Weltmeister und Weltbürger: Jürgen Klinsmann wird 60

Der junge Kerl, aus dem einmal ein Weltmeister werden sollte, wollte schon vor seinem allerersten Fußballspiel alles richtig machen. Noch heute sollen sie sich im schwäbischen Dörfchen mit dem bezeichnenden Namen Kuchen die Geschichte erzählen, wie der spätere Bäckerlehrling Jürgen Klinsmann hinter der Barriere mit rotglühenden Wangen seinen Trainer ganz verrückt gemacht hat mit seiner Fragerei. „Hei, was isch eigentlich Abseits? Kannste mer des jetzt erklären?“ Fragen eines Achtjährigen.

 Der steile Aufstieg des Jürgen Klinsmann

Jürgen Klinsmann, der heute 60 Jahre alt wird, hat auf seinem erstaunlichen Weg nach oben noch viele Fragen gestellt und so manches auch in Frage. Er war und ist bei aller Freundlichkeit kein bequemer Mensch, aber stets jemand gewesen, den der Erfolg begleitete. Als Spieler sicherlich etwas mehr als als Trainer, wo er mehr für große Emotionen denn für Titel steht. So wird Klinsmann immer ein Gesicht des Sommermärchens 2006 bleiben, das Deutschland mehr brachte als ein dritter Platz im eigenen Land. Heute wird er 60 – und hat allen Grund zufrieden zu sein. Ein Rückblick auf die bemerkenswerte Fußballer-Laufbahn eines Weltbürgers.

Jürgen Klinsmann also kommt mit acht Jahren nach abgebrochenen Versuchen in der Turn- und Handballabteilung der TG Gingen zum Fußball. Schon im zweiten Spiel schießt er sein erstes Tor und nun wird er nicht mehr eingewechselt. Seine handschriftlichen Aufzeichnungen in Tabellenform (Gegner, Ergebnis, Anzahl der eigenen Tore) über all seine Jugendspiele sind überliefert und künden von Großtaten, die  überregional für Aufsehen sorgen. Noch als E-Jugendlicher schießt er einmal 16 Tore bei einer Spielzeit von 2x20 Minuten, nach seiner ersten Saison 1973/74 stehen 106 Treffer zu Buche. Schon mit elf Jahren wird er deshalb erstmals abgeworben vom klassenhöheren SC Geislingen. Dort schießt er erst die D-, dann die C-Jugend zum Württemberg-Meister, auch weil keiner so schnell ist wie der blonde Blitz. Mit 16 holen ihn die Stuttgarter Kickers.

„Ich weiß, was es heißt, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten“

Beim Zweitligisten erhält er erstmals Post vom DFB, Berti Vogts nominiert ihn in die Jugend-Nationalmannschaft und als er als dreimaliger Nationalspieler heimkehrt und anschließend noch auf einer Junioren-EM für Vereine im Sommer 1980 sieben Tore erzielt, erhält er den ersten Profi-Vertrag. Immer noch mit 16. Der gilt zwar erst zwei Jahre später – gemäß den DFB-Statuten – aber die Kickers wollen sicher gehen, dass ihnen keiner das Juwel stiehlt. Der Teenager will auch Sicherheit und macht seine Bäcker-Lehre im väterlichen Betrieb in Stuttgart-Botnang zu Ende, „ich wollte einfach die Rückendeckung einer abgeschlossenen Berufsausbildung.“ Mit der Abgeklärtheit eines jungen Mannes, der schon früh weiß, was er will und sich seine Bodenständigkeit bewahrt hat, sagte er: „Ich weiß, was es heißt, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten“.

Fußballer müssen das in der Regel nicht, aber wer mehr will als andere, muss mehr tun. Bei den Kickers startet Klinsmann auch in der 2. Liga durch, schon mit 20 verpflichtet ihn der neue Deutsche Meister VfB Stuttgart. Nun gibt es mehr als 1500 DM brutto. Aber als Trainer Helmut Benthaus im Aktuellen Sportstudio im Mai 1984 dem Moderator Dieter Kürten auf die Frage nach den Zugängen den Namen Klinsmann nennt, sagt Kürten nur „Aha“.

