Zum 60. von Bernd Schuster: Der unvollendete Europameister

Sie nannten ihn den "Blonden Engel“, später kam noch ein "B" vor den Engel. Bernd Schuster, genialer Spielmacher der 80er- und 90er-Jahre, war einer der talentiertesten deutschen Fußballer, aber auch einer der umstrittensten. In Spanien, wo er beim FC Barcelona, Real Madrid und Atletico Madrid spielte, genießt er bis heute eine höhere Reputation als in seinem Geburtsland, für das er 21 Länderspiele bestritt. Nur 21, muss man sagen und das wird er sicher bestätigen, wenn er auf seine Karriere und sein Leben zurückblickt, wozu sein 60. Geburtstag heute Anlass gibt. Eine WM hat er nie gespielt. Sein Stern ging vor 39 Jahren bei der EM in Italien auf, das einzige Turnier an dem er je teilgenommen hat.

So einen Burschen hatten sie schon lange nicht mehr gesehen. Gianni Rivera und Sandro Mazzola, zwei Legenden des italienischen Fußballs (Vize-Weltmeister von 1970), die ihre Karriere nun hinter sich hatten, kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. "So wie er spielt, kann er den ganzen Fußball revolutionieren. Es gibt in Südamerika den jungen Maradona, in Europa jetzt den jungen Schuster, an dem sich andere orientieren können", urteilte Rivera. Und Italiens Trainer Enzo Bearzot schwärmte: "Einen Jungen wie diesen würde ich sofort in meine Mannschaft nehmen. Er ist die Offenbarung des Turniers. Obwohl er noch jung ist, gehört er zu den Stars mit Stil und Ausdruck."

"20 Jahr', blondes Haar"

Für Weltmeister-Trainer Luis Cesar Menotti aus Argentinien war Schuster "eines der größten Talente, das ich je gesehen habe". Schuster Bernd, 20 Jahr', blondes Haar, acht Länderspiele, Weltstar seit 14. Juni 1980. Der Tag, als Deutschland die Niederlande 3:2 schlug. Der Tag, an dem ein Stern aufging.
Gewiss, Klaus Allofs hatte drei Tore geschossen, doch was der blonde Mittelfeldspieler bot, stellte auch die Effizienz des Torjägers in den Schatten. Er marschierte mit wehendem blonden Haar durchs Mittelfeld, dass sich Beobachter unwillkürlich an Günter Netzer erinnert fühlten. So schrieb die römische Zeitung Paese Sera: "Mit Schuster, einem neuen Netzer, ist Deutschland WM-Favorit 1982."

Er schoss mit rechts und er schoss mit links und immer hatte er den Blick für den Nebenmann. Zwei Tore bereitete er vor und hätten ihn die Holländer nicht so hart rangenommen, wären es vielleicht noch mehr geworden. "Willy van de Kerkhof, überhaupt die Holländer alle, waren nicht hart, wie es okay wäre, sondern unfair“, nuschelte er später undiplomatisch in die Mikrofone. Auch die italienischen Journalisten hatten Fragen und weil sie Schuster nicht verstanden und er sie nicht, bestürmten sie ihre deutschen Kollegen. Wo kommt er her und vor allem, wo geht er hin? Wäre es nach ihnen gegangen, sie hätten Schuster gleich da behalten und – je nach Sympathie – in das Trikot von Juventus Turin, dem AS Rom oder in eines der großen Mailänder Klubs gesteckt. Hätte jemand einen fertigen Vertragsentwurf dabei gehabt, Schuster hätte vielleicht sogar irgendwo unterschrieben.

Wechsel mit Nebengeräuschen

Denn auch das war Bernd Schuster: ein unreifer Junge mit Hang zielsicher in Fettnäpfchen zu treten. 1979 unterschrieb er gleich drei Verträge: beim Zweitligisten seiner Heimatstadt, dem FC Augsburg, bei Borussia Mönchengladbach und beim 1. FC Köln, der ihn schließlich vom Arbeitsgericht zugesprochen bekam. Augsburg erhielt 200.000 DM Ablöse, Gladbach eine Entschädigung, Köln den Wunderknaben, den schon in Kindertagen sein Ehrgeiz auszeichnete. "Egal, ob es regnete oder schneite, ob es kalt war oder heiß, unser Neuer war immer zur Stelle. Er tat mehr als die anderen“, erinnerte sich sein Trainer beim FC Augsburg, Heiner Schuhmann. Aber schon da hatte der junge Mann, der eine Lehre als Isolierspengler machte, so seine Allüren und Eigensinn war sein zweiter Vorname.

