Weltmeister Overath wird 80

Auch diesmal hat er wieder allen Rede und Antwort gestanden, die ihn nach seinem Leben, seinem Befinden und seiner Karriere befragten, und noch immer lesen wir die Worte eines glücklichen und zufriedenen Menschen. Eines Mannes, der noch jeden Tag ins eigene Büro geht, sich um seine Immobilien kümmert und dem lieben Gott dankbar ist für alles, was ihm dieses Leben beschert hat. Wolfgang Overath wird heute 80 und ist im Kopf noch immer so jung wie damals, als er vor 60 Jahren dem Ball nachlief. Auch körperlich hat er wenig, eigentlich nichts, von einem Achtzigjährigen. Denn wie viele seines Alters kicken noch zweimal die Woche in der Halle?

Dass Overath, der Weltmeister von 1974, von einem "schrecklichen Tag" gesprochen hat angesichts des Jubiläums, darf man getrost als humorvollen Beitrag abtun. Das Alter muss er nicht fürchten, höchstens das Brimborium, das um solche runden Geburtstage gemacht wird. Nach den Erfahrungen an seinem 50. Geburtstag, als er 500 Gästen "zwei Stunden nur Hände geschüttelt" habe, will er es wie bei den dann folgenden Jubiläen halten: "Ich haue sicher ab", hat er der dpa gesagt – aber natürlich nicht, wohin. Mitwisser sind nur Frau Katrin, die eine von zwei Lieben seines Lebens, und die drei Kinder. Denn die kommen mit.

"Ohne Fußball kann ich nicht leben"

Die andere Liebe ist die zum Fußball, die er fast ausschließlich im Trikot des 1. FC Köln auslebte. "Früher ist man zu einem Verein gegangen, den man liebte und über den man sagte: 'Das ist mein Verein.' Das gibt es heute gar nicht mehr", sagte Overath erst neulich in einem seiner vielen Geburtstagsinterviews dem DFL-Magazin.

Schauen wir zurück auf diese Liebesgeschichte und beginnen mit dem Ende: "Ich hänge am Fußball. Ohne Fußball kann ich nicht leben. Ich würde Trainer werden, wenn ich keine Familie hätte. Vierzehn Jahre bin ich herumgewandert. Das reicht." So sprach Wolfgang Overath im August 1977, drei Monate nach seinem Abschiedsspiel. 46 Jahre ist das jetzt her, und ohne den Fußball kann er noch immer nicht leben. Dienstags und donnerstags kickt er mit Kumpels in der Halle. Er ist dort der Älteste und eher nicht der Schnellste, aber gewiss noch immer der Ehrgeizigste. Schluss ist erst, wenn sein Team gewonnen hat. So war es immer. Fußball ist ein Spiel für ihn, aber kein Spaß. Auch nicht in der Halle am Kölner Geißbockheim. Es ist schon vorgekommen, dass er Mitspieler, die er im Eifer des Gefechts zusammengefaltet hat, abends telefonisch um Entschuldigung bat: "Sorry, so bin ich halt!"

Von 2004 bis 2011 Präsident seines 1. FC Köln

Sie wissen ja, wie er war. Gewiss der Größte seines Klubs! Nur Hans Schäfer, 20 Jahre vor ihm Kölns erster Weltmeister, steht vielleicht noch auf seiner Stufe in der Ruhmeshalle seines 1. FC Köln. Da werden sich die Generationen wohl ewig streiten. Es schmeichelt Overath, dass ihn zu seinem Jubiläum kaum ein Medium von Rang vergessen hat. Manchen Journalisten empfängt er bei seinem Lieblingsitaliener in Bonn und erzählt kenntnisreich von früher. Nicht weil er so von sich eingenommen wäre, sondern weil er eben immer wieder darum gebeten wird und höflich genug ist, die Wünsche der Fragesteller zu beantworten. Ansonsten lebt der Vater zweier Söhne und Adoptivvater einer Tochter (aus Brasilien) gut und gerne in der Gegenwart, macht sich seit vielen Jahren schon um Obdachlose und Notleidende verdient und bedankt sich jeden Tag dafür, "dass der da oben mich auf die Sonnenseite des Lebens gestellt hat."

