Thiam: "Wer durchkommt, hat den Kontinent im Rücken"

Kein Afrikaner hat so oft in der Bundesliga gespielt wie Pablo Thiam. 311-mal lief der Mittelfeldspieler für den 1. FC Köln, den VfB Stuttgart, Bayern München und den VfL Wolfsburg auf und schoss dabei 23 Tore. Für Guinea bestritt der in Deutschland aufgewachsene Sohn eines Diplomaten 31 Länderspiele und nahm dreimal am Afrika-Cup teil.

Bei der WM, sagt der 36-Jährige im Gespräch mit Onlineredakteur Gereon Tönnihsen, schaue er sich die afrikanischen Mannschaften besonders an. Kamerun hat den Sportlichen Leiter der Wolfsburger U 23 bislang enttäuscht. Gastgeber Südafrika hat ihn überrascht, zumindest im ersten Spiel. Und der Elfenbeinküste traut Thiam das Viertelfinale zu. Oder mehr. Eine DFB.de-Zwischenbilanz.

DFB.de: Alle Mannschaften haben inzwischen mindestens einmal gespielt. Wie ist Ihr erster Eindruck?

Pablo Thiam: Recht gemischt. Wir haben gute Spiele gesehen, aber auch einige sehr schlechte. Im Großen und Ganzen glaube ich, dass die WM noch sehr interessant wird. Die meisten Mannschaften haben noch nicht ihr ganzes Potenzial abgerufen. Bis auf die Deutschen, die ja schon gefeiert werden, die aber auch wirklich sehr stark gespielt haben. Sobald Entscheidungen fallen müssen, sobald Mannschaften gezwungen sind, zu punkten, wird die Sache richtig interessant.

DFB.de: Hat Sie das Auftreten der Deutschen überrascht?

Thiam: Ein bisschen überrascht - und sehr gefreut. Man hat einfach gesehen, dass mit Spielertypen wie Müller, Özil, Schweinsteiger oder Podolski ein großer Spielwitz ins deutsche Angriffsspiel gekommen ist, ohne dass die taktische Disziplin aufgegeben wurde. Das war schon richtig gut.

DFB.de: Schauen Sie als Afrikaner bei den afrikanischen Teams besonders hin?

Thiam: Ja, natürlich. Mich interessiert, wie sie sich auf die WM vorbereitet haben, wie sie auftreten. Der afrikanische Fußball wurde früher sehr stark mit einer „Hauruck-Mentalität“ gespielt. Lange Pässe, und ab ging’s. Außerdem war es wenig ergebnisorientiert. Ich stelle fest, dass es da ein Umdenken gegeben hat.

DFB.de: Inwiefern?

Thiam: Nigeria etwa hat gegen Argentinien am Anfang zwar sehr viel Glück gehabt, aber danach doch sehr diszipliniert gespielt. Natürlich war das 1:0 für Argentinien verdient, aber Nigeria hat auch nach dem Rückstand seine Ordnung nicht verloren, sehr gut gegen Messi gespielt, wenngleich man ihn nie ausschalten kann. Auch Ghana hat nicht mehr diese Größen in der Mannschaft wie Appiah, der lange verletzt war und noch nicht richtig fit ist, und Essien, der verletzungsbedingt absagen musste. Es ist eine junge, fast schon unscheinbare Mannschaft. Aber: Sie haben gelernt, defensiv gut und diszipliniert zu stehen. So sind sie beim Afrika-Cup ins Finale eingezogen, und so haben sie im ersten Spiel auch Serbien mit 1:0 geschlagen.

DFB.de: Vor dem Turnier wurde viel über die afrikanischen Torhüter gesprochen und geschrieben. Ihnen fehle die Klasse, hieß es oft. Teilen Sie diese Ansicht?

Thiam: Bislang kann ich das nicht ausmachen. Sie spielen eigentlich alle sehr sachlich. Bis auf den algerischen Torwart Chaouchi, der einen entscheidenden Fehler gemacht hat, war das alles sehr solide. Besonders der südafrikanische Torhüter Khune, der dann gegen Uruguay leider vom Platz geflogen ist, hat mir im Eröffnungsspiel sehr imponiert. Er machte mit seinen präzisen Abwürfen und Abschlägen das Spiel schnell, bereitete so auch das Tor gegen Mexiko mit vor.