Sie werden ihn bald alle kennenlernen. In der Sommerpause, als sich die neuen Kollegen am Strand Aalen, macht Klinsmann Einzeltraining, denn „ich wollte mit einem konditionellen Vorsprung zum ersten Training kommen.“ Er hat sein Credo allzeit gelebt: „Mich macht es rasend, wenn einer nicht sein Optimum rausholt. Man kann mal einen schlechten Tag haben, aber kämpfen bis zum Umfallen kann man in jedem Spiel.“ Die Saison 1984/85 ist für den VfB eine verlorene, der Meister stürzt auf Platz zehn. Aber einen Gewinner gibt es doch: Klinsmann erzielt in seinem ersten Bundesliga-Jahr bei 32 Einsätzen 15 Tore. Kein Feldspieler kommt häufiger zum Einsatz und weil er in Karl Allgöwer und Guido Buchwald, ebenfalls beide mit Kickers-Vergangenheit, schnell Freunde findet, fühlt er sich wohl beim VfB. Im März 1986 landet er dann da, wo ihn vor zwei Jahren noch keiner kannte: im Aktuellen Sport-Studio. Denn beim 7:0 in Düsseldorf erzielt er fünf Tore. Bis heute ist das Rekord für einen Auswärtsspieler und plötzlich kommt Bewegung in die Vertragsverhandlungen. Eigentlich wollen sie ihm beim VfB weniger zahlen, da schaltet „der Mann, der so schön jubeln kann“ (Kicker) erst mal auf stur. Das kann er gut und meistens setzt er sich durch.

 Anfänge in der deutschen Nationalmannschaft und das erste Auslandsabenteuer

Im November 1987 glückt ihm per Fallrückzieher gegen die Bayern das Tor des Jahres, auf der Tribüne sitzt ein sichtlich beeindruckter DFB-Teamchef Franz Beckenbauer. Einen Monat später geht die Nationalmannschaft auf Südamerikatournee und der Kaiser nimmt einen Haufen Neulinge mit: Christian Hochstätter, Manfred Schwabl, Franco Foda, Frank Ordenewitz und – Klinsmann. Von den anderen wird man praktisch nichts mehr hören im DFB-Dress, Klinsmann aber startet wieder durch. Gegen Brasilien und Argentinien macht er seine ersten Länderspiele – jeweils über 90 Minuten. Bei der EM 1988 im eigenen Land ist der Schwabe schon gesetzt. Nach der EM wird er zum Fußballer des Jahres gewählt und wie passend erscheint bereits die erste Biographie; Autor Roland Eitel, sein Weggefährte als Berater, skizziert seinen „Weg nach oben“. Dabei ist er gerade erst 24 und es wird noch viel höher gehen. In Seoul steht er in der deutschen Mannschaft, die bei Olympia die erste Fußballmedaille holt (Bronze).

Mit dem VfB kann er keine Titel gewinnen, auch wenn er 1986 im Pokalfinale steht und 1989 im UEFA-Cup-Finale. Da kommt das erste ganz große Auslandsangebot gerade recht, und nachdem sich Klinsmann bei Bayern-Manager Uli Hoeneß noch ein paar Tipps geholt hat, handelt er seinen Vertrag mit Inter Mailand 1989 selbst aus. Nie ist er sich zu schade, von den Besten zu lernen, entscheiden will er immer selbst. Auch das ist bezeichnend für Klinsmann.

Bei Inter spielt er an der Seite von Lothar Matthäus und Andreas Brehme. 1990 erreicht Klinsmann seinen Karrierehöhepunkt bei der WM in Italien. In allen sieben Spielen setzt ihn Franz Beckenbauer ein, auch wenn der Kaiser zuweilen ungehalten ist über Klinsmanns technische Unzulänglichkeiten („Du bist nicht Pelé, du bist Klinsmann!“). Aber die macht er mit Einsatz mehr als wett, gegen die Niederländer bestreitet er am 24. Juni 1990 in Mailand sein wohl bestes von 108 Länderspielen. Er krönt seine ungeheure Laufleistung mit einem Tor, das er seinem Freund Rudi Völler widmet, der zu Unrecht vom Platz gestellt worden ist.

