Mario Gomez: "Ich sehe nicht mich - ich sehe das Ganze"

DFB.de: Es hat Sie zu Besiktas Istanbul gezogen. Gab es einen Zeitpunkt, an dem Sie ganz sicher waren: Es passt tatsächlich, die Hoffnungen werden sich erfüllen?

Gomez: Bei Besiktas war es so, dass ich vorher eher skeptisch war aufgrund der Vorurteile gegenüber der Türkei.

DFB.de: Dann anders gefragt: Zu welchem Zeitpunkt haben Sie gemerkt, dass Ihre Skepsis unbegründet ist?

Gomez: Der erste Eindruck war schon sehr positiv, alle Vorurteile wurden widerlegt. Hektisch, chaotisch, extrem - diese Dinge hatte ich im Hinterkopf. Und als ich in Istanbul zum Medizincheck und zur Vertragsunterzeichnung war, war alles anders als befürchtet. Ich hatte vorher darum gebeten, dass es keinen großen Trubel geben sollte. Ich wollte keine Vorstellung im Stadion, das war für mich durch Florenz negativ besetzt. Ich wollte alles möglichst dezent. Ich hatte aber nicht so richtig daran geglaubt, dass sie das hinbekommen. Und dann war alles perfekt. Ich war sehr beeindruckt davon, wie hervorragend alles organisiert war und wie viel Mühe sie sich gegeben haben, mir den ersten Tag so angenehm wie möglich zu machen.

DFB.de: Und dieser erste Eindruck hat sich im Laufe der Zeit verfestigt?

Gomez: Ja. Ich bin dann nach Graz gereist, ins Trainingslager der Mannschaft. Und es war, als wäre ich wieder bei einem deutschen Verein. Sprachlich auch, schließlich sprechen zwölf Spieler bei Besiktas deutsch. Aber auch von allem anderen her. Von den Bedingungen, von der ganzen Betreuung. Und von der Trainingsintensität. Ich habe schnell gemerkt, wie professionell dieser Verein ist. Das hat sich dann fortgesetzt, als wir nach der Vorbereitung zurück in Istanbul waren. Im Service ist die Türkei wahrscheinlich unschlagbar. Im Verein gibt es für alles einen Mitarbeiter, den Spielern wird alles abgenommen. In Deutschland ist die Betreuung der Spieler schon auf einem erstaunlichen Niveau, aber in der Türkei ist alles noch einmal 50 Prozent mehr.

DFB.de: Finden Sie das positiv?

Gomez: Ich kenne die Luxusdebatte, und ich weiß, dass es immer heißt, dass wir Fußballer verwöhnt wären. Aber auch hier gilt: Ich kann nur für mich und für meine Situation sprechen. Ich finde es nicht verkehrt. Schon gar nicht in dieser Situation. Ich bin nach Istanbul gekommen - ausgeliehen für ein Jahr - und hatte keinen Plan von nichts. Wo melde ich mein Auto an, welche Behördengänge muss ich machen, wer ist für was zuständig? Ich traue mir schon zu, dass alles selber zu organisieren, aber es ist toll, dass einem das abgenommen wird. Und das ist nicht überall so. So konnte ich mich von Beginn an voll auf den Fußball konzentrieren. Und das war für mich sehr wichtig, ich hatte schließlich viel vor.

DFB.de: Ihr großes Ziel war die Rückkehr in die Nationalmannschaft.

Gomez: Ich habe für mich immer gesagt: "Das war es nicht. Das geht nicht. Meine Zeit in der Nationalmannschaft kann so nicht zu Ende gehen." In den zwei schlechten Jahren in Florenz habe ich gemerkt, was mir der Fußball alles bedeutet, wie sehr er mein Leben prägt. 2014 habe ich die Jungs vor dem Fernseher verfolgt und war ein großer Fan. Aber ich hatte immer den Antrieb, zurückkommen zu wollen, wieder dabei zu sein. Es ist einfach etwas Besonderes, ein besonderes Team, gespickt mit Weltklassespielern. Ich habe mir oft gesagt: "Ich will. Ich will. Ich will unbedingt mit diesem Team die EURO spielen." Ein Grund für den Wechsel nach Besiktas bestand auch darin, dass der Trainer ganz klar gesagt hat: "Wir machen dich fit - und dann spielst du. Punkt." Diese Aussage war elementar. Vor allem im Hinblick auf die EM. Ich habe gewusst, dass ich eine Saison benötige, in der ich durchspiele. Und natürlich Glück, dass ich mich nicht verletze.