Immer stand er dort auch nicht. Von 2004 bis 2011 stand er als Präsident seines 1. FC Köln auf einer Plattform, wo man mit Teamgeist und Vereinsliebe allein nicht existieren kann. Wo er keine Traumpässe schlagen konnte und wo die Gegner nicht einfach durch ein andersfarbiges Trikot zu erkennen waren. Wolfgang Overath hatte sich in einem Alter, in dem andere in Rente gehen, aufgeopfert für seinen 1. FC im Wissen darum, dass man in verantwortlicher Position eben auch für alles verantwortlich gemacht wird. Und dass der Denkmalschutz spätestens im Abstiegskampf verfällt. Im November 2011 trat er zurück und die Mitglieder des Klubs, für den er sein Fußballerleben lang spielte, verweigerten die Entlastung des Vorstands. Das war also der Dank für sieben Jahre ehrenamtlicher Tätigkeit an vorderster Front. Jahrelang ging er nicht mehr ins Stadion, jetzt ist der Zorn endlich verraucht und man sieht ihn längst wieder auf der Ehrentribüne.

Overaths Startrekord hält bis 1994

Glücklicher war gewiss seine Zeit als Aktiver. Es war dieser brennende Ehrgeiz, der aus dem Riesentalent aus einfachen Verhältnissen, er war das jüngste von acht Geschwistern, einen Weltstar und wohlhabenden Mann gemacht hat. DFB-Trainer Dettmar Cramer war einer der ersten, der sein Talent erkannte und setzte durch, dass ein 16-Jähriger aus Siegburg am Rhein bereits mit den 18-Jährigen für Deutschland spielen durfte. In der sogenannten "Schüler-Mannschaft" trug Overath am 18. Juni 1960 beim 1:0 gegen Dänemark in Vejle erstmals den Adler; er fehlte auch in den folgenden zwölf Spielen nicht, dann wurde er zu alt. Und dann kam die Bundesliga, in die Overath trotz Offerten aus Dortmund, Leverkusen und Offenbach mit dem 1. FC Köln ging, weil ihn dessen Präsident Franz Kremer mit seiner Persönlichkeit so beeindruckte. Dafür nahm er eine einjährige Sperre auf sich, womit damals Vereinswechsel noch bestraft wurden, wenn keine Freigabe erteilt wurde. Aber er war am richtigen Ort. Der 1. FC Köln war der am besten vorbereitete Verein der neuen Bundesliga, Kremer ihr geistiger Vater, Overath ihr erstes Wunderkind.

Gleich das erste Tor der Kölner in Saarbrücken ging auf das Konto des damals 19-Jährigen. Und so wie es aussah, schien dieser junge Mann jede Woche ein Tor zu schießen. So war es auch am 2. Spieltag, am 3. Spieltag und am 4. Spieltag der Premierensaison. Dieser Startrekord hielt bis 1994, ehe ein gewisser Fredi Bobic aus Stuttgart gar in den ersten fünf Bundesligaspielen traf.

409 Bundesligaspiele für den FC

Bundestrainer Sepp Herberger hatte 1963 genau mitgezählt und berief Overath zum Länderspiel gegen die Türkei in Frankfurt. Zwanzig Minuten vor Schluss kam er einen Tag vor seinem 20. Geburtstag zum Einsatz und machte seine Sache gut. "Ihn hätten wir gern von Anfang an gesehen", monierte das Sport Magazin.