Schuhmann schwört Stein und Bein, man wäre mit Schuster 1978 deutscher Jugendmeister geworden, "wenn sich der Kindskopf nicht so undiszipliniert vor dem Spiel an den Autobahnsee in die Sonne gelegt hätte. Er holte sich einen Sonnenbrand und so haben wir gegen Duisburg 1:2 verloren." Ein Mann, der sich selbst im Weg stand. So war es leider nur allzu oft. Alle außer ihm waren der Meinung, dass das vor allem an seiner Frau Gaby lag, die er schon mit 20 heiratete. Das sechs Jahre ältere Foto-Model prägte das Image der Spieler-Frauen für Jahrzehnte, es ist heute noch nicht repariert. Schuhmann sagte 1981 laut, was viele nur dachten: "Unmöglich, dass das mit dieser Frau und dem Bernd auf die Dauer gut gehen kann."

Frau Gaby berät den Blonden Engel

Unerhört war auch, dass sie ihn in beruflichen Angelegenheiten beriet und damit in einem Bereich, in denen Frauen nach damaligem Verständnis rein gar nichts verloren hatten: im Fußball. Sie führte in Verhandlungen einen Stil – mit Juristen und Anwälten im Schlepptau – der selbst einen gewieften Manager wie Reiner Calmund (Bayer Leverkusen) höchsten Respekt abnötigte: "Frau Schuster hat uns Kopfschmerzten bereitet, wie es heute kein Spielerberater schafft", sagte er mal.

Niemand ahnte im Sommer 1980, dass Bernd Schuster mit dem Gewinn der Europameisterschaft das Beste schon hinter sich hatte. Sein erstes war auch sein letztes Turnier. Er bestritt selbst da nur zwei von vier Spielen, zum Auftakt gegen die Tschechen ließ ihn Bundestrainer Jupp Derwall spüren, dass er mehr Ehrgeiz erwartete: "Er liegt zur Zeit irgendwie daneben. Auch im Training könnte er mehr tun, anstatt sich mit der Reservistenrolle zufrieden zu geben." Gegen Holland tat er dann mehr als genug, um sich für das Finale zu qualifizieren – nach dem die belgische Zeitung La derniere Heure schrieb: "Nach unserer Auffassung verdient Bernd Schuster ohne Zweifel den Titel 'Monsieur Europa'."

Kein Blatt vor dem Mund

So wunderbar es anfing, so wenig kam dazu. Seine Karriere ist die eines Unvollendeten, weil das Wichtigste zu kurz kam. 21 Länderspiele für einen Mann mit seinen Fähigkeiten sind ein schlechter Witz. Aber er hatte selbst schuld. Als Paul Breitner im Frühjahr 1981 in die Nationalmannschaft zurückkehrte, änderte sich das Klima und die Hierarchie. Der Münchner reklamierte auch ohne Spielführerbinde die Chefrolle, was vielen missfiel. Aber nur Schuster, erst 21, durch seinen übereilten Wechsel zum FC Barcelona im Oktober 1980 für 3,95 Millionen DM noch selbstbewusster, probte den Aufstand. "Der Paule ist ein gerissener Hund. Noch gibt er seine Befehle über Derwall weiter. Ich würde mich nicht wundern, wenn er eines Tages dem Derwall die Aufstellung unter der Türritze durchschiebt", tönte er im Juni 1981 im Spiegel. Das war wenige Tage nach seinem ersten Rauswurf aus der Nationalmannschaft, den Derwall in seiner Biographie als "mein Fehler" bezeichnet hatte.

