17. Erinnerungstag im Fußball: "Die Fans sind das Bindeglied"

Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz. Bis heute ist es kaum vorstellbar, was die Menschen damals dort durchlitten haben. Der Auftrag an unsere Gesellschaft ist daher klar: Die Taten, das Unrecht, der industrialisierte Massenmord dürfen niemals in Vergessenheit geraten.  

Einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur leistet die Initiative "!Nie wieder" mit dem "Erinnerungstag im deutschen Fußball", der jedes Jahr anlässlich der KZ-Befreiung stattfindet. Nachdem sowohl die Profiklubs als auch der Amateurfußball auf den "!Nie wieder"-Erinnerungstag aufmerksam gemacht haben, folgte nun eine digitale Veranstaltung des Fanprojekts München (Hier geht's zum Stream), die sich intensiver mit dem Themen Auschwitz, Homosexualität und Fußball auseinandergesetzt hat: "Lebenslinien Queerer Menschen - Geschichten aus Auschwitz, Berlin, München, Kapstadt und was der Fußball damit zu tun hat".

Deutsch-polnische Kooperation

Als Gast dabei: Lutz van Dijk. Der Autor und Historiker verfolgt eine ähnliche Mission wie die zahlreiche Macher*innen hinter "!Nie wieder". Auch er möchte mit seiner Arbeit sicherstellen, dass die Taten von damals im Gedächtnis der Menschen bleiben. Sein aktuelles Werk "Erinnern in Auschwitz – auch an sexuelle Minderheiten" ist für ihn dabei ein ganz besonderes. Im Gespräch mit dem Autor Ronny Blaschke, der durch den Abend führte, erzählt er: "Auschwitz ist weltweit eines der bewegendsten Symbole für Vernichtung, Unmenschlichkeit und die fabrikhafte Tötung von Menschen. Jedoch gab es keine Informationen zu den Leiden homosexueller Menschen. Wir hoffen, einen Beitrag dazu leisten zu können, dies zu ändern."  

In diesem Fall ist das "Wir" ein ganz besonderes, denn das Werk ist eine deutsch-polnische Kooperation von Historiker*innen aus verschiedenen Generationen. Mitbeteiligt: die polnischen Historikerinnen Joanna Ostrowska und Joanna Talewicz-Kwiatkowska. Neben dem Buch schulen sie zudem Guides zu dem Thema, die in Auschwitz arbeiten, um es auch bei Führungen präsenter zu platzieren. Eine wichtige Arbeit, denn die Verfolgung von Homosexuellen ist kein ausschließliches Phänomen der NS-Zeit. Der §175 im deutschen Gesetzbuch, der sexuelle Handlungen zwischen Männern kriminalisierte, hatte beschämenderweise noch bis 1994 bestand. Bis 1969 galt die verschärfte Form aus der Zeit des Nationalsozialismus. Auch heute noch erleben Homosexuelle in vielen Ländern Repressionen. Erst kürzlich erklärte zum Beispiel Polen einige Gebiete zu LSBTI* freie Zonen.  

"Wir müssen mehr Konstanz reinbekommen"

Nach dem Blick in vergangene Zeiten, nahmen die weiteren Gäste des Talks - Marcus Urban sowie Eve und Sandro vom Fanclub "Queerpass München" - die Zuschauer*innen mit in die Gegenwart. Marcus Urban ist ehemaliger Fußballer und wuchs in der damaligen DDR auf. Bereits als Teenager war ihm bewusst, dass er homosexuell ist. Das Problem: Als angehender Profi musste er seine sexuelle Orientierung lange Zeit verstecken. Seine sportliche Karriere war ihm wichtiger und er befürchtete, nicht beides sein zu können: Profifußballer und offen geoutet. Schließlich entschied er sich doch gegen eine Profikarriere und outete sich 2007 öffentlich.

Eine Entscheidung, über die der heutige Diversity-Coach froh ist, denn die Rückmeldungen waren fast ausschließlich positiv. An den Profifußball hat er einen Appell: "Es zeigt sich leider immer wieder, dass wir es nicht schaffen, das Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt nachhaltig im Fußball zu platzieren. Wie präsent das Thema ist, steht und fällt mit den Personalien und der sportlichen Situation. Hier müssen wir mehr Konstanz reinbekommen. Zum Beispiel müssten solche Themen präsenter bei der Trainer*innen- und Schiedsrichter*innen-Ausbildung sein, Vereinsführungen besser geschult und Nachwuchsspieler*innen mehr sensibilisiert und aufgeklärt werden." 