Aber wieder hatte er einen Rekord, den er sich mit dem Schalker Reinhard alias "Stan" Libuda und Duisburgs Werner Krämer teilte. Nach nur fünf Bundesligaspielen in der Nationalmannschaft zu debütieren – das sollte es fast 40 Jahre nicht geben, ehe Rudi Völler den Herthaner Arne Friedrich 2002 nach nur zwei Einsätzen beförderte. Wolfgang Overath stellte so einige Rekorde auf, wenn auch keinen für die Ewigkeit. 1964 war er mit gerade 20 der jüngste Meisterspieler, denn sein 1. FC holte auf Anhieb die Schale und er war immer dabei gewesen. 1973 holte er sich den Titel des Rekordspielers der Bundesliga, ausgerechnet an seinem 30. Geburtstag mit seinem 300. Einsatz. Als er 1977 abtrat, hatte er ihn noch, mit 409 Einsätzen nur für seinen 1. FC (407 in der Startelf, nur eine Rote Karte), dann überflügelten ihn noch ein paar Dutzend Dauerbrenner. Heute steht er auf Platz 51, aber für seinen 1. FC hat nur Toni Schumacher öfter in der Bundesliga gespielt.

Rücktritt nach dem WM-Titel 1974

Ein Spieler für die Ewigkeit ist er allemal; wer kann schon sagen, an drei WM-Endrunden teilgenommen zu haben? 19 WM-Spiele in Folge sind noch immer deutscher Rekord, darauf weist er gern hin. Dabei hat er in zwei Finals und in zwei Jahrhundertspielen, damals in Mexiko, gestanden – und wie viele dürfen sich Weltmeister nennen? Am 7. Juli 1974 trat Overath auf dem Höhepunkt seiner Karriere aus der Nationalelf zurück, nach dem 81. Länderspiel, dem 2:1 gegen die Niederlande. Es war eine Genugtuung für entgangene Siegerweihen bei den Dramen von Wembley 1966 und Mexiko City 1970. Und für die Schmähungen der Zuschauer, derentwegen er im April 1974 auf der Rückfahrt aus München, wo ihn die Bayern-Fans besonders ausgepfiffen hatten, seinen WM-Verzicht beschlossen hatte. Zum Glück ignorierte Bundestrainer Helmut Schön diesen Beschluss des ewig sensiblen Genies einfach und bestellte ihn nach Malente. Als er dann gegen Australien traf und sie ihn feierten, raunte er nur: "So wandelbar ist die Gunst der Massen."

Dass die Fans ihn außerhalb Kölns nicht liebten, lag auch an seinem ewigen Rivalen Günter Netzer, der bei der EM 1972 in Brüssel seinen internationalen Durchbruch schaffte, während Overath wegen einer Leistenverletzung fehlte. Es war der einzige Moment, in dem der Mönchengladbacher Netzer wirklich hoch über ihm stand. Im Ansehen der Fußballanhänger stieg der noch durch seinen Wechsel zu Real Madrid – als erster Deutscher. Diesen Mann wollten sie bei der WM die Fäden ziehen sehen, nicht den oft launischen Overath.

Netzer oder Overath?

Dass der Ehrgeizigere der Spielmacher das Dauerduell jener Epoche gegen den Genialeren gewann, spricht Bände. Netzer oder Overath? Die große Frage des deutschen Fußballs beantwortete Bundestrainer Helmut Schön meist zu Gunsten des Kölners und wurde reichlich belohnt. "Von 1966 bis 1974 hatten wir meiner Meinung nach die beste Nationalmannschaft aller Zeiten", sagt Overath und wer die Zeit miterlebt hat und Vergleiche ziehen kann, mag kaum widersprechen. Aber so wie er damals spielen durfte, könnte er es heute wohl nicht mehr. Die Zehner hatten noch Muße, ein Spiel aufzuziehen.

Wie so manches Genie des Weltfußballs machte er alles buchstäblich mit links, seine Pässe kamen an der Schnur gezogen mindestens so sicher beim Adressaten an wie die Paketpost. Während Netzer, mit dem er sich privat sehr gut verstand, in die weite Welt zog, blieb Overath immer in Köln, wurde Kapitän und Idol: 765 Spiele wurden gezählt, 287 Tore. Eine Treue, die nicht allzu reichlich belohnt wurde.