Schuster war als einziger Nationalspieler nach dem 1:2 gegen Brasilien in Stuttgart der privaten Einladung von Hansi Müller nicht gefolgt und im Hotel geblieben. Der Grund war nachvollziehbar, er musste die Frühmaschine nach Barcelona bekommen. Doch den kannte keiner. Wie so oft gab es ein Kommunikationsproblem zwischen Trainer und Star. Schuster sagte nicht direkt ab, sondern über Mittelsmänner. Derwall erfuhr es erst nach der Feier und als er Schuster nachts auf dem Hotelzimmer anrief, lud er ihn für das nächste Spiel aus. Derwall: "Es sollte auch nur ein Spiel Sperre sein, eine Verwarnung, die darauf hinauslief, dass Bernd sein Gesicht wahren und professionell reagieren kann."

König von Spanien

Schuster aber schoss aus Spanien Giftpfeile ab, die seine Rückkehr unmöglich machten: "Lieber in Spanien König als in Deutschland Kuli." Später ließ er wissen, mit Breitner wolle er nicht zusammen spielen. So verpasste er die WM in seinem Gastland Spanien. Erst im November 1982 kam es zur Versöhnung mit Derwall und zum Comeback, auch weil Breitner zurückgetreten war. Am 29. Februar 1984 trug er in Brüssel letztmals das DFB-Trikot - mit 24 Jahren. Die folgende EM verpasste er wieder, nun war es Pech: Im Mai 1984 brach er sich in einem Liga-Spiel den Mittelfußknochen. Auch die WM 1986 ging ohne ihn über die Bühne, diesmal war sein Eigensinn schuld. Zunächst sprach er Teamchef Franz Beckenbauer die Eignung für diesen Job ab, die Fronten waren verhärtet.

Als der Kaiser in größter Personalnot im Frühjahr 1986 auf ihn zuging und ihn mit Anrufen bombardierte ("Bernd, ich brauche Dich!“), erklärte Schuster plötzlich seine Bereitschaft. Aber Frau Gaby forderte – ein einmaliger Vorgang – eine Million D-Mark netto für die Teilnahme ihres Mannes an der WM in Mexiko. Die Nation war schockiert, Nationalspieler Karlheinz Förster seufzte "unglaublich, unglaublich" und Bayerns Mittelstürmer Dieter Hoeneß sagte: "Ich hätte, um bei der WM zu spielen, sogar noch eine Million Mark mitgebracht!" Nach seiner Karriere, die er 1997 bei Unam Pumas in Mexiko beendete, bedauerte er des Öfteren: "Ich hätte gerne mal eine WM gespielt." Und Deutschland hätte ihn gerne bei einer WM spielen sehen.

Rückkehr ins Rheinland

Doch das Kapitel hatte er 1986 selbst beendet, niemand rief mehr nach Schuster, zumal der in Spanien zunehmend Schwierigkeiten bekam. Nach Krach mit Barcas Präsident Nunez saß er ein Jahr auf der Tribüne, dann wechselte er zu Real Madrid, wo er auf Anhieb zweimal Meister wurde. Trotzdem ging er wieder im Streit, 1990 wurde Atletico Madrid seine letzte Station in Spanien. Damit avancierte er zum ersten Ausländer, der bei drei großen spanischen Klubs unter Vertrag gestanden hatte. Auf seine alten Tage wollte er nach Deutschland zurück, was schon 1986 fast passiert wäre, als Günter Netzer ihn zum HSV locken wollte. Nun bemühte sich Bayer Leverkusen um ihn und Schuster kehrte 1993 ins Rheinland zurück. Er bezog im Bergischen Land ein Heim, das einer Festung glich. Mit hohen Mauern, Kameras und Wachpersonal. Dort widmete er sich der Pferdezucht.

Obwohl er 13 Jahre aus der Bundesliga weg gewesen war, fühlte man sich anfangs an den jungen Schuster erinnert. Noch immer marschierte er erhobenen Hauptes durchs Mittelfeld, schlug zentimetergenaue Pässe und schoss spektakuläre Tore, wie nur er sie im Repertoire hatte. Bei der Wahl zum Tor des Jahres 1994 war Schuster mit drei Treffern vertreten, die die schönsten eines Monats gewesen waren. Sie belegten die ersten drei Plätze, einmalig in der Geschichte der von der ARD durchgeführten Wahl. Mit seinem Tor des Jahres im August 1994 überwand er Nationaltorwart Andreas Köpke von der Mittelinie. So schön es begann, so schrecklich endete es – im Skandal. Die Parallelen zur Nationalmannschaft sind überdeutlich.