DFB.de: Was halten Sie denn generell vom bisherigen Auftreten des Gastgebers?

Thiam: Im ersten Spiel haben die Südafrikaner mich überrascht. Schade, dass sie zum Auftakt gegen Mexiko die drei Punkte nicht mitgenommen haben. Am Anfang hat man ihnen noch den Respekt angemerkt, der ließ aber im Laufe des Spiels immer mehr nach. Mit zunehmender Spieldauer wurden sie immer sicherer und haben dann auch mit ihren gefährlichen Mittelfeldleuten wie Tshabala gefährliche Konter gesetzt. Erst dadurch wurde es ein gutes Spiel. Eigentlich hatte ihnen das keiner zugetraut. Das 0:3 gegen Uruguay war dann aber ziemlich bitter. Das hat die Anfangseuphorie doch arg gedämpft.

DFB.de: Schafft es Südafrika trotzdem ins Achtelfinale?

Thiam: Es würde mich freuen, wenn sie noch weiterkämen. Das wäre für das Turnier gut, für das ganze Land. Die Stimmung wäre dann noch besser. Doch die Zweifel sind größer geworden. Möglich, dass die Mannschaft wirklich nicht die große Qualität hat, die es braucht, um in so einem Turnier bestehen zu können.p>

DFB.de: Was erwarten Sie vom deutschen Gegner Ghana?

Thiam: Ich glaube, dass Ghana versuchen wird, im zweiten Spiel gegen Australien den Einzug ins Achtelfinale klarzumachen. Wenn sie das Spiel gewinnen, sind sie im Prinzip durch. Sie wollen es nicht auf die Partie gegen die Deutschen ankommen lassen. Das wäre auch sinnvoll. Ein Selbstläufer wird das Spiel für Deutschland aber sicher nicht.

DFB.de: Die Elfenbeinküste galt als Afrikas ambitionierteste Mannschaft. Dann verletzte sich Didier Drogba, und die Stimmung ging in den Keller. Jetzt spielt Drogba kurz nach seinem Ellenbogenbruch wieder. Das erste Spiel gegen Portugal ging 0:0 aus. Und jetzt?

Thiam: Es ist das afrikanische Team mit dem größten Potenzial, ganz klar. Man muss nur die Namen durchgehen. Das sind zum Teil Weltklasse-Spieler. Nicht nur Drogba, sondern auch Kolo und Yaya Touré oder Emmanuel Eboué und Salomon Kalou. Von Abwehr bis Sturm sind sie ausgewogen besetzt. Das macht sie so stark.

DFB.de: Haben die Ivorer nicht Pech, dass sie in eine Gruppe mit Brasilien, Portugal und Nordkorea gekommen sind?

Thiam: Ja, schon. Aber ein Punkt gegen Portugal ist nicht unbedingt das Schlechteste zum Auftakt. In dieser Gruppe wird es besonders eng. Portugal ist stark, Brasilien Titelfavorit, Nordkorea auch unangenehm zu spielen. Man muss abwarten, ob sich die Elfenbeinküste durchsetzen kann, aber ich traue es der Mannschaft zu.

DFB.de: Hat Kamerun Sie mit dem 0:1 gegen Japan enttäuscht?

Thiam: Bei Kamerun war mir klar, dass sie nicht besonders gut abschneiden werden. Spieler wie Rigobert Song oder Geremi sind über ihren Zenit hinaus und keine Stammkräfte mehr. Kamerun ist in einer Zwischenphase. Sie haben sehr gute Jahrgänge gehabt, aber im Moment kommt wenig nach. Alle verlassen sich auf Samuel Eto’o. Aber auch er ist nur ein Mannschaftssportler. Wenn er dann auch noch auf der rechten Seite eingesetzt wird, beraubt man ihn seiner Stärken, seiner Dynamik, seiner Schnelligkeit und seiner Ruhe beim Torabschluss. Das mag bei Inter Mailand funktionieren, wo die Mannschaft ausgeglichen ist. Aber Kamerun hat diese Klasse eben nicht. Die beiden jungen Bundesligaspieler Joel Matip und Eric Maxim Choupo-Moting haben mir noch am besten gefallen. Aber wenn sie die Last übernehmen müssen, sieht man schon, dass die Auswahl das Niveau von früher nicht mehr hat.