 Weltmeister 1990 und die letzten Jahre seiner sehenswerten Karriere

Am 8. Juli wird Deutschland in Rom Weltmeister, mit Jürgen Klinsmann, dem bei der WM drei Tore gelingen. Nun ist er ein Weltstar, nun nimmt seine Reise durch Europa Fahrt auf. 1992 verlässt er Inter auch als UEFA-Cup-Sieger gen Monaco, 1994 geht er in die Premier League. Englands Medien begrüßen den neuen Stürmer von Tottenham Hotspur als „Diver“, als Schwalbenkönig also. Klinsmann reagiert mit spöttischer Gelassenheit, erkundigt sich auf seiner Vorstellung nach einer „Diving School“ (Tauchschule) und zelebriert sein erstes von 21 Saisontoren mit einem simulierten Hechtsprung ins Wasser. Diese Jubelart nennen sie auf der Insel noch heute „Doing a Klinsmann“. Nach der Saison wird er zu Englands „Fußballer des Jahres“ gewählt, aber auch das kann ihn nicht halten.

Die Bundesliga lockt ihn wieder, Bayern München ruft. Unter dem neuen Trainer Otto Rehhagel erlebt der Rekordmeister ein turbulentes Jahr, Details aus Klinsmanns Vertrag werden öffentlich, mit Lothar Matthäus kommt es zu einem Dauerkonflikt. Anlass ist die Ausbootung von Matthäus aus der Nationalmannschaft, für die der alte Leitwolf Klinsmann öffentlich verantwortlich macht. Trotzdem wird Klinsmann 1995 Welttorjäger und Bayern gewinnt 1996 vor allem dank seiner 15 Tore (bis 2001 Rekord) den UEFA-Cup – und 1997 die Meisterschaft. Es bleibt die einzige für Klinsmann, den es wieder mal wegzieht, „der Verein und ich passen nicht zusammen.“ Was neben den Titeln bleibt von zwei Jahren München ist ein legendärer Tritt in eine Werbetonne aus Wut über seine Auswechslung. Klinsmann entschuldigt sich umgehend bei Trainer Giovanni Trapattoni, auch im Bewusstsein um seine Vorbildfunktion als DFB-Kapitän.

Nach der verkorksten WM 1994, bei der Klinsmann jedoch fünf Tore erzielt, gibt ihm sein alter Förderer Berti Vogts die Binde. Und so darf Klinsmann am 30. Juni 1996 im Wembley-Stadion als erster Deutscher nach 1980 wieder den Silberpokal des Europameisters anfassen. Er selbst spielt trotz Verletzungspechs eine starke EM, schießt in der Vorrunde zwei herrliche Tore gegen Russland und trifft auch im Viertelfinale gegen Kroatien per Elfmeter. Zur WM 1998 nach Frankreich reist er wieder als Spieler von Tottenham Hotspur an, nachdem er die Vorrunde noch bei Sampdoria Genua verbracht hat. In Frankreich scheitert die in die Jahre gekommene DFB-Elf erneut im Viertelfinale, drei Klinsmann-Tore können daran nichts ändern. In Lyon endet seine grandiose Länderspiel-Karriere mit einem bitteren 0:3 gegen Kroatien. Bemerkenswerte 47 Tore katapultieren ihn in der Ehrentafel des deutschen Fußballs (DFB) auf Platz vier, hinter Miroslav Klose, Gerd Müller und Lukas Podolski und gleichauf mit seinem Spezi Rudi Völler. An diesem Tag beendet er auch seine Karriere als Vereinsspieler, von ein paar Inkognito-Einsätzen fünf Jahre später als „Jay Göppingen“ in den USA für Orange County Blue Star mal abgesehen. Aber schon bald kehrt er ins Rampenlicht zurück.