Trainer bei Real

Der neue Bayer-Trainer Erich Ribbeck strich den formschwachen Alt-Star im Herbst 1995 zum Punktspiel gegen den HSV aus dem Kader. Trotzkopf Schuster kam trotzdem und setzte sich demonstrativ auf die Bank. Von Manager Calmund, der ihm "Kreisklassen-Format" attestierte, forderte er Schmerzensgeld – es blieb bei der Drohung – und schließlich kam er mit Anwalt zum Training. Sein Recht darauf hatte er eingeklagt. Im März 1996 endete das unwürdige Schauspiel, mit einer Abfindung über 2,8 Millionen DM.

In den Bundesligaannalen wird er mit 120 Spielen und 18 Toren geführt. Als Trainer hat er die Rückkehr in die Bundesliga nicht geschafft, obwohl er noch im Mai im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen betonte, dass dies sein Wunsch sei: "Ich habe viele Jahre versucht, in die Bundesliga zu kommen. Das wäre schon superinteressant, aber bisher hat es nicht funktioniert.“ Nur bei den beiden Kölner Vereinen 1. FC und Fortuna durfte er Ende der Neunziger sein Glück versuchen, aber in der 2. Liga. Es waren die ersten von mittlerweile zehn Trainerstationen im unsteten Leben des Bernd Schuster, der seit seiner Entlassung im Februar beim chinesischen Klub Dalan Yifang auf Arbeitssuche ist.

Immerhin war es ihm in Spanien vergönnt, Real Madrid zu trainieren, wo er 2008 auf Anhieb Meister wurde, aber nach eineinhalb Jahren gehen musste. Wegen seiner Intimkenntnisse über den spanischen und den deutschen Fußball wird er in schöner Regelmäßigkeit von Medien beider Länder als Experte herangezogen – insbesondere wenn das Los in der Champions League Vertreter von Bundesliga und Primera Divison wieder einmal zusammenführt. So bleibt Schuster immer noch am Ball, aber wie schon für den Spieler gilt auch für den Trainer Schuster: Es hätte noch etwas besser laufen können.

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Sie nannten ihn den "Blonden Engel“, später kam noch ein "B" vor den Engel. Bernd Schuster, genialer Spielmacher der 80er- und 90er-Jahre, war einer der talentiertesten deutschen Fußballer, aber auch einer der umstrittensten. In Spanien, wo er beim FC Barcelona, Real Madrid und Atletico Madrid spielte, genießt er bis heute eine höhere Reputation als in seinem Geburtsland, für das er 21 Länderspiele bestritt. Nur 21, muss man sagen und das wird er sicher bestätigen, wenn er auf seine Karriere und sein Leben zurückblickt, wozu sein 60. Geburtstag heute Anlass gibt. Eine WM hat er nie gespielt. Sein Stern ging vor 39 Jahren bei der EM in Italien auf, das einzige Turnier an dem er je teilgenommen hat.

So einen Burschen hatten sie schon lange nicht mehr gesehen. Gianni Rivera und Sandro Mazzola, zwei Legenden des italienischen Fußballs (Vize-Weltmeister von 1970), die ihre Karriere nun hinter sich hatten, kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. "So wie er spielt, kann er den ganzen Fußball revolutionieren. Es gibt in Südamerika den jungen Maradona, in Europa jetzt den jungen Schuster, an dem sich andere orientieren können", urteilte Rivera. Und Italiens Trainer Enzo Bearzot schwärmte: "Einen Jungen wie diesen würde ich sofort in meine Mannschaft nehmen. Er ist die Offenbarung des Turniers. Obwohl er noch jung ist, gehört er zu den Stars mit Stil und Ausdruck."

"20 Jahr', blondes Haar"

Für Weltmeister-Trainer Luis Cesar Menotti aus Argentinien war Schuster "eines der größten Talente, das ich je gesehen habe". Schuster Bernd, 20 Jahr', blondes Haar, acht Länderspiele, Weltstar seit 14. Juni 1980. Der Tag, als Deutschland die Niederlande 3:2 schlug. Der Tag, an dem ein Stern aufging.
Gewiss, Klaus Allofs hatte drei Tore geschossen, doch was der blonde Mittelfeldspieler bot, stellte auch die Effizienz des Torjägers in den Schatten. Er marschierte mit wehendem blonden Haar durchs Mittelfeld, dass sich Beobachter unwillkürlich an Günter Netzer erinnert fühlten. So schrieb die römische Zeitung Paese Sera: "Mit Schuster, einem neuen Netzer, ist Deutschland WM-Favorit 1982."

