Völler zur WM 1990: "Es gibt eben doch einen Fußballgott"

DFB.de: Einen Elfmeter gab es dann – für Deutschland. Sie waren nicht ganz unbeteiligt.

Völler: Dass man den nicht geben muss, habe ich schon oft gesagt. Aber es hat ihn gegeben. Die Argentinier haben sich aufgeregt, wir hätten es nicht anders gemacht. Unter dem Strich kann man sagen, dass es eben doch einen Fußballgott gibt. 1986 ist die richtige Mannschaft Weltmeister geworden, 1990 auch.

DFB.de: Den Elfer hat Andy Brehme geschossen. Wie sicher waren Sie, dass er verwandeln würde?

Völler: Sehr sicher. Obwohl Sergio Goycochea die Argentinier mit seinen Reflexen in zwei Elfmeterschießen im Turnier gehalten hatte. Andy war sehr konzentriert, ein überragender Schütze, eiskalt, ohne Nerven. Ich hatte keine Zweifel.

DFB.de: Mit dem Tor war das Spiel entschieden.

Völler: Ja, in diesem Fall schon. Das war untypisch. Wenn man nur 1:0 führt, zittert man oft dem Schlusspfiff entgegen, weil man erst dann weiß, ob man gewonnen hat. Im Finale von Rom wussten wir, dass nichts mehr passiert. Wir haben die letzten Minuten richtig genossen. Wir waren ohnehin besser, und die Argentinier hatten einen und später sogar zwei Spieler weniger. Wir konnten den Ball laufen lassen, haben den Sieg innerlich schon auf dem Spielfeld zelebriert und Argentinien gar nicht mehr an den Ball gelassen. Die letzten Minuten waren ein einziger Genuss – wir wussten, dass wir gleich Weltmeister sein werden. Das war ein unbeschreibliches Gefühl.

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Vor 25 Jahren feierte Deutschland den dritten Stern – zum dritten Mal wurde eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister. Am 8. Juli 1990 besiegte die Mannschaft von Teamchef Franz Beckenbauer Argentinien im Finale von Rom 1:0. DFB.de blickt in einer Serie auf die Helden von Rom, die Geschichten hinter dem WM-Triumph und den Jubel der deutschen Fans zurück.

Wenn Rudi Völler an die WM 1990 denkt, kommen als erstes die Glücksgefühle zurück. Die Momente mit Pokal und Medaille. Doch dieses Turnier hielt viel mehr für ihn bereit: drei Tore, einen skandalösen Platzverweis, eine Verletzung und diese eine entscheidende Szene, in der er den Elfmeter herausholte, der zum finalen Sieg führte. Bewegte und bewegende Wochen bei "Italia Novanta".

DFB.de: Vom Trainingslager in Malente und den Tagen im Teamquartier am Comer See sagt Jürgen Kohler, dass er innerhalb einer Mannschaft in seiner Karriere nie eine bessere Atmosphäre erlebt habe – teilen Sie diese Einschätzung?

Rudi Völler: Ja. Und das würden wir auch nicht anders sehen, wenn wir am Ende nicht Weltmeister geworden wären. Über die Vorbereitung bis zum letzten Spiel war es sehr harmonisch. Es war nicht jeder mit jedem befreundet, es gab auch Meinungsverschiedenheiten – der Umgang war aber immer offen, fair und respektvoll. Wir hatten wahnsinnig viel Spaß, waren dennoch immer konzentriert und wussten, worum es geht.

DFB.de: Los ging das Turnier mit dem Spiel gegen Geheimfavorit Jugoslawien. Ein dankbarer Gegner für einen WM-Auftakt?

Völler: Im Nachhinein war es sicher kein Nachteil. Wir haben 4:1 gewonnen, dieses erste Spiel war das beste von allen, das wir bei der WM gemacht haben. Lothar Matthäus hat das Spiel seines Lebens gemacht. Aber im Grunde waren wir alle gut. So einen Gegner dermaßen zu dominieren– das war schon eine Ansage. Diese Leistung hat uns durchs Turnier getragen.

DFB.de: Spiel zwei gegen die Vereinigten Arabischen Emirate wird heute immer eher nebenbei erwähnt. Bestand die Schwierigkeit damals vor allem darin, den Gegner nicht zu unterschätzen?

Völler: Ja, das haben wir aber nicht getan, sondern gleich Druck aufgebaut und uns Chancen erspielt. Jürgen Klinsmann und ich haben am Anfang leider einige vergeben.

DFB.de: Heribert Faßbender hat das Spiel kommentiert und in Aussicht gestellt, dass sie Ehrenbürger von Abu Dhabi werden könnten.

Völler: Ich weiß. (lacht) Wir waren total überlegen und sind auch nicht unruhig geworden. Ich habe dann noch zwei Tore erzielt, wir haben 5:1 gewonnen. Kolumbien im abschließenden Gruppenspiel war dann der erheblich schwierigere Gegner, wobei es für uns um nichts mehr ging, wir waren ja schon durch.

DFB.de: Im Achtelfinale wartete dann die Niederlande.

Völler: Das war eine große Überraschung, zwei Jahre vorher waren sie Europameister geworden. Bei der WM haben sie in der Vorrunde dreimal remis gespielt, das Achtelfinale haben sie nur als einer der vier besten Gruppendritten erreicht. Aber wir müssen ehrlich sein: Unser Wunschgegner waren die Holländer nicht.