"Ich habe alles erreicht, was es im Fußball zu erreichen gibt"

Zu der ersten Meisterschaft kam keine mehr hinzu, 1968 und 1977 wurde er Pokalsieger, die Endspiele 1971 und 1973 verloren die Kölner. Während Netzer zwei Mal Fußballer des Jahres wurde, war Overath das nicht vergönnt. Er wusste auch wieso: "Ich habe zu viele Journalisten unter meinen Feinden." Das sagte er 1973, weil der zur Offenheit neigende Rheinländer so manchen Reporter zur Rede stellte, der aus seiner Sicht an der Wahrheit vorbei geschrieben hatte. Da war er nicht minder hitzig als auf dem Feld, was ihm den Titel "Vulkan vom Rhein" einbrachte. "Sicher wäre es in 14 Jahren auch einmal möglich gewesen, den Overath zu wählen - schließlich habe auch ich alles erreicht, was es im Fußball zu erreichen gibt", sagte er nach seinem Abschiedsspiel, zu dem die Nationalmannschaft ins Müngersdorfer Stadion gekommen war.

Dass er im Zorn ging, ist allgemein bekannt – weil Trainer Hennes Weisweiler ihn im wiederholten Pokalfinale von 1977 als Höhepunkt monatelanger Auseinandersetzungen auf die Bank gesetzt hatte. "Heute bin ich ihm dankbar dafür“, hat er mal gesagt. Weil er sonst geblieben wäre, obwohl die beste Zeit vorbei war. Mit Schonung durch seine Kritiker hätte er nicht rechnen dürfen.

So schlug er, nun 34-jährig, den Drei-Jahres-Vertrag aus, so wie er auch Offerten aus allen Richtungen ausschlug. Selbst in Chicago waren sie heiß auf ihn, aber seine Frau sagte demonstrativ: "Du kannst gehen – ich bleibe hier!" Das war ein gewichtiger Grund, ein anderer seine Rechtschaffenheit. "Ich bekam bei meinem Abschiedsspiel sehr viel Geld. Wenn ich woanders weitergemacht hätte, wäre das ja Betrug an den Zuschauern gewesen." So war er und so ist er noch heute – mit 80.

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Auch diesmal hat er wieder allen Rede und Antwort gestanden, die ihn nach seinem Leben, seinem Befinden und seiner Karriere befragten, und noch immer lesen wir die Worte eines glücklichen und zufriedenen Menschen. Eines Mannes, der noch jeden Tag ins eigene Büro geht, sich um seine Immobilien kümmert und dem lieben Gott dankbar ist für alles, was ihm dieses Leben beschert hat. Wolfgang Overath wird heute 80 und ist im Kopf noch immer so jung wie damals, als er vor 60 Jahren dem Ball nachlief. Auch körperlich hat er wenig, eigentlich nichts, von einem Achtzigjährigen. Denn wie viele seines Alters kicken noch zweimal die Woche in der Halle?

Dass Overath, der Weltmeister von 1974, von einem "schrecklichen Tag" gesprochen hat angesichts des Jubiläums, darf man getrost als humorvollen Beitrag abtun. Das Alter muss er nicht fürchten, höchstens das Brimborium, das um solche runden Geburtstage gemacht wird. Nach den Erfahrungen an seinem 50. Geburtstag, als er 500 Gästen "zwei Stunden nur Hände geschüttelt" habe, will er es wie bei den dann folgenden Jubiläen halten: "Ich haue sicher ab", hat er der dpa gesagt – aber natürlich nicht, wohin. Mitwisser sind nur Frau Katrin, die eine von zwei Lieben seines Lebens, und die drei Kinder. Denn die kommen mit.

"Ohne Fußball kann ich nicht leben"

Die andere Liebe ist die zum Fußball, die er fast ausschließlich im Trikot des 1. FC Köln auslebte. "Früher ist man zu einem Verein gegangen, den man liebte und über den man sagte: 'Das ist mein Verein.' Das gibt es heute gar nicht mehr", sagte Overath erst neulich in einem seiner vielen Geburtstagsinterviews dem DFL-Magazin.

