Stan Libuda: Er kam an fast allen vorbei

Nach seinem ersten Bundesliga-Spiel war er gleich Tabellenführer, nach dem fünften schon Nationalspieler. Mit 19 Jahren debütierte er im DFB-Dress an der Seite von Wolfgang Overath beim 3:0 gegen die Türkei, und die „WAZ“ bezeichnete ihn schon als den „Garrincha vom Schalker Markt“. Reinhard Libuda kam über die Bundesliga wie ein Wirbelsturm. Denn Wirbel machen, das konnte er am besten. Mit dem Ball am rechten Fuß schlug er seine unnachahmlichen Haken, die jeden Gegenspieler zur Verzweiflung brachten, jedenfalls wenn er einen guten Tag hatte. Der Mann, den alle „Stan“ nannten, ist bis heute unvergessen.

Und nicht nur wegen der Geschichte, die jeder kennt: Dass eines Tages auf einem Werbeplakat des Predigers Werner Heukelbach unter der Überschrift „An Jesus kommt keiner vorbei“ der handschriftliche Zusatz eines Fans stand: „Außer Libuda.“ Überliefert ist zwar, dass statt Jesus Gott auf dem Plakat stand, vielleicht weil es den „Stan“ noch größer machte, aber so ist das mit Legenden. Sie halten nicht jeder genauen Prüfung Stand, aber sie sind nur schwer zu erschüttern.

„Stan“ riefen sie ihn nach dem großen Stanley Matthews, der noch mit 48 Jahren für Stoke City spielte und den Trick, den Libuda liebte, uraufgeführt hatte. „Jede Putzfrau im Stadion hat gewusst, dass er nach außen antäuscht und dann nach innen geht oder umgekehrt, aber man konnte nichts dagegen machen“, erinnert sich Helmut Kremers, sein Weggefährte in Libudas zweiter und dritter Schalker Phase. Das allein sagt alles aus über diesen Mann: dreimal Schalke. Wäre es nach ihm gegangen, hätte es die Pausen nie geben müssen. Aber als die Schalker 1965 sportlich abstiegen, nahm er das Angebot von Rivale Borussia Dortmund an. Zwar galt das damals als Hochverrat, aber „Stan“ war es wichtiger, dass er nicht umziehen musste. So blieb seine Adresse die Wittekindstraße 19 in Gelsenkirchen-Bismarck. Keine feine Adresse, aber für ihn die richtige.

Ein Moment machte ihn zur Legende

Als einer der ganz wenigen „Überläufer“ schaffte er es, auch beim BVB zur Legende zu werden. Dafür genügte ein einziger Moment in seinen drei Dortmunder Jahren. Das Finale um den Europacup der Pokalsieger 1966 war schon in der Verlängerung, als Libuda ein Abpraller vor die Füße fiel. Das Tor des FC Liverpool war leer, der Weg war weit, also schoss er aus über 30 Metern und schwierigem Winkel. Im hohen Bogen flog der Ball an den Pfosten, dann an das Bein eines Liverpoolers und so ins Netz.

Auch sein zweites, nicht minder berühmtes Tor, schoss er nicht für Schalke. Am 22. Oktober 1969 erzielte Libuda in Hamburg das entscheidende 3:2 für Deutschland gegen die Schotten, das auch ihn selbst zur WM nach Mexiko brachte. Dort bestritt er sein bestes Länderspiel beim 5:2 gegen die Bulgaren. Es blieb sein einziges Turnier, und das mag er nicht mal bedauert haben, denn aus Mexiko wollte er vor lauter Heimweh abreisen. Helmut Kremers verwundert das nicht: „Der Stan konnte eigentlich nur im Ruhrgebiet gut Fußball spielen. Zu Hause hat er sich wohlgefühlt, aber wenn es in Auswärtsspielen Beleidigungen von den Rängen gab, dann konnte er das einfach nicht vertragen.“ In der Glückauf-Kampfbahn hingegen riefen sie das langgezogene „Li-bu-da, Li-bu-da“, als wäre es die Zauberformel zum Sieg.