 Wechsel auf die Trainerbank

Als der deutsche Fußball nach der EM 2004 und dem Rücktritt von Rudi Völler wieder einen Bundestrainer sucht, fällt die Wahl überraschend auf Klinsmann. Berti Vogts gibt der „Trainer-Findungs-Kommission“ um Gerhard Mayer-Vorfelder den Tipp und der DFB wagt das Ungewöhnliche. Klinsmann hat noch keinerlei Erfahrung als Trainer, aber das schützt vor Visionen nicht. Seit 2001 ist er Vize-Präsident der Fußball-Beratungs-Agentur „Soccer Solutions“, nun kann er von der Theorie in die Praxis übergehen.

Von seinen Denkanstößen profitiert der deutsche Fußball bis heute, dass die Nationalmannschaft einen „Manager“ hat, geht beispielsweise auf ihn zurück. Dass sein Lebensmittelpunkt auch während der zwei Jahre als Bundestrainer Kalifornien bleibt, bringt ihm einige Polemik ein. Aber auch die Familie – er ist verheiratet mit Debbie und hat eine Tochter und einen Sohn – fordert ihr Recht. Dass er sich in den Medien nie Freunde gesucht und alle gleich behandelt hat, was wiederum nicht allen recht war, muss er nun ausbaden. Alles wird hinterfragt, auch vom DFB.

Dass er am geheiligten Schwarz-Weiß-Dress rüttelt und plötzlich auch in Rot spielen lässt, sorgt für Kritik. Er will damit Aggressivität ausstrahlen, lange genug sind die Deutschen in der Ära des „Rumpelfußballs“ gebückt gegangen. Klinsmann lässt sich nicht von seinem Kurs abbringen; dass der richtig zu sein scheint, lässt das junge Team um Talente wie Philipp LahmBastian Schweinsteiger und Lukas Podolski schon beim Confed-Cup 2005 erhoffen. Deutschland spielt wieder mutig, offensiv, erfrischend. Klinsmann lebt den Geist vor, gibt als Ziel vor der Heim-WM den Titel aus und experimentiert dafür zum Teil abenteuerlich. Er gibt Spielern eine Chance, die selbst im eigenen Verein noch nicht gesetzt sind. Vor der WM 2006 zaubert er den Debütanten David Odonkor von Borussia Dortmund aus dem Hut, der für Klinsmanns Philosophie steht: unverbraucht, frech, unbekümmert. Odonkor schlägt ein bei der WM, die bis zum Halbfinale ein einziger Triumphzug ist. Mit der 0:2-Niederlage gegen Italien platzen die Titelträume und Klinsmann findet keine Kraft mehr im Amt zu bleiben.

 Nationaltrainer der USA und Südkorea

Noch vor der WM 2014 gibt er im Interview mit dem Magazin „11 Freunde“ zu, dass seine Entscheidung übereilt gewesen sei. „Sicher hätte ich nach einer dreimonatigen Auszeit einen anderen Blick auf die Lage gehabt“, sagt er. Aber der, der ihm folgt, setzt sein Werk fort. Sein Assistent Joachim Löw übernimmt und macht Deutschland 2014 zum Weltmeister, auch dank eines Sieges über Klinsmann (1:0), der von 2011 bis 2016 sein neues Heimatland USA coacht.

Seiner Reputation als kreativer Reformer tun auch die Stipp-Visiten in der Bundesliga bei Bayern München 2008/09 (Entlassung) und Hertha BSC 2019/20 (Rücktritt), die nach wenigen Monaten enden, keinen großen Abbruch. Zuletzt coachte Freigeist die Mannschaft von Südkorea, mit der er 13 Spiele ungeschlagen blieb, ehe er im März das Halbfinale des Asien-Cups verlor. Das war den Verantwortlichen zu wenig, Klinsmann wurde entlassen. Dabei wollte er zu gern an der WM, die 2026 auch in den USA stattfindet, teilnehmen. Aber da er sich mit 60 noch lange nicht zur Ruhe setzen will, ist das keineswegs ausgeschlossen