Er schoss mit rechts und er schoss mit links und immer hatte er den Blick für den Nebenmann. Zwei Tore bereitete er vor und hätten ihn die Holländer nicht so hart rangenommen, wären es vielleicht noch mehr geworden. "Willy van de Kerkhof, überhaupt die Holländer alle, waren nicht hart, wie es okay wäre, sondern unfair“, nuschelte er später undiplomatisch in die Mikrofone. Auch die italienischen Journalisten hatten Fragen und weil sie Schuster nicht verstanden und er sie nicht, bestürmten sie ihre deutschen Kollegen. Wo kommt er her und vor allem, wo geht er hin? Wäre es nach ihnen gegangen, sie hätten Schuster gleich da behalten und – je nach Sympathie – in das Trikot von Juventus Turin, dem AS Rom oder in eines der großen Mailänder Klubs gesteckt. Hätte jemand einen fertigen Vertragsentwurf dabei gehabt, Schuster hätte vielleicht sogar irgendwo unterschrieben.

Wechsel mit Nebengeräuschen

Denn auch das war Bernd Schuster: ein unreifer Junge mit Hang zielsicher in Fettnäpfchen zu treten. 1979 unterschrieb er gleich drei Verträge: beim Zweitligisten seiner Heimatstadt, dem FC Augsburg, bei Borussia Mönchengladbach und beim 1. FC Köln, der ihn schließlich vom Arbeitsgericht zugesprochen bekam. Augsburg erhielt 200.000 DM Ablöse, Gladbach eine Entschädigung, Köln den Wunderknaben, den schon in Kindertagen sein Ehrgeiz auszeichnete. "Egal, ob es regnete oder schneite, ob es kalt war oder heiß, unser Neuer war immer zur Stelle. Er tat mehr als die anderen“, erinnerte sich sein Trainer beim FC Augsburg, Heiner Schuhmann. Aber schon da hatte der junge Mann, der eine Lehre als Isolierspengler machte, so seine Allüren und Eigensinn war sein zweiter Vorname.

Schuhmann schwört Stein und Bein, man wäre mit Schuster 1978 deutscher Jugendmeister geworden, "wenn sich der Kindskopf nicht so undiszipliniert vor dem Spiel an den Autobahnsee in die Sonne gelegt hätte. Er holte sich einen Sonnenbrand und so haben wir gegen Duisburg 1:2 verloren." Ein Mann, der sich selbst im Weg stand. So war es leider nur allzu oft. Alle außer ihm waren der Meinung, dass das vor allem an seiner Frau Gaby lag, die er schon mit 20 heiratete. Das sechs Jahre ältere Foto-Model prägte das Image der Spieler-Frauen für Jahrzehnte, es ist heute noch nicht repariert. Schuhmann sagte 1981 laut, was viele nur dachten: "Unmöglich, dass das mit dieser Frau und dem Bernd auf die Dauer gut gehen kann."

Frau Gaby berät den Blonden Engel

Unerhört war auch, dass sie ihn in beruflichen Angelegenheiten beriet und damit in einem Bereich, in denen Frauen nach damaligem Verständnis rein gar nichts verloren hatten: im Fußball. Sie führte in Verhandlungen einen Stil – mit Juristen und Anwälten im Schlepptau – der selbst einen gewieften Manager wie Reiner Calmund (Bayer Leverkusen) höchsten Respekt abnötigte: "Frau Schuster hat uns Kopfschmerzten bereitet, wie es heute kein Spielerberater schafft", sagte er mal.