"Erinnerungsarbeit hat einen großen Platz im Fußball eingenommen"

Bereits 2006 gründete sich der Fanclub "QUEERPASS Bayern", deren Mitglieder Eve und Sandro ebenfalls an der Talkrunde teilnahmen. Die Gründung damals lief reibungslos ab und bis heute haben sie kaum schlechte Erfahrungen gemacht. Im Gegenteil. Sie sind fester Teil der Fankultur des FC Bayern München, auch wenn sie manches Engagement kritisch sehen: "Auf der einen Seite gedenkt der Klub seinem ehemaligen Präsidenten Angelo Knorr, der aufgrund seiner sexuellen Orientierung verfolgt und ins Gefängnis gesperrt wurde. Auf der anderen Seite pflegen sie enge Beziehungen zu Katar, wo Homosexuelle nach wie vor verfolgt werden. Dadurch leidet aus unserer Sicht die Glaubwürdigkeit des Engagements", übt Sandro Kritik an seinem Verein.

Neben dem Kontakt zum Klub selbst, ist auch das Netzwerken mit Fanclubs aus München und ganz Deutschland wichtig für sie. Hilfreich sind dabei auch Netzwerke wie "Queer Football Fanclubs". Ein weiteres Ziel: Sichtbarkeit für queere Menschen schaffen. Trotz aller positiver Erfahrungen merken sie trotzdem: Homophobie ist nach wie vor im Stadion vertreten. Gefühlt zuletzt sogar wieder vermehrt, auch wenn die beiden selbst bisher "nur" verbale Anfeindungen erlebt haben.  

Meist sind diese Art von "Fans" jedoch die traurige Ausnahme. Nadine Bickmann vom Fanprojekt München: "Die Erinnerungsarbeit hat mittlerweile einen großen Platz im Fußball eingenommen – vor allem dank der Fans, die sich engagieren und gegenüber Vereinen und Verbänden hartnäckig bleiben. Besonders die Initiative '!Nie wieder' hat hier noch mal einen wichtigen Beitrag geleistet und die Herangehensweise professionalisiert. Die Fans sind das Bindeglied zwischen dem Fußball und der Erinnerungskultur." 

[ls]

Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz. Bis heute ist es kaum vorstellbar, was die Menschen damals dort durchlitten haben. Der Auftrag an unsere Gesellschaft ist daher klar: Die Taten, das Unrecht, der industrialisierte Massenmord dürfen niemals in Vergessenheit geraten.  

Einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur leistet die Initiative "!Nie wieder" mit dem "Erinnerungstag im deutschen Fußball", der jedes Jahr anlässlich der KZ-Befreiung stattfindet. Nachdem sowohl die Profiklubs als auch der Amateurfußball auf den "!Nie wieder"-Erinnerungstag aufmerksam gemacht haben, folgte nun eine digitale Veranstaltung des Fanprojekts München (Hier geht's zum Stream), die sich intensiver mit dem Themen Auschwitz, Homosexualität und Fußball auseinandergesetzt hat: "Lebenslinien Queerer Menschen - Geschichten aus Auschwitz, Berlin, München, Kapstadt und was der Fußball damit zu tun hat".

Deutsch-polnische Kooperation

Als Gast dabei: Lutz van Dijk. Der Autor und Historiker verfolgt eine ähnliche Mission wie die zahlreiche Macher*innen hinter "!Nie wieder". Auch er möchte mit seiner Arbeit sicherstellen, dass die Taten von damals im Gedächtnis der Menschen bleiben. Sein aktuelles Werk "Erinnern in Auschwitz – auch an sexuelle Minderheiten" ist für ihn dabei ein ganz besonderes. Im Gespräch mit dem Autor Ronny Blaschke, der durch den Abend führte, erzählt er: "Auschwitz ist weltweit eines der bewegendsten Symbole für Vernichtung, Unmenschlichkeit und die fabrikhafte Tötung von Menschen. Jedoch gab es keine Informationen zu den Leiden homosexueller Menschen. Wir hoffen, einen Beitrag dazu leisten zu können, dies zu ändern."  