Der junge Kerl, aus dem einmal ein Weltmeister werden sollte, wollte schon vor seinem allerersten Fußballspiel alles richtig machen. Noch heute sollen sie sich im schwäbischen Dörfchen mit dem bezeichnenden Namen Kuchen die Geschichte erzählen, wie der spätere Bäckerlehrling Jürgen Klinsmann hinter der Barriere mit rotglühenden Wangen seinen Trainer ganz verrückt gemacht hat mit seiner Fragerei. „Hei, was isch eigentlich Abseits? Kannste mer des jetzt erklären?“ Fragen eines Achtjährigen.

 Der steile Aufstieg des Jürgen Klinsmann

Jürgen Klinsmann, der heute 60 Jahre alt wird, hat auf seinem erstaunlichen Weg nach oben noch viele Fragen gestellt und so manches auch in Frage. Er war und ist bei aller Freundlichkeit kein bequemer Mensch, aber stets jemand gewesen, den der Erfolg begleitete. Als Spieler sicherlich etwas mehr als als Trainer, wo er mehr für große Emotionen denn für Titel steht. So wird Klinsmann immer ein Gesicht des Sommermärchens 2006 bleiben, das Deutschland mehr brachte als ein dritter Platz im eigenen Land. Heute wird er 60 – und hat allen Grund zufrieden zu sein. Ein Rückblick auf die bemerkenswerte Fußballer-Laufbahn eines Weltbürgers.

Jürgen Klinsmann also kommt mit acht Jahren nach abgebrochenen Versuchen in der Turn- und Handballabteilung der TG Gingen zum Fußball. Schon im zweiten Spiel schießt er sein erstes Tor und nun wird er nicht mehr eingewechselt. Seine handschriftlichen Aufzeichnungen in Tabellenform (Gegner, Ergebnis, Anzahl der eigenen Tore) über all seine Jugendspiele sind überliefert und künden von Großtaten, die  überregional für Aufsehen sorgen. Noch als E-Jugendlicher schießt er einmal 16 Tore bei einer Spielzeit von 2x20 Minuten, nach seiner ersten Saison 1973/74 stehen 106 Treffer zu Buche. Schon mit elf Jahren wird er deshalb erstmals abgeworben vom klassenhöheren SC Geislingen. Dort schießt er erst die D-, dann die C-Jugend zum Württemberg-Meister, auch weil keiner so schnell ist wie der blonde Blitz. Mit 16 holen ihn die Stuttgarter Kickers.

„Ich weiß, was es heißt, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten“

Beim Zweitligisten erhält er erstmals Post vom DFB, Berti Vogts nominiert ihn in die Jugend-Nationalmannschaft und als er als dreimaliger Nationalspieler heimkehrt und anschließend noch auf einer Junioren-EM für Vereine im Sommer 1980 sieben Tore erzielt, erhält er den ersten Profi-Vertrag. Immer noch mit 16. Der gilt zwar erst zwei Jahre später – gemäß den DFB-Statuten – aber die Kickers wollen sicher gehen, dass ihnen keiner das Juwel stiehlt. Der Teenager will auch Sicherheit und macht seine Bäcker-Lehre im väterlichen Betrieb in Stuttgart-Botnang zu Ende, „ich wollte einfach die Rückendeckung einer abgeschlossenen Berufsausbildung.“ Mit der Abgeklärtheit eines jungen Mannes, der schon früh weiß, was er will und sich seine Bodenständigkeit bewahrt hat, sagte er: „Ich weiß, was es heißt, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten“.

Fußballer müssen das in der Regel nicht, aber wer mehr will als andere, muss mehr tun. Bei den Kickers startet Klinsmann auch in der 2. Liga durch, schon mit 20 verpflichtet ihn der neue Deutsche Meister VfB Stuttgart. Nun gibt es mehr als 1500 DM brutto. Aber als Trainer Helmut Benthaus im Aktuellen Sportstudio im Mai 1984 dem Moderator Dieter Kürten auf die Frage nach den Zugängen den Namen Klinsmann nennt, sagt Kürten nur „Aha“.