Schauen wir zurück auf diese Liebesgeschichte und beginnen mit dem Ende: "Ich hänge am Fußball. Ohne Fußball kann ich nicht leben. Ich würde Trainer werden, wenn ich keine Familie hätte. Vierzehn Jahre bin ich herumgewandert. Das reicht." So sprach Wolfgang Overath im August 1977, drei Monate nach seinem Abschiedsspiel. 46 Jahre ist das jetzt her, und ohne den Fußball kann er noch immer nicht leben. Dienstags und donnerstags kickt er mit Kumpels in der Halle. Er ist dort der Älteste und eher nicht der Schnellste, aber gewiss noch immer der Ehrgeizigste. Schluss ist erst, wenn sein Team gewonnen hat. So war es immer. Fußball ist ein Spiel für ihn, aber kein Spaß. Auch nicht in der Halle am Kölner Geißbockheim. Es ist schon vorgekommen, dass er Mitspieler, die er im Eifer des Gefechts zusammengefaltet hat, abends telefonisch um Entschuldigung bat: "Sorry, so bin ich halt!"

Von 2004 bis 2011 Präsident seines 1. FC Köln

Sie wissen ja, wie er war. Gewiss der Größte seines Klubs! Nur Hans Schäfer, 20 Jahre vor ihm Kölns erster Weltmeister, steht vielleicht noch auf seiner Stufe in der Ruhmeshalle seines 1. FC Köln. Da werden sich die Generationen wohl ewig streiten. Es schmeichelt Overath, dass ihn zu seinem Jubiläum kaum ein Medium von Rang vergessen hat. Manchen Journalisten empfängt er bei seinem Lieblingsitaliener in Bonn und erzählt kenntnisreich von früher. Nicht weil er so von sich eingenommen wäre, sondern weil er eben immer wieder darum gebeten wird und höflich genug ist, die Wünsche der Fragesteller zu beantworten. Ansonsten lebt der Vater zweier Söhne und Adoptivvater einer Tochter (aus Brasilien) gut und gerne in der Gegenwart, macht sich seit vielen Jahren schon um Obdachlose und Notleidende verdient und bedankt sich jeden Tag dafür, "dass der da oben mich auf die Sonnenseite des Lebens gestellt hat."

Immer stand er dort auch nicht. Von 2004 bis 2011 stand er als Präsident seines 1. FC Köln auf einer Plattform, wo man mit Teamgeist und Vereinsliebe allein nicht existieren kann. Wo er keine Traumpässe schlagen konnte und wo die Gegner nicht einfach durch ein andersfarbiges Trikot zu erkennen waren. Wolfgang Overath hatte sich in einem Alter, in dem andere in Rente gehen, aufgeopfert für seinen 1. FC im Wissen darum, dass man in verantwortlicher Position eben auch für alles verantwortlich gemacht wird. Und dass der Denkmalschutz spätestens im Abstiegskampf verfällt. Im November 2011 trat er zurück und die Mitglieder des Klubs, für den er sein Fußballerleben lang spielte, verweigerten die Entlastung des Vorstands. Das war also der Dank für sieben Jahre ehrenamtlicher Tätigkeit an vorderster Front. Jahrelang ging er nicht mehr ins Stadion, jetzt ist der Zorn endlich verraucht und man sieht ihn längst wieder auf der Ehrentribüne.

Overaths Startrekord hält bis 1994

Glücklicher war gewiss seine Zeit als Aktiver. Es war dieser brennende Ehrgeiz, der aus dem Riesentalent aus einfachen Verhältnissen, er war das jüngste von acht Geschwistern, einen Weltstar und wohlhabenden Mann gemacht hat. DFB-Trainer Dettmar Cramer war einer der ersten, der sein Talent erkannte und setzte durch, dass ein 16-Jähriger aus Siegburg am Rhein bereits mit den 18-Jährigen für Deutschland spielen durfte. In der sogenannten "Schüler-Mannschaft" trug Overath am 18. Juni 1960 beim 1:0 gegen Dänemark in Vejle erstmals den Adler; er fehlte auch in den folgenden zwölf Spielen nicht, dann wurde er zu alt. Und dann kam die Bundesliga, in die Overath trotz Offerten aus Dortmund, Leverkusen und Offenbach mit dem 1. FC Köln ging, weil ihn dessen Präsident Franz Kremer mit seiner Persönlichkeit so beeindruckte. Dafür nahm er eine einjährige Sperre auf sich, womit damals Vereinswechsel noch bestraft wurden, wenn keine Freigabe erteilt wurde. Aber er war am richtigen Ort. Der 1. FC Köln war der am besten vorbereitete Verein der neuen Bundesliga, Kremer ihr geistiger Vater, Overath ihr erstes Wunderkind.