DFB.de: Und Algerien: Findet die Mannschaft nach dem 0:1 gegen Slowenien doch noch ins Turnier?

Thiam: Algerien gehört in Afrika eigentlich nicht zu den stärksten Mannschaften. Sie haben jetzt eine spielstarke Truppe mit kleinen, wuseligen Leuten wie dem Wolfsburger Karim Ziani. Aber es hat mich gewundert, dass sie sich durchgesetzt haben und nicht Ägypten. Die haben schon seit Jahren im Grunde die stärkste afrikanische Mannschaft, aber zur WM schaffen sie es praktisch nie. Algerien hat sich die WM-Teilnahme erarbeitet und damit auch verdient. Vielleicht steigern sie sich noch. Aber ich glaube, dass es eng wird für Algerien. Mit viel Glück können sie ins Achtelfinale kommen. Aber eher nicht.

DFB.de: Welcher afrikanischen Mannschaft trauen Sie denn am meisten zu?

Thiam: Trotz des 0:0 im ersten Spiel und trotz der „Todesgruppe“ nach wie vor der Elfenbeinküste. Auch Ghana, allerdings darf dort keiner mehr verletzt ausfallen. Beide Mannschaften haben im ersten Spiel ihr Potenzial angedeutet. Ghana traue ich das Achtelfinale auf jeden Fall zu. Und wenn die Elfenbeinküste die Vorrunde übersteht, ist sogar mehr drin. Für Afrika wäre es schön, wenn die Mannschaft Weltmeister würde. Aber die Favoriten sind eher Argentinien,r Brasilien oder Spanien, trotz der Auftaktniederlage. Auch Deutschland muss man im Auge haben.

DFB.de: Grundsätzlich: Was bedeutet dieses Turnier für Afrika?

Thiam: Für Afrika ist das ein Novum, ein einmaliges Erlebnis. Endlich sind die Afrikaner mal dran. Das wurde auch Zeit, sagen viele. Das ist auch so. Ich glaube aber nicht, dass der ganze Kontinent sich durch diese WM verändern wird. Man sollte differenzieren: Wirklich profitieren von dem Turnier wird wohl nur Südafrika. Das Land hat die einmalige Chance, sich zu präsentieren. Als traumhaft schönes Land, als vereintes Volk. Bisher machen die Südafrikaner das auch wirklich gut. Die WM kann die unterschiedlichen Völker zusammenschweißen. Das wird hoffentlich nach dem Turnier anhalten. Außerdem kann sich das Land dem Tourismus noch mehr öffnen, indem es der ganzen Welt, also Milliarden von Zuschauern das positive Gesicht Südafrikas zeigt.

DFB.de: Glauben Sie denn, dass die afrikanischen Spieler generell bei diesem Turnier besonders motiviert sind?

Thiam: Klar, egal ob Nigeria, die Elfenbeinküste oder Ghana: Die Mannschaft, die durchkommt, wird den ganzen Kontinent im Rücken haben. Das ist eine zusätzliche Motivation.

DFB.de: Macht es Sie manchmal traurig, dass Sie mit Guinea nicht an einer WM teilnehmen konnten?

Thiam: Natürlich wäre das ein großer Wunsch gewesen. Aber für eine Mannschaft wie Guinea war es immer schon eine große Leistung, sich für den Afrika-Cup zu qualifizieren. Da war ich dreimal dabei. Ich bin immer Realist genug gewesen, um einschätzen zu können, wie stark die Mannschaft seinerzeit war. Der Fußball dort ist noch nicht so weit entwickelt wie in Europa und auch nicht in Nigeria, Kamerun oder der Elfenbeinküste. Diese Länder sind schon einige Schritte voraus. Viele ihrer Spieler stehen im Ausland unter Vertrag, die Infrastruktur ist besser - wenngleich auch dort immer noch viel zu tun ist. Der Fußball in Afrika ist in seiner Entwicklung noch längst nicht am Ende.