Sie werden ihn bald alle kennenlernen. In der Sommerpause, als sich die neuen Kollegen am Strand Aalen, macht Klinsmann Einzeltraining, denn „ich wollte mit einem konditionellen Vorsprung zum ersten Training kommen.“ Er hat sein Credo allzeit gelebt: „Mich macht es rasend, wenn einer nicht sein Optimum rausholt. Man kann mal einen schlechten Tag haben, aber kämpfen bis zum Umfallen kann man in jedem Spiel.“ Die Saison 1984/85 ist für den VfB eine verlorene, der Meister stürzt auf Platz zehn. Aber einen Gewinner gibt es doch: Klinsmann erzielt in seinem ersten Bundesliga-Jahr bei 32 Einsätzen 15 Tore. Kein Feldspieler kommt häufiger zum Einsatz und weil er in Karl Allgöwer und Guido Buchwald, ebenfalls beide mit Kickers-Vergangenheit, schnell Freunde findet, fühlt er sich wohl beim VfB. Im März 1986 landet er dann da, wo ihn vor zwei Jahren noch keiner kannte: im Aktuellen Sport-Studio. Denn beim 7:0 in Düsseldorf erzielt er fünf Tore. Bis heute ist das Rekord für einen Auswärtsspieler und plötzlich kommt Bewegung in die Vertragsverhandlungen. Eigentlich wollen sie ihm beim VfB weniger zahlen, da schaltet „der Mann, der so schön jubeln kann“ (Kicker) erst mal auf stur. Das kann er gut und meistens setzt er sich durch.

 Anfänge in der deutschen Nationalmannschaft und das erste Auslandsabenteuer

Im November 1987 glückt ihm per Fallrückzieher gegen die Bayern das Tor des Jahres, auf der Tribüne sitzt ein sichtlich beeindruckter DFB-Teamchef Franz Beckenbauer. Einen Monat später geht die Nationalmannschaft auf Südamerikatournee und der Kaiser nimmt einen Haufen Neulinge mit: Christian Hochstätter, Manfred Schwabl, Franco Foda, Frank Ordenewitz und – Klinsmann. Von den anderen wird man praktisch nichts mehr hören im DFB-Dress, Klinsmann aber startet wieder durch. Gegen Brasilien und Argentinien macht er seine ersten Länderspiele – jeweils über 90 Minuten. Bei der EM 1988 im eigenen Land ist der Schwabe schon gesetzt. Nach der EM wird er zum Fußballer des Jahres gewählt und wie passend erscheint bereits die erste Biographie; Autor Roland Eitel, sein Weggefährte als Berater, skizziert seinen „Weg nach oben“. Dabei ist er gerade erst 24 und es wird noch viel höher gehen. In Seoul steht er in der deutschen Mannschaft, die bei Olympia die erste Fußballmedaille holt (Bronze).

Mit dem VfB kann er keine Titel gewinnen, auch wenn er 1986 im Pokalfinale steht und 1989 im UEFA-Cup-Finale. Da kommt das erste ganz große Auslandsangebot gerade recht, und nachdem sich Klinsmann bei Bayern-Manager Uli Hoeneß noch ein paar Tipps geholt hat, handelt er seinen Vertrag mit Inter Mailand 1989 selbst aus. Nie ist er sich zu schade, von den Besten zu lernen, entscheiden will er immer selbst. Auch das ist bezeichnend für Klinsmann.

Bei Inter spielt er an der Seite von Lothar Matthäus und Andreas Brehme. 1990 erreicht Klinsmann seinen Karrierehöhepunkt bei der WM in Italien. In allen sieben Spielen setzt ihn Franz Beckenbauer ein, auch wenn der Kaiser zuweilen ungehalten ist über Klinsmanns technische Unzulänglichkeiten („Du bist nicht Pelé, du bist Klinsmann!“). Aber die macht er mit Einsatz mehr als wett, gegen die Niederländer bestreitet er am 24. Juni 1990 in Mailand sein wohl bestes von 108 Länderspielen. Er krönt seine ungeheure Laufleistung mit einem Tor, das er seinem Freund Rudi Völler widmet, der zu Unrecht vom Platz gestellt worden ist.