Niemand ahnte im Sommer 1980, dass Bernd Schuster mit dem Gewinn der Europameisterschaft das Beste schon hinter sich hatte. Sein erstes war auch sein letztes Turnier. Er bestritt selbst da nur zwei von vier Spielen, zum Auftakt gegen die Tschechen ließ ihn Bundestrainer Jupp Derwall spüren, dass er mehr Ehrgeiz erwartete: "Er liegt zur Zeit irgendwie daneben. Auch im Training könnte er mehr tun, anstatt sich mit der Reservistenrolle zufrieden zu geben." Gegen Holland tat er dann mehr als genug, um sich für das Finale zu qualifizieren – nach dem die belgische Zeitung La derniere Heure schrieb: "Nach unserer Auffassung verdient Bernd Schuster ohne Zweifel den Titel 'Monsieur Europa'."

Kein Blatt vor dem Mund

So wunderbar es anfing, so wenig kam dazu. Seine Karriere ist die eines Unvollendeten, weil das Wichtigste zu kurz kam. 21 Länderspiele für einen Mann mit seinen Fähigkeiten sind ein schlechter Witz. Aber er hatte selbst schuld. Als Paul Breitner im Frühjahr 1981 in die Nationalmannschaft zurückkehrte, änderte sich das Klima und die Hierarchie. Der Münchner reklamierte auch ohne Spielführerbinde die Chefrolle, was vielen missfiel. Aber nur Schuster, erst 21, durch seinen übereilten Wechsel zum FC Barcelona im Oktober 1980 für 3,95 Millionen DM noch selbstbewusster, probte den Aufstand. "Der Paule ist ein gerissener Hund. Noch gibt er seine Befehle über Derwall weiter. Ich würde mich nicht wundern, wenn er eines Tages dem Derwall die Aufstellung unter der Türritze durchschiebt", tönte er im Juni 1981 im Spiegel. Das war wenige Tage nach seinem ersten Rauswurf aus der Nationalmannschaft, den Derwall in seiner Biographie als "mein Fehler" bezeichnet hatte.

Schuster war als einziger Nationalspieler nach dem 1:2 gegen Brasilien in Stuttgart der privaten Einladung von Hansi Müller nicht gefolgt und im Hotel geblieben. Der Grund war nachvollziehbar, er musste die Frühmaschine nach Barcelona bekommen. Doch den kannte keiner. Wie so oft gab es ein Kommunikationsproblem zwischen Trainer und Star. Schuster sagte nicht direkt ab, sondern über Mittelsmänner. Derwall erfuhr es erst nach der Feier und als er Schuster nachts auf dem Hotelzimmer anrief, lud er ihn für das nächste Spiel aus. Derwall: "Es sollte auch nur ein Spiel Sperre sein, eine Verwarnung, die darauf hinauslief, dass Bernd sein Gesicht wahren und professionell reagieren kann."

König von Spanien

Schuster aber schoss aus Spanien Giftpfeile ab, die seine Rückkehr unmöglich machten: "Lieber in Spanien König als in Deutschland Kuli." Später ließ er wissen, mit Breitner wolle er nicht zusammen spielen. So verpasste er die WM in seinem Gastland Spanien. Erst im November 1982 kam es zur Versöhnung mit Derwall und zum Comeback, auch weil Breitner zurückgetreten war. Am 29. Februar 1984 trug er in Brüssel letztmals das DFB-Trikot - mit 24 Jahren. Die folgende EM verpasste er wieder, nun war es Pech: Im Mai 1984 brach er sich in einem Liga-Spiel den Mittelfußknochen. Auch die WM 1986 ging ohne ihn über die Bühne, diesmal war sein Eigensinn schuld. Zunächst sprach er Teamchef Franz Beckenbauer die Eignung für diesen Job ab, die Fronten waren verhärtet.

Als der Kaiser in größter Personalnot im Frühjahr 1986 auf ihn zuging und ihn mit Anrufen bombardierte ("Bernd, ich brauche Dich!“), erklärte Schuster plötzlich seine Bereitschaft. Aber Frau Gaby forderte – ein einmaliger Vorgang – eine Million D-Mark netto für die Teilnahme ihres Mannes an der WM in Mexiko. Die Nation war schockiert, Nationalspieler Karlheinz Förster seufzte "unglaublich, unglaublich" und Bayerns Mittelstürmer Dieter Hoeneß sagte: "Ich hätte, um bei der WM zu spielen, sogar noch eine Million Mark mitgebracht!" Nach seiner Karriere, die er 1997 bei Unam Pumas in Mexiko beendete, bedauerte er des Öfteren: "Ich hätte gerne mal eine WM gespielt." Und Deutschland hätte ihn gerne bei einer WM spielen sehen.

