB-Präsidium vertrat er das Soziale. Und heute auf den Tag genau vor 15 Jahren leitete Schmidt die konstituierende Sitzung der DFB-Stiftung Egidius Braun. Im März feierte Karl Schmidt seinen 84. Geburtstag. Im nordhessischen Wabern 1932 geboren, zog er mit seiner jetzigen Frau vor sechs Jahren nach Göttingen. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth fragte Karl Schmidt, wie seine Bilanz zum Wirken der DFB-Stiftung Egidius Braun ausfällt.

DFB.de: Herr Schmidt, heute vor exakt 15 Jahren haben Sie in Köln die Sitzung zur Gründung der DFB-Stiftung Egidius Braun geleitet. Was ist seitdem passiert?

Karl Schmidt: Seitdem hat die Stiftung 49 Millionen Euro für wohltätige Zwecke eingesammelt, etwa für die Mexiko-Hilfe, notleidende Kinder in den Ländern Osteuropas, die Fußball-Ferienfreizeiten des DFB oder für die finanzielle Unterstützung von Flüchtlingsprojekten im Fußball. Ich denke, wir haben am 17. Juli 2001 eine wertvolle und gute Sache gestartet. Die Stiftung ist heute viel mehr als ein Dankeschön für das Lebenswerk von Egidius Braun. Ihn trieb die Sorge um die Kinder und die Schwächeren. Man hätte ihn als Galionsfigur nicht erfinden können, so überzeugend hat er diese Seite des Fußballs verkörpert.

DFB.de: Die "Hilfe für politisch, rassistisch und religiös Verfolgte" stand damals schon als Stiftungszweck im Gründungsdokument. Wie aktuell ist diese Ausrichtung heute noch?

Schmidt: Sehr aktuell, dazu passt natürlich sehr gut, dass die Stiftung Fußballvereine unterstützt, die geflüchtete Menschen zum Fußballspielen einladen. Damit helfen wir Menschen in Not. Die Kampagne "1:0 für ein Willkommen", die von der Braun-Stiftung gemeinsam mit der Bundesbeauftragten für Migration, Aydan Özoğuz, finanziert wird, hat schnell eine gewaltige Dimension erreicht. Zwischen April und Dezember 2015 haben wir 1413 Anträge bewilligt, das waren 813 mehr Vereine als ursprünglich budgetiert. Inzwischen sind wir bei weit über 2000 Vereinen angelangt, die Flüchtlinge zum Fußballspielen einladen und damit einen wertvollen Beitrag für den Zusammenhalt in Deutschland leisten.

DFB.de: Apropos Zusammenhalt – haben Sie die "Guter-Nachbar"-Debatte, ausgelöst durch das Zitat des AfD-Politikers Alexander Gauland, verfolgt?

Schmidt: Ich bin zunächst wütend geworden, als ich das gelesen habe. Und dann ist eine große Betroffenheit geblieben.

DFB.de: Haben Sie überlegt, sich öffentlich zu äußern in dieser Debatte?

Schmidt: Ich habe keine öffentliche Funktion mehr, das sieht dann so aus, als wollte man sich in Erinnerung bringen. Ich habe Boatengs kluge Reaktionen gelesen. Jérôme Boateng ist nicht nur auf dem Spielfeld zu einer Persönlichkeit des deutschen Fußballs gereift. Und er hat auch die richtigen Antworten gegeben.

DFB.de: Sie selbst haben zwischen 1955 und 1957 neun Länderspiele bestritten.

Schmidt: Ich habe lange als Stürmer für den KSV Hessen Kassel gespielt und bin dann in Kaiserslautern als Nachfolger von Werner Kohlmeyer auf Verteidiger umgestiegen. Ich habe meine Sache offensichtlich ganz gut gemacht.

DFB.de: Haben Sie eine Herberger-Geschichte für uns?

Schmidt: Da gäbe es viele. Aber ich weiß noch, damals bekam ich ein Angebot von einem italienischen Klub. Ich ging also zum Bundestrainer und sagte: "Herr Herberger, was soll ich machen?" Ich höre heute noch wie er in seinem typischen Kurpfälzer Dialekt antwortete: "Machen sie ihr Studium fertich, dann habe se was. Und sie spielen doch gar nicht so gerne, wenn’s heiß ist. In Italien ist es aber immer heiß." Die Sache war damit erledigt.

DFB.de: Drei Jahre später gaben Sie dem Bundestrainer einen Korb.

Schmidt: Die WM 1958 lag unmittelbar vor meinem ersten Jura-Staatsexamen, deshalb musste ich Herberger leider absagen. Ich stand im Kader und sollte mit nach Schweden gehen. Meine Absage habe ich später immer bereut, doch ich war es meiner damaligen Familie und meiner universitären Ausbildung schuldig, denn die hatten damals Vorrang. Mein Vater war selbst ein erfolgreicher Fußballer gewesen, er hatte meine Laufbahn mit Liebe verfolgt und konnte meine Entscheidung nicht verstehen. Aber ich wusste, nur mit dem bestandenen Examen würde ich meine damalige Familie ernähren können. Mit dem Fußball alleine war das nicht möglich. Monatlich zahlte mir der 1. FC Kaiserslautern 160 Mark, dazu kamen die Punktprämien, sodass man etwa auf 300 Mark im Monat kam.