DFB.de: Über Ihre unberechtigte Rote Karte und die Auseinandersetzung mit Frank Rijkaard ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Dennoch haben Sie kurz nach Spielende relativ aufgeräumt Interviews gegeben. Hat der Sieg gegen die Niederlande überlagert, welche Ungerechtigkeit Ihnen persönlich widerfahren ist?

Völler: Fußballer sind Mannschaftssportler, in erster Linie habe ich mich für das Team gefreut, dass wir 2:1 gewonnen haben. Die Rote Karte hat mir natürlich wahnsinnig wehgetan, ich hatte schließlich überhaupt nichts gemacht. Aber ich wusste auch, dass niemandem damit geholfen ist, wenn ich jetzt wie wahnsinnig lospoltern würde.

DFB.de: Im Halbfinale gegen England waren Sie wieder dabei, verletzten sich aber schon nach gut einer halben Stunde, erlitten einen Bluterguss im Unterschenkel. War Ihr Einsatz für das Finale gefährdet?

Völler: Ja. Es lagen nur vier Tage zwischen Halbfinale und Finale. Und ich konnte zwei Tage lang nicht oder nur sehr eingeschränkt trainieren. Bemerkenswert fand ich, dass Franz Beckenbauer die Entscheidung, ob ich im Finale spiele, mir überlassen hat. Es war eine seiner großen Qualitäten, dass er seinen Spielern Vertrauen entgegengebracht hat. Er wusste, dass ich vernünftig genug bin, mein Schicksal nicht über das der Mannschaft zu stellen.

DFB.de: Wobei die Situation sehr speziell war. Ein WM-Finale – und dann auch noch in Rom, Ihrer Wahlheimat. Da kann man schon mal unvernünftig sein.

Völler: Das stimmt. (lacht) Aber die Gefahr gab es nicht, weil mein körperlicher Zustand auch ganz objektiv gut genug war. Das WM-Finale war bestimmt nicht mein bestes Länderspiel, aber eine Katastrophe war es auch nicht.

DFB.de: Deutschland war Favorit im Finale. Auch der Favorit der Fans. Es waren viele Deutsche im Stadion, doch auch die Italiener haben den Deutschen die Daumen gedrückt.

Völler: Die Sympathien waren sehr einseitig, das haben wir schon am Tag vor dem Spiel erlebt. Das ging schon beim Empfang am Flughafen los, auch beim Training im Stadion war es überwältigend. Genauso bei unseren Fahrten durch die Stadt. Die Römer sind fußballverrückt, und mit mir und Thomas Berthold spielten zwei Finalisten dort. Wir hatten in Rom ein Heimspiel.

DFB.de: Auch weil Argentinien im Halbfinale die Italiener aus dem Turnier geworfen hatte.

Völler: Ja, das war sogar der Hauptgrund. Als Argentinien gegen Italien gewonnen hatte, waren wir überzeugt, dass wir Weltmeister werden würden. 1986 war Argentinien im gesamten Turnier die beste Mannschaft, sie haben Fußball zelebriert. 1990 nicht mehr. Sie haben sich mehr durchs Turnier gemogelt und nur selten überzeugt.

DFB.de: Ganz so deutlich war es nicht, das Spiel ging 1:0 aus.

Völler: Es war sehr deutlich, nur nicht im Ergebnis. Ich weiß nicht, ob es jemals ein so einseitiges WM-Finale gegeben hat. Die Argentinier hatten nicht eine einzige Torchance, Bodo Illgner musste keinen Ball halten. Sie haben sich gar nicht darum bemüht, das Spiel offen zu gestalten. Sie haben auf Maradona vertraut – oder auf das Elfmeterschießen.

DFB.de: Einen Elfmeter gab es dann – für Deutschland. Sie waren nicht ganz unbeteiligt.

Völler: Dass man den nicht geben muss, habe ich schon oft gesagt. Aber es hat ihn gegeben. Die Argentinier haben sich aufgeregt, wir hätten es nicht anders gemacht. Unter dem Strich kann man sagen, dass es eben doch einen Fußballgott gibt. 1986 ist die richtige Mannschaft Weltmeister geworden, 1990 auch.

DFB.de: Den Elfer hat Andy Brehme geschossen. Wie sicher waren Sie, dass er verwandeln würde?

Völler: Sehr sicher. Obwohl Sergio Goycochea die Argentinier mit seinen Reflexen in zwei Elfmeterschießen im Turnier gehalten hatte. Andy war sehr konzentriert, ein überragender Schütze, eiskalt, ohne Nerven. Ich hatte keine Zweifel.

DFB.de: Mit dem Tor war das Spiel entschieden.

Völler: Ja, in diesem Fall schon. Das war untypisch. Wenn man nur 1:0 führt, zittert man oft dem Schlusspfiff entgegen, weil man erst dann weiß, ob man gewonnen hat. Im Finale von Rom wussten wir, dass nichts mehr passiert. Wir haben die letzten Minuten richtig genossen. Wir waren ohnehin besser, und die Argentinier hatten einen und später sogar zwei Spieler weniger. Wir konnten den Ball laufen lassen, haben den Sieg innerlich schon auf dem Spielfeld zelebriert und Argentinien gar nicht mehr an den Ball gelassen. Die letzten Minuten waren ein einziger Genuss – wir wussten, dass wir gleich Weltmeister sein werden. Das war ein unbeschreibliches Gefühl.