Als er nach seinem letzten Spiel vor dem zweiten Wechsel, am 1. Juli 1972, den DFB-Pokal in Händen hielt, erschollen sie wieder, die „Li-bu-da“-Rufe. Aber er ging wieder, zu Racing Straßburg. „Ich muss ehrlich sagen, ich bin ein bisschen traurig. Aber der Vorstand hat so entschieden“, sagte er. Der Vertrag lief zwei Jahre, aber schon nach einem stand er wieder bei Schalke auf dem Trainingsplatz. Nur um sich fitzuhalten zunächst, denn der DFB hatte ihn lebenslang gesperrt – für den Fehler seines Lebens. Schalke hatte 1971 ein Spiel im Abstiegskampf manipuliert, für 2.300 Mark pro Kopf, und Libuda war der Kapitän gewesen. Im Herbst 1972 kam alles heraus. Libuda dementierte und ging in Berufung.

„Der Stan war ein wunderbarer Mensch.“

In Straßburg blieb er nur neun Monate, ein Wadenbeinbruch und die Sperre verleideten ihm das Leben im Elsass. Aber seine Schalker holten ihn zurück. Am 5. Januar 1974 war Libuda wieder spielberechtigt. Doch er war nicht mehr der Alte. Bis September 1974 kam er auf 15 torlose Einsätze. Er konnte schlicht nicht mehr mithalten. Als 1975 dann Trainer Max Merkel kam und einen Fitnesstest mit Hindernissen auf der Laufbahn ansetzte, versteckte sich Libuda im Wassergraben und schloss sich der Gruppe erst in der letzten Runde an. Auch daran erinnert sich Kremers noch. Und daran: „Der Stan war ein wunderbarer Mensch.“

Nach der Karriere war er ein hilfloser Mensch. Er machte Schulden, die Ehe zerbrach, und auch den Tabakladen, den er von Ernst Kuzorra übernahm, vermochte er nicht lange zu führen. Er fand schließlich Arbeit in einer Druckerei – auf Vermittlung seines früheren Mitspielers Rolf Rüssmann. Libuda erkrankte 1992 an Kehlkopfkrebs, vier Jahre später starb er mit 52 an den Folgen eines Schlaganfalls. Der Pfarrer sagte auf der Trauerfeier: „Und an Gott kommt doch keiner vorbei.“

[dfb]

Nach seinem ersten Bundesliga-Spiel war er gleich Tabellenführer, nach dem fünften schon Nationalspieler. Mit 19 Jahren debütierte er im DFB-Dress an der Seite von Wolfgang Overath beim 3:0 gegen die Türkei, und die „WAZ“ bezeichnete ihn schon als den „Garrincha vom Schalker Markt“. Reinhard Libuda kam über die Bundesliga wie ein Wirbelsturm. Denn Wirbel machen, das konnte er am besten. Mit dem Ball am rechten Fuß schlug er seine unnachahmlichen Haken, die jeden Gegenspieler zur Verzweiflung brachten, jedenfalls wenn er einen guten Tag hatte. Der Mann, den alle „Stan“ nannten, ist bis heute unvergessen.

Und nicht nur wegen der Geschichte, die jeder kennt: Dass eines Tages auf einem Werbeplakat des Predigers Werner Heukelbach unter der Überschrift „An Jesus kommt keiner vorbei“ der handschriftliche Zusatz eines Fans stand: „Außer Libuda.“ Überliefert ist zwar, dass statt Jesus Gott auf dem Plakat stand, vielleicht weil es den „Stan“ noch größer machte, aber so ist das mit Legenden. Sie halten nicht jeder genauen Prüfung Stand, aber sie sind nur schwer zu erschüttern.

„Stan“ riefen sie ihn nach dem großen Stanley Matthews, der noch mit 48 Jahren für Stoke City spielte und den Trick, den Libuda liebte, uraufgeführt hatte. „Jede Putzfrau im Stadion hat gewusst, dass er nach außen antäuscht und dann nach innen geht oder umgekehrt, aber man konnte nichts dagegen machen“, erinnert sich Helmut Kremers, sein Weggefährte in Libudas zweiter und dritter Schalker Phase. Das allein sagt alles aus über diesen Mann: dreimal Schalke. Wäre es nach ihm gegangen, hätte es die Pausen nie geben müssen. Aber als die Schalker 1965 sportlich abstiegen, nahm er das Angebot von Rivale Borussia Dortmund an. Zwar galt das damals als Hochverrat, aber „Stan“ war es wichtiger, dass er nicht umziehen musste. So blieb seine Adresse die Wittekindstraße 19 in Gelsenkirchen-Bismarck. Keine feine Adresse, aber für ihn die richtige.