Gleich das erste Tor der Kölner in Saarbrücken ging auf das Konto des damals 19-Jährigen. Und so wie es aussah, schien dieser junge Mann jede Woche ein Tor zu schießen. So war es auch am 2. Spieltag, am 3. Spieltag und am 4. Spieltag der Premierensaison. Dieser Startrekord hielt bis 1994, ehe ein gewisser Fredi Bobic aus Stuttgart gar in den ersten fünf Bundesligaspielen traf.

409 Bundesligaspiele für den FC

Bundestrainer Sepp Herberger hatte 1963 genau mitgezählt und berief Overath zum Länderspiel gegen die Türkei in Frankfurt. Zwanzig Minuten vor Schluss kam er einen Tag vor seinem 20. Geburtstag zum Einsatz und machte seine Sache gut. "Ihn hätten wir gern von Anfang an gesehen", monierte das Sport Magazin.

Aber wieder hatte er einen Rekord, den er sich mit dem Schalker Reinhard alias "Stan" Libuda und Duisburgs Werner Krämer teilte. Nach nur fünf Bundesligaspielen in der Nationalmannschaft zu debütieren – das sollte es fast 40 Jahre nicht geben, ehe Rudi Völler den Herthaner Arne Friedrich 2002 nach nur zwei Einsätzen beförderte. Wolfgang Overath stellte so einige Rekorde auf, wenn auch keinen für die Ewigkeit. 1964 war er mit gerade 20 der jüngste Meisterspieler, denn sein 1. FC holte auf Anhieb die Schale und er war immer dabei gewesen. 1973 holte er sich den Titel des Rekordspielers der Bundesliga, ausgerechnet an seinem 30. Geburtstag mit seinem 300. Einsatz. Als er 1977 abtrat, hatte er ihn noch, mit 409 Einsätzen nur für seinen 1. FC (407 in der Startelf, nur eine Rote Karte), dann überflügelten ihn noch ein paar Dutzend Dauerbrenner. Heute steht er auf Platz 51, aber für seinen 1. FC hat nur Toni Schumacher öfter in der Bundesliga gespielt.

Rücktritt nach dem WM-Titel 1974

Ein Spieler für die Ewigkeit ist er allemal; wer kann schon sagen, an drei WM-Endrunden teilgenommen zu haben? 19 WM-Spiele in Folge sind noch immer deutscher Rekord, darauf weist er gern hin. Dabei hat er in zwei Finals und in zwei Jahrhundertspielen, damals in Mexiko, gestanden – und wie viele dürfen sich Weltmeister nennen? Am 7. Juli 1974 trat Overath auf dem Höhepunkt seiner Karriere aus der Nationalelf zurück, nach dem 81. Länderspiel, dem 2:1 gegen die Niederlande. Es war eine Genugtuung für entgangene Siegerweihen bei den Dramen von Wembley 1966 und Mexiko City 1970. Und für die Schmähungen der Zuschauer, derentwegen er im April 1974 auf der Rückfahrt aus München, wo ihn die Bayern-Fans besonders ausgepfiffen hatten, seinen WM-Verzicht beschlossen hatte. Zum Glück ignorierte Bundestrainer Helmut Schön diesen Beschluss des ewig sensiblen Genies einfach und bestellte ihn nach Malente. Als er dann gegen Australien traf und sie ihn feierten, raunte er nur: "So wandelbar ist die Gunst der Massen."