In diesem Fall ist das "Wir" ein ganz besonderes, denn das Werk ist eine deutsch-polnische Kooperation von Historiker*innen aus verschiedenen Generationen. Mitbeteiligt: die polnischen Historikerinnen Joanna Ostrowska und Joanna Talewicz-Kwiatkowska. Neben dem Buch schulen sie zudem Guides zu dem Thema, die in Auschwitz arbeiten, um es auch bei Führungen präsenter zu platzieren. Eine wichtige Arbeit, denn die Verfolgung von Homosexuellen ist kein ausschließliches Phänomen der NS-Zeit. Der §175 im deutschen Gesetzbuch, der sexuelle Handlungen zwischen Männern kriminalisierte, hatte beschämenderweise noch bis 1994 bestand. Bis 1969 galt die verschärfte Form aus der Zeit des Nationalsozialismus. Auch heute noch erleben Homosexuelle in vielen Ländern Repressionen. Erst kürzlich erklärte zum Beispiel Polen einige Gebiete zu LSBTI* freie Zonen.  

"Wir müssen mehr Konstanz reinbekommen"

Nach dem Blick in vergangene Zeiten, nahmen die weiteren Gäste des Talks - Marcus Urban sowie Eve und Sandro vom Fanclub "Queerpass München" - die Zuschauer*innen mit in die Gegenwart. Marcus Urban ist ehemaliger Fußballer und wuchs in der damaligen DDR auf. Bereits als Teenager war ihm bewusst, dass er homosexuell ist. Das Problem: Als angehender Profi musste er seine sexuelle Orientierung lange Zeit verstecken. Seine sportliche Karriere war ihm wichtiger und er befürchtete, nicht beides sein zu können: Profifußballer und offen geoutet. Schließlich entschied er sich doch gegen eine Profikarriere und outete sich 2007 öffentlich.

Eine Entscheidung, über die der heutige Diversity-Coach froh ist, denn die Rückmeldungen waren fast ausschließlich positiv. An den Profifußball hat er einen Appell: "Es zeigt sich leider immer wieder, dass wir es nicht schaffen, das Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt nachhaltig im Fußball zu platzieren. Wie präsent das Thema ist, steht und fällt mit den Personalien und der sportlichen Situation. Hier müssen wir mehr Konstanz reinbekommen. Zum Beispiel müssten solche Themen präsenter bei der Trainer*innen- und Schiedsrichter*innen-Ausbildung sein, Vereinsführungen besser geschult und Nachwuchsspieler*innen mehr sensibilisiert und aufgeklärt werden." 

"Erinnerungsarbeit hat einen großen Platz im Fußball eingenommen"

Bereits 2006 gründete sich der Fanclub "QUEERPASS Bayern", deren Mitglieder Eve und Sandro ebenfalls an der Talkrunde teilnahmen. Die Gründung damals lief reibungslos ab und bis heute haben sie kaum schlechte Erfahrungen gemacht. Im Gegenteil. Sie sind fester Teil der Fankultur des FC Bayern München, auch wenn sie manches Engagement kritisch sehen: "Auf der einen Seite gedenkt der Klub seinem ehemaligen Präsidenten Angelo Knorr, der aufgrund seiner sexuellen Orientierung verfolgt und ins Gefängnis gesperrt wurde. Auf der anderen Seite pflegen sie enge Beziehungen zu Katar, wo Homosexuelle nach wie vor verfolgt werden. Dadurch leidet aus unserer Sicht die Glaubwürdigkeit des Engagements", übt Sandro Kritik an seinem Verein.

Neben dem Kontakt zum Klub selbst, ist auch das Netzwerken mit Fanclubs aus München und ganz Deutschland wichtig für sie. Hilfreich sind dabei auch Netzwerke wie "Queer Football Fanclubs". Ein weiteres Ziel: Sichtbarkeit für queere Menschen schaffen. Trotz aller positiver Erfahrungen merken sie trotzdem: Homophobie ist nach wie vor im Stadion vertreten. Gefühlt zuletzt sogar wieder vermehrt, auch wenn die beiden selbst bisher "nur" verbale Anfeindungen erlebt haben.  

Meist sind diese Art von "Fans" jedoch die traurige Ausnahme. Nadine Bickmann vom Fanprojekt München: "Die Erinnerungsarbeit hat mittlerweile einen großen Platz im Fußball eingenommen – vor allem dank der Fans, die sich engagieren und gegenüber Vereinen und Verbänden hartnäckig bleiben. Besonders die Initiative '!Nie wieder' hat hier noch mal einen wichtigen Beitrag geleistet und die Herangehensweise professionalisiert. Die Fans sind das Bindeglied zwischen dem Fußball und der Erinnerungskultur." 

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