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Kein Afrikaner hat so oft in der Bundesliga gespielt wie Pablo Thiam. 311-mal lief der Mittelfeldspieler für den 1. FC Köln, den VfB Stuttgart, Bayern München und den VfL Wolfsburg auf und schoss dabei 23 Tore. Für Guinea bestritt der in Deutschland aufgewachsene Sohn eines Diplomaten 31 Länderspiele und nahm dreimal am Afrika-Cup teil.

Bei der WM, sagt der 36-Jährige im Gespräch mit Onlineredakteur Gereon Tönnihsen, schaue er sich die afrikanischen Mannschaften besonders an. Kamerun hat den Sportlichen Leiter der Wolfsburger U 23 bislang enttäuscht. Gastgeber Südafrika hat ihn überrascht, zumindest im ersten Spiel. Und der Elfenbeinküste traut Thiam das Viertelfinale zu. Oder mehr. Eine DFB.de-Zwischenbilanz.

DFB.de: Alle Mannschaften haben inzwischen mindestens einmal gespielt. Wie ist Ihr erster Eindruck?

Pablo Thiam: Recht gemischt. Wir haben gute Spiele gesehen, aber auch einige sehr schlechte. Im Großen und Ganzen glaube ich, dass die WM noch sehr interessant wird. Die meisten Mannschaften haben noch nicht ihr ganzes Potenzial abgerufen. Bis auf die Deutschen, die ja schon gefeiert werden, die aber auch wirklich sehr stark gespielt haben. Sobald Entscheidungen fallen müssen, sobald Mannschaften gezwungen sind, zu punkten, wird die Sache richtig interessant.

DFB.de: Hat Sie das Auftreten der Deutschen überrascht?

Thiam: Ein bisschen überrascht - und sehr gefreut. Man hat einfach gesehen, dass mit Spielertypen wie Müller, Özil, Schweinsteiger oder Podolski ein großer Spielwitz ins deutsche Angriffsspiel gekommen ist, ohne dass die taktische Disziplin aufgegeben wurde. Das war schon richtig gut.

DFB.de: Schauen Sie als Afrikaner bei den afrikanischen Teams besonders hin?

Thiam: Ja, natürlich. Mich interessiert, wie sie sich auf die WM vorbereitet haben, wie sie auftreten. Der afrikanische Fußball wurde früher sehr stark mit einer „Hauruck-Mentalität“ gespielt. Lange Pässe, und ab ging’s. Außerdem war es wenig ergebnisorientiert. Ich stelle fest, dass es da ein Umdenken gegeben hat.

DFB.de: Inwiefern?

Thiam: Nigeria etwa hat gegen Argentinien am Anfang zwar sehr viel Glück gehabt, aber danach doch sehr diszipliniert gespielt. Natürlich war das 1:0 für Argentinien verdient, aber Nigeria hat auch nach dem Rückstand seine Ordnung nicht verloren, sehr gut gegen Messi gespielt, wenngleich man ihn nie ausschalten kann. Auch Ghana hat nicht mehr diese Größen in der Mannschaft wie Appiah, der lange verletzt war und noch nicht richtig fit ist, und Essien, der verletzungsbedingt absagen musste. Es ist eine junge, fast schon unscheinbare Mannschaft. Aber: Sie haben gelernt, defensiv gut und diszipliniert zu stehen. So sind sie beim Afrika-Cup ins Finale eingezogen, und so haben sie im ersten Spiel auch Serbien mit 1:0 geschlagen.

DFB.de: Vor dem Turnier wurde viel über die afrikanischen Torhüter gesprochen und geschrieben. Ihnen fehle die Klasse, hieß es oft. Teilen Sie diese Ansicht?

Thiam: Bislang kann ich das nicht ausmachen. Sie spielen eigentlich alle sehr sachlich. Bis auf den algerischen Torwart Chaouchi, der einen entscheidenden Fehler gemacht hat, war das alles sehr solide. Besonders der südafrikanische Torhüter Khune, der dann gegen Uruguay leider vom Platz geflogen ist, hat mir im Eröffnungsspiel sehr imponiert. Er machte mit seinen präzisen Abwürfen und Abschlägen das Spiel schnell, bereitete so auch das Tor gegen Mexiko mit vor.