Dass die Fans ihn außerhalb Kölns nicht liebten, lag auch an seinem ewigen Rivalen Günter Netzer, der bei der EM 1972 in Brüssel seinen internationalen Durchbruch schaffte, während Overath wegen einer Leistenverletzung fehlte. Es war der einzige Moment, in dem der Mönchengladbacher Netzer wirklich hoch über ihm stand. Im Ansehen der Fußballanhänger stieg der noch durch seinen Wechsel zu Real Madrid – als erster Deutscher. Diesen Mann wollten sie bei der WM die Fäden ziehen sehen, nicht den oft launischen Overath.

Netzer oder Overath?

Dass der Ehrgeizigere der Spielmacher das Dauerduell jener Epoche gegen den Genialeren gewann, spricht Bände. Netzer oder Overath? Die große Frage des deutschen Fußballs beantwortete Bundestrainer Helmut Schön meist zu Gunsten des Kölners und wurde reichlich belohnt. "Von 1966 bis 1974 hatten wir meiner Meinung nach die beste Nationalmannschaft aller Zeiten", sagt Overath und wer die Zeit miterlebt hat und Vergleiche ziehen kann, mag kaum widersprechen. Aber so wie er damals spielen durfte, könnte er es heute wohl nicht mehr. Die Zehner hatten noch Muße, ein Spiel aufzuziehen.

Wie so manches Genie des Weltfußballs machte er alles buchstäblich mit links, seine Pässe kamen an der Schnur gezogen mindestens so sicher beim Adressaten an wie die Paketpost. Während Netzer, mit dem er sich privat sehr gut verstand, in die weite Welt zog, blieb Overath immer in Köln, wurde Kapitän und Idol: 765 Spiele wurden gezählt, 287 Tore. Eine Treue, die nicht allzu reichlich belohnt wurde.

"Ich habe alles erreicht, was es im Fußball zu erreichen gibt"

Zu der ersten Meisterschaft kam keine mehr hinzu, 1968 und 1977 wurde er Pokalsieger, die Endspiele 1971 und 1973 verloren die Kölner. Während Netzer zwei Mal Fußballer des Jahres wurde, war Overath das nicht vergönnt. Er wusste auch wieso: "Ich habe zu viele Journalisten unter meinen Feinden." Das sagte er 1973, weil der zur Offenheit neigende Rheinländer so manchen Reporter zur Rede stellte, der aus seiner Sicht an der Wahrheit vorbei geschrieben hatte. Da war er nicht minder hitzig als auf dem Feld, was ihm den Titel "Vulkan vom Rhein" einbrachte. "Sicher wäre es in 14 Jahren auch einmal möglich gewesen, den Overath zu wählen - schließlich habe auch ich alles erreicht, was es im Fußball zu erreichen gibt", sagte er nach seinem Abschiedsspiel, zu dem die Nationalmannschaft ins Müngersdorfer Stadion gekommen war.

Dass er im Zorn ging, ist allgemein bekannt – weil Trainer Hennes Weisweiler ihn im wiederholten Pokalfinale von 1977 als Höhepunkt monatelanger Auseinandersetzungen auf die Bank gesetzt hatte. "Heute bin ich ihm dankbar dafür“, hat er mal gesagt. Weil er sonst geblieben wäre, obwohl die beste Zeit vorbei war. Mit Schonung durch seine Kritiker hätte er nicht rechnen dürfen.

So schlug er, nun 34-jährig, den Drei-Jahres-Vertrag aus, so wie er auch Offerten aus allen Richtungen ausschlug. Selbst in Chicago waren sie heiß auf ihn, aber seine Frau sagte demonstrativ: "Du kannst gehen – ich bleibe hier!" Das war ein gewichtiger Grund, ein anderer seine Rechtschaffenheit. "Ich bekam bei meinem Abschiedsspiel sehr viel Geld. Wenn ich woanders weitergemacht hätte, wäre das ja Betrug an den Zuschauern gewesen." So war er und so ist er noch heute – mit 80.

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