Rückkehr ins Rheinland

Doch das Kapitel hatte er 1986 selbst beendet, niemand rief mehr nach Schuster, zumal der in Spanien zunehmend Schwierigkeiten bekam. Nach Krach mit Barcas Präsident Nunez saß er ein Jahr auf der Tribüne, dann wechselte er zu Real Madrid, wo er auf Anhieb zweimal Meister wurde. Trotzdem ging er wieder im Streit, 1990 wurde Atletico Madrid seine letzte Station in Spanien. Damit avancierte er zum ersten Ausländer, der bei drei großen spanischen Klubs unter Vertrag gestanden hatte. Auf seine alten Tage wollte er nach Deutschland zurück, was schon 1986 fast passiert wäre, als Günter Netzer ihn zum HSV locken wollte. Nun bemühte sich Bayer Leverkusen um ihn und Schuster kehrte 1993 ins Rheinland zurück. Er bezog im Bergischen Land ein Heim, das einer Festung glich. Mit hohen Mauern, Kameras und Wachpersonal. Dort widmete er sich der Pferdezucht.

Obwohl er 13 Jahre aus der Bundesliga weg gewesen war, fühlte man sich anfangs an den jungen Schuster erinnert. Noch immer marschierte er erhobenen Hauptes durchs Mittelfeld, schlug zentimetergenaue Pässe und schoss spektakuläre Tore, wie nur er sie im Repertoire hatte. Bei der Wahl zum Tor des Jahres 1994 war Schuster mit drei Treffern vertreten, die die schönsten eines Monats gewesen waren. Sie belegten die ersten drei Plätze, einmalig in der Geschichte der von der ARD durchgeführten Wahl. Mit seinem Tor des Jahres im August 1994 überwand er Nationaltorwart Andreas Köpke von der Mittelinie. So schön es begann, so schrecklich endete es – im Skandal. Die Parallelen zur Nationalmannschaft sind überdeutlich.

Trainer bei Real

Der neue Bayer-Trainer Erich Ribbeck strich den formschwachen Alt-Star im Herbst 1995 zum Punktspiel gegen den HSV aus dem Kader. Trotzkopf Schuster kam trotzdem und setzte sich demonstrativ auf die Bank. Von Manager Calmund, der ihm "Kreisklassen-Format" attestierte, forderte er Schmerzensgeld – es blieb bei der Drohung – und schließlich kam er mit Anwalt zum Training. Sein Recht darauf hatte er eingeklagt. Im März 1996 endete das unwürdige Schauspiel, mit einer Abfindung über 2,8 Millionen DM.

In den Bundesligaannalen wird er mit 120 Spielen und 18 Toren geführt. Als Trainer hat er die Rückkehr in die Bundesliga nicht geschafft, obwohl er noch im Mai im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen betonte, dass dies sein Wunsch sei: "Ich habe viele Jahre versucht, in die Bundesliga zu kommen. Das wäre schon superinteressant, aber bisher hat es nicht funktioniert.“ Nur bei den beiden Kölner Vereinen 1. FC und Fortuna durfte er Ende der Neunziger sein Glück versuchen, aber in der 2. Liga. Es waren die ersten von mittlerweile zehn Trainerstationen im unsteten Leben des Bernd Schuster, der seit seiner Entlassung im Februar beim chinesischen Klub Dalan Yifang auf Arbeitssuche ist.

Immerhin war es ihm in Spanien vergönnt, Real Madrid zu trainieren, wo er 2008 auf Anhieb Meister wurde, aber nach eineinhalb Jahren gehen musste. Wegen seiner Intimkenntnisse über den spanischen und den deutschen Fußball wird er in schöner Regelmäßigkeit von Medien beider Länder als Experte herangezogen – insbesondere wenn das Los in der Champions League Vertreter von Bundesliga und Primera Divison wieder einmal zusammenführt. So bleibt Schuster immer noch am Ball, aber wie schon für den Spieler gilt auch für den Trainer Schuster: Es hätte noch etwas besser laufen können.

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