Meister mit Besiktas, Torschützenkönig, Nationalspieler, nominiert für die EM. Mario Gomez ist zurück - und wie. Nach zwei schweren Jahren hat der Stürmer neues Selbstvertrauen, eine neue Einstellung und neue Ziele. Im exklusiven DFB.de-Interview spricht Mario Gomez vor dem Familienländerspiel gegen Ungarn am Samstag (ab 18 Uhr, live im ZDF und im Fan-Club-Radio auf laut.fm/dfbfanclubradio) in Gelsenkirchen mit Redakteur Steffen Lüdeke über Florenz, Istanbul, die Nationalmannschaft und seine Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren.

DFB.de: Herr Gomez, könnte der Fußballer Mario Gomez auch ohne Tore restlos glücklich sein?

Mario Gomez: Nein, dafür bin ich viel zu sehr Stürmer. Tore werde ich immer erzielen wollen. Aber viel wichtiger als das ist der Erfolg der Mannschaft.

DFB.de: Haben Sie Lieblingstore? Werden bei einem Abstauber genauso viele Glückshormone ausgeschüttet wie bei einem Fallrückzieher?

Gomez: In der Türkei wurde mir diese Frage ganz oft gestellt. Die Leute dort sind sehr auf Spektakel fixiert. Sie wollen oft von mir wissen, welches meiner Tore für mich das Schönste ist, bei welchem Treffer meine Emotionen am größten waren.

DFB.de: Und?

Gomez: In dieser Hinsicht habe ich mich nie verändert: Wenn das Tor ein wichtiges war, ist mir das vollkommen egal. Für mich spielt es überhaupt keine Rolle, ob ich den Ball aus 30 Zentimetern über die Linie drücke oder aus 20 Metern in den Winkel jage. Jedes Tor zählt gleich viel - und meine Emotionen sind genau die gleichen.

DFB.de: Bei Besiktas haben in Ihrer ersten Saison 26 Treffer erzielt. Und mit jedem Tor steigt das Selbstvertrauen. Können Sie beschreiben, was dieses Selbstvertrauen ausmacht? Was ändert sich dadurch in dem Moment, in dem Sie das nächste Mal mit dem Ball am Fuß vor dem Tor auftauchen?

Gomez: Es geht um Sicherheit. Wobei das nur zum Teil mit Erfolgserlebnissen zu tun hat. Trainer sagen immer: "Die Sicherheit holt man sich im Training." Bei Golfern zum Beispiel ist die Präzision im Schwung eine Frage der ständigen Wiederholung. Ähnlich ist es auch beim Torabschluss. Wobei natürlich viele Komponenten zusammenkommen müssen. Bei mir ist es viel der Instinkt, ich bin ein Instinktfußballer. Ich hatte immer eine gute Nase und wusste, wo ich mich im Sechzehner aufhalten muss. Aber der Instinkt nützt nichts, wenn man richtig steht, aber dann im Abschluss nicht sicher ist. Aber mit jedem Tor wächst die Sicherheit. Tore haben zudem diesen positiven Effekt: Wenn man eine schlechte Phase hat, dann will man zu sehr etwas erzwingen. Wenn man eine gute Phase hat, denkt man nicht nach.

DFB.de: Augen zu, drauf, drin ist der Ball?

Gomez: Nein, gar nicht. Als ganz junger Spieler war ich wild beim Torschuss und dabei kopflos. Ich habe immer mit Vollspann voll abgezogen. Von Jon Dahl Tomasson habe ich dann gelernt: Beim Schuss orientiere ich mich immer am Torhüter, ich ziehe selten blind ab. Flach am Standbein vorbei ist, das ist immer das Beste, weil der Torhüter dort am wenigsten reagieren kann. Für meine Tore gilt: Genauigkeit vor Härte.