DFB.de: Welche Rolle spielt der Fußball heute noch in Ihrem Leben?

Schmidt: Meine Frau sagt, immer noch die wichtigste. Ich sage, immer noch eine ganz große Rolle. Ich lese alles, natürlich jede Woche meinen Kicker. Auch mit meinen Bekannten fachsimpele ich wie eh und je. Beim DFB habe ich noch die eine oder andere Position, die mir Freude bereitet, so bin ich weiterhin Vorstandsmitglied und bis heute gehöre ich der Jury des Julius Hirsch Preises an. Der Gedankenaustausch mit den jungen Leuten, die heute die Verantwortung tragen, bereitet mir große Freude.

DFB.de: Fast zehn Jahre waren Sie als Vizepräsident verantwortlich für soziale und gesellschaftspolitische Fragen beim DFB. Viel Veränderung seitdem oder doch irgendwie immer die gleichen Themen?

Schmidt: Es sind bis heute ähnliche Fragen. Durch die Aufnahme dieser sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen in den Tätigkeitskanon des DFB haben wir einen Schritt nach vorne gemacht. Auch das Zusammenwirken etwa mit Künstlern konnte gestärkt werden, wie man es etwa in den Anfangstagen der DFB-Kulturstiftung nicht erwarten konnte. Theo Zwanziger hat dies sicher maßgeblich gefördert. Wolfgang Niersbach hat dieses Engagement fortgeführt. Und der heutige DFB-Präsident Reinhard Grindel hat schon als Politiker an einer Stelle gewirkt, die wesentlich durch soziale und gesellschaftliche Themen bestimmt war. Ich selbst konnte erleben, wie das Ansehen des DFB durch die Annahme sozialer Themen aufgewertet wurde, bei Politikern und bei vielen Bürgerinnen und Bürgern. Der Fußball wurde plötzlich ein Gesprächspartner und auch über die fußballspezifischen Themen hinaus zum Gesprächsthema.

[dfb]

Soweit bekannt, ist Karl Schmidt noch nicht aus einem Fenster gestiegen, doch wie der Protagonist des Erfolgsromans von Jonas Jonasson hat Karl Schmidt Unglaubliches erlebt. Während Herbergers Ägide spielte er für Deutschland und mit Fritz Walter auf dem Betzenberg Fußball. Unvorstellbar: 1958 verzichtete er auf die Weltmeisterschaft. Lieber bestand der Familienvater das Jura-Staatsexamen. Später wurde er Ministerialdirigent in Rheinland-Pfalz, im DFB-Präsidium vertrat er das Soziale. Und heute auf den Tag genau vor 15 Jahren leitete Schmidt die konstituierende Sitzung der DFB-Stiftung Egidius Braun. Im März feierte Karl Schmidt seinen 84. Geburtstag. Im nordhessischen Wabern 1932 geboren, zog er mit seiner jetzigen Frau vor sechs Jahren nach Göttingen. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth fragte Karl Schmidt, wie seine Bilanz zum Wirken der DFB-Stiftung Egidius Braun ausfällt.

DFB.de: Herr Schmidt, heute vor exakt 15 Jahren haben Sie in Köln die Sitzung zur Gründung der DFB-Stiftung Egidius Braun geleitet. Was ist seitdem passiert?

Karl Schmidt: Seitdem hat die Stiftung 49 Millionen Euro für wohltätige Zwecke eingesammelt, etwa für die Mexiko-Hilfe, notleidende Kinder in den Ländern Osteuropas, die Fußball-Ferienfreizeiten des DFB oder für die finanzielle Unterstützung von Flüchtlingsprojekten im Fußball. Ich denke, wir haben am 17. Juli 2001 eine wertvolle und gute Sache gestartet. Die Stiftung ist heute viel mehr als ein Dankeschön für das Lebenswerk von Egidius Braun. Ihn trieb die Sorge um die Kinder und die Schwächeren. Man hätte ihn als Galionsfigur nicht erfinden können, so überzeugend hat er diese Seite des Fußballs verkörpert.

DFB.de: Die "Hilfe für politisch, rassistisch und religiös Verfolgte" stand damals schon als Stiftungszweck im Gründungsdokument. Wie aktuell ist diese Ausrichtung heute noch?

Schmidt: Sehr aktuell, dazu passt natürlich sehr gut, dass die Stiftung Fußballvereine unterstützt, die geflüchtete Menschen zum Fußballspielen einladen. Damit helfen wir Menschen in Not. Die Kampagne "1:0 für ein Willkommen", die von der Braun-Stiftung gemeinsam mit der Bundesbeauftragten für Migration, Aydan Özoğuz, finanziert wird, hat schnell eine gewaltige Dimension erreicht. Zwischen April und Dezember 2015 haben wir 1413 Anträge bewilligt, das waren 813 mehr Vereine als ursprünglich budgetiert. Inzwischen sind wir bei weit über 2000 Vereinen angelangt, die Flüchtlinge zum Fußballspielen einladen und damit einen wertvollen Beitrag für den Zusammenhalt in Deutschland leisten.