DFB.de: Was halten Sie denn generell vom bisherigen Auftreten des Gastgebers?

Thiam: Im ersten Spiel haben die Südafrikaner mich überrascht. Schade, dass sie zum Auftakt gegen Mexiko die drei Punkte nicht mitgenommen haben. Am Anfang hat man ihnen noch den Respekt angemerkt, der ließ aber im Laufe des Spiels immer mehr nach. Mit zunehmender Spieldauer wurden sie immer sicherer und haben dann auch mit ihren gefährlichen Mittelfeldleuten wie Tshabala gefährliche Konter gesetzt. Erst dadurch wurde es ein gutes Spiel. Eigentlich hatte ihnen das keiner zugetraut. Das 0:3 gegen Uruguay war dann aber ziemlich bitter. Das hat die Anfangseuphorie doch arg gedämpft.

DFB.de: Schafft es Südafrika trotzdem ins Achtelfinale?

Thiam: Es würde mich freuen, wenn sie noch weiterkämen. Das wäre für das Turnier gut, für das ganze Land. Die Stimmung wäre dann noch besser. Doch die Zweifel sind größer geworden. Möglich, dass die Mannschaft wirklich nicht die große Qualität hat, die es braucht, um in so einem Turnier bestehen zu können.p>

DFB.de: Was erwarten Sie vom deutschen Gegner Ghana?

Thiam: Ich glaube, dass Ghana versuchen wird, im zweiten Spiel gegen Australien den Einzug ins Achtelfinale klarzumachen. Wenn sie das Spiel gewinnen, sind sie im Prinzip durch. Sie wollen es nicht auf die Partie gegen die Deutschen ankommen lassen. Das wäre auch sinnvoll. Ein Selbstläufer wird das Spiel für Deutschland aber sicher nicht.

DFB.de: Die Elfenbeinküste galt als Afrikas ambitionierteste Mannschaft. Dann verletzte sich Didier Drogba, und die Stimmung ging in den Keller. Jetzt spielt Drogba kurz nach seinem Ellenbogenbruch wieder. Das erste Spiel gegen Portugal ging 0:0 aus. Und jetzt?

Thiam: Es ist das afrikanische Team mit dem größten Potenzial, ganz klar. Man muss nur die Namen durchgehen. Das sind zum Teil Weltklasse-Spieler. Nicht nur Drogba, sondern auch Kolo und Yaya Touré oder Emmanuel Eboué und Salomon Kalou. Von Abwehr bis Sturm sind sie ausgewogen besetzt. Das macht sie so stark.

DFB.de: Haben die Ivorer nicht Pech, dass sie in eine Gruppe mit Brasilien, Portugal und Nordkorea gekommen sind?

Thiam: Ja, schon. Aber ein Punkt gegen Portugal ist nicht unbedingt das Schlechteste zum Auftakt. In dieser Gruppe wird es besonders eng. Portugal ist stark, Brasilien Titelfavorit, Nordkorea auch unangenehm zu spielen. Man muss abwarten, ob sich die Elfenbeinküste durchsetzen kann, aber ich traue es der Mannschaft zu.

DFB.de: Hat Kamerun Sie mit dem 0:1 gegen Japan enttäuscht?

Thiam: Bei Kamerun war mir klar, dass sie nicht besonders gut abschneiden werden. Spieler wie Rigobert Song oder Geremi sind über ihren Zenit hinaus und keine Stammkräfte mehr. Kamerun ist in einer Zwischenphase. Sie haben sehr gute Jahrgänge gehabt, aber im Moment kommt wenig nach. Alle verlassen sich auf Samuel Eto’o. Aber auch er ist nur ein Mannschaftssportler. Wenn er dann auch noch auf der rechten Seite eingesetzt wird, beraubt man ihn seiner Stärken, seiner Dynamik, seiner Schnelligkeit und seiner Ruhe beim Torabschluss. Das mag bei Inter Mailand funktionieren, wo die Mannschaft ausgeglichen ist. Aber Kamerun hat diese Klasse eben nicht. Die beiden jungen Bundesligaspieler Joel Matip und Eric Maxim Choupo-Moting haben mir noch am besten gefallen. Aber wenn sie die Last übernehmen müssen, sieht man schon, dass die Auswahl das Niveau von früher nicht mehr hat.