DFB.de: Seit Sie in der Türkei sind, geht diese Formel wieder auf.

Gomez: Ja, es passt wieder.

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DFB.de: Von Ihnen gibt es folgendes Zitat: "Alle, die noch nicht in der Türkei waren, haben mir abgeraten, alle, die schon dort waren, haben mir zugeraten."

Gomez: Ja.

DFB.de: Finden Sie nicht erstaunlich, dass sich Menschen zu Themen eine Meinung erlauben, die sie eigentlich gar nicht beurteilen können?

Gomez: Nein, das ist doch menschlich. Wir alle leben mit Vorurteilen. Davon kann sich niemand frei machen. Jeder redet über jedes Thema mit, das ist einfach so. Und wenn ich jemanden nach seiner Einschätzung frage, dann will ich sie auch hören. Das ist völlig okay. Die Türkei wird nun mal durch die politische Situation von vielen eher kritisch gesehen, und das war auch schon so, als ich mit dem Gedanken gespielt hatte, dorthin zu gehen. Wobei das nur ein Teil der Erklärung sein kann. Ich habe mich mittlerweile oft gefragt, warum das Image der Türkei weniger positiv ist, als es sein müsste.

DFB.de: Weil Ihnen das Land richtig gut gefällt.

Gomez: Die Türkei ist fantastisch. Wenn wir politische Probleme mal außen vor lassen, ist die Türkei mit Sicherheit eines der tollsten Länder in Europa. Das Land ist so vielfältig und lebenswert, die Menschen sind wahnsinnig freundlich und hilfsbereit. Das wusste ich so vorher nicht, aber das habe ich mittlerweile gelernt.

DFB.de: Wie echt sind denn Ihre Einblicke? Sie sind ein Fußballstar, zu Ihnen sind die Menschen doch immer zuvorkommend.

Gomez: Ich bin auch nicht der Maßstab. Mein Maßstab sind meine Gäste. Es gab viele Freunde, die erst unsicher waren, ob sie uns besuchen kommen. Und wenn sie wieder gefahren sind, haben sie schon nach dem nächsten Termin gefragt. Und das hatte nichts mit mir und meinem Status zu tun. Ich habe tagsüber oft trainiert und war nicht viel mit ihnen unterwegs. Alle waren überrascht und begeistert von der Freundlichkeit und Herzlichkeit der Menschen. Ich hatte noch niemanden zu Gast, der mit dem Besuch nicht Fan von Istanbul und der Türkei geworden ist.

DFB.de: Wie leicht ist es, die politische Situation auszuklammern?

Gomez: Die Türkei hat manche Probleme, dazu gehören die politischen Konflikte und die Angriffe durch den Terrorismus. Ich weiß das. Aber ich kann ja immer nur über das reden, was ich persönlich erlebe. Und das ist wirklich traumhaft.

DFB.de: Es war also richtig, auf die Menschen zu hören, die sich mit der Türkei auskennen.

Gomez: Definitiv.

DFB.de: Hat Bundestrainer Joachim Löw dazu gehört? Haben Sie vor dem Wechsel mit dem Bundestrainer gesprochen?

Gomez: Nicht ausführlich, erstaunlicherweise, eigentlich fast gar nicht. Ich habe mich aber nur mit wenigen Menschen in dieser Frage beraten. Aber dabei war es eben extrem: 100 Prozent Zustimmung oder 100 Prozent Ablehnung - etwas anderes gab es nicht.

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DFB.de: Vor Istanbul waren Sie in Florenz. Gab es einen Zeitpunkt, an dem Sie gemerkt haben, dass es dort nicht passt? Oder ist das ein Gefühl, dass schleichend immer größer wird?