DFB.de: Apropos Zusammenhalt – haben Sie die "Guter-Nachbar"-Debatte, ausgelöst durch das Zitat des AfD-Politikers Alexander Gauland, verfolgt?

Schmidt: Ich bin zunächst wütend geworden, als ich das gelesen habe. Und dann ist eine große Betroffenheit geblieben.

DFB.de: Haben Sie überlegt, sich öffentlich zu äußern in dieser Debatte?

Schmidt: Ich habe keine öffentliche Funktion mehr, das sieht dann so aus, als wollte man sich in Erinnerung bringen. Ich habe Boatengs kluge Reaktionen gelesen. Jérôme Boateng ist nicht nur auf dem Spielfeld zu einer Persönlichkeit des deutschen Fußballs gereift. Und er hat auch die richtigen Antworten gegeben.

DFB.de: Sie selbst haben zwischen 1955 und 1957 neun Länderspiele bestritten.

Schmidt: Ich habe lange als Stürmer für den KSV Hessen Kassel gespielt und bin dann in Kaiserslautern als Nachfolger von Werner Kohlmeyer auf Verteidiger umgestiegen. Ich habe meine Sache offensichtlich ganz gut gemacht.

DFB.de: Haben Sie eine Herberger-Geschichte für uns?

Schmidt: Da gäbe es viele. Aber ich weiß noch, damals bekam ich ein Angebot von einem italienischen Klub. Ich ging also zum Bundestrainer und sagte: "Herr Herberger, was soll ich machen?" Ich höre heute noch wie er in seinem typischen Kurpfälzer Dialekt antwortete: "Machen sie ihr Studium fertich, dann habe se was. Und sie spielen doch gar nicht so gerne, wenn’s heiß ist. In Italien ist es aber immer heiß." Die Sache war damit erledigt.

DFB.de: Drei Jahre später gaben Sie dem Bundestrainer einen Korb.

Schmidt: Die WM 1958 lag unmittelbar vor meinem ersten Jura-Staatsexamen, deshalb musste ich Herberger leider absagen. Ich stand im Kader und sollte mit nach Schweden gehen. Meine Absage habe ich später immer bereut, doch ich war es meiner damaligen Familie und meiner universitären Ausbildung schuldig, denn die hatten damals Vorrang. Mein Vater war selbst ein erfolgreicher Fußballer gewesen, er hatte meine Laufbahn mit Liebe verfolgt und konnte meine Entscheidung nicht verstehen. Aber ich wusste, nur mit dem bestandenen Examen würde ich meine damalige Familie ernähren können. Mit dem Fußball alleine war das nicht möglich. Monatlich zahlte mir der 1. FC Kaiserslautern 160 Mark, dazu kamen die Punktprämien, sodass man etwa auf 300 Mark im Monat kam.

DFB.de: Welche Rolle spielt der Fußball heute noch in Ihrem Leben?

Schmidt: Meine Frau sagt, immer noch die wichtigste. Ich sage, immer noch eine ganz große Rolle. Ich lese alles, natürlich jede Woche meinen Kicker. Auch mit meinen Bekannten fachsimpele ich wie eh und je. Beim DFB habe ich noch die eine oder andere Position, die mir Freude bereitet, so bin ich weiterhin Vorstandsmitglied und bis heute gehöre ich der Jury des Julius Hirsch Preises an. Der Gedankenaustausch mit den jungen Leuten, die heute die Verantwortung tragen, bereitet mir große Freude.

DFB.de: Fast zehn Jahre waren Sie als Vizepräsident verantwortlich für soziale und gesellschaftspolitische Fragen beim DFB. Viel Veränderung seitdem oder doch irgendwie immer die gleichen Themen?

Schmidt: Es sind bis heute ähnliche Fragen. Durch die Aufnahme dieser sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen in den Tätigkeitskanon des DFB haben wir einen Schritt nach vorne gemacht. Auch das Zusammenwirken etwa mit Künstlern konnte gestärkt werden, wie man es etwa in den Anfangstagen der DFB-Kulturstiftung nicht erwarten konnte. Theo Zwanziger hat dies sicher maßgeblich gefördert. Wolfgang Niersbach hat dieses Engagement fortgeführt. Und der heutige DFB-Präsident Reinhard Grindel hat schon als Politiker an einer Stelle gewirkt, die wesentlich durch soziale und gesellschaftliche Themen bestimmt war. Ich selbst konnte erleben, wie das Ansehen des DFB durch die Annahme sozialer Themen aufgewertet wurde, bei Politikern und bei vielen Bürgerinnen und Bürgern. Der Fußball wurde plötzlich ein Gesprächspartner und auch über die fußballspezifischen Themen hinaus zum Gesprächsthema.

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