 Weltmeister 1990 und die letzten Jahre seiner sehenswerten Karriere

Am 8. Juli wird Deutschland in Rom Weltmeister, mit Jürgen Klinsmann, dem bei der WM drei Tore gelingen. Nun ist er ein Weltstar, nun nimmt seine Reise durch Europa Fahrt auf. 1992 verlässt er Inter auch als UEFA-Cup-Sieger gen Monaco, 1994 geht er in die Premier League. Englands Medien begrüßen den neuen Stürmer von Tottenham Hotspur als „Diver“, als Schwalbenkönig also. Klinsmann reagiert mit spöttischer Gelassenheit, erkundigt sich auf seiner Vorstellung nach einer „Diving School“ (Tauchschule) und zelebriert sein erstes von 21 Saisontoren mit einem simulierten Hechtsprung ins Wasser. Diese Jubelart nennen sie auf der Insel noch heute „Doing a Klinsmann“. Nach der Saison wird er zu Englands „Fußballer des Jahres“ gewählt, aber auch das kann ihn nicht halten.

Die Bundesliga lockt ihn wieder, Bayern München ruft. Unter dem neuen Trainer Otto Rehhagel erlebt der Rekordmeister ein turbulentes Jahr, Details aus Klinsmanns Vertrag werden öffentlich, mit Lothar Matthäus kommt es zu einem Dauerkonflikt. Anlass ist die Ausbootung von Matthäus aus der Nationalmannschaft, für die der alte Leitwolf Klinsmann öffentlich verantwortlich macht. Trotzdem wird Klinsmann 1995 Welttorjäger und Bayern gewinnt 1996 vor allem dank seiner 15 Tore (bis 2001 Rekord) den UEFA-Cup – und 1997 die Meisterschaft. Es bleibt die einzige für Klinsmann, den es wieder mal wegzieht, „der Verein und ich passen nicht zusammen.“ Was neben den Titeln bleibt von zwei Jahren München ist ein legendärer Tritt in eine Werbetonne aus Wut über seine Auswechslung. Klinsmann entschuldigt sich umgehend bei Trainer Giovanni Trapattoni, auch im Bewusstsein um seine Vorbildfunktion als DFB-Kapitän.

Nach der verkorksten WM 1994, bei der Klinsmann jedoch fünf Tore erzielt, gibt ihm sein alter Förderer Berti Vogts die Binde. Und so darf Klinsmann am 30. Juni 1996 im Wembley-Stadion als erster Deutscher nach 1980 wieder den Silberpokal des Europameisters anfassen. Er selbst spielt trotz Verletzungspechs eine starke EM, schießt in der Vorrunde zwei herrliche Tore gegen Russland und trifft auch im Viertelfinale gegen Kroatien per Elfmeter. Zur WM 1998 nach Frankreich reist er wieder als Spieler von Tottenham Hotspur an, nachdem er die Vorrunde noch bei Sampdoria Genua verbracht hat. In Frankreich scheitert die in die Jahre gekommene DFB-Elf erneut im Viertelfinale, drei Klinsmann-Tore können daran nichts ändern. In Lyon endet seine grandiose Länderspiel-Karriere mit einem bitteren 0:3 gegen Kroatien. Bemerkenswerte 47 Tore katapultieren ihn in der Ehrentafel des deutschen Fußballs (DFB) auf Platz vier, hinter Miroslav Klose, Gerd Müller und Lukas Podolski und gleichauf mit seinem Spezi Rudi Völler. An diesem Tag beendet er auch seine Karriere als Vereinsspieler, von ein paar Inkognito-Einsätzen fünf Jahre später als „Jay Göppingen“ in den USA für Orange County Blue Star mal abgesehen. Aber schon bald kehrt er ins Rampenlicht zurück.