Gomez: Im Nachhinein kann ich sagen: Irgendwie sollte es dort einfach nicht sein. Es gab gute Gründe für den Wechsel nach Florenz. Sie hatten viel vor. Ich habe im Sturm zusammen mit Giuseppe Rossi gespielt, wir haben hervorragend harmoniert. Und wir haben super angefangen. Nach zwei Spielen hatten wir zusammen fünf Tore auf dem Konto. Dann kam das dritte Spiel. Und in der 20. Minute fällt mir der Torwart aufs Knie. Diagnostiziert wurde einen Innenbandriss, leider wurde nicht festgestellt, dass auch die Sehne verletzt worden war. Ursprünglich wurde eine Ausfallzeit von sechs bis acht Wochen prognostiziert.

DFB.de: Tatsächlich wurden es fünf Monate.

Gomez: Und in diesen fünf Monaten kam schon langsam der Bruch. Alles Positive hat sich ins Gegenteil verkehrt. Je länger ich ausgefallen bin, desto größer wurde die Unruhe. Auch weil die Kommunikation nach außen darin bestanden hatte, auf eine Ausfallzeit von zwei Monaten zu bestehen. Nach drei Monaten hieß es: Der Gomez macht Urlaub. Nach vier Monaten hieß es: Der simuliert nur. Es wurde wahnsinnig viel Unwahres gesagt und geschrieben. Aber je mehr Geschichten es in diese Richtung gab, desto größer wurde der Druck, den ich mir selber gemacht habe. Ich kannte ja die Erwartungen. Und ich wollte sie erfüllen. Ich wollte so schnell wie möglich beweisen, dass nicht stimmt, was geredet und geschrieben wurde. Aber ich hatte einfach Schmerzen, es ging nicht. Es hat auch geschmerzt, dass mir von vielen nicht geglaubt wurde. In dieser Zeit ist einiges in die falsche Richtung gekippt.

DFB.de: Wie war es denn, als Sie nach fünf Monaten wieder fit waren?

Gomez: Anders. Ich habe gemerkt, dass das Verhältnis zum Trainer nicht mehr ist, wie es anfangs war. Ab dieser Verletzung habe ich an vielen Stellen Zweifel gespürt. Wohin ich kam: fragende Blicke. Ich habe dann sechs Wochen gespielt. Die ersten drei, vier Wochen, um reinzukommen, dosiert, mit Kurzeinsätzen. Im ersten Spiel über 90 Minuten habe ich gleich wieder getroffen. Und ich dachte: "Jetzt habe ich das Ruder rumgerissen." In der Europa League habe ich gegen Juventus getroffen, beim nächsten Spiel von Beginn an in der Serie A gleich wieder ein Tor. Die Euphorie war zurück. Auch im Umfeld und in den Medien. Und dann kam das Spiel in Neapel.

DFB.de: Und die nächste schwere Verletzung.

Gomez: Fast die gleiche Situation. Anfang der zweiten Halbzeit fällt mir ein Abwehrspieler auf das andere Knie - wieder Innenbandriss. Von den neun Monaten der Saison habe ich sieben Monate verpasst. Ich bin dann in den Sommerurlaub und hatte mir vorgenommen, in der zweiten Saison voll anzugreifen. Aber die zweite Saison ist nie wieder so geworden, wie ich das wollte. Irgendwie stand alles unter keinem guten Stern. Zwischen mir und dem Verein standen zu viele negative Geschichten. Der Druck wurde immens, unrealistisch. Deswegen musste nach dem zweiten Jahr eine Veränderung her.

DFB.de: Mit welchem Gefühl haben Sie Florenz verlassen?

Gomez: Ich liebe Florenz! Das Lebensgefühl, das die Menschen dort haben, ist überragend, grandios. Ich wusste, dass die Serie A zu dem Zeitpunkt nicht die stärkste ist. Aber ich habe mich darauf gefreut, mit Florenz eine Erfolgsgeschichte zu schreiben. Dass sich für mich eine so negative Dynamik ergeben würde, hätte ich nie gedacht. Es ist doch klar, dass das für mich unter dem Strich eine Enttäuschung darstellt.

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DFB.de: Es hat Sie zu Besiktas Istanbul gezogen. Gab es einen Zeitpunkt, an dem Sie ganz sicher waren: Es passt tatsächlich, die Hoffnungen werden sich erfüllen?