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DFB.de: Und Algerien: Findet die Mannschaft nach dem 0:1 gegen Slowenien doch noch ins Turnier?

Thiam: Algerien gehört in Afrika eigentlich nicht zu den stärksten Mannschaften. Sie haben jetzt eine spielstarke Truppe mit kleinen, wuseligen Leuten wie dem Wolfsburger Karim Ziani. Aber es hat mich gewundert, dass sie sich durchgesetzt haben und nicht Ägypten. Die haben schon seit Jahren im Grunde die stärkste afrikanische Mannschaft, aber zur WM schaffen sie es praktisch nie. Algerien hat sich die WM-Teilnahme erarbeitet und damit auch verdient. Vielleicht steigern sie sich noch. Aber ich glaube, dass es eng wird für Algerien. Mit viel Glück können sie ins Achtelfinale kommen. Aber eher nicht.

DFB.de: Welcher afrikanischen Mannschaft trauen Sie denn am meisten zu?

Thiam: Trotz des 0:0 im ersten Spiel und trotz der „Todesgruppe“ nach wie vor der Elfenbeinküste. Auch Ghana, allerdings darf dort keiner mehr verletzt ausfallen. Beide Mannschaften haben im ersten Spiel ihr Potenzial angedeutet. Ghana traue ich das Achtelfinale auf jeden Fall zu. Und wenn die Elfenbeinküste die Vorrunde übersteht, ist sogar mehr drin. Für Afrika wäre es schön, wenn die Mannschaft Weltmeister würde. Aber die Favoriten sind eher Argentinien,r Brasilien oder Spanien, trotz der Auftaktniederlage. Auch Deutschland muss man im Auge haben.

DFB.de: Grundsätzlich: Was bedeutet dieses Turnier für Afrika?

Thiam: Für Afrika ist das ein Novum, ein einmaliges Erlebnis. Endlich sind die Afrikaner mal dran. Das wurde auch Zeit, sagen viele. Das ist auch so. Ich glaube aber nicht, dass der ganze Kontinent sich durch diese WM verändern wird. Man sollte differenzieren: Wirklich profitieren von dem Turnier wird wohl nur Südafrika. Das Land hat die einmalige Chance, sich zu präsentieren. Als traumhaft schönes Land, als vereintes Volk. Bisher machen die Südafrikaner das auch wirklich gut. Die WM kann die unterschiedlichen Völker zusammenschweißen. Das wird hoffentlich nach dem Turnier anhalten. Außerdem kann sich das Land dem Tourismus noch mehr öffnen, indem es der ganzen Welt, also Milliarden von Zuschauern das positive Gesicht Südafrikas zeigt.

DFB.de: Glauben Sie denn, dass die afrikanischen Spieler generell bei diesem Turnier besonders motiviert sind?

Thiam: Klar, egal ob Nigeria, die Elfenbeinküste oder Ghana: Die Mannschaft, die durchkommt, wird den ganzen Kontinent im Rücken haben. Das ist eine zusätzliche Motivation.

DFB.de: Macht es Sie manchmal traurig, dass Sie mit Guinea nicht an einer WM teilnehmen konnten?

Thiam: Natürlich wäre das ein großer Wunsch gewesen. Aber für eine Mannschaft wie Guinea war es immer schon eine große Leistung, sich für den Afrika-Cup zu qualifizieren. Da war ich dreimal dabei. Ich bin immer Realist genug gewesen, um einschätzen zu können, wie stark die Mannschaft seinerzeit war. Der Fußball dort ist noch nicht so weit entwickelt wie in Europa und auch nicht in Nigeria, Kamerun oder der Elfenbeinküste. Diese Länder sind schon einige Schritte voraus. Viele ihrer Spieler stehen im Ausland unter Vertrag, die Infrastruktur ist besser - wenngleich auch dort immer noch viel zu tun ist. Der Fußball in Afrika ist in seiner Entwicklung noch längst nicht am Ende.