 Wechsel auf die Trainerbank

Als der deutsche Fußball nach der EM 2004 und dem Rücktritt von Rudi Völler wieder einen Bundestrainer sucht, fällt die Wahl überraschend auf Klinsmann. Berti Vogts gibt der „Trainer-Findungs-Kommission“ um Gerhard Mayer-Vorfelder den Tipp und der DFB wagt das Ungewöhnliche. Klinsmann hat noch keinerlei Erfahrung als Trainer, aber das schützt vor Visionen nicht. Seit 2001 ist er Vize-Präsident der Fußball-Beratungs-Agentur „Soccer Solutions“, nun kann er von der Theorie in die Praxis übergehen.

Von seinen Denkanstößen profitiert der deutsche Fußball bis heute, dass die Nationalmannschaft einen „Manager“ hat, geht beispielsweise auf ihn zurück. Dass sein Lebensmittelpunkt auch während der zwei Jahre als Bundestrainer Kalifornien bleibt, bringt ihm einige Polemik ein. Aber auch die Familie – er ist verheiratet mit Debbie und hat eine Tochter und einen Sohn – fordert ihr Recht. Dass er sich in den Medien nie Freunde gesucht und alle gleich behandelt hat, was wiederum nicht allen recht war, muss er nun ausbaden. Alles wird hinterfragt, auch vom DFB.

Dass er am geheiligten Schwarz-Weiß-Dress rüttelt und plötzlich auch in Rot spielen lässt, sorgt für Kritik. Er will damit Aggressivität ausstrahlen, lange genug sind die Deutschen in der Ära des „Rumpelfußballs“ gebückt gegangen. Klinsmann lässt sich nicht von seinem Kurs abbringen; dass der richtig zu sein scheint, lässt das junge Team um Talente wie Philipp LahmBastian Schweinsteiger und Lukas Podolski schon beim Confed-Cup 2005 erhoffen. Deutschland spielt wieder mutig, offensiv, erfrischend. Klinsmann lebt den Geist vor, gibt als Ziel vor der Heim-WM den Titel aus und experimentiert dafür zum Teil abenteuerlich. Er gibt Spielern eine Chance, die selbst im eigenen Verein noch nicht gesetzt sind. Vor der WM 2006 zaubert er den Debütanten David Odonkor von Borussia Dortmund aus dem Hut, der für Klinsmanns Philosophie steht: unverbraucht, frech, unbekümmert. Odonkor schlägt ein bei der WM, die bis zum Halbfinale ein einziger Triumphzug ist. Mit der 0:2-Niederlage gegen Italien platzen die Titelträume und Klinsmann findet keine Kraft mehr im Amt zu bleiben.

 Nationaltrainer der USA und Südkorea

Noch vor der WM 2014 gibt er im Interview mit dem Magazin „11 Freunde“ zu, dass seine Entscheidung übereilt gewesen sei. „Sicher hätte ich nach einer dreimonatigen Auszeit einen anderen Blick auf die Lage gehabt“, sagt er. Aber der, der ihm folgt, setzt sein Werk fort. Sein Assistent Joachim Löw übernimmt und macht Deutschland 2014 zum Weltmeister, auch dank eines Sieges über Klinsmann (1:0), der von 2011 bis 2016 sein neues Heimatland USA coacht.

Seiner Reputation als kreativer Reformer tun auch die Stipp-Visiten in der Bundesliga bei Bayern München 2008/09 (Entlassung) und Hertha BSC 2019/20 (Rücktritt), die nach wenigen Monaten enden, keinen großen Abbruch. Zuletzt coachte Freigeist die Mannschaft von Südkorea, mit der er 13 Spiele ungeschlagen blieb, ehe er im März das Halbfinale des Asien-Cups verlor. Das war den Verantwortlichen zu wenig, Klinsmann wurde entlassen. Dabei wollte er zu gern an der WM, die 2026 auch in den USA stattfindet, teilnehmen. Aber da er sich mit 60 noch lange nicht zur Ruhe setzen will, ist das keineswegs ausgeschlossen

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