Gomez: Bei Besiktas war es so, dass ich vorher eher skeptisch war aufgrund der Vorurteile gegenüber der Türkei.

DFB.de: Dann anders gefragt: Zu welchem Zeitpunkt haben Sie gemerkt, dass Ihre Skepsis unbegründet ist?

Gomez: Der erste Eindruck war schon sehr positiv, alle Vorurteile wurden widerlegt. Hektisch, chaotisch, extrem - diese Dinge hatte ich im Hinterkopf. Und als ich in Istanbul zum Medizincheck und zur Vertragsunterzeichnung war, war alles anders als befürchtet. Ich hatte vorher darum gebeten, dass es keinen großen Trubel geben sollte. Ich wollte keine Vorstellung im Stadion, das war für mich durch Florenz negativ besetzt. Ich wollte alles möglichst dezent. Ich hatte aber nicht so richtig daran geglaubt, dass sie das hinbekommen. Und dann war alles perfekt. Ich war sehr beeindruckt davon, wie hervorragend alles organisiert war und wie viel Mühe sie sich gegeben haben, mir den ersten Tag so angenehm wie möglich zu machen.

DFB.de: Und dieser erste Eindruck hat sich im Laufe der Zeit verfestigt?

Gomez: Ja. Ich bin dann nach Graz gereist, ins Trainingslager der Mannschaft. Und es war, als wäre ich wieder bei einem deutschen Verein. Sprachlich auch, schließlich sprechen zwölf Spieler bei Besiktas deutsch. Aber auch von allem anderen her. Von den Bedingungen, von der ganzen Betreuung. Und von der Trainingsintensität. Ich habe schnell gemerkt, wie professionell dieser Verein ist. Das hat sich dann fortgesetzt, als wir nach der Vorbereitung zurück in Istanbul waren. Im Service ist die Türkei wahrscheinlich unschlagbar. Im Verein gibt es für alles einen Mitarbeiter, den Spielern wird alles abgenommen. In Deutschland ist die Betreuung der Spieler schon auf einem erstaunlichen Niveau, aber in der Türkei ist alles noch einmal 50 Prozent mehr.

DFB.de: Finden Sie das positiv?

Gomez: Ich kenne die Luxusdebatte, und ich weiß, dass es immer heißt, dass wir Fußballer verwöhnt wären. Aber auch hier gilt: Ich kann nur für mich und für meine Situation sprechen. Ich finde es nicht verkehrt. Schon gar nicht in dieser Situation. Ich bin nach Istanbul gekommen - ausgeliehen für ein Jahr - und hatte keinen Plan von nichts. Wo melde ich mein Auto an, welche Behördengänge muss ich machen, wer ist für was zuständig? Ich traue mir schon zu, dass alles selber zu organisieren, aber es ist toll, dass einem das abgenommen wird. Und das ist nicht überall so. So konnte ich mich von Beginn an voll auf den Fußball konzentrieren. Und das war für mich sehr wichtig, ich hatte schließlich viel vor.

DFB.de: Ihr großes Ziel war die Rückkehr in die Nationalmannschaft.

Gomez: Ich habe für mich immer gesagt: "Das war es nicht. Das geht nicht. Meine Zeit in der Nationalmannschaft kann so nicht zu Ende gehen." In den zwei schlechten Jahren in Florenz habe ich gemerkt, was mir der Fußball alles bedeutet, wie sehr er mein Leben prägt. 2014 habe ich die Jungs vor dem Fernseher verfolgt und war ein großer Fan. Aber ich hatte immer den Antrieb, zurückkommen zu wollen, wieder dabei zu sein. Es ist einfach etwas Besonderes, ein besonderes Team, gespickt mit Weltklassespielern. Ich habe mir oft gesagt: "Ich will. Ich will. Ich will unbedingt mit diesem Team die EURO spielen." Ein Grund für den Wechsel nach Besiktas bestand auch darin, dass der Trainer ganz klar gesagt hat: "Wir machen dich fit - und dann spielst du. Punkt." Diese Aussage war elementar. Vor allem im Hinblick auf die EM. Ich habe gewusst, dass ich eine Saison benötige, in der ich durchspiele. Und natürlich Glück, dass ich mich nicht verletze.