Ein Moment machte ihn zur Legende

Als einer der ganz wenigen „Überläufer“ schaffte er es, auch beim BVB zur Legende zu werden. Dafür genügte ein einziger Moment in seinen drei Dortmunder Jahren. Das Finale um den Europacup der Pokalsieger 1966 war schon in der Verlängerung, als Libuda ein Abpraller vor die Füße fiel. Das Tor des FC Liverpool war leer, der Weg war weit, also schoss er aus über 30 Metern und schwierigem Winkel. Im hohen Bogen flog der Ball an den Pfosten, dann an das Bein eines Liverpoolers und so ins Netz.

Auch sein zweites, nicht minder berühmtes Tor, schoss er nicht für Schalke. Am 22. Oktober 1969 erzielte Libuda in Hamburg das entscheidende 3:2 für Deutschland gegen die Schotten, das auch ihn selbst zur WM nach Mexiko brachte. Dort bestritt er sein bestes Länderspiel beim 5:2 gegen die Bulgaren. Es blieb sein einziges Turnier, und das mag er nicht mal bedauert haben, denn aus Mexiko wollte er vor lauter Heimweh abreisen. Helmut Kremers verwundert das nicht: „Der Stan konnte eigentlich nur im Ruhrgebiet gut Fußball spielen. Zu Hause hat er sich wohlgefühlt, aber wenn es in Auswärtsspielen Beleidigungen von den Rängen gab, dann konnte er das einfach nicht vertragen.“ In der Glückauf-Kampfbahn hingegen riefen sie das langgezogene „Li-bu-da, Li-bu-da“, als wäre es die Zauberformel zum Sieg.

Als er nach seinem letzten Spiel vor dem zweiten Wechsel, am 1. Juli 1972, den DFB-Pokal in Händen hielt, erschollen sie wieder, die „Li-bu-da“-Rufe. Aber er ging wieder, zu Racing Straßburg. „Ich muss ehrlich sagen, ich bin ein bisschen traurig. Aber der Vorstand hat so entschieden“, sagte er. Der Vertrag lief zwei Jahre, aber schon nach einem stand er wieder bei Schalke auf dem Trainingsplatz. Nur um sich fitzuhalten zunächst, denn der DFB hatte ihn lebenslang gesperrt – für den Fehler seines Lebens. Schalke hatte 1971 ein Spiel im Abstiegskampf manipuliert, für 2.300 Mark pro Kopf, und Libuda war der Kapitän gewesen. Im Herbst 1972 kam alles heraus. Libuda dementierte und ging in Berufung.

„Der Stan war ein wunderbarer Mensch.“

In Straßburg blieb er nur neun Monate, ein Wadenbeinbruch und die Sperre verleideten ihm das Leben im Elsass. Aber seine Schalker holten ihn zurück. Am 5. Januar 1974 war Libuda wieder spielberechtigt. Doch er war nicht mehr der Alte. Bis September 1974 kam er auf 15 torlose Einsätze. Er konnte schlicht nicht mehr mithalten. Als 1975 dann Trainer Max Merkel kam und einen Fitnesstest mit Hindernissen auf der Laufbahn ansetzte, versteckte sich Libuda im Wassergraben und schloss sich der Gruppe erst in der letzten Runde an. Auch daran erinnert sich Kremers noch. Und daran: „Der Stan war ein wunderbarer Mensch.“

Nach der Karriere war er ein hilfloser Mensch. Er machte Schulden, die Ehe zerbrach, und auch den Tabakladen, den er von Ernst Kuzorra übernahm, vermochte er nicht lange zu führen. Er fand schließlich Arbeit in einer Druckerei – auf Vermittlung seines früheren Mitspielers Rolf Rüssmann. Libuda erkrankte 1992 an Kehlkopfkrebs, vier Jahre später starb er mit 52 an den Folgen eines Schlaganfalls. Der Pfarrer sagte auf der Trauerfeier: „Und an Gott kommt doch keiner vorbei.“