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DFB.de: Können Sie Ihre Gedanken und Gefühle beschreiben, als sich Jogi Löw im November 2015 wieder gemeldet und Sie für die Nationalmannschaft nominiert hat?

Gomez: Ich hatte schon vorher ein paar Mal Kontakt mit dem Trainer. Als er mich schließlich nominiert hat, war es für mich dann nicht mehr so überraschend. Es hat sich nicht wie ein Geschenk angefühlt. Ich war überzeugt davon, dass ich mir das verdient hatte. Aber natürlich habe ich mich wahnsinnig gefreut. Die Nominierung war eine große Bestätigung für mich, sie hat mir noch mehr Selbstvertrauen gegeben.

DFB.de: War diese Nominierung in irgendeiner Weise vergleichbar mit 2007, als Sie zum ersten Mal zum DFB-Team geladen wurden?

Gomez: Nein, gar nicht. Ich stehe jetzt viel mehr im Leben als vor neun Jahren. Damals war ich Anfang 20 - und für mich gab es nur Fußball. Nichts anderes hat mich interessiert. Jetzt habe ich andere Schwerpunkte. Ich habe ganz andere Erfahrungen, ich weiß, wo ich hin will, ich stehe mitten im Leben, ich kann alles sehr gut einschätzen. Die Nominierung war ein Riesenziel von mir, ich wollte das unbedingt. Aber mein Lebensglück hängt nicht davon ab. Ich hätte auch meinen Frieden mit mir gehabt, wenn ich es nicht geschafft hätte. 2007 habe ich das noch anders gesehen, von dieser Gelassenheit war ich noch weit entfernt.

DFB.de: In den Jahren dazwischen haben Sie viel erlebt. Sie waren: Shootingstar, Buhmann, Hoffnungsträger, Torgarant, Pechvogel und Rückkehrer. Wie sehen Sie Ihre Rolle bei der Nationalmannschaft im Wandel der Zeit?

Gomez: Ich sehe mich in einer Gar-nicht-so-wichtig-Rolle. Und das ist der größte Fortschritt, den ich in den vergangenen Jahren gemacht habe. Dass ich mir nicht zu viel auflade. Durch meine Leidenszeit und durch den Erfolg der Mannschaft bei der WM in Brasilien wurde einmal mehr deutlich, dass im modernen Fußball nicht der Einzelne wichtig ist. Ich bin Teil der Mannschaft, ich sehe mich als ein Dreiundzwanzigstel, nicht als mehr. Ich habe auch keinen Druck, dass ich sage, ich muss die Spiele spielen. Ich tue alles dafür im Training, ich will, aber ich werde jede Entscheidung des Trainers akzeptieren. Auch das hat sich geändert. Als ich beispielsweise 2012 im Spiel gegen Griechenland auf der Bank saß, konnte ich das nicht verstehen, das war ein Schlag ins Gesicht.

DFB.de: Sie haben gesagt, dass Ihre Zufriedenheit nicht davon abhängt, wie viel sie bei der EM spielen.

Gomez: So ist es.

DFB.de: Warum ist es ein Fehler, daraus zu schlussfolgern, Ihr Ehrgeiz wäre nicht groß?

Gomez: Weil es ja nicht stimmt. Hätte ich nicht genügend Ehrgeiz, hätte ich es gar nicht geschafft, in diesen Kreis zurückzukehren. Ich habe den Ehrgeiz, mein Bestes zu geben und das Maximale aus mir rauszuholen. Das habe ich in jedem Training. Es geht nicht um drei Minuten oder drei Spiele. Es geht um meine Einstellung zu der Sache hier. Das Gegenteil stimmt: Mein Ehrgeiz ist wahrscheinlich so groß wie nie. Ich will den Turniersieg. Aber ich weiß, dass es darauf ankommt, ein richtiges Team zu sein. Ich sehe nicht mich - ich sehe